Sonntag, 29. Dezember 2013

Bilanz

in zwei tagen endet dieses jahr. wieder ein jahr, das geht, ein jahr leben. ein überlebtes, gelebtes jahr, dem ein neues jahr folgt, ein neues jahr, das schon bevor es beginnt überladen ist mit all den wünschen und hoffnungen, die wir in es hineinlegen. und inmitten all der wünsche liegen die vorsätze, die wir  formulieren, all die dinge, die wir uns mit vorsatz zu verwirklichen vornehmen.

vorsatz, welch ein wort. mit vorsatz handeln setzt bewusstheit vorraus, bewusstsein über das, was wir vor haben. in der juristerei erhält die tat, die mit vorsatz ausgeführt wurde, die höchststrafe. nur so ein gedanke, der mich eigentlich nirgendwo hin führt als weg von dem, was ich nicht habe: ich habe keine vorsätze was dieses neue jahr angeht, keine guten und keine schlechten, denn ich weiß aus erfahrung, dass die meisten dieser vorsätze einem wunschdenken entspringen, das sich spätestens in der zweiten januarwoche der realität des alltags und den alten gewohnheiten wehrlos ergibt. also lasse ich das vorsätzliche und ziehe bilanz und blicke dann auf die aufgaben und möglichkeiten meiner nahen zukunft, heute zwei tage bevor sich das alte jahr zum ende neigt.

ich versuche mich zu erinnern an das, was mir dieses jahr an erfahrungen, lektionen und begegnungen gebracht hat und weil ich bilanz ziehe, sehe ich auch die gewinne und verluste, die ich zu verzeichnen habe. ich sehe die ziele, die ich mir gesetzt habe und in wie weit ich sie verwirklichen konnte oder nicht. ich frage mich, was habe ich besser gemacht als all die jahre zuvor und was ist mir wieder nicht gelungen? ich schaue auf das, was ich an sinnvollem getan habe und was an sinnlosem. ich spüre nach und stelle fest es gab verluste, eine menge verluste sogar und sie schmerzen. ich frage mich - wie viel habe ich von mir selbst verloren, wo doch mein großes ziel in diesem leben ist mich selbst voll und ganz in besitz zu nehmen, im sinne von ich selbst sein, mich entfalten und dem folgen, was sich verwirklichen will, aus mir heraus in diesem meinem einen leben. ich frage mich, wie viel habe ich von mir selbst dazu gewonnen in diesen 365 tagen lebenszeit und was habe ich anderen geben können. weil ich eine unverbesserliche melancholikerin bin werde ich traurig wenn ich auf dieses jahr blicke, an dessen ende ich bei allem was gut ist auch ein übermaß an verlusten sehe. ich habe menschen verloren, die mir viel bedeutet haben, ich muss den ort verlassen, der mir viel bedeutet und ich habe illusionen verloren, die ich mir gemacht habe in den beziehungen zu menschen, die mir wertvoll und wichtig sind.


was bleibt ist ein gefühl von abschied. es ist trauer, die ich mit hinüber nehmen werde in das neue jahr. in all den abschieden liegt etwas gemeinsames - die erfahrung des loslassen müssens, der trennung von altem. rainer maria rilke schrieb einmal sinngemäß: "was nicht zu uns gehört, fällt von uns ab". damit könnte ich mich trösten, mich über das untröstliche hinwegtrösten, wenn ich denn seinen worten glauben schenken könnte. aber ich bin eine ungläubige den wahrheiten anderer gegenüber die meinem erfahrungsschatz als gefühlt falsch gegenüberstehen. welch ein fatalismus, lieber herr rilke, der völlig ausschließt, dass wir selbst verantwortlich sind für vieles was uns widerfährt und damit auch für das, was von uns abfällt, weil wir es nicht halten können, weil da irgendetwas in uns dagegen spricht, dass es bleibt.

unsere gedanken sind es, unsere gefühle sind es und unsere handlungen sind es durch die wir unser leben gestalten, in den kleinen dingen und in den großen. und ja, es gibt das, was größer ist als wir, aber es ist nicht ausschließlich für alles verantwortlich, was uns geschieht. es ist beides, was unser leben beeinflusst.


es ist niemals so einfach wie wir glauben, denn wäre es so einfach, wäre das leben zu verstehen und alle fragen beantwortet.

was in mir in diesem jahr des abschieds stärker geworden ist, ist mein glaube, und es ist nicht der glaube an die menschen, es ist der glaube an gott. das ist am ende meiner bilanz das wesentliche bei all dem, was ist. es ist das entscheidende was ich hinübertragen werde in das neue jahr, das mich kraft kosten wird. ich werde kraft brauchen für einen neubeginn, von dem ich nicht einmal genau weiß, wie er aussehen wird. aus den ruinen, denen ich gegenüberstehe, aus den bruchstücken, die vor mir liegen, werde ich etwas neues formen um meinen weg weiter zu gehen. ich werde nicht alle nutzen, denn es wird noch mehr abfallen vom alten, dem ich das altern und vergehen nicht gewünscht habe, das spüre ich.

"mein gartenhäuschen ist verbrannt, jetzt steht nicht mehr zwischen dem mond", lautet ein satz, von dem ich nicht mehr weiß, wer ihn einmal gesagt hat. der mond - das neptunische, das symbol für das tiefe im leben, das symbol für die kreativiät und die schöpferkraft in uns, unverbaut, den blick frei gebend auf das eigene - das ich. das ist tröstlich.

schöpferkraft - sie werde ich brauchen in diesem neuen jahr und ich weiß, ich bin nicht die einzige von uns, die sie brauchen wird. ich weiß auch - sie ist die kraft, die uns unser leben gestalten lässt, auch wenn da scheinbar nicht mehr viel bleibt. die schöpferische kraft ist der antrieb durch den der schöpfer in uns wirkt.



euch, meine lieben leser, wünsche ich ein jahr, das es gut mit euch meint und ihr mit euch!




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