Sonntag, 29. Oktober 2023

Aus der Praxis: Die Funktion zwanghaften Denkens

 

                                                                Malerei: A.Wende

 

 

Der Klient klagt ständig. Seine Arbeit gehe ihm nicht aus dem Kopf. Er könne an nichts anderes mehr denken und über nichts anderes mehr reden, sagt er. Auch in jeder gemeinsamen Sitzung ist das alleinige Thema seine Arbeit. Er beklagt sich, wie unerträglich der Chef ist, meint, dass die anderen Mitarbeiter auch Probleme mit ihm haben und dass der endlich weg muss, damit es ihm besser geht.

 Sein ganzes Denken dreht sich zwanghaft um den Chef und Arbeit, die wegen ihm so frustrierend ist.  In seinem Kopf ist permanentes Affengeschnatter, wie es die Buddhisten nennen, ein ruheloser Geist, der wie ein Affe von einem Ast zum anderen springt. 

In einem solchen Geisteszustand sind wir nicht mehr fähig klar zu denken. Wir sind gedanklich nicht da wo wir gerade sind. Der Körper ist anwesend, während der Geist ganz woanders ist. 

 

Die Abneigung und die Wut, die der Klient ständig mit sich herumschleppt, führen dazu, dass er nicht mit sich selbst im Einklang ist. Diese innere Disharmonie hat zur Folge, dass ihm die Aufmerksamkeit fehlt um in die Tiefe zu gehen und eine Lösung zu finden. Wir beschäftigen uns seit Wochen nur mit der Oberfläche des Problems und sind unfähig an die Substanz zu kommen, sprich: das tiefere Problem zu ergründen.

 

Ein Affengeist, der nicht selten zwanghaftes Denken nach sich zieht, ist also zu nichts gut, könnte man meinen. Aber so ist es nicht. Jedes zwanghafte Denken hat eine Funktion, nämlich, dass wir vom wahren Problem – also von der Tiefe, von dem, worum es wirklich geht, abgelenkt sind und uns dem nicht stellen müssen. Es wird abgewehrt.

 

Mein Klient macht sein ganzes Unglück an einem schlimmen Chef fest. Er projiziert und überträgt, was in seinem Leben an Unheilsamen ist – unter anderem ein Suchtproblem, ein massives Selbstwertthema und zwischenmenschliche Probleme in Beziehungen – auf das Außen. Das zwanghafte Denken lenkt ihn von dem ab, was er wirklich anschauen müsste, damit sich an seinem emotionalen Zustand und seiner Lebenssituation Zustand etwas ändern kann.

 

Als ich ihn frage, wenn sie nicht bereit sind, ihren Chef und ihre Arbeitssituation zu akzeptieren, warum suchen Sie sich dann nicht einen anderen Job?, schüttelt er nur müde den Kopf.

 

 Leave it or love it. Machen sie etwas anderes oder akzeptieren sie was ist, sage ich.

 

Auf keinen Fall sei er dazu bereit. Weder das eine noch das andere geht. Er beharrt darauf, dass der Chef weg muss und klagt weiter.

Okay, was könnten Sie bei sich selbst ändern, wenn das auf keinen Fall geht?, frage ich weiter.

 

Ich habe keine Probleme, der Chef ist das Problem, wenn der geht, ist alles gut, kommt als Antwort.

Und, was soll ich jetzt machen?

 

Love it, geht nicht, leave it, geht nicht. Change it, sage ich. Das würde bedeuten, dass wir beide in die Tiefe gehen.

 

Wie oft, geht er mich aggressiv an, soll ich Ihnen noch sagen, ich bin nicht das Problem!

 

Ja, sage ich, sie sind vielleicht nicht das Problem, aber Sie haben Probleme, um nur eins zu nennen, ihr Alkoholproblem.

 

Ich habe kein Alkoholproblem. Was soll ich denn machen, wenn der Job mich kaputt macht, meine Beziehungen nicht funktionieren und ich jeden Abend alleine da sitze? Dann muss ich mich halt runterbeamen. Da reicht eine Flasche Wein nicht um das alles zu schlucken, kontert er.

 

Mit runterbeamen ist runtertrinken gemeint, was er natürlich nie sagen würde, denn dann müsste er seinen Blick vom schlimmen Chef auf sich selbst richten.

Der Klient zeigt keine Bereitschaft. Sein innerer Widerstand ist nicht zu lösen. Die fehlende Bereitschaft in die Tiefe zu gehen ist ein massives Hindernis, an dem weder er, noch ich, noch wir beide gemeinsam weiterkommen.

 

Wenn keine Bereitschaft vorhanden ist, wenn es nur Gründe gibt, warum etwas nicht geht und keine Wege gesehen werden, um etwas zu verändern, ändert sich nichts.Das Problem kann nicht gelöst werden.  

Es bleibt an der Oberfläche und erfüllt damit weiter die Funktion die tiefere Ursache zu verdrängen, weil diese für den Klienten gefühlt unaushaltbar erscheint. Mit einer solchen Haltung dreht sich die unheilsame Spirale nach Unten. Der Geist wird mit immer mehr Frust, Wut und Widerstand gefüttert. Es kommt zu mentalem und körperliche Energieverlust, im Zweifel sogar zu psychischen und/oder körperlichen  Beschwerden. Beide Probleme – jenes, was an der Oberfläche ist und jenes, das im eigenen Inneren ist, kumulieren zur massiven Krise mit hohem Leidensdruck. Das ist dann oft der Moment in dem Menschen erstmals bereit sind etwas zu ändern oder auch nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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