Am Ende des Jahres lese ich Ernst Bloch.
„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen“, schreibt der Philosoph im hohen Alter. Hoffen, immer wieder dieses Hoffen und es nicht aufgegeben. Warum?, frage ich mich. Wäre es nicht einfacher ohne Hoffnung zu leben? Sie kostet Kraft, besonders in den Momenten, wo wir wieder einmal enttäuscht sind und traurig, weil sie absolut nichts geholfen hat. Weil sie vergeblich war.
Ich schenke dem Philosphen Glauben und hoffe weiter.
Wer sich aufs Hoffen verlegt, macht den ersten Schritt, wer hoffnungsvoll handelt, denkt und handelt im Bewusstsein des Gelingens. Und es ist völlig egal, ob er dann trotzdem scheitert. Die gelebte Zeit in der Zuversicht, sie gestalten zu wollen und zu können ist Lebensbejahung und jedes Ja zum Leben schenkt uns Kraft, Mut und Sinnhaftigkeit.
Der Geist fragt ständig nach dem Sinn des Lebens.
Die Sinnfrage ist eine Grundfrage des Menschen, die wir uns in jedem Altersabschnitt neu stellen. Angesichts des näher rückenden Lebensendes wird sie jedoch drängender.
Was uns bewusster wird, ist die Irreversibilität und das Vergehen der Zeit. Früher, in der Kindheit und in der Jugend schien die Zeit zu langsam zu vergehen. Wir konnten es kaum erwarten älter zu werden. In der Mitte unseres Lebens erscheint es uns, als renne uns die Zeit davon. Im Alter haben wir das Gefühl, sie zerfließt uns in den Händen. Ihre Vergänglichkeit wird zur existentiellen Bedrohung, wenn es uns nicht gelingt, uns mit ihr anzufreunden.
Aber, was ist Zeit?
Das beständige Ticken der Zeiger der Uhr, das Vergehen des Augenblicks und der Übergang in den nächsten. Zeit ist Bewegung und Fließen. Und das Wunder der Zeit ist: Zeit ist immer relativ in unserer Empfindung. Bedrohlich wird Zeit dann, wenn wir glauben, etwas nicht erledigt zu haben, etwas nicht getan zu haben, etwas versäumt zu haben, etwas verloren zu haben, etwas nicht mehr haben zu können, etwas nie mehr erreichen zu können, etwas nicht mehr wieder gut machen zu können, etwas nicht mehr ändern zu können, etwas nicht mehr wieder zu bekommen, etwas nie mehr zu bekommen oder etwas nie mehr tun zu können.
Aus jedem bedauernden „nie mehr“ resultieren Fragen, die Antworten finden wollen. Diese dann zu deuten, sie zu relativieren, Ambivalenzen herauszufinden und sich am Ende zu sagen: Ich habe mein Bestes getan. Ich habe das getan, was ich genau in diesem Moment in der Zeit habe tun können, was in meiner Macht stand in diesem Moment meiner Entwicklungsstufe. Und ja, ich kann das nie mehr anders machen. Und dann muss ich das so akzeptieren um nicht zu verbittern.
Ich darf hoffen, dass ich es künftig besser mache, weil ich gelernt habe. Hoffentlich.
Aber ich gebe die Hoffung auf, einen Zustand wieder herzustellen, der sich längst überlebt hat. Das ist nicht im Sinne eines Werdens und nicht im Sinne einer Entwicklung nach Vorne. Was war, ist unwiderruflich vergangen. Was bleibt ist die Frage: Was mache ich mit dem Rest, der mir noch bleibt? Worauf verlege ich meine Hoffnung jetzt?
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