Montag, 25. Oktober 2010

Die Feinde der Kultur

Eine subjektive Reflexion

Anthropologisch verstanden deckt das Wort „Kultur“ alles ab, vom Ackerbau, über die Frisur, Essen mit Messer und Gabel bis hin zum Musical. Nach der anthropologischen Definiton hat der Begriff Kultur eine schier grenzenlose Weite. Daher besteht auch die Schwierigkeit einer allgemeinverständlichen, allgemeingültigen und allgemein akzeptierten Definition des Begriffs Kultur.

Der Begriff Kultur hat heutzutage die Schwammigkeit eines Ausdrucks, der praktisch alles umfasst, was von Menschen geschaffen ist und menschliches Handeln angeht. Gerade nach der anthropologischen Definition ist der Begriff Kultur eine Angelegenheit einer Massenkultur, die eine Fülle von Subkulturen lebt und praktiziert.

Kultur, im klassischen Sinne, verstanden als Geist, Schöpfungs, Bildungs - und Werteprinzip, dient ihrem Denkansatz und ihrer Ausübung nach zu dem was menschliche Seinsverwirklichung und Entwicklung ausmacht. Ihrem Wesen nach ist Kultur im klassischen Sinne die komplexeste Form menschlicher Veredelung mit dem Ziel einer bewussten, kultivierten (gepflegten) menschlichen Lebensweise (im Sinne von: was der Mensch sein könnte in Denken und Handeln, individuell und kollektiv, d.h. im Umgang mit sich selbst und anderen.

Die Fülle der Subkulturen (aus der z.B. die Vereinigten Staaten geradezu bestehen, wo Fast Food, z.B. Hamburger zum „Kulturgut“, im Sinne von Esskultur, mutiert ist) führt nicht zu menschlicher „Veredelung“ – sie führt wie in diesem Beispiel zur Verfettung eines ganzen Volkes. Diese Art von Kultur wendet sich u.a. gegen das Prinzip mens sana in corpero sano (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper).

Subkulturen, die heute allgemein als Kultur empfunden werden, haftet oft Ungesundes und Destruktives an. Wie am Beispiel Fast Food zu sehen ist. Ungesundes und Destruktives zeigt sich auch in TV- Formaten, in welchen freiwillige Protagonisten „vorgeführt“ und im schlimmsten Fall der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Auf diese Weise werden sukzessiv menschliche, ethische und moralische Werte wie Respekt und Toleranz im Rahmen eines Medienspektakels zerstört und letztlich zerschlagen.

Interessant dabei, am Rande bemerkt, ist der Aspekte des Opfer- Täter -Themas, das sich hier relativiert und verkehrt. Mittels dieses Wahrnehmungsstimulus wird suggeriert: Wer freiwillig handelt ist kein Opfer. Der in der Tat „handelnde“ Protagonist wird aber vom Publikum dennoch als solches wahrgenommen, verachtet, bemitleidet oder verurteilt. Die „Täter“ (die Moderatoren) werden überwiegend bewundert. Wer ist hier Täter und wer ist Opfer, oder sind beide Beides und wer sind die wahren Täter?

Kausal sind diese Verhältnisse einer verdrehten Scheinwelt von jenen inszeniert, die derartige Sendungen kreieren. Nachdenkenswert ist die Frage: Aus welcher Motivation heraus und mit welcher Absicht werden solche Formate entwickelt und von den verantwortlichen Entscheidern abgesegnet?

Die degenerative Beeinflussung der Gedanken- und Gefühlswelt eines Volkes als kulturelles Massenprogramm? Ist das Kultur?

Die subkulturelle Macht der Medien wird unterschätzt: Aufgrund ihrer Verbreitung in Millionen Haushalte sind Fernsehen und Internet nahezu allmächtig und nur durch konsequentes Selektieren des Einzelnen (was will ich sehen, was nicht?) kontrollierbar. Aber, wie bewusst ist der Einzelne?

In den Spaßgesellschafts - Formaten der medialen Unterhaltungsindustrie, wie etwa „Deutschland sucht den Superstar“ wird ein Menschenbild inszeniert, das mit Wertschätzung und Toleranz, Achtung und Respekt vor dem Gegenüber wenig zu tun hat. Der Mensch, der kreativ sein will, wird hier vor einer breiten Öffentlichkeit durch Bewertung Einzelner (Moderatoren) in seiner Individualität und Integrität verletzt und damit vor dem Kollektiv, in diesem Fall: der Masse der Fernsehzuschauer, „entwertet“.

Diese durch das Fernsehen unterstützte und propagierte Entwertung des Menschen, betrieben durch Vorbildfiguren (wie zum Beispiel einem Dieter Bohlen), wird durch die nachhaltige Wiederholung als Normalität in zwischenmenschlicher Kommunikationsform verinnerlicht und somit zur gesellschaftlichen akzeptierten und adaptierten Norm. Die kognitive Erfahrung, die dabei konditioniert wird ist eine durch das Fernsehen gestützte und legalisierte Missachtung des Menschen in seinem Menschsein.

Darin liegt die Gefahr einer kulturellen Verrohung des Subjekts.

Man stelle sich das in etwa so vor: „Der Bohlen beleidigt doch auch die Leute …also darf ich das auch“.

Wie ist es möglich, dass ein Staat sich über eine schleichende Verrohung wundert, die ihre Auswüchse in einer Zunahme der brutalen Gewaltdelikte, besonders unter Jugendlichen hat, wenn er dem tabu – und ethiklosen Treiben der Medien kritiklos zuschaut? Und wie gefährlich ist der Gegensatz zwischen Alltagsrealität, wo das ökonomische Überleben im Focus steht - und dem was die Medien uns an schöner Konsumwelt vorgaukeln?

Sind die Texte eines Bushido mit ihren aggressiven, Frauen verachtenden und Gewalt verherrlichenden Aussagen Kultur?

Sie sind Ausdruck einer Subkultur, die aus einer allgemeinen Verrohung durch die Medien, einer Gesellschaft in der Krise, einer Vermehrung sozialer Randgruppen (Migranten, Arbeitslose, arbeitslose Jugendliche) und einer wachsenden Orientierungslosigkeit entsteht, die sich auf Perspektivlosigkeit und Angst aufbauen, welche durch das Kippen des bröckelnden Sozialstaates Deutschland wächst, dessen soziale Auffangsysteme mehr und mehr in sich zusammenfallen.

Die meisten Jugendlichen und auch Ältere leiden daran, dass ihre reale Lebenssituation, die oft voller Angst ist und auch von dem Gefühl einer absoluten Bedrohung oder Ausweglosigkeit beherrscht wird, permanent von den Erlebensmöglichkeiten einer Reizkultur überdeckt wird, durch die alles wieder erträglich sein kann.

Diese Beispiele werfen die Frage auf: Was ist Kultur? Ist das Kultur? Und in wieweit ist der Staat mitverantwortlich für das, was Kultur sein soll und als solche kommuniziert und gelebt wird?

Subkultur ist niemals Kultur im Sinne des ursprünglichen Kulturbegriffs. Dieser hat gerade durch die Subkultur an Sinnhaftigkeit und Erhabenheit eingebüßt.

Um zu einer Sinn machenden Definition des Begriffs KULTUR zu gelangen müssen wir uns unweigerlich dem Begriff der Kulturkritik zuwenden. Weiter wenden wir uns damit folgerichtig einer Differenzierung des Begriffs Kultur zu: einem Kulturbegriff, der darauf basiert, dass Kultur einst ein geistiger Begriff war.

Dieser definiert Kultur als ein ausdifferenziertes Teilsystem der modernen Gesellschaft, dass sich auf intellektuelle und ästhetische Weltdeutungen spezialisiert und von der Massenkultur abgrenzbar scheint. Mit dieser Option soll Kultur aus diesem Teilsystem heraus nach außen, bzw. in die Massenkultur wirken und zwar kritisierend, konstruktiv und mit Vorbildfunktion.

„Erst dem Tun entspringt das Sein. Tun ist gestalten, formen, bilden“. Ein Zitat des Kulturphilosophen Ernst Cassirer.

Wenn das Tun aber sinnentleert ist und zu affektiver Verrohung und Verdummung führt – welche Gestalt formt es dann und was bildet es heraus?

Subkultur/ Massenkultur versus Kultur?

Hier befinden wir uns zwischen einem entmutigenden und quälend engem Kulturbegriff, den jede der „kulturellen“ Gruppen für sich vehement verteidigt, besonders deshalb, weil die Identitätsbildung einer Gruppe stark mit der in ihr lebendigen und gelebten Kultur verbunden ist.

Die Fülle von Subkulturen schafft Massenkultur und diese bewegt sich zwischen Anthropologie und dem ästhetischen Verständnis von Kultur.

Wenn Kultur alles bedeuten soll, was von Menschen gemacht ist und nicht von Natur aus gegeben ist, dann gehören die Medienkultur, die Gummibärchenherstellung, die Zigarettenindustrie, die Schnapsbrennerei, der Hühnerstall, Bushido und Bohlen dazu.

Die Massenkultur weicht die Ästhetik eines sinnhaften Kulturbegriffs auf. Ist die Idee der Kultur damit heute in der Krise? Oder gegen Kultur und Krise seit jeher Hand in Hand? Nie zuvor war Kultur weniger ein geistiger Begriff als im Zeitalter der Medien und der Reizüberflutung. Kulturkritiker sprechen vom Phänomen der Reizkultur. Kultur ist ein Schlagwort für alles und jedes. Ein Begriff den sich jedermann gefügig machen kann, weil er nicht geschützt ist und aufgrund seiner anthropologischen Definition unendlich ausweitbar.

Wir stecken in einem Dilemma, zumindest die, denen die Kultur als Nahrung für Seele, Geist und Körper in ihrem Ethos, den sie meiner Ansicht nach bedingt, wertvoll ist. Wie etwas verfolgen, wie etwas umsetzen, von dem keiner mehr weiß was es bedeutet? Wie damit umgehen wenn einer behauptet, Skateboarden und abtanzen sei für ihn mehr Kultur als Literatur, Kunst, Musik oder philosophisches Denken.

Die Feinde der Kultur sind die Dummheit, die Ignoranz, die Unfähigkeit zur Selbstreflexion, das Bedürfnis nach endloser Betäubung durch äußere Reize, die Gier nach Genuss und Befriedigung und das Streben nach Haben in einer Welt in der sich das Sein über das Haben definiert.

Wer für die Kultur arbeit will sicher nicht ein Wiederaufleben der bürgerlichen Hochkultur, die ausschließlich einer Elite zugänglich ist. So wird sie zu einer Minderheitsangelegenheit und verfehlt ihren Zweck, nämlich das Herausbilden von Funktionalem und das Erhalten von Werten.

Kultur heißt immer auch Tradition und Entwicklung - und zwar zum Besseren hin. Aber wer entscheidet was das Bessere ist? Die Medien sicher nicht. Die Wirtschaft sicher nicht. Der Staat? Überlassen wir die Kultur dem Staat so wird die Kultur politisch und damit unfrei und damit im Zweifel zu einer Kultur wie wir sie im Nationalsozialismus einst erfahren haben.

Kulturelle Entwicklung und Veränderung bedeuten: das, was vom Alten, Erprobten, Traditionellen, Sinnvollen, Menschlichem, Wertigem und Sinngebenden funktioniert und sich bewährt hat mit hinüber zu nehmen in das Neue. Es geht nicht um Innovation um jeden Preis, es geht um Integration, auch mit dem Ziel einer Individuation des Einzelnen im Kollektiv, denn dieses besteht letztlich aus Einzelnen, um das Beste für das Ganze durch den Einzelnen zu bewirken.

Die Verfassung der Menschenrechte fordert in Art. 15 das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben.

Entscheidend für ein kulturelles Leben ist meiner Meinung nach, zu erkennen was zu prosaisch ist um als Kultur empfunden zu werden.

Der Kulturphilosoph Ernst Cassirer befand, dass der Mensch nicht in einem physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum lebt, dessen Bestandteile Sprache, Mythos, Kunst; Religion, Wissenschaft und Politik sind. Dieses von den Menschen selbst geschaffene Netz verfeinert sich nach Cassirer mit jedem Fortschritt in Erfahrung und Denken.

Subkultur, aber, die destruktiv ist und dem Menschen sichtlich und fühlbar schadet ist kein Fortschritt und damit keine Kultur. Wäre dies so, stellt sich die Frage: ist der Vernunft in einer Welt der Sinnentleerung Sehen und Hören vergangen?

Vielleicht ist die Definition von Kultur zwischen Bezeichnung und Bedeutung zu finden und auch da zu unterscheiden.

Somit wäre nicht alles was wir als Kultur bezeichnen Kultur. Kultur wäre dann das was Bedeutung hat, in dem Sinne dass sie Bedeutendes zu schaffen und zu sein vermag für das Ganze. Bedeutendes ist mit Sicherheit nicht Bohlen, Mac Donalds und Bushido. Ebenso wenig sind es kulturelle Events für eine kleine Elite einer bodenlosen Finanz- und Genusswelt.

Kultur ist Nahrung für den Geist und wichtig für eine vitale Zivilgesellschaft.



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