Donnerstag, 23. August 2018

Das Schlüssel-Schloß-Prinzip oder warum geraten Frauen an narzisstische Männer


Malerei: A. Wende


Das Netz ist voll von Texten über narzisstische Männer, die hungrigen Wölfen gleich in der Welt umherziehen, hilflose Rotkäppchen zum Opfer ihrer bösen Absichten machen, sie versteckt im Schafspelz bezirzen indem sie sie mit dem sogenannten "love bombing" einlullen (was für eine blöde Wortschöpfung) sie damit willenlos machen um sie dann zu dominieren, zu benutzen und auszubeuten, sie psychisch zu demontieren um sie langsam aber sicher emotional und seelisch zu zerstören um den eigenen Machthunger zu sättigen. Mir selbst sind schon einige dieser Wölfe im Schafspelz begegnet, daher weiß ich was eine solche Begegnung bewirken kann. 

Bei all dem Faszinierenden was ein Narziss an sich hat, eine Beziehung mit ihm ist eine Herausforderung an das eigene Selbstwertgefühl und an die Selbstliebe. 
Jedes Mal wenn mir ein narzisstischer Mann begegnete war ich bereit. Mein seelisches Schloss schrie: "Hier passt dein Schlüssel, Schätzelchen!" Und ja, ich habe mich nicht getäuscht, er passte perfekt. Ich war berauscht. Von Glückshomonen überflutet schrie mein Herz: Ja, er ist es! Nie hatte ich derart leidenschaftliche Gefühle, nie ein solches Hochgefühl, wie in den ersten Monaten mit einem Narzissten. Mein Unterbewusstes hatte sich nicht geirrt, sein Schlüssel passte perfekt in mein Schloss. Wie heißt es so schön? Unbewusstes erkennt Unbewusstes blind. 

Das Schlüssel-Schloß Prinzip bedeutet in der Psychologie das Zusammenpassen von Reaktionspartnern wie der Schlüssel in ein Schloß. Aber was heißt das?
Zwei Menschen geraten in eine Kollusion ( lat. colludere, gemeinsam spielen, zusammenspielen). 
Darunter  versteht man ein wenig reflektiertes, unbewusstes Arrangement in dem die Rollenverteilung von vorne herein klar ist und die Interaktionsmuster im gegenseitigen Einvernehmen unbewusst abgespult werden. Das dazu gehörende Drehbuch ist die Vorlage für ein Drama, in dem die Protagonisten einander perfekt ergänzen, allerdings nicht zu ihrem Besten. Wie gesagt: Ein Drama, keine Romanze. 
Jede Kollusion beruht auf fragwürdigen gegenseitigen Machtspielen und unbewussten inneren Motiven. Die äußerlich scheinbar übereinstimmenden Interessen, die die Protagonisten zusammenführen, erweisen sich in der Regel im weiteren Verlauf der Beziehung als dysfunktional, destruktiv und selbstlimitierend. 

Gegensätze ziehen sich an, wie man so schön sagt. Nach diesem Motto kommt es häufig zu Beziehungen zwischen einer Frau mit einer selbstunsicheren Persönlichkeit und einem narzisstischen Mann.  
Was dem Einen fehlt, hat der Andere zu bieten und beide suchen das Gleiche: Bewunderung, Anerkennung und Liebe. Der Narziss für sein schwaches Selbstwertgefühl, das sich hinter seiner scheinbaren Grandiosität und Eloquenz versteckt, die selbstunsichere Frau für ihre mangelnde Eigenliebe, die sich hinter Fürsorglichkeit, Empathie und hoher Liebesfähigkeit versteckt. Beide verbindet das unerfüllte Bedürfnis nach Wichtigkeit, welches ihnen in der Kindheit vorenthalten oder gar zerstört wurde. Beide leiden an einem unstillbaren Hunger nach Zuneigung, Bewunderung und Wertschätzung. 

Der Narziss fühlt sich magisch von Frauen angezogen, die von außerordentlicher Gefühlstiefe sind, weil er genau diese nicht hat.  
Er fühlt nichts, nicht einmal sich selbst. Er spielt Gefühle, er lebt von Inszenierungen in jedem Lebensbereich. In seinem Inneren ist eine großen Leere, die er unbedingt füllen muss um sich nicht emotional aufzulösen. Die selbstunsichere Frau hat ein fragiles Gefühl für die eigene Existenz und den eigenen Wert. Sie fühlt sich innerlich oft einsam und von ihren Gefühlen abgeschnitten, sobald kein Gegenüber da ist, dem sie ihre Zuneigung schenken kann und das ihr im Gegenzug unbedingte Aufmerksamkeit schenkt. Sie sucht die ideale Liebe die ihr in der Kindheit verwehrt blieb. Sie sucht einen Partner, der ihr den guten Vater ersetzen soll, den sie nie hatte. Stark, haltgebend, liebevoll, fürsorglich, verstehend, beschützend und selbstsicher.

Genauso wirkt der Narziss auf den ersten Blick. Er scheint der zu sein, der ihre schmerzhafte Sehnsucht erfüllen kann und sie aus ihrer inneren Einsamkeit befreit. Dafür ist sie bereit viel zu geben und im Laufe der Beziehung viel zu ertragen, immer in der Hoffnung, dass sie sich doch nicht getäuscht hat, weil damals am Anfang hat er ihr doch all das auf dem Silbertablett, garniert mit roten Rosen, serviert. Sie hält an ihm fest, egal was er ihr antut, im falschen Glauben, je mehr sie ihm gibt, je mehr sie erträgt, irgendwann wird sie sein kaltes Herz zum Schmelzen bringen und der wunderbare Mann, der sie am Anfang auf Händen getragen hat, kommt wieder zum Vorschein. 

Das tut er nicht, denn er ist nicht wunderbar.
Er ist allenfalls ein wunderbarer Schauspieler, der seine Rolle jedoch nicht durchhalten kann, weil ihm sein Machthunger in die Quere kommt. Der Machthunger der als Kompensation für die eigene innere Ohnmacht dient. Diese Ohmacht will der Narziss nicht spüren. Dieses Gefühl ist so alt wie er selbst und es zu fühlen würde sich genauso vernichtend anfühlen, wie es sich angefühlt hat als er ein kleiner Junge war. 
Im Grunde haben beide schon zu Beginn des Dramas verloren. Die unselige Kollusion bringt nur Leid, das der Narziss aber nicht spürt, die selbstunsichere Frau jedoch in eine tiefe Krise stürzen kann, die ihr sowieso schon mangelndes Selbstwertgefühl zerschmettert. 

Schlüssel und Schloß - Ein Drama, das beide Mitspieler braucht. 
Ein Drama in dem es keinen Sinn macht von Schuld zu sprechen oder den „bösen“ Narzissten zu verdammen. Ein Drama in dem es den Wolf gibt und das Rotkäppchen. Und beide sind Opfer einer Kindheit in der es keine bedingungslose Liebe gab oder sogar Missbrauch und endlose Demütigungen. 
Beide sind Opfer, die zu Tätern werden, an sich selbst und am anderen. 

Das Rotkäppchen allerdings hat, wenn es sein eigenes inneres Drama erkennt, die Chance es besser zu machen - für sich selbst. Nämlich indem es lernt sich sich selbst fürsorglich und liebevoll zuzuwenden. Genau das ist die Lektion, die es lernen darf.
Diese wird aber nicht gelernt indem der Narziss verdammt und als Monster stigmatisiert wird. Sie wird nicht gelernt indem er als Projektionsfläche für den unterdrückten Hass und die ohnmächtige Wut benutzt wird, die eigentlich wo ganz anders hingehören: Zu den Verursachern aus der eigenen Kindheit nämlich. Zu denen, die den Grundstein gelegt haben für einen Begriff von Liebe, die keine ist.

Das Netz ist voll von verletzten Frauen, die in unzähligen Videos ihre eigenen narzisstischen Beziehungen zur Schau stellen, den Täter öffentlich verteufeln und ihn zu etwas machen, was nichts Menschliches mehr hat. Frauen, die Ratschläge geben, wie man Narzissten erkennt, sie verlässt und sich selbst vor dem Schmerz der eigenen narzisstischen Kränkung rettet. Was sie allerdings selbst dazu beigetragen haben, wo ihre Neurose liegt, die dazu führt, dass sie in diesem Drama die zweite Hauptrolle spielen, erfährt man nicht. Wozu auch - das Böse ist der andere. Der Teuel ist der andere und der muss ausgetrieben werden aus dem eigenen verdrängten malignen System.

Nein, so einfach ist es nicht. Das ist Küchenpsychologie, die leider viele Claquere findet. Rotkäppchen sollte klüger sein. Denn nur dann wird es verstehen - sich selbst und seinen Co-Narzissmus, seine Hysterie und seine kindliche Bedürftigkeit, die der Fallstrick ist, der ihm solche Begegnungen immer wieder beschert. Es könnte sich anstatt mit seiner Verurteilung am anderen weiter anzuhaften, seiner Kindheitswunde stellen, die es in dieses destruktive Unliebespiel mit einem Narzsissten treibt. Einsicht satt Aus(sen) Sicht. Sich sich selbst zuwenden, anstatt am "bösen Täter" festzukleben und auf diese Weise das Drama wieder und wieder, mental und emotional zu reinszenieren. Wunden, an denen wir ständig kratzen heilen nun mal nicht. 
Das braucht Zeit, verwundete Seelen heilen nur langsam. Und nur dann, wenn die Wunde angeschaut wird und dann versorgt wird.

Der Narziss wird sein Drama nicht erkennen wollen, denn das würde ihm den Boden seiner ganzen Scheinexistenz unter den Füßen wegreißen. Wahr ist: Er kann nicht lieben, er ist dazu nicht fähig, denn dazu müsste auch er lernen sich selbst zu lieben – und genau diese fehlende Selbstliebe ist der tiefe Kern der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. 

Böse? Ein böser Wolf? Nein, ein bedauernswertes nicht erwachsen gewordenes wütendes Kind, das ein Leben lang nach Liebe schreit und sie nicht erfahren kann. Es sei denn, der erwachsene Teil dieses Menschen ist bereit erst einmal in die Bodenlosigkeit zu fallen und sich dort selbst zu begegnen.
Aber das ist seins. 

„Contempt is the weapon of the weak and a defense against one's own despised and unwanted feelings.“ — Alice Miller

Referenz: https://beruhmte-zitate.de/zitate/1411872-alice-miller-contempt-is-the-weapon-of-the-weak-and-a-defense-a/

Contempt is the weapon of the weak and a defense against one's own despised and unwanted feelings.
Alice Miller

6 Kommentare:

  1. Danke, danke, danke. Jeder Artikel von Ihnen spricht mir aus der selber. Ich bin das Rotkäppchen, mein Noch-Mann der Wolf. Und genau der Unterschied ist, dass ich meine Anteile an dem Drama erkannt habe. Ich habe erkannt, dass mir niemand die Liebe geben kann, die ich als Kind einer bipolaren Mutter, die immer wieder krankheitsbedingt nicht verfügbar war, nicht bekommen habe.
    Ich dachte, er wäre der strahlende Ritter, der mich von meinem Leiden erlöst. So sah es am Anfang aus. So stellte er sich dar. So überzeugte er mich von sich. Und ich habe es geglaubt.

    Im Netz fällt mir auf, dass oft nur auf den narzistischen Part geschimpft wird. Aber ich sehe das wie Sie. Sein Schlüssel passte perfekt zu mir, weil ich die gegensätzlichen Anteile in mir hatte. Woanders habe ich auch einen guten Artikel gelesen. Die Autorin bezeichnete es als Tanz, den die beiden perfekt beherrschen. Auf den ersten Blick scheinen sie perfekt zu harmonieren und die Schritte zu beherrschen. Aber es ist nur ein Trugbild.

    Ich bin nicht mal richtig traurig über die "verlorene" Zeit. Immerhin blieb ich 13 Jahre in der Beziehung. Ich brauchte diese Beziehung um meine Anteile zu erkennen. Um meine Wunden zu erkennen. Um mich zu erkennen. Es ist schön, dass ich das erkannt habe. Das fühlt sich gut an, auch wenn ich dadurch noch nicht geheilt bin.

    Vielen Dank für Ihren Blog, Frau Wende. Er ist ein Schatz für mich auf meinem Weg.

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  2. Danke für Ihren Kommentar und Respekt vor Ihrer Sicht der Dinge!
    Ja, es ist ein perfekter Tanz, ich weiß, und er ist faszinierend und von hoher Intensität, das lässt einen u.a. auch so lange mit dem Wolf tanzen ...

    Alles Liebe für Sie!

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  3. Und dann gibt es wieder die Tage an denen ich doch denke, dass ich meine besten Jahre verschenkt habe. Ich gestehe. :)
    Ich möchte glauben, dass diese Gefühle auch da sind um alte Wunden zu heilen. Dass ich sie fühlen muss. Ich versuche nicht, sie zu unterdrücken, habe aber auch noch kein Medium gefunden, in die ich sie gut transformieren könnte.
    Ich erkenne tatsächlich jetzt erst mit 39 Jahren, dass das Leben eine Sinnsuche ist. Zuvor war ich so in Erwartungen und Verpflichtungen eingebunden, dass kein Raum war für Sinnsuche. Sinnsuche hätte bedeutet, auszubrechen. Naja...das hab ich dann letztes Jahr auch brachial getan. Gefühlt in einer Kurzschlussreaktion, aber wenn ich im Rückblick ehrlich bin, hab ich 5 Jahre gebraucht, vom ersten Gedanken bis zum Umsetzen. Ich versuche mich nicht darüber zu verurteilen, dass ich so lange gebraucht habe und in der Zeit auch noch Entscheidungen getroffen habe, die das Gehen noch so viel schwerer machten.

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  4. Nichts ist verschenkte Zeit.
    Es ist ein Weg.
    Sinnsuche ja ... Sinn gestalten ... wie wäre es damit?

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  5. Was für ein guter und wahrer Artikel. Als ehemaliges Rotkäppchen bin immer noch daran, die Scherben aufzuwischen und daraus ein gesundes, schönes und liebeswertes eigenes Leben zu basteln

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  6. und das geht so lange wie Rotkäppchen lebt ...

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