Dienstag, 23. August 2011

stören ...

alles in ordnung, dachte sie als sie erwachte. sie sah auf die uhr, die auf dem nachttisch lag, es war fünfuhrdreißig. normalerweise schlief sie länger. für einen moment überlegte sie, ob sie wieder einschlafen sollte, aber sie war hellwach und stand auf.

es ist gut mit diesem gefühl aufzuwachen, dachte sie, dieses in ordnung gefühl hatte es nicht oft gegeben in den letzten jahren. sieben waren es gewesen, sieben jahre in denen nichts in ordnung gewesen war, sieben jahre in denen sie mit der angst aufgewacht war, egal zu welcher uhrzeit. an diesem morgen war es in ordnung. keine angst, das war ordnung genug.

draussen brach ein morgen auf zum tag zu werden. sie ging in die küche, öffnete das fenster und atmete die milde augustluft ein. draussen war es still, nur ein vogel machte stimmen aus den grünen blättern des kastanienbaumes heraus. sie liebte den baum, er war da gewesen all die zeit, groß und stark. der baum hatte sie daran erinnert, dass alles kommt und geht wie die jahreszeiten in denen er seine gestalt veränderte. alles ist veränderung, schien er zu sagen, ließ sie ihn sagen. sie verstanden sich, der baum und sie. er würde ihr fehlen.

sie musste weg, weg aus der wohnung, die sie sieben jahre wie eine burg behaust hatte, weg weil in ihr die erinnerung wohnte an die sieben jahre, die nicht in ordnung gewesen waren. der mann hatte das gesagt, er hatte es immer wieder gesagt und sie hatte sich immer wieder gewehrt gegen das gesagte. sie wollte bleiben, weil sie den baum ebenso wenig verlassen wollte wie die erinnerung. dass es die erinnerung sei, die sie vom neuen abhielt, hatte der mann gesagt und dass sie in der vergangenheit lebte und wer in der vergangenheit lebt, hat keine gegenwart. der mann, der auch gesagt hatte, dass es ihm egal sei, wie sie die zahnpastatube ausdrückt. von oben, nicht wie er von unten. es störe ihn aber nicht, weil er sie liebe.

sie hatte sich gewundert, dass der mann überhaupt bemerkt hatte wie sie die zahnpastatube ausdrückte. sie hatte nicht bemerkt wie er sie ausdrückte oder irgendjemand mit dem sie irgendwann die zahnpasta geteilt hatte. was spielt es für eine rolle, fragte sie sich an diesem morgen. das wie des ausdrückens einer zahnpastatube konnte doch keine rolle spielen, wie bemerkte man so etwas überhaupt und und was machte es für einen sinn es zu bemerken. sie schüttelte den kopf, fühlte wie sie ihn schüttelte, schüttelte ihn schneller damit der zahnpastatubengedanke verschwand.

sie ging ins bad. da war wieder oder immer noch, der gedanke an die zahnpastatube. sie nahm die tube aus dem silbernen becher und drückte fest oben drauf. das blauweiße gel schoß heraus, ergoß sich über die zahnbürste, die sie darunter hielt, floss über sie hinaus ins weiß des waschbeckens und hinterließ einen einen blauweißen fleck im waschbecken, den das laufende wasser nicht ganz wegspülte. es stört mich auch nicht, dass du das wasser beim zähneputzen laufen lässt, hatte der mann gesagt. wieder hatte sie sich gewundert, dass er das wahrnahm. sie schrubbte die zähne bis das zahnfleisch schmerzte.

sie hatte dem mann erklärt, dass sie das kratzende geräusch nicht mochte, dass das zähneputzen macht, dass sie deshalb das wasser laufen ließ, damit sie es nicht so laut hören musste und der mann hatte gesagt, dass man es doch dann trotzdem höre und dass es also keinen sinn mache das wasser laufen zu lassen. sie drehte das wasser auf bis es nicht nicht mehr lauter wurde und schrubbte weiter bis das zahnfleisch blutete.

was der mann wohl dazu gesagt hätte, dass sie ihr zahnfleisch bluten ließ? vielleicht hätte ihn das auch nicht gestört. und dann fragte sie sich warum der mann immer gesagt hatte, dass ihn etwas nicht stört und sie dachte, dass einem etwas, was einen nicht stört doch gar nicht erst auffallen konnte oder man erst gar nicht darüber redet, wenn einen etwas nicht stört und dann dachte sie, dass es in ordnung war an diesem morgen, ohne den mann, den das alles nicht störte.


(c) angelika wende

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