Wer alles kontrollieren muss hat ein anstrengendes Leben.
Er ist ständig auf der Hut. Zum Einen, weil er andere beobachten muss, um deren Verhalten berechnen zu können, zum Anderen weil er das beobachtete Verhalten interpretieren und für seine Zwecke und sein Wohlbefinden beeinflussen, manipulieren und korrigieren muss.
Menschen die andere kontrollieren müssen, haben kein Vertrauen, nicht in die anderen und nicht in sich selbst. Sie können die Dinge nicht sein lassen und sie können die Menschen in ihrem Umfeld, besonders jene, mit denen sie eine emotionale Bindung haben, nicht sein lassen.
Wer andere nicht sein lassen kann ist in seinem eigenen Sein verlassen.
Diese Verlassenheit hat ihre Ursache in der Kindheit.
Menschen, die als Kind unberechenbare, in ihren Worten, Handlungen und Verhalten nicht klar fassbare Eltern erlebt haben, neigen als Erwachsene zur Kontrolle. Das Thema, das sie ein Leben lang begleitet ist - der Drang Sein von Schein, also Klarheit von Unklarheit, Authentizität von Rollenspiel, Wahrheit von Unwahrhaftigkeit, unterscheiden zu müssen. Ein schweres Unterfangen, denn wer im Elternhaus keine Authentizität erfahren hat, weiß nicht, was echt und was unecht ist. Ein Kind mir dieser Erfahrung ist unsicher im Umgang mit Menschen und im Umgang mit sich selbst.
Das Kind, das mit einem Elternteil aufwächst, dessen Masken das wahre Gesicht verbergen, weiß nicht woran es ist. Wer nicht weiß, woran er ist, kann sich an nichts halten.
Durch die Janusköpfigkeit der Person auf die es angewiesen ist, lebt das Kind einsam und verlassen inmitten der Unberechenbarkeit und Unwahrhaftigkeit des oder der Menschen, die es liebt, auf einer einsamen Insel. Es lebt in einem Klima von Lüge. Was immer es im Verhalten des janusköpfigen Elternteils erlebt, ist
diffus. Alles Diffuse macht Kindern Angst. Diese Angst führt dazu Klarheit und Berechenbarkeit zu suchen. Ein
untauglicher Versuch. Auch das spüren Kinder instinktiv. Die
wiederholten untauglichen Versuche zu verstehen und einzuordnen was wahr
und was unwahr ist, was echt und was unecht ist, führen zum Erleben tiefer Ohnmacht. Aber auch diese Ohnmacht kann das Kind weder benennen noch rational begreifen. Es fühlt sie. Und was wir fühlen gräbt sich ein.
Um sein Ohmachtsgefühl zu kompensieren lernt das Kind zu beobachten - die anderen, die Mutter oder den Vater. Getrieben von der Sehnsucht das Echte zu erkennen, ist es so ständig im Außen orientiert. Daher gelingt es ihm nicht, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Was dazu führt, dass es neben der Unfähigkeit zu vertrauen, zu einer sehr bruchstückhaften Herausbildung eines eigenen Selbst kommt. Mit anderen Worten - ein gesundes Selbst - Bewusstsein bekommt, noch bevor es sich überhaupt entwickeln kann, Schlagseite.
Wer als Kind ständig im Teich eines nebulösen Elternbildes schwimmt, fischt im Trüben.
Das will es als erwachsener Mensch verhindern. Es entwickelt sich zum Kontrolleur anderer. Es muss endlich Klarheit erlangen, einen Halt spüren, den es als Kind schmerzhaft vermisst hat. Es muss aus der Position der Ohnmacht in die Position der Macht gelangen.
Kontrolle hat immer mit Machtwillen zu tun. Ebenso wie Ohnmacht. Sie ist der Gegenpol der Macht. Wer Ohnmacht erlebt hat, hat sich selbst als Opfer erlebt und die anderen als Täter. Das Motiv der Kontrolle ist das (wieder) Erlangen der als Kind verlorenen Macht über das eigene Sein. Durch das Mittel der Kontrolle gelingt dieses Machtgefühl in der eigenen Wahrnehmung. In Wahrheit ist diese Macht aber wieder nur scheinbar. Der Kontrolleur ist in seinem alten Muster gefangen, er ist erneut Opfer, das Opfer seiner eigenen Kontrollsucht, jedoch ohne sich dessen bewusst zu sein. Er ist wieder Beobachter und wie als Kind abhängig vom Handeln und Verhalten anderer, welches sein Sein beeinflusst. Er ist wieder im Außen und nicht innen, bei sich selbst nämlich. Er verliert sich im Außen, in der Anstrengung alles unter Kontrolle zu behalten.
Dass man Nichts und Niemanden kontrollieren kann ist ihm möglicherweise auf der kognitiven Erwachsenenebene sogar bewusst - das innere Kind, das Unterbewusstein, suggeriert ihm jedoch etwas anderes. So sind Kontrolleure, solange sie sich das Unbewusste nicht bewusst machen, Gefangene ihrer Sucht nach Berechenbarkeit. Um Macht zu erlangen werden sie sogar zu Manipulatoren. Die Mittel der Macht sind vielfältig, aber der Zweck ist immer - Macht zu spüren.
Das Tragische ist: Menschen, die andere kontrollieren müssen, verlieren dabei die Kontrolle über sich selbst.
Sie sind streben nach einer Macht, die sie nie befriedigen kann, denn die frühe Ohmachtserfahrung ist in jeder Zelle gespeichert. Ihre Macht ist eine scheinbare, denn ihnen fehlt die einzige Macht, die sie erlösen kann - die Macht über sich selbst. Die anderen merken das irgendwann und entziehen sich dieser Macht. Das Ende vom Lied ist - der Kontrolleur ist wieder zurückgeworfen auf die alte Kindheitserfahrung - indem sich das Subjekt der Kontrolle, der Kontrolle entzieht, erlebt er die selbe Einsamkeit, die selbe Haltlosigkeit und Ohnmacht, die die Kindheit vergiftet hat, wieder neu.
Und dann beginnt der Teufelskreis von vorne - mit der Suche nach einem neuen Subjekt, das zu kontrollieren ist.
Der heilsame Weg aus diesem Teufelskreis heraus wäre damit anzufangen, Kontrolle über sich selbst zu erlangen. Dieser Weg beginnt mit der Selbstbeobachtung.
Eine Nuance von Kontrolle ist mir zu meiner Schulzeit aufgefallen. Kinder, deren Eltern Lehrer waren und von ihnen unterrichtet wurden, hatten sich multiplen Fronten zu stellen. Die Trennung, Mutter/Vater zu Hause doch Lehrer in der Schule, schmerzte zu weilen mich selbst. Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen, was für die Thematik erst einmal unerheblich ist - doch im Hinblick auf meine "Schulskizze" ist zu sagen, das neben dem elitären Leistungsdruck dieser Lehrerkinder in den höheren Klassenstufen eine sozialkulturell - politische Komponente im Sinne der sozialistischen Staatsdoktrin der DDR hinzu kam. Diese Schüler zeichneten sich tatsächlich durch ein hohes Beobschtungspotential aus, waren mehrheitlich immer in kontrolliert bester Ansprechbarkeit, wurden mit blosser Routine ins "Erwachsenenlager" geschoben, um frühzeitig als Vorbild zu funktionieren. Doch eigentlich wollten sie nur so sein, wie wir "einfachen" Schüler. So trugen sie eine Maske für ihre Elternlehrer, für ihre Eltern und für ihre Klassenkameraden. - Ich bin mir sicher, das es auch die herzlich-freundschaftliche (Lehrer-) Eltern - Kind Beziehung gab, wohl auch mehrheitlich, doch habe ich nur diese indoktrinierten Beispiele kennen gelernt. Für diese ist es ein weiter Weg, sich selbst innerlich zu finden, anzunehmen, sich selbst manchmal eine gute Mutter, ein guter Vater zu sein.
AntwortenLöschendanke für deinen wertvollen beitrag.
AntwortenLöschenangelika
Ich danke Dir für das wohl bestellte Feld, das ich hier vorfinde.
AntwortenLöschenTorsten
ich danke dir für deine wertschätzung.
AntwortenLöschenangelika