„Das Ideal bestünde
darin, dass Menschen, die sich selbst vollständig genügen, nur durch die freie
Bejahung ihrer Liebe miteinander verbunden wären.“
Das ist ein gewichtiger und
wahrer Satz der Schriftstellerin und Philosophin und Lebensgefährtin Jean Paul
Sartres Simone de Beauvoir. Sartes intellektuelles Alter ego, die
unentbehrliche geistige Lebensgefährtin, die ihn ein Leben lang unterstützte um
Ideen zu reflektieren, Widersprüchliches aufzudecken und Gedanken zu formulieren,
war eine kluge, selbstbestimmte Frau, sie war eine Frau, die es vorzog allein zu leben, mit einer einzigen Ausnahme: Sieben Jahre war sie mit dem
Filmemacher Claude Lanzmann zusammen. Er war der erste und einzige Mann, mit
dem sie je eine Wohnung teilte. Beauvoir war eine Frau, die wusste, dass es
für einen Menschen, der sich entfalten und entwickeln will unabdingbar ist den
eigenen Raum zu bewahren, um ihn zu füllen, mit dem Eigenen - der
Beziehung zu sich selbst.
Liebe und Beziehung
brauchen emotionale Nähe. Aber braucht sie räumliche Nähe? Muss
aus der Verbindung zum anderen eine räumliche Bindung werden?
Verbindung und Bindung - ein
feiner Unterschied. Sich aneinander binden oder sich verbinden? Binden das lässt Enge spüren, das klingt nach sich binden, sich anbinden an Etwas oder Jemanden. Sich verbinden klingt nach Freiwilligkeit, ist ein Verbindendes, etwas, das einfach ist, ohne den Drang sich anzubinden.
Gelebt wird
seit Menschengedenken das Modell der Bindung. Der Mensch ist ein Rudeltier. Die
meisten jedenfalls. Einsame Wölfe unter unserer Spezies sind eher selten und
eher selten ist das einsame Wolfsdasein selbst gewählt. Die Masse will sich
binden. Emotional und räumlich. Die Sehnsucht nach einem Partner ist in uns
angelegt. Zugehörigkeit und Beziehung sind überlebenswichtig. Sie erfüllen
universelle Grundbedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Sicherheit. Eine stabile Beziehung wirkt sich
positiv auf den Selbstwert aus. Zudem ist zu zweit vieles leichter als allein,
besonders das Leben.
Wir können nicht anders,
wir müssen uns verbinden. Die Strukturierungsprozesse beginnen im Mutterleib. Die ersten Vernetzungen im Gehirn werden gestaltet,
während man aufs Engste mit einem anderen Menschen verbunden ist.
In der pränatalen Phase entwickelten sich zwei menschliche
Grundbedürfnisse: Das Bedürfnis nach Verbundenheit und das Bedürfnis nach einem
selbstbestimmten Leben. Zwei Bedürfnisse die ihrem Wesen nach in zwei völlig
verschiedene Richtungen weisen. Das Bedürfnis nach Verbundenheit will Nähe, der
Wunsch nach Selbstbestimmtheit braucht Distanz, braucht Raum um sich zu
entfalten. So gesehen ist der Mensch in permanenter Konfliktspannung, die Meisten von uns ohne
sich dessen bewusst zu sein.
Doch wir sind alle
verschieden, trotz der sich ähnelnden Struktur, die uns verbindet, sind wir Individuen.
Je entwickelter das
Bedürfnis nach Selbstbestimmheit und dem damit verbundenen Wunsch nach
persönlicher Freiheit eines Individuums ist, desto weniger zieht es Menschen
hin zur Bindung.
Je größer der Wunsch nach Zugehörigkeit ist,
desto größer ist der Wunsch eines Menschen nach einer Bindung. Doch was für den
Bindungssuchenden liebevolle Zweisamkeit bedeutet, empfindet der andere als
Beschneidung seiner Freiräume.
Ideal ist es wenn zwei das
Gleiche wollen. Aber selten die Regel, denn Gleich und Gleich gesellt sich
zwar gern, stößt sich aber aufgrund der zu gleichen Pole oft schnell wieder ab.
Es ist das Andere, das
Fremde, das Ungleiche, was uns anzieht und dauerhaft fasziniert. Und da steckt
er drin, der Teufel, in unseren Beziehungen. Wir suchen das Ergänzende und das
ist eben genau das, was wir nicht haben, nicht entwickeln oder nicht leben und
deshalb ist es um so vieles reizvoller als das, was uns allzu sehr
gleicht. Ist es gefunden beginnt
nicht selten der Beziehungstanz zwischen dem Wunsch des Einen nach Nähe und dem
Wunsch des anderen nach Distanz. Der wird dann solange getanzt, bis Einer
aufgibt und sich führen lässt, oder bis der vom Wunsch nach zuviel Nähe
Bedrängte auf Abstand geht. Aber damit ist der Tanz nicht vorbei. Je mehr der
Bedrängte Abstand schafft, desto mehr greift der Bindungssuchende nach dem, was
sich entzieht. Am Ende ist dieser kraftzehrende Tanz erschöpfend für Beide und die
Trennung oft der einzige Ausweg.
Jede freie Minute mit dem
Partner verbringen zu wollen, ist am Anfang einer Beziehung normal. Aber
irgendwann nach der ersten Verliebtheit wird es fatal, wenn zwei Menschen wie
Kletten aneinander hängen und nur noch wie eineiige Zwillinge agieren und
auftreten.
Das Eigene und das Fremde
verschmelzen zu einer Melange von Gedanken und Gefühlen, das Individuelle
und das Einzigartige der Partner vermischen sich, die persönliche Entwicklung wird gehemmt, stagniert. Die Beziehung macht aus Eins Zwei. Sie wird zum Gemeinschaftsprojekt, in dem sich beide mehr und mehr von sich selbst
entfernen.
Zu viel Nähe ist tödlich für die Partnerschaft. Die erotische Liebe erträgt
zuviel Nähe nicht. Ein Übermaß an Nähe nimmt ihr die Leichtigkeit. Sie steckt Amor in ein
Korsett.
Mal ehrlich - was wir jeden
Tag serviert bekommen wird auf Dauer selbstverständlich und es ist nicht mehr
begehrenswert. Wir müssen uns nicht mehr bemühen, denn es ist dauerverfügbar.
Die erotische Liebe lebt
von der Eroberung und sie lebt von
der ungestillten Sehnsucht nach dem Objekt ihrer Begierde.
Aber wie bitte sollen wir
erobern was Morgen für Morgen, täglich grüß das Murmeltier!, mit verschlafenem
Gesicht, grummelnd oder stets gutgelaunt am Frühstückstisch sitzt, neben
uns im Badezimmer die Zähne schrubbt, während wir eigentlich außer dem eigenen
Gesicht gerade gar nichts sehen wollen oder am Abend, wenn wir erschöpft
sind und nur noch unsere Ruhe haben wollen mit seinem Bürostress genervt die
Tür hereinkommt und unsere innere Stille mit etwas übertönt, was wir gerade
überhaupt nicht hören wollen? Wie sollen wir uns nach etwas sehnen, was uns
Tag für Tag vor der Nase herumläuft? Das wird so
vertraut, dass die Faszination und die Neugier sterben und das Verlangen gleich
mit.
Zuviel Vertrautheit macht
das Unbekannte zum allzu Bekannten und das allzu Bekannte ist wie ein fades
Buch in dem wir gelangweilt lesen und wissen – es gibt nichts mehr zu
entdecken. Eine müde Langeweile
macht sich breit und so sitzen wir denn abends nebeneinander auf dem Sofa und
glotzen TV oder sinnieren sehnsuchtsvoll in eine neue unbekannte Welt, in der
der, der neben uns sitzt, irgendwann nicht mehr vorkommt.
Ein Horrorszenario und nicht
selten der Beziehungsalltag in deutschen Wohnzimmern.
Dann ist geteiltes Lied
nicht halbes Leid, sondert doppeltes Leid. Das wiegt schwer und man trägt es allein, denn die
Wahrheit auszusprechen könnte im Zweifel den Anderen schockieren und einen
selbst, denn dann müsste man ja etwas ändern - allein oder zu zweit.
Wer alles teilt, wer
alles mitteilt, verliert das Eigene, auch die Fähigkeit eigene Probleme selbst
zu lösen.
Dann ist das Problem des Einen in der Beziehung immer auch das Problem von Beiden. Das heißt nicht, dass eine
Beziehung nicht auch dazu da ist, gemeinsam Probleme zu lösen, aber es heißt
- entscheiden zu können, was das
Eigene ist und wie es gelöst werden kann ohne den anderen zu sehr ins Eigene
hineinzuziehen. Das ist Selbstbestimmheit und selbstbestimmt zu agieren
bedeutet auch selbst zu bestimmen wie man mit seinen Problemen umgeht und dass man sie
selbst zu lösen versucht. Das konnte man ja auch vor der Beziehung.
Zu viel Seelenmüll den
wir beim anderen abladen, vermüllt die liebende Seele. Da sammelt sich Mist an, wo einst die
Schmetterlinge ausflogen um das Kribbeln im Bauch zu verursachen.
Auch wenn viele Paare das nicht
hören wollen: Zu viel Alltag, zu viel Nähe, zu viel Teilen, zu viel gemeinsam verbrachte Zeit töten die Liebe. Aus
Liebenden werden dann leicht
brüderlich-schwesterlich Verbundene in seliger, bzw. unseliger Vertrautheit.
Außerdem: Zuviel Nähe tötet
die eigene Kreativität, die eigene Entwicklung. Dauernähe raubt Zeit und Kraft, die jeder Mensch braucht
um bei sich selbst zu sein und dem zu folgen, was in ihm ist und sich entfalten
will. Zu viel geteilter Raum macht
eng innen und sperrt Freiheit, und sei es nur die Freiheit der Gedanken, in einen
Käfig. Egal wie golden er glänzt, die Käfigtür ist zu. Und drinnen wächst die
Sehnsucht hinauszufliegen. Allein, sich selbst genügend und selbstbestimmt.
(a.wende)
Es ist eine hervorbringende Liebe, die das liebenswert macht, was jetzt noch nicht liebenswert ist. Eine Liebe, die den Anfang macht. Nur weil wir selber Beschenkte sind können wir schenken. Jede Tat der Liebe und Hingabe wiederum wandelt uns selbst mehr und mehr zu Menschen der Liebe. Liebe ist ein Charakterzug und meint das „ungeteilte Herz“. Wenn man ein liebender Mensch ist, kann man nicht sagen, den einen liebe ich und den anderen nicht. Wer seine Liebe noch „teilt“, liebt noch nicht wirklich vollkommen, denn da ist noch viel Egoismus dabei. - Agape
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