Sonntag, 21. Juli 2019

Gedanken zur Krise der Lebensmitte




Manchmal verlieren wir den roten Faden unserer Seele im Labyrinth des Lebens. Dann erinnert uns möglicherweise das Schicksal daran, dass da etwas komplett ungut läuft. Es "schlägt zu" wenn wir uns selbst nicht gut tun, wenn wir zu viel tun, was über unsere Kraft geht, wenn wir auf einem Weg sind, der nirgendwohin oder gar in den Abgrund führt. Es erinnert uns daran, dass wir uns etwas "schuldig" geblieben sind. "Um ein guter Schicksalsspieler zu werden müssen wir von der Vogel-Strauss-Taktik Abstand nehmen und unsere nicht entwickelten Anlagen erkennen", schreibt der Schicksalsforscher Herrman Meyer. Er meint damit, das zu erkennen, was in uns angelegt ist, um es zu entfalten und endlich ins Leben zu holen.

Viele Menschen fragen sich, besonders in der Lebensmitte:
Wer bin ich eigentlich?
Was ist der Sinn meines Daseins?
War es das jetzt?
Wofür habe ich gelebt?
Habe ich verwirklicht, was ich mir einst wünschte?
Wohin bin ich gekommen?
An welchem Punkt stehe ich jetzt und wie soll es von hier aus weiter gehen?

Irgendjemand soll ihnen die Antwort geben. Manche legen in ihrer Ratlosigkeit sogar Engelskarten oder Tarot, um dort Antworten zu finden. Und dann lesen sie die Antworten, die ihnen ihr eigenes Unbewusstes, das sich in den Karten spiegelt, gibt - und machen weiter wie vorher.
Sie gehen den Holzweg weiter.

Eine häufige Erkrankung in der Krise der Lebensmitte ist die Depression. Die Betroffenen spüren, dass es in ihrem Leben so nicht weiter gehen kann, dass ein Richtungswechsel erforderlich ist - und zwar: Blickrichtung nach Innen. Und genau dazu zwingt die Depression: Zum Inne halten, weil nichts mehr geht. Narzisstische Persönlichkeiten fallen in eine narzisstische Krise, wenn ihr bisheriges Leben mehr Misserfolge als Erfolge zu verzeichnen hat. Die Maske fällt, der Größenwahn hält dem inneren Kleinheitsgefühl nicht mehr stand. Der Mensch steht vor sich selbst nackt da und spürt vielleicht zum ersten Mal seine Verwundbarkeit.

Die Mitte des Lebens ist ein entscheidender Wendepunkt.
Das Meiste ist gelebt. Fünfzig Jahre sind vergangen und weitere fünfzig werden die meisten von uns nicht erleben. Die Zeit wird kostbarer als je zuvor. Anstatt zu versuchen in der Lebensmitte krampfhaft das Versäumte nachzuholen - ein Nachholen steht im Widerspruch zu der notwendigen Umkehr im Leben - macht es Sinn, das Wesentliche zu erkennen, was uns nach all den gelebten Jahren ausmacht und was wir nach dieser Erkenntnis aus uns machen und was wir in der uns verbleibenden Zeit, gestalten wollen.

C.G. Jung sagte einmal, dass Menschen, die die Spiritualität nach der Lebensmitte nicht finden, in schwerste Sinnkrisen fallen. Dann wird Leiden zum Ersatz für das Entwickeln der eigenen Potentiale.
Aber woran leiden wir emotional?
Wir leiden an dem, was wir nicht haben, nicht haben können oder verloren haben. Wir leiden an den Gedanken an die Vergangenheit, die uns weh getan hat, sei es durch andere Menschen oder durch uns selbst oder durch all die unguten und schmerzhaften Erfahrungen, die wir machen mussten. All das können wir nicht loslassen. Und ja, das ist auch schwer, aber das Festhalten ist nicht leichter.
Wir halten fest an längst Überlebtem und es wird weiter gelitten.

Wo ist der sekundäre Gewinn?
Der Gewinn ist eine scheinbare Sicherheit, eine scheinbare Stabilität, weil es bleibt wie es ist und wir den Ist-Zustand kennen und berechnen können.
Warum bleiben Menschen beieinander, die sich nichts mehr zu geben haben? Warum machen wir weiter den Job, der ausbrennt, warum müllen wir uns mit sinnentleerter Ablenkung und unnützen Dingen zu? Weil das alles bekannt, vertraut und berechenbar ist, weil das Gewohnte erträglicher anmutet, als die Angst vor Veränderung oder das Riskieren von Verlusten. Das Streben nach Berechenbarkeit dominiert unser Denken und unsere Welt – vor allen sorgt es dafür, dass wir funktionieren. Kontrollieren, Festhalten am Gewohnten und Risiken ausschließen vermittelt uns das Gefühl von Stabilität. Aber nur aus der bewusst wahrgenommenen Qualität der eigenen Instabilität heraus wächst echte Stabilität in unserem Inneren. Wenn wir bereit sind, das Instabile zuzulassen und uns selbst ehrlich zu begegnen, wenn wir das Risiko eingehen unsere Schatten anzuschauen, wenn wir bereit sind, die Täuschungen, denen wir anhaften zu ent-täuschen, begegnen wir der Wahrheit, und zwar der eigenen. Dann beginnen wir uns mit unserem ureigenen Wesen auseinanderzusetzen. Und zwar im Jetzt. Und nicht gefangen im Blick nach dem nicht mehr Veränderbaren was hinter uns liegt.

Wenn wir im Laufe dieses Prozess alle Seiten unserer Person anerkennen können, als einander bedingende Teile des Ganzen, sind wir auf dem Weg in eine Stabilität, die sich echt anfühlt und uns inneren Halt gibt. Dann folgt authentisches Handeln, was nicht anderes bedeutet, als dass unsere Gedanken, Gefühle und Taten übereinstimmen. Das wäre das Ende der Selbstlüge. Und damit schöpfen wir Mut. Wir sind wahrhaftig. Und wir erkennen auch unsere Angst vor der Veränderung an. Aber wir wandeln sie: Sie wird zum Motor um mit der Veränderung zu beginnen, die wegweisend ist über die Lebensmitte hinaus.

Namaste

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