Freitag, 30. August 2013

Mutterhäufchenelend

er hätte es doch leichter haben können, sagt sie, vor mir sitzend wie ein häufchen elend. mutterhäufchenlend, schoss es mir durch den kopf. aber, wissen sie, er hat es sich immer schwer gemacht. er ist nie den einfachen weg gegangen, immer hatte ich das gefühl, dass er sich die steine selbst aussuchte, die ihm im weg lagen. mit einem blick, als könne ich diejenige seine, die ihrem sohn die steine jetzt sofort wie durch einen zauberspruch aus dem weg räumt, sah sie mich an, hilflos und zugleich verweifelt fordernd. ich musste mich zurücklehnen um mir rückendeckung an der stuhllehne zu holen. wozu, glauben sie, macht er das, fragte ich sie. sie nestelte an dem altmodischen spitzentaschentuch herum, das sie die ganze zeit in den händen hielt und zu einem kleinen weißen ball formte um ihn wieder aufzurollen um dann das ganze von vorne zu beginnen.
ich weiß es nicht. warum, sagen sie es mir.
ich wiederholte die frage: wozu? wozu? pft! sie blies luft über die schmalen lippen. sie flatterten wie ihre angst, die in wellen zu mir herüberflatterte seit sie den raum betreten hatte. mein gott, das weiß ich doch nicht. aber sie wissen, wie er leichter haben könnte. ja, das weiß ich. wir haben ihm doch alles auf dem silbertablett serviert, brach es aus ihr heraus. schon als er klein war, hat er alles bekommen, was er wollte, wenn es probleme gab, habe ich sie gelöst, so gut ich konnte. ich habe ihn zu nichts gedrängt, er durfte immer machen was er wollte. ich habe mein bestes getan, auch wenn manches schief gelaufen ist. mein bestes, mehr konnte ich nicht. verstehen sie, ich konnte nicht mehr. aus ihren augen rollten dicke tränen. für einen moment war sie stumm. dann kam es dieses: ich habe versagt, das sie vergeblich ins taschentuch gerollte hatte.

ich sah sie an und fühlte das versagen. weil ich es kannte, weil ich mich damit herumplagte, weil es zu meinem mutterhäufchenlend gehörte. bleib bei ihr, ermahnte ich mich. was schwer genug war, wenn man das gleiche gefühl teilt mit einem anderen menschen. ich atmete tief durch. woher wollen sie das wissen? fragte ich sie?
na, weil es so ist. sonst würde er es sich jetzt leichter machen.
und woher wollen sie das wissen? sind sie der liebe gott?
sie schüttelte den kopf, was hat denn das mit gott zu tun?
nun, wenn sie gott wären, dann würden sie es sicher wissen, denn gott, sagt man doch, sieht alles und weiß alles. also da sie nicht gott sind, woher wollen sie das alles wissen? sie klammerte sich an ihr taschentuch. jetzt weiß ich gar nichts mehr.
sehen sie, sie wissen es nicht.
nein, ich weiß es nicht, sagte sie. aber das nützt mir nichts.
doch, erwiderte ich, das könnte ihnen sehr viel nützen.
und was? ich hörte die wut in ihr hoch kochen, die aus ihrem bauch in den hals stieg und ihre stimme schärfte. verdammt ich will ihm nützen und nicht mir.

ich beugte mich langsam zu ihr vor. sie haben meine frage gerade beantwortet.
sie sah mich verblüfft an. wieso? nein, nicht wieso, ich habe sie gefragt: wozu?
wozu tut er das, war die frage, erinnern sie sich?
sie nickte. in ihren augen sah ich ein langsames begreifen. hm, wozu? nun, vielleicht, damit ich endlich aufhöre ihm nützen zu wollen.
ja, sagte ich, das ist die antwort.

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