Montag, 18. März 2013

Aus der Praxis - Wie viel Nähe verträgt die Liebe?


Das Ideal bestünde darin, dass Menschen, die sich selbst vollständig genügen, nur durch die freie Bejahung ihrer Liebe miteinander verbunden wären.“

Das ist ein gewichtiger und wahrer Satz der Schriftstellerin und Philosophin und Lebensgefährtin Jean Paul Sartres Simone de Beauvoir. Sartes intellektuelles Alter ego, die unentbehrliche geistige Lebensgefährtin, die ihn ein Leben lang unterstützte um Ideen zu reflektieren, Widersprüchliches aufzudecken und Gedanken zu formulieren, war eine kluge, selbstbestimmte Frau, sie war eine Frau, die es vorzog allein zu leben, mit einer einzigen Ausnahme: Sieben Jahre war sie mit dem Filmemacher Claude Lanzmann zusammen. Er war der erste und einzige Mann, mit dem sie je eine Wohnung teilte. Beauvoir war eine Frau, die wusste, dass es für einen Menschen, der sich entfalten und entwickeln will unabdingbar ist den eigenen Raum zu bewahren, um ihn zu füllen, mit dem Eigenen - der Beziehung zu sich selbst.

Liebe und Beziehung brauchen emotionale Nähe. Aber braucht sie räumliche Nähe? Muss aus der Verbindung zum anderen eine räumliche Bindung werden?
Verbindung und Bindung - ein feiner Unterschied. Sich aneinander binden oder sich verbinden? Binden das lässt Enge spüren, das klingt nach sich binden, sich anbinden an Etwas oder Jemanden. Sich verbinden klingt nach Freiwilligkeit, ist ein Verbindendes, etwas, das einfach ist, ohne den Drang sich anzubinden.

Gelebt wird seit Menschengedenken das Modell der Bindung. Der Mensch ist ein Rudeltier. Die meisten jedenfalls. Einsame Wölfe unter unserer Spezies sind eher selten und eher selten ist das einsame Wolfsdasein selbst gewählt. Die Masse will sich binden. Emotional und räumlich. Die Sehnsucht nach einem Partner ist in uns angelegt. Zugehörigkeit und Beziehung sind überlebenswichtig. Sie erfüllen universelle Grundbedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Sicherheit. Eine stabile Beziehung wirkt sich positiv auf den Selbstwert aus. Zudem ist zu zweit vieles leichter als allein, besonders das Leben.

Wir können nicht anders, wir müssen uns verbinden. Die Strukturierungsprozesse beginnen im Mutterleib. Die ersten Vernetzungen im Gehirn werden gestaltet, während man aufs Engste mit einem anderen Menschen verbunden ist.
In der pränatalen Phase entwickelten sich zwei menschliche Grundbedürfnisse: Das Bedürfnis nach Verbundenheit und das Bedürfnis nach einem selbstbestimmten Leben. Zwei Bedürfnisse die ihrem Wesen nach in zwei völlig verschiedene Richtungen weisen. Das Bedürfnis nach Verbundenheit will Nähe, der Wunsch nach Selbstbestimmtheit braucht Distanz, braucht Raum um sich zu entfalten. So gesehen ist der Mensch in permanenter Konfliktspannung, die Meisten von uns ohne sich dessen bewusst zu sein.
Doch wir sind alle verschieden, trotz der sich ähnelnden Struktur, die uns verbindet, sind wir Individuen.

Je entwickelter das Bedürfnis nach Selbstbestimmheit und dem damit verbundenen Wunsch nach persönlicher Freiheit eines Individuums ist, desto weniger zieht es Menschen hin zur Bindung. 
Je größer der Wunsch nach Zugehörigkeit ist, desto größer ist der Wunsch eines Menschen nach einer Bindung. Doch was für den Bindungssuchenden liebevolle Zweisamkeit bedeutet, empfindet der andere als Beschneidung seiner Freiräume.

Ideal ist es wenn zwei das Gleiche wollen. Aber selten die Regel, denn Gleich und Gleich gesellt sich zwar gern, stößt sich aber aufgrund der zu gleichen Pole oft schnell wieder ab.
Es ist das Andere, das Fremde, das Ungleiche, was uns anzieht und dauerhaft fasziniert. Und da steckt er drin, der Teufel, in unseren Beziehungen. Wir suchen das Ergänzende und das ist eben genau das, was wir nicht haben, nicht entwickeln oder nicht leben und deshalb ist es um so vieles reizvoller als das, was uns allzu sehr gleicht. Ist es gefunden beginnt nicht selten der Beziehungstanz zwischen dem Wunsch des Einen nach Nähe und dem Wunsch des anderen nach Distanz. Der wird dann solange getanzt, bis Einer aufgibt und sich führen lässt, oder bis der vom Wunsch nach zuviel Nähe Bedrängte auf Abstand geht. Aber damit ist der Tanz nicht vorbei. Je mehr der Bedrängte Abstand schafft, desto mehr greift der Bindungssuchende nach dem, was sich entzieht. Am Ende ist dieser kraftzehrende Tanz erschöpfend für Beide und die Trennung oft der einzige Ausweg.

Jede freie Minute mit dem Partner verbringen zu wollen, ist am Anfang einer Beziehung normal. Aber irgendwann nach der ersten Verliebtheit wird es fatal, wenn zwei Menschen wie Kletten aneinander hängen und nur noch wie eineiige Zwillinge agieren und auftreten.
Das Eigene und das Fremde verschmelzen zu einer Melange von Gedanken und Gefühlen, das Individuelle und das Einzigartige der Partner vermischen sich, die persönliche  Entwicklung wird gehemmt, stagniert. Die Beziehung macht aus Eins Zwei. Sie wird zum Gemeinschaftsprojekt, in dem sich beide mehr und mehr von sich selbst entfernen.

Zu viel Nähe ist tödlich für die Partnerschaft. Die erotische Liebe erträgt zuviel Nähe nicht. Ein Übermaß an Nähe nimmt ihr die Leichtigkeit. Sie steckt Amor in ein Korsett.
Mal ehrlich - was wir jeden Tag serviert bekommen wird auf Dauer selbstverständlich und es ist nicht mehr begehrenswert. Wir müssen uns nicht mehr bemühen, denn es ist dauerverfügbar.

Die erotische Liebe lebt von der Eroberung  und sie lebt von der ungestillten Sehnsucht nach dem Objekt ihrer Begierde.
Aber wie bitte sollen wir erobern was Morgen für Morgen, täglich grüß das Murmeltier!, mit verschlafenem Gesicht, grummelnd oder stets gutgelaunt am Frühstückstisch sitzt, neben uns im Badezimmer die Zähne schrubbt, während wir eigentlich außer dem eigenen Gesicht gerade gar nichts sehen wollen oder am Abend, wenn wir erschöpft sind und nur noch unsere Ruhe haben wollen mit seinem Bürostress genervt die Tür hereinkommt und unsere  innere Stille mit etwas übertönt, was wir gerade überhaupt nicht hören wollen? Wie sollen wir uns nach etwas sehnen, was uns Tag für Tag vor der Nase herumläuft? Das wird so vertraut, dass die Faszination und die Neugier sterben und das Verlangen gleich mit.

Zuviel Vertrautheit macht das Unbekannte zum allzu Bekannten und das allzu Bekannte ist wie ein fades Buch in dem wir gelangweilt lesen und wissen – es gibt nichts mehr zu entdecken. Eine müde Langeweile macht sich breit und so sitzen wir denn abends nebeneinander auf dem Sofa und glotzen TV oder sinnieren sehnsuchtsvoll in eine neue unbekannte Welt, in der der, der neben uns sitzt, irgendwann nicht mehr vorkommt.
Ein Horrorszenario und nicht selten der Beziehungsalltag in deutschen Wohnzimmern.
Dann ist geteiltes Lied nicht halbes Leid, sondert doppeltes Leid. Das wiegt schwer und man trägt es allein, denn die Wahrheit auszusprechen könnte im Zweifel den Anderen schockieren und einen selbst, denn dann müsste man ja etwas ändern - allein oder zu zweit.

Wer alles teilt, wer alles mitteilt, verliert das Eigene, auch die Fähigkeit eigene Probleme selbst zu lösen.
Dann ist das Problem des Einen in der Beziehung immer auch das Problem von Beiden. Das heißt nicht, dass eine Beziehung nicht auch dazu da ist, gemeinsam Probleme zu lösen, aber es heißt -  entscheiden zu können, was das Eigene ist und wie es gelöst werden kann ohne den anderen zu sehr ins Eigene hineinzuziehen. Das ist Selbstbestimmheit und selbstbestimmt zu agieren bedeutet auch selbst zu bestimmen wie man mit seinen Problemen umgeht und dass man sie selbst zu lösen versucht. Das konnte man ja auch vor der Beziehung. 

Zu viel Seelenmüll den wir beim anderen abladen, vermüllt die liebende Seele.  Da sammelt sich Mist an, wo einst die Schmetterlinge ausflogen um das Kribbeln im Bauch zu verursachen.
Auch wenn viele Paare das nicht hören wollen: Zu viel Alltag, zu viel Nähe, zu viel Teilen, zu viel gemeinsam verbrachte Zeit töten die Liebe. Aus Liebenden werden dann leicht brüderlich-schwesterlich Verbundene in seliger, bzw. unseliger Vertrautheit.

Außerdem: Zuviel Nähe tötet die eigene Kreativität, die eigene Entwicklung. Dauernähe raubt Zeit und Kraft, die jeder Mensch braucht um bei sich selbst zu sein und dem zu folgen, was in ihm ist und sich entfalten will.  Zu viel geteilter Raum macht eng innen und sperrt Freiheit, und sei es nur die Freiheit der Gedanken, in einen Käfig. Egal wie golden er glänzt, die Käfigtür ist zu. Und drinnen wächst die Sehnsucht hinauszufliegen. Allein, sich selbst genügend und selbstbestimmt.

(a.wende)








2 Kommentare:

  1. Es ist eine hervorbringende Liebe, die das liebenswert macht, was jetzt noch nicht liebenswert ist. Eine Liebe, die den Anfang macht. Nur weil wir selber Beschenkte sind können wir schenken. Jede Tat der Liebe und Hingabe wiederum wandelt uns selbst mehr und mehr zu Menschen der Liebe. Liebe ist ein Charakterzug und meint das „ungeteilte Herz“. Wenn man ein liebender Mensch ist, kann man nicht sagen, den einen liebe ich und den anderen nicht. Wer seine Liebe noch „teilt“, liebt noch nicht wirklich vollkommen, denn da ist noch viel Egoismus dabei. - Agape

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