Sonntag, 14. April 2024

Die Kunst sich selbst Liebe zu schenken

 

                                                                       Foto: A.W.

 
„Langsam stirbt, wer die Liebe zu sich selbst zerstört; wer sich nicht helfen lässt“, lautet eine Zeile in Pablo Neruda´s Gedicht „Ode an das Leben“.
Die einen suchen sie, die anderen geben vor sie zu haben, wieder andere verteufeln sie als Narzissmus, andere zerstören sie, wie Neruda schreibt, und nur wenige fühlen sie: die Liebe zu sich selbst.
Selbstliebe ist in aller Munde, aber was sie genau ist, das weiß keiner so wirklich, es sei denn er empfindet sie. Die meisten von uns wissen einfach nicht, wie ich es gehen soll, sich selbst auf eine praktische Weise zu lieben. Wir wissen nicht wie wir mit der Liebe in unserem Inneren in Kontakt kommen. Wir lieben, um wiederum geliebt zu werden, aber wir haben nie gelernt, uns selbst zu lieben. Wir wollen vielmehr geliebt werden, als zu lieben, weil wir glauben, dass Liebe durch einen anderen Menschen zu uns kommt. Verlässt uns dieser Mensch, sind wir die Liebe los, sind wir wieder "lieblos".
Wie liebt man sich selbst? Wie führt man mit sich selbst eine liebevolle Beziehung?
Eine liebevolle Beziehung zu mir selbt beginnt für mich mit der Akzeptanz meiner selbst. Sie bedarf Verständnis, Selbstkenntnis und Mitgefühl für mich selbst. Sie bedarf der Selbstfreundschaft und der Selbstfürsorge. 
 
Liebevoller Kontakt mit sich selbst hat nichts mit Narzissmus zu tun. Der Narzisst liebt sich selbst nicht, er liebt sich selbst im anderen, er lässt lieben. Er kann nicht lieben. Selbstliebe hat auch nichts mit Egoismus zu tun, sondern vielmehr mit Selbstachtung und der Fähigkeit mit sich selbst in einen liebevollen Kontakt zu treten. 
 
Das größte Leid erschaffen wir selbst, durch eine ablehnende Haltung uns selbst gegenüber, durch Selbstablehnung und Selbstverurteilung. Je mehr wir uns selbst ablehnen, desto weiter weg sind wir von unserem inneren Kern, unserer Essenz. Die Folge: Wir sind mit uns selbst nicht verbunden. Das Gefühl des Abgeschnittenseins von uns selbst wiederrum führt dazu, dass wir uns als bedeutungslos, wertlos und nicht liebenswert empfinden. Wir sind unglücklich. Es soll uns bitte jemand glücklich machen, ja zu uns sagen, denn wir selbst können es ja nicht, uns selbst bejahen. Wir brauchen andere, die es uns fühlen machen. Das funktioniert auch solange jemand für uns da ist, sobald da aber keiner ist, sobald wir allein mit uns selbst sind, läuft das leibevolle Gefühl aus uns heraus. Es ist wie mit einem Fass ohne Boden, das ständig gefüllt werden muss, aber nichts halten kann.
Lassen wir die Frage: Warum ist das so?, mal beiseite.
Fast jeder, der sich bewusst mit sich selbst befasst, weiß um die Ursachen, warum er lieblos sich selbst gegenüber ist. Oft höre ich: „Ich kann mich nicht lieben, weil man mich als Kind nicht geliebt hat.“
Mich übrigens auch nicht, aber das ist kein Grund mich nicht lieben zu lernen, sondern ein Grund es zu tun. 
 
Das Warum ist nicht die Lösung, es geht um das Wie.
Das gebetsmühlenartige Wiederholen des Wissens um das Warum als Erklärung, warum es mit der Selbstliebe nichts werden kann, führt keinen Schritt weiter. Im Gegenteil, die selbstdestruktive Dynamik bekommt so Futter.
Also: Wie mich selbst lieben? Wie diese Kunst, denn für mich ist es eine Kunst, erlernen?
Sich selbst mögen, reicht ja schon, wem das Wort Liebe im Zusammenhang mit sich selbst Bauchgrummeln macht. 
 
Liebende Güte ist das Zauberwort.
Und die kann man kultivieren.
Die innere Ausrichtung auf die Güte in mir selbst, für mich selbst, ist eine tägliche Praxis. Die wohlwollende Ausrichtung auf eine mitfühlende Haltung zu mir selbst ist eine Praxis. Ob man mich auf dieser Welt nun gewollt hat oder nicht – im Ursprung bin ich ein Kind der Liebe Gottes. Dieses Bewusstsein fehlt den meisten Menschen, ebenso wie der Glaube, der in der heutigen Zeit mehr und mehr verloren geht.
Wir alle tragen Liebe in unserem Herzen, egal was auf unserem Lebensweg an Unliebe passiert ist, viele von uns fühlen sie nur, nach dem, was von Kindheit an in uns verbeult wird, nicht mehr. Aber wir fühlen die Sehnsucht nach Liebe.
 „Sehnsucht nach Liebe ist Liebe. Und siehe, du bist schon gerettet, wenn du versuchst, der Liebe entgegenzuwandern“, schreibt Antoine de Saint-Exupéry.
 
Liebe ist ein Bewusstseinszustand. Und den kann ich erlangen. Das macht Mühe und Arbeit, aber es ist möglich.  
Ich bin nicht machtlos, wenn ich die Bereitschaft habe, es nicht mehr sein zu wollen. Wir haben unendlich viele Möglichkeiten und Hilfen um unsere Wunden der Unliebe zu versorgen und zu genesen. Wir müssen sie nur annehmen und anwenden. Egal wie lange es dauert.
Liebe zu uns selbst bedeutet: Wir kultivieren eine wohlwollende, mitfühlende, freundliche Haltung zu uns selbst und daraus zu allem und allen anderen.
Wenn wir alle Illusionen, alle Vorstellungen, alle Konzepte, alles, was man uns über uns selbst zu denken und zu fühlen beigebracht hat, alle Konditionierungen und Glaubensätze, die uns von uns selbst entfremden, einmal identifiziert und durchdrungen haben und bereit sind unser Herz zu öffnen, erkennen wir, dass der Weg zur Selbstliebe darin besteht, uns Selbstachtung und Selbstannahme zu schenken, so wie wir sind, mit allen Gefühlen, mit allen kleinen und großen Macken, mit unseren Traumata, unseren Zweifeln, Verletzungen und Ängsten und dann beschließen wir gut zu uns selbst zu sein. Gerade deshalb gut zu uns selbst zu sein. Gütig sein und liebevoll, achtungsvoll dem geschenkten, kostbaren Leben gegenüber, das wir erhalten haben. 
 
Aber wie geht das, gut zu mir zu sein?, werde ich in der Praxis oft gefragt. 
Die Antwort ist einfach: Gut zu mir selbst bin ich dann, wenn ich mich gut behandle. Jeder von uns, der keine massive Persönlichkeitsstörung hat, weiß wie das geht, einen Menschen gut behandeln – in dem Fall sind wir das selbst.
In meiner Welt hat Liebe eine Quelle, sie ist im Herzen.
Und sie fließt dann, wenn wir es öffnen, eben auch für uns selbst. Egal wie oft es uns gebrochen wurde, wir allein sind für dieses Herz verantwortlich.
Im besten Falle – in Liebe.
 
"Liebe dich selbst, damit du dich nicht von deiner eigenen Schönheit und Echtheit ablenken lässt.“
- Khalil Gibran

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