Montag, 31. Januar 2022

Aus der Praxis - Das Cave-Syndrom und die Anpassungsstörung

 

                                                             Foto: pixybay

Jetzt haben wir, dank Corona, wieder einmal ein neues Wort für ein altes Phänomen: Cave - Syndrom. Zu Deutsch: Höhlen Syndrom, was nichts anderes bedeutet, als dass sich Menschen in die soziale Isolation begeben. Sie ziehen sich zurück in die eigenen vier Wände, verlassen diese nur selten und nur dann, wenn es nicht vermeidbar ist.

Wie gesagt neu ist dieses Verhalten nicht. 

 

Das Cave-Syndrom im Grunde nichts anderes als eine Schutz- und Vermeidungsstrategie aufgrund einer Anpassungsstörung.

Menschen mit Angststörungen, Phobien, Suchterkrankungen, Depressionen und anderen psychischen oder auch körperlichen Erkrankungen kennen diesen Rückzug ins Eigene, dieses sich Einschließen in die private kleine Welt, die gefühlt schützt vor der Außenwelt, welche als unsicher, bedrohlich, angsteinflößend oder schamauslösend wahrgenommen und bewertet wird.

Anderseits gibt es auch Menschen die schon vor Corona in einer Art „Splendid Isolation“ den Rückzug in die eigene Höhle frei gewählt haben, weil sie viele soziale Kontakte weder brauchen, noch vermissen. Dazu gehören Introvertierte, Hochsensible oder Künstlernaturen. Menschen, die die sich selbst genug sind oder zu viele Reize meiden um ihr hochsensibles System nicht zu überlasten.

 

Wie gesagt, das Höhlen-Syndrom ist nichts Neues.

Neu allerdings ist, dass sich immer mehr Menschen aufgrund der Pandemie immer seltener nach draußen ins Leben bewegen und menschlichen Kontakt vermeiden. Nachvollziehbar, denn das Außen ist ja wirklich eine Bedrohung, ist doch mit jedem Kontakt die Möglichkeit gegeben , sich mit dem Virus zu infizieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die Motivation zur sozialen Teilhabe sinkt und zwar in dem Maße, wie hoch die eigene Angst ist, dass soziale Kontakte eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten.

 

Diese Angst ist konditioniert und wird täglich medial befeuert.

Wir haben in zwei Jahren gelernt, dass Kontakte mit anderen Menschen gefährlich sind. „Stay home for us“ wurde 2020 zum internationalen Aufruf im Kampf gegen das Coronavirus.

Wir haben gelernt, den anderen und uns selbst zu schützen, indem wir Nähe und Berührung vermeiden und wir haben gelernt, den anderen als potenziell bedrohlich für unsere Gesundheit wahrzunehmen. Je mehr Kontakte und je enger diese sind, desto höher ist unser Risiko uns zu infizieren und zu erkranken. Nach zwei Jahren Pandemie ist das Gelernte bei vielen zu einem Vermeidungsverhalten geworden. Bei manchen Menschen ist die Vermeidung so tief verankert, dass die konditionierte Angst, die sie hervorruft,  nicht wieder abgelegt werden kann. Je schwerer dies Betroffenen gelingt, desto schwerwiegender ist das, was man in der Psychologie eine "Anpassungsstörung" nennt.

 

Was ist eine Anpassungsstörung?

Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf ein einmaliges oder ein fortbestehendes belastendes Lebensereignis. Sie zeigt sich in negativen Veränderungen des Gemütszustandes und/oder in Störungen des Sozialverhaltens. Sie tritt dann auf, wenn wir einen neu eingetretenen belastenden psychischen oder physischen Zustand über einen längeren Zeitraum hinaus nicht akzeptieren können, bzw. uns an nicht an die neue Lebenssituation anpassen können.

Die Anpassungsstörung ist charakterisiert durch emotionale Zustände subjektiv empfundener Bedrängnis und emotionalen Beeinträchtigungen wie z.B. Angst. In der Folge ist die Fähigkeit soziale Beziehungen einzugehen eingeschränkt bis unmöglich. Wird die Anpassung nicht vollzogen, führt dies zu einem hohen Leidensgrad.

 

Warum trifft eine Anpassungsstörung mache Menschen mehr und manche weniger?

Es ist wie bei einem Trauma. 

Trauma kennzeichnet sich nicht dadurch „was“ uns zustößt, sondern „wie“ wir auf das Ereignis emotional antworten. Also nicht die objektive Schwere des Ereignisses, sondern unser subjektives Empfinden der Bedrohung, die Menge der vorherigen destruktiven Erlebnisse unserer Biografie, die individuelle Resilienz, die seelische Belastbarkeit sowie unsere Bewältigungsfähigkeiten sind entscheidend für die Entwicklung einer Anpassungsstörung und für ihren Schweregrad. Im Durchschnitt hält eine Anpassungsstörung meist nicht länger als sechs Monate an. Sie kann aber bestehen bleiben und in einer Depression oder einer Angsterkrankung enden.

 

Starke Gefühle von Angst, Trauer, Betroffenheit, Hilflosigkeit und Ohnmacht, die durch Traumata, Belastungssituationen oder Schicksalsschläge ausgelöst werden, sind absolut normale menschliche Reaktionen. 

Die normale Reaktion bedeutet, dass uns ein situationsangemessenes Verhalten weiterhin möglich ist und uns verschiedene Freiheiten und Möglichkeiten erhalten bleiben, und somit nicht übermäßig viele Lebensbereiche unter dem Eindruck der Belastung  nicht mehr oder nur schwer zu bewältigen sind. Die Anpassungsstörung jedoch führt dazu, dass viele Lebensbereiche – im Falle des Cave-Syndroms ist dies besonders die Fähigkeit soziale Kontakte zuzulassen - stark eingeschränkt sind.

 Bei den meisten Menschen wird das Cave-Syndrom mit der Zeit wieder verschwinden. So wie die Maßnahmen gegen Corona erlernt und vor allem individuell als stark oder weniger stark beängstigend bewertet wurden, werden sie mit der Rückkehr in einen Zustand ohne Maßnahmen auch wieder verlernt. Dazu gehört, dass wir die Erfahrung machen, dass, wenn wir die Höhle verlassen, nichts Schlimmes passiert.

 

Was aber, wenn wir uns in der Höhle dauerhaft einrichten?

So gemütlich sie auch für mache von uns sein mag, wenn wir sie nicht selbst gewählt haben, leiden wir. Was wenn wir uns nicht mehr aus der Höhle herauswagen? Was wenn wir weiterhin Kontakte vermeiden und andere als Bedrohung empfinden? Was wenn die Angst sich festgesetzt hat?

Dann sollten wir uns dringend Hilfe holen!

Denn dann besteht die Gefahr, dass wir in einer sozialen Isolation enden, die zur Vereinsamung führt. Wir werden sozial inkompatibel und drehen uns nur noch um uns selbst. Wir geraten in einen Kreislauf der Angst vor der Angst, was zu einer Vermeidung alles Lebenswerten führen kann. Im schlimmsten Falle verstärken sich psychische Symptoe und Störungen und es entwickeln sich ernsthafte Pathologien und/oder körperliche Symptome.

Daher sollten wir wachsam sein und uns  fragen:

Wo stehe ich?

Wie groß ist meine Angst?

Wovor genau habe ich Angst?

Was vermeide ich aus Angst?

Wo hindert sie mich an einem erfüllten Leben?

Was muss ich nicht tun, wenn ich meine Höhle nicht verlasse?

Was ist der sekundären Gewinn, wenn ich mich aus dem Leben zurückziehe?

 

Es ist auf Dauer unheilsam, sich keinen Erfahrungen mehr auszusetzen und keine Dinge mehr zu erleben, die ein erfülltes Leben ausmachen. Das Ich braucht das Du - das sollten wir nicht vergessen. Das Leben findet nicht nur Innen statt, auch wenn das eine ganze Weile sehr entspannend und heilsam sein kann, sondern es findet zwischen Innen und Außen statt.

 

 

Wenn Du in deiner Höhle festsitzt und Hilfe brauchst, melde Dich unter:

 aw@wende-praxis.de

 

 Ich bin für Dich da.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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