ART WORK: Volker Hildebrandt
Heute früh lese ich bei einer Influenzerin: „Meine Hauptsorge: Ich könnte ab 40 langsam unsichtbar werden. Ich habe allen, rationalen Beschwichtigungen zum Trotz, Sorge, dass mir bald niemand mehr zuhören könnte, weil ich nicht mehr "jung und knackig" bin.“
Das macht mich nachdenklich. Und es macht mich traurig. So jung und solche Ängste. Welch eine Abhängigkeit von der äußeren Hülle und Form. Zugleich kommt es mir bekannt vor. Lange Zeit habe ich Teile meiner Identität auch auf meinem Äußeren begründet. Ich habe sogar gute Jobs deswegen bekommen. Jetzt macht der Verfall seinen Job.
Macht er bei jedem von uns, beim einen mehr, beim anderen weniger. Beim einen schneller beim anderen langsamer.
Alt werden, alt sein, sich selbst dabei zusehen wie sich äußere Hülle und Form zunehmend verändern, sich damit abfinden, es akzeptieren, es mit Würde tragen, es vielleicht sogar auf andere Weise schön finden, hoffen, dass die Vergänglichkeit nicht noch mit schwerer Krankheit einher geht, mit den sich einstellenden Wehwechen umgehen lernen, wissen - das Meiste ist gelebt, der Rest ist Zuschlag und sich fragen, was ist jetzt zu tun, was es vorher nicht gab, was ist noch zu entfalten, was noch zu gestalten, was ist da an Potenzial, das noch in einem schlummert?, bevor es heißt: Abschied nehmen für immer. Oder einfach ausruhen vom langen Leben, die Langsamkeit entdecken, sich selbst SEIN lassen, in den Himmel blicken und danke sagen für all das, was war und nicht noch mehr Wollen. Nach Innen gehen und mit sich selbst in Frieden sein oder ihn anstreben.
Alt sein, eine Herausforderung, nicht für jeden vielleicht.
Für mich schon.
Wenn ich heute in den Spiegel schaue und mich mit der Frau, die ich war, vergleiche, blickt mir ein verändertes Gesicht entgegen. Das stimmt mich melancholisch, ich würde lügen, würde ich sagen, es ist nicht so. Aber es blickt mir auch eine veränderte Identität entgegen. Ich habe mich verändert, innen und außen. As time goes bye wurde ich in Teilen eine andere. Äußere Form und Inneres haben sich verändert.
Werden und vergehen. Vergehen und Werden im Vergehen, anders werden, im besten Falle weise, gelassen und demütig, auch der Vergänglichkeit gegenüber. Im besten Falle das Leben lieben und sich selbst und das, was das Leben mit einem gemacht hat und man selbst mit dem Leben.
Ich liebe das Leben trotz allem, trotz all der elenden Zeiten, die es auch gab. Habs immer geliebt und die Liebe geliebt. Ohne Liebe ist alles nichts.
Auch das kann sein, wenn man alt wird, ohne Liebe kann man sein. Zumindest ohne die Liebe eines oder einer Geliebten. Auch traurig. Altwerden ist auch traurig. Es dann wie Picasso machen, der sagte: „Wenn ich keine Menschen um mich hätte, würde ich einen Türknopf lieben oder einen Nachttopf, irgendwas.“
Gefällt mir der Satz. Mag ich, auch wenn ich Picasso nicht mag. Man muss nicht alles mögen, auch eine Erkenntnis des Alters und es sagen, was man mag und nicht mag, was man will und nicht will, woran man glaubt, wofür man steht.
Es sagen.
Ich möchte der jungen Frau, die übrigens viel zu sagen hat, antworten: Nun bin ich weit über die 40 hinaus und längst nicht mehr jung und knackig. Und mir hören immer noch Menschen zu. Mach Dir keine Sorgen, wenn Du wirklich etwas zu sagen hast, findest Du Zuhörer, egal wie alt du bist.
ART: Volker Hildebrandt
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