Samstag, 1. Oktober 2022

Aus der Praxis: Wozu das alles?

 



Gestern hatte ich eine intensive Sitzung mit einer Klientin, die absolut keinen Sinn mehr in ihrem Leben sieht. Sie hat keine Depression, sie hat einfach den Sinn verloren. Das gibt es. Auch mir ist das nicht fremd. Irgendwann kämpfen die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mit der Sinnfrage, manche sogar immer wieder. Bei Begegnungen mit der eigenen Endlichkeit, einer schweren Krankheit, einer Trennung, einem Schicksalsschlag oder dem Tod.
Krisensituationen führen oft in die Frage nach dem Sinn des Ganzen.
Wenn Menschen, die tief in einer Krise stecken zu mir kommen, stellen sie Fragen wie:
Wozu das alles?
Wozu bin ich überhaupt da?
Gibt es überhaupt einen übergeordneten Sinn?
Welchen Sinn hat mein Leben?
 
Die Sinnfrage ist ein existentielles Problem und immer ist sie begleitet von tiefen emotionalen Zweifeln, an dem was ist, an dem was wir sind, an dem, was wir unser Leben nennen. Mit der Suche nach dem Sinn beschäftigen sich die Philosophie, die Psychologie, die Soziologie, die Künste und die Literatur seit ewigen Zeiten, ohne dass eindeutige und für alle Menschen allgemeingültige Antworten gefunden werden.
Die Suche nach dem Sinnhaften der Existenz ist ein Grundmotiv der Menschheit. Hinter all den Anstrengungen, die wir im Leben machen, steckt die Suche nach dem eigenen Lebenssinn. Sie begleitet uns wenn es darum geht den eigenen Weg zu finden, die eigene Biografie zu verstehen, um mit der eigenen Vergänglichkeit umzugehen und wenn es darum geht Verluste und Scheitern zu verarbeiten. Letztlich alles mit dem Ziel uns im Leben und in der Welt orientieren zu können.
 
Ohne Sinn sind wir orientierungslos, Suchende, die kein Ziel haben.
Hat der Mensch das Gefühl für den Sinn verlorenen, verliert er nicht nur die Orientierung, sondern den Halt. Er wird passiv, depressiv, resigniert, hoffnungslos. Am Ende verzweifelt er im Zweifel, er verzagt und ergibt sich dem, was ist oder er löscht sich im schlimmsten Falle selbst aus, weil da nichts mehr ist.
Das zeigt wie existentiell es ist Antworten auf die Frage nach dem Sinn zu finden.
Nur, dass uns die eben niemand geben kann. Kein anderer kann uns den Sinn erklären, vorleben, vorbeten oder schenken.
Natürlich kann die Liebe zu anderen uns Sinn schenken, die Verbundenheit mit anderen, das was wir für unsere Nächsten tun. All das ist sinnvoll. Aber, was wenn es diese anderen plötzlich nicht mehr gibt? Wenn sie uns verlassen oder wenn sie uns genommen werden. Dann löst sich der Sinn auf. Und wir stehen da und wissen nicht mehr wofür, für wen wir da sind. 
 
Was, wenn wir verlieren woran unser Herz hing, egal was es war?
Dann bricht der Sinn leicht zusammen. Er löst sich auf und wir gefühlt mit ihm. Wir werden uns der Fremdheit dieser Welt in der wir allein sind, schmerzhaft bewusst.
Vor dem Hintergrund eingestürzter Lebenskonstrukte und zerbrochener Bindungen, beschleichen uns düstere Gedanken, ob der Absurdität unseres Daseins. Nichts mehr, dem wir einen Sinn verleihen können. Nichts mehr, was uns als Licht im Dunkel leuchtet. Nichts.
Nichts ist für uns Menschen nur schwer vorstellbar. Vielleicht bekommen wir eine Ahnung davon im Schlaf, fassen können wir es nicht. Das Nichts ist kein Ding, keine Sache, nicht das Mindeste. Das Nichts ist der Gegenpol des Seins, Abwesenheit des Seins, das Nichtsein, nicht das Für-sich-Sein und nicht das Für-Andere-Sein, eine absolute Leere.
So etwa fühlt sich eine tiefe Sinnkrise an. Da ist nichts mehr.
Und was jetzt?
 
Wir könnten uns fragen: Welchen Sinn hat diese Welt für mich?
Damit könnten wir uns ein neues Ziel setzen. Aus der kosmischen Perspektive ist das allerdings vollkommen bedeutungslos. Dem Universum ist das egal.
Wie könnte unser Dasein also sinnvoll sein, wenn es den großen vorgegebenen Sinn nicht gibt? Ist es dann nicht das Einzige, was wir tun können, ihn uns selbst zu schaffen?
Und dann wieder stellt sich die Frage: Was genau bedeutet es, meinem Leben einen eigenen Sinn zu geben? Ist es nicht nur wieder eine Konstruktion, die die Tiefe der Antwort auf mein Dasein nicht einmal berührt. Ein Selbstbetrug, den wir begehen, weil wir eben nichts wissen.
Woran merken wir, was stimmt, was für uns wahr ist und zutiefst sinnhaft? Daran, dass das, was wir tun uns ein Gefühl von Sinnhaftigkeit vermittelt? Vielleicht ist es so, velleicht ist es nicht so.
Oder könnten wir gar offen dafür sein, dass es keinen Sinn gibt?
Und was wäre dann?

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