Freitag, 9. August 2013

Ans Ufer




 

ich weiß nicht wer ich bin, wer ich wirklich bin. ich bin einmal das und einmal das und auch wieder das, und das eine und das andere. was ich bin ist viel und verschieden, es hängt vom kontext ab, von den rolle, die ich spiele, von den stimmungen, in denen ich bin und meinen befindlichkeiten. es ist wie ein hin und herschwimmen in einem riesigen meer. das ufer ist der ort, wo ich wohlbehalten ankomme. das wäre doch dann ich, ich meine ich, die, die ich wirklich bin, ganz tief drinnen. 

am ufer ankommen, am ufer des eigenen wahren wesens, das treibt mich an, das lässt mich schwimmen durch die gezeiten, durch stürme, durch hohe wellen und in leiser see.

ich bin nicht die einzige und sicher bin ich nicht die beste schwimmerin. ich halte mich über wasser und hin und wieder tauche ich tief hinein in seinen grund, um wieder aufzusteigen und mein gesicht der warmen sonne entgegenzuhalten. so schwimme ich ein halbes jahrhundert schon auf der suche nach dem ufer. 

manchmal begegnete mir ein anderer schwimmer, einer von meiner art, wie ich dachte, denn nur solche von meiner art schwimmen im selben meer, dachte ich, und wir sahen uns an und erkannten einander und nickten uns zu in gegenseitiger sympathie und wir schwammen eine ganze weile nebeneinander her und beobachteten uns. weil uns gefiel, was wir sahen, beschlossen wir gemeinsam weiter zu schwimmen, seite an seite durch alle gezeiten. 

eine lange weile tat es gut, nicht mehr alleine zu schwimmen. die angst vor den stürmen und den untiefen wurde kleiner. das meer schien das zu spüren. es lag unter uns in ruhiger glätte und trug uns wie ein warmer schoß. das abtauchen in seine tiefe wurde seltener, die sehnsucht nach ihr weniger dringlich. den blick auf den anderen gerichtet, am anderen haftend, im anderen sich verlierend, wurde das eigene plötzlich klein und kleiner und es schien vergessen. eine lange weile tat das gut. die veränderung geschah schleichen. in ruhigen zügen, kreise um mich selbst ziehend, sah ich es wieder, mein gesicht, gespiegelt im glatten blau des wassers. und meine augen blickten in mich hinein und sie erkannten mich wieder und sie fragten mich - wer bist du?

den blick auf den anderen gerichtet, hatte ich das eigene aus den augen verloren. das gefühl, das etwas fehlt, wuchs nach dieser frage, die eine antwort wollte. versunken im anderen war da so viel des fremden, dass das eigene nicht mehr fassbar war. 

ich erinnerte mich, wie ich es gespürt hatte, immer wieder, wenn der andere etwas schneller schwamm als ich oder wenn er hinter mir zurückblieb, weil ich schneller wurde. so schwammen wir, eins, in diesem endlosen meer.

dann, an einem morgen, als die glatte oberfläche des meeres im licht der glitzendern sonne hell aufleuchtete, war sie da, die antwort auf die frage. sie kam aus der tiefe herauf zu mir: du hast dich verloren. mein blick war abgeschweift. er hatte mich selbst nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr auseinanderhalten können, was das meine war und was zum anderen gehörte. ich hatte vergessen, warum ich wirklich schwamm in diesem großen meer. und ich erinnerte mich: ich wollte ans ufer kommen.


nachtrag: das das unbewusste weiß sehr wohl, wer wir sind. es weiß sehr wohl, was wir wollen, es weiß, wie wir leben möchten. die prägungen lehren uns, nicht uns selbst priorität zu geben, sondern dem außen. wir sind so konditioniert, dass wir erst im außen suchen, anstatt innen zu beginnen. das ist teil der kollektivneurose, die alle individuellen neurosen nach sich zieht.



das größte geschenk ist, von mir selbst gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden - wenn dies geschieht, entsteht echter kontakt mit mir und dem anderen.


in den kindern werden noch heute nicht anlagen und gaben ausgebildet und gefördert, sondern das funktionieren im sinne des kollektivs. und deshalb müssen wir wohl alle schmerzhafte umwege machen, bis wir der sind, der in uns angelegt ist.

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