Mittwoch, 11. Oktober 2023

Sich selbst aushalten

                                                                    Foto: www

 
Die meisten Menschen sind im Außen. Viele Menschen finden durch das, was sie tun und diejenigen, mit denen sie es tun, Halt. Sie halten sich an das Außen. Sie finden Halt im Beruf, in Beziehungen, in Tätigkeiten, in Hektik und Aktionismus. Und dann bricht plötzlich etwas von dem, was Halt gibt oder gar alles weg. Stille ...
Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, auf sich selbst reduziert. Man hat den äußeren Halt verloren und was jetzt? Was bleibt ist ein unbestimmtes Gefühl, das man nicht fassen kann.
Jetzt ist man gezwungen sich selbst auszuhalten, wohl oder übel, denn man hat keine Wahl. Die innere Unruhe kann so groß werden, dass man es kaum aushält. Der leere Raum kann so bedrückend eng werden, dass man das Fürchten bekommt. Und nichts will man lieber, als dass das schnell wieder weggeht.
„Ich will das nicht. Ich will da raus“, schreien Geist, Seele und Körper.
Aber es geht nicht, jetzt ist es so wie es ist.
Kaum auszuhalten, ich mich, mit mir selbst. Kaum auszuhalten die Gedanken und Gefühle, die aus mir selbst kommen, nach oben kriechen, jetzt, wo da nichts mehr ist, was mich von mir selbst ablenkt.
„Ich kann mich selbst nicht aushalten“, sagte neulich eine Klientin. Sie ist nur eine von vielen, die es nicht können. 
 
Sich selbst aushalten, was heißt das eigentlich?
Es heißt mit mir selbst in Gesellschaft zu sein. Und da beginnt das Problem. Mit wem bin ich da in Gesellschaft? Wer bin ich?
Was erzähle ich mir und was höre ich, wenn ich mir etwas erzähle? Was fühle ich in meiner Gesellschaft für mich selbst? Was denke ich, in meiner Gesellschaft über mich?
Der Kopf ist auf einmal frei für mich selbst, wenn da nichts mehr ist, was mich von mir selbst ablenkt. Wenn der Kopf frei ist vom Außen hat das Gehirn Kapazitäten frei. Es tauchen Erinnerungen auf. Situationen und Erlebtes wird reflektiert. Die Gedanken schweifen hier hin und dort hin und finden kein Ziel. Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges mischt sich durcheinander. Der Mensch beginnt nachzudenken über sich selbst und seine Identität. Dann kommen tiefe Fragen. Und es kommen tiefe Gefühle. Und die können einem verdammt zusetzen. Von innerer Ruhe, Klarheit und innerem Frieden keine Spur. Aber genau das wär´s doch, jetzt wo man in eigener Gesellschaft ist und keiner etwas von einem will. Keine Erwartungen, keine Anforderungen, nichts zu erfüllen, endlich Ruhe, Stille.
„Ich will doch einfach nur sein.“
Auch so ein Satz, den ich öfter höre.
Nur man selbst sein.
Das Problem ist, dass kaum jemand wirklich weiß, wer dieses Selbst ist. Man kann sich unendlich viele Konstruktionen machen. Haben auch schon unendlich viele Leute gemacht, Konstruktionen über das wahre Selbst. Gesehen hat es noch keiner, im Hirn gefunden hat es auch noch keiner, aber angeblich erreicht haben es einige, z.B. spirituelle Meister, allerdings nur laut ihrer eigenen Aussagen.
 
Das Selbst ist nach C.G. Jung, die dem Ich übergeordnete Ganzheit des Menschen. Das Ich ist demnach der bewusste Teil des Selbst, und als Teil des größeren Ganzen kann dieses jenes nie begreifen. Das ist der springende Punkt: Wir können dieses Selbst, dieses transpersonale Zentrum der Psyche nicht begreifen. Darum tun wir uns auch so schwer mit uns selbst. Denn nichts verunsichert und befremdet uns mehr, als das, was wir nicht begreifen und fassen können, egal wie sehr wir nach Erklärungen suchen – es bleibt da ein Etwas, zu dem wir keinen Zugang finden. Also suchen wir weiter – uns selbst.
Wir beginnen da wo wir uns fragen: Was ist „zu mir gehörend“ und was „fremd“?
Um herauszufinden: Wer bin ich im Kern?
Schwierig. Um den Kern zu erfassen, müsste man das Ganze erfassen, und dann das Ganze wieder trennen, also in all die fremden Anteile, die wir übernommen haben, identifizieren.
Geling auch bisweilen teilweise.
Dennoch bleibt die Frage: Wer ist es denn, der trennt?
Ist es nicht wieder ein Teil des Ganzen? Und welcher Teil davon? Das Selbst oder was wir für uns selbst halten?
Ist das Selbst also nichts weiter als eine „Ich-Illusion“, die das Ich kreiert, je nachdem wie es darauf blickt, es deutet, es konstruiert?
Möglich. Wir wissen es nicht.
 
Und wie dann sich selbst aushalten? Wenn ich verdammt noch mal nicht weiß, wer dieses Selbst ist?
Vielleicht so:
„Ich kann nicht sagen, wer ich bin, aber mehr und mehr erkenne ich, wer ich nicht bin.“
Diese Worte sind aus dem ZEN.
Wir können nicht sehen, wer wir sind, aber wir können erkennen, wer wir nicht sind. Das ist der Anfang des Weges, getragen von Sehnsucht.
Die Sehnsucht ist der Weg zu uns selbst.
Und diesem Weg folgen wir.
Dann brauchen wir keine Gurus, keine Meister, keine Konstruktionen - wir brauchen nur uns selbst. In dem Maße wie wir uns uns selbst zuwenden, kommen wir zum Zentrum, ins eigene Herz und dort leuchtet die Antwort auf. 

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