Sonntag, 28. August 2011

funktionieren ...

"ich verdränge das", sagte er, "ich will mich nicht mit dem alten kram belasten. die vergangenheit ist vorbei und basta." anna sah ihn an, den vater, wie er da saß in den weißen laken in diesem krankenzimmer, das kalt war und grau an den wänden. der vater war blass, seine augen lagen in tiefen höhlen. auch dieses mal hatte er es überlebt. das herz pumpte wieder im gewohnten rhythmus.

sie wusste wie schwer es ihm fiel die angst in den griff zu bekommen. schon als kind hatte sie es gespürt, wie er mit ihr kämpfte. er war ein verdränger. es wunderte sie nicht, dass er es am herzen hatte. irgendwo musste es sich auswirken sein nichthinschauen wollen. sein herz erinnerte seinen kopf daran es zu tun, aber er begriff nicht. noch immer war da diese hartnäckige weigerung hinzuschauen.

"nichts wird durch wegschauen unwirksam, weder etwas das war, noch etwas das ist, noch ein wunder punkt in der eigenen seele", sagte sie. "lass mich mit meiner seele in ruhe", murmelte er und blickte an die wand, als könne er dort zustimmung erwarten.

der vater hatte sein leben lang pragmatisch gedacht. " dass du dein auskommen hast und ein dach über dem kopf, das zählt und dass alles funktioniert", hatte er ihr eingetrichtert schon als sie ein kind war. aber es war aus ihr herausgelaufen, sie hatte es durchlaufen lassen durch ihren kopf gleich nach unten, wo es wieder aus ihr herausfloss das eingetrichterte. die seele hatte es nicht erreicht und als sie ihn jetzt sah, wusste sie, dass ihre seele recht gehabt hatte.

"papa, denkst du nicht, es ist zeit uns endlich auszusprechen, fragte sie. "lass den alten kram. ich hab mein ganzes leben immer nach vorne geschaut und das war gut so. mama und mir geht es prächtig, wir haben alles." anna dachte an ihre mutter, die sich irgendwann einen hund zugelegt hatte, einen braunen pudel, den sie hegte und pflegte wie ihren augapfel und an die pudel die ihm folgten als er tot war, immer neue pudel, die den platz an ihrer seite behaupteten auch in der nacht im ehebett. seit ich die menschen kenne, liebe ich die tiere war einer ihrer lieblingsprüche gewesen. anna dachte, dass da ganz viel enttäuschung drin lag und eine sehnsucht nach einem der zu einem gehört und einen annimmt wie man ist. hunde machen so was wohl, dachte sie weiter, aber auch nur weil sie nicht denken können wie menschen und deshalb nicht bewerten. ausserdem sind sie abhängig von ihrem menschen und das spürten sie wohl instinktiv. anna hasste abhängigkeit in jeder weise.

der vater, der jetzt da lag wie ein schatten seiner selbst nestelte an der bettdecke. er war schmal geworden, sein ehemals volles dunkles haar war grau und dünn, am hinterhopf schien die weiße haut durch. seine kleinen hände waren ausgemerkelt und mit altersflecken übersät. er tat ihr leid. leid tun hat mit liebe nichts zu tun, dachte anna und suchte nach liebe für den vater.

sie hatte mit ihm reden wollen, hatte sich versöhnung gewünscht, nach all den jahren in denen sie nicht miteinander gesprochen hatten, auch darum war sie hier. sie hatte ihm sagen wollen, dass sie ihn lieb hatte, sich nach seiner liebe gesehnt hatte, als kind und später als erwachsene frau. sie sah, dass ihre liebe eine illusion gewesen war.

"du hast dein ganzes leben versaut", fuhr er sie an, "dabei hättest du alles haben können, blöd warst du ja nicht und hässlich bist du auch nicht. und jetzt sitzt du allein da in deinem elfenbeinturm, selbst schuld."

anna musste lächeln über den elfenbeintum, der eine kleine wohnung am stadtrand war. "hast eben immer deinen kopf durchsetzen müssen, hättest besser mal die klappe gehalten und funktioniert. was ist denn so schlimm daran, andere frauen können das doch auch. was machst du eigentlich wenn du mal alt bist? dann bist du allein und im zweifel im armenhaus, mit deiner blöden kunst verdienst du doch eh nichts. also von mir gibts nichts zu erben." anna nickte mit dem kopf. erbschaft war das letzte woran sie dachte. "hättest dir besser mal einen ordentlichen mann gesucht, dann wärst du versorgt. na ja, aber das funktioniert bei dir ja auch nicht, du hast sie alle vergrault, taugst eben für nichts, nicht mal zur ordentlichen ehefrau. reich mir mal den apfelsaft rüber."

anna griff nach der flasche, die auf dem metallenen nachtisch stand und goß apfelsaft in ein glas. sie sah in seine augen. alles was sie darin fand war vernichtung. sie merkte nicht was ihr arm tat, merkte nicht wie er sich langsam hob, merkte nicht, wie ihre hand die kippbewegung machte, merkte nicht wie der saft aus dem glas über seinen kopf floss bis sie ihn schreien hörte, so wie er immer geschrieen hatte, damals als sie ein kind war.

"das funktioniert so nicht papa", sagte sie als sie merkte was ihr arm getan hatte, was ihre hand getan hatte. dann ging sie ins badezimmer und holte ein handtuch um seinen kopf trocken zu reiben.

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