Sonntag, 3. Oktober 2010

Gedanken zur Einheit

Es ist ziemlich lange her, da fielen sich Menschen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands euphorisch in die Arme. Fremde weinten gemeinsam, lachten gemeinsam und feierten gemeinsam wie Brüder und Schwestern. Ein Volk, getrennt durch eine Mauer, kam endlich zur Einheit.

Heute feiern wir diesen Tag. Oder wir feiern ihn nicht, wir nehmen ihn lediglich zu Kenntnis, weil anderes wichtig ist. Möglicherweise lesen wir online oder in Zeitungen was kluge Menschen schreiben, in Memoriam an diesen denkwürdigen Tag einst im Oktober und über das Gute und das Schlechte, das uns unsere deutsche Einheit eingebracht hat.

Einheit, was ist das eigentlich? Ich könnte das jetzt googlen, so wir wir mittlerweile alles googeln können. Ob alles stimmt, was uns vorgegoogelt wird, wer weiß? Ich mache mir meine eigenen Gedanken.

Einheit fühlt sich für mich an wie ein gemeinsames Ganzes, ein aus vielen Teilen sich formierendes Eins. Zunächst nichts weiter. Alles Weitere sind Bewertungen und Interpretationen. Ist das etwas Gutes, etwas nicht Gutes, wozu eine Einheit und muss eine Einheit aus gleichen, homogenen Teilen bestehen oder aus vielen durchaus verschiedenen Teilen?

Was ist der Sinn einer Einheit und gibt es sie überhaupt, ausserhalb des mathematischen Einheitsbegriffes vom Ganzen?

Einheit ist ein schönes Wort, irgendwie. Dabei denke ich an Hesse und sein "Alles ist Eins". Ja, das fällt mir ein. Weil sich das gut anfühlt. Wenn alles Eins ist, eine Einheit, dann sind wir alle ein Teil von Allem und niemals allein.

Die Gegenwartsbeweisführung zeigt uns das Gegenteil. So viel an Uneinigkeit, soviel an Zersplitterung und Trennung, dieses Übermaß an Individualismus und Egozentrik haben mit Einheit nichts zu tun.

Einheit ist, wie so Vieles in unserer virtuellen hochtechnisierten und chemisierten Gesellschaft, eine Illusion, ein Wunsch, nichts weiter. Seine Erfüllung scheitert an der Wirklichkeit und ihrem unendlichen Meer an Möglichkeiten, Einstellungen, Wahrheiten und individuellem In der Welt sein. Nein, wie sind uns nicht einig in diesem Land. Nicht, mit unseren Nachbarn, weder mit denen im Osten Deutschlands, noch mit denen in der Welt, noch mit denen, mit denen wir Tür an Tür wohnen. Wir kennen sie nicht einmal wirklich. Wir sind uns nicht einig mit uns selbst, denn all das sich gegenseitig Widerstrebende im eigenen Ich macht Individuumseinheit unmöglich. Das Selbst ist das größte Rätsel und niemals mit sich einig, es sei denn wir sind Erleuchtete.

Das Leben an sich ist zur Einheit angelegt, mit uns selbst, dem Nächsten und der Natur aus der wir kommen und von der wir leben, in der wir leben, aber so funktionieren wir nicht.

Die Natur haben wir, getrieben von menschlichem Größenwahn auseinandergerissen und verwundet, so sehr, dass sie längst begonnen hat zurückzuschlagen. Das "Alleins" ist eine schöngeistige Idee von Philosophen, Gläubigen und Dichtern wie Hesse einer war. Und letztlich litt er, zeitlebens schwer depressiv, am Mangel des Gefühls der Einheit. Zerissen, suchend, verstehend - am Ende sein Fazit: Jeder ist allein.

Jeder ist allein, die andere Seite der Medaille Einheit. Polarität eben, so ist Welt.
Wir sitzen allein am PC und vereinen uns mit Fremden, die wir nie persönlich gesehen haben, nennen sie Freunde. Wir fühlen Augenblicke von Einheit, fühlen uns verbunden mittels Worten, an denen wir Gefallen finden, die anmuten, als sprechen sie uns aus der Seele. Worte, die das Gefühl aufkommen lassen eins mit dem anderen zu sein - verbunden, eine Augenblickseinheit ohne Dauertüchtigkeit, die uns, fahren wir den PC herunter allein zurück lässt ... bis morgen, dann!

Wir leben in Beziehungen, die auf gegenseitigen Nutzen ausgerichtet sind. Liebe ist glücklicher Zufall, ein uns findendes, flüchtiges, vorübergehendes großes Gefühl von Einssein mit dem Anderen, kostbar und selten. Verlieren wir sie, findet sie uns nicht mehr, begnügen wir uns mit Fickgeschichten und halbherzigen Arrangements, die uns für Momente das Gefühl von Einheit vorgaukeln. Wir pflegen Freundschaften schlechter als unsere Zähne, weil sie Zeit kosten und verbringen unsere Zeit damit dem fragwürdigen Erfolg nachzujagen oder dem Brot, das uns ernährt, in Jobs diemittelfristige Strecken von Zeit nicht mehr überleben, wir verbringen Lebenszeit mit Kollegen, die wir nicht kennen und nicht kennen lernen wollen, von Lebenszielen können wir uns wir nur noch überraschen lassen. Wir erziehen Kinder für die wir nicht die Aufmerksamkeit aufbringen können, die wir uns wünschen und die sie brauchen. Wir engagieren uns für Projekte, die wir uns zur Aufgabe machen, weil da nichts anderes ist, wofür wir uns engagieren können oder wollen, oder weil es dem Ego schmeichelt.

Einheit, in all dem ist sie nicht zu finden und doch, zwischen all dem schwingt sie mit, als Wunsch, bewusst oder unbewusst.





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