Montag, 12. November 2012

schlaflos in der unterwelt




die nacht war kurz. in letzter zeit schlafe ich schlecht. ich träume viel, wache immer wieder auf und schlafe nicht wieder ein und um fünf uhr früh bin ich hellwach und todmüde zugleich. vielleicht liegt es daran, dass ich zu unregelmäßigen zeiten ins bett gehe. das ist ungesund, der mensch braucht einen schlaf-wach-rhythmus. wer keinen rhythmus hat, braucht sich nicht zu wundern, weder über schlechten schlaf noch über schlechte gesundheit. körper, geist und seele verlangen nach regelmäßigkeit. ich sollte mir das zu herzen nehmen, in meinem alter. langsam machen und gut für mich sorgen und das regelmäßig. regeln müssen her, regelnde regelmäßigkeiten, befindet mein erwachsenenich.

regeln? höhnt meine rebellische seite. du hast doch noch nie regeln befolgt. darum ist ja auch so einiges aus dem ruder gelaufen, meine liebe, meldet sich mein erwachsenenich. da ist was dran, muss meine rebellische seite zugeben, wenn auch ungern. also, du wirst ab heute regelmäßigkeit einführen, damit du noch ein paar jährchen hinter dich bringst, wäre doch schade um dich, meint mein erwachsenenich. die rebellion schweigt und denkt nach. das bedeutet disziplin, kommt es ihr nach einer weile, und die findet sie langweilig. mein erwachsenenich ist da anderer meinung. du brauchst deinen schlaf, wer zu lange schlafprobleme hat, wird sie nicht mehr los. das schleift sich ein, das manifestiert sich,
das macht krank. das führt zu tagesmüdigkeit, reizbarkeit, konzentrationsstörungen, deine leistungsfähigkeit nimmt ab, du bekommst magenprobleme, im zweifel herz- und kreislauferkrankungen, dein immunsystem wird geschwächt, ganz zu schweigen von den vorzeitigen alterserscheinungen und einer verringerten lebenserwartung, die so eine  dauerhafte insomnia mit sich bringt. oha, das hört sich gar nicht gut an, schluckt mein erwachsenenich, die unfrohe botschaft. und dann, mit erhobenem zeigefinger: also schaff ab sofort regelmäßigkeit und das heißt, dass du immer zur selben zeit ins bett gehst und aufstehst. na, dann wird das mit der alten noch langweiliger als es eh schon ist, denkt die rebellion und zieht sich schmollend zurück.

ich denke nach, denke, dass das sinn macht mit der disziplin und der regelmäßigkeit und dann wieder doch nicht, weil mein nichtschlafenkönnen damit nicht auschließlich zu tun hat. ich habe sorgen und das gedankenkarussell lässt sich nicht um des schlafes willen abstellen. außerdem, werde ich alt. das ist eine nicht zu leugnende tatsache, das altern ändert so manches in körper, geist und seele. da greifen die alten mechanismen nicht mehr, meine liebe rebellion, sage ich und dass ich deshalb auch vieles an sorgen nicht mehr so leicht wegstecke wie früher. im altern tritt etwas neues in unser leben und wir werden dünnhäutiger. ich vermute, dieses neue tritt seite an seite mit den sorgen auch nachts in mein leben, und das gesamtpaket lässt sich nicht wegschlafen.

es ist die unterwelt, die sich meldet im dunkel der nacht.
hm, wer sagt das jetzt eigentlich? ich vermute die erwachsene in mir. die rebellion will so etwas gar nicht denken. unterwelt, so ein blödsinn, hier oben spielen die musik und das leben. sie schmollt weiter.

ja, aber da unten landet das leben, und zwar das, was du am tag zu verdrängen suchst, weil es dich am funktionieren hindert. und da unten da klingt sie aus, die musik. das weiß mein unterbewusstsein und weil es klüger ist als ich, bereitet es mich langsam, ganz langsam, nacht für nacht auf den ausklang vor. die nacht ist nicht nur dazu da, schlaf zu finden, sie ist auch dazu da, uns selbst zu finden und das, was dieses selbst nicht ist. es ist die nacht, die uns in das reich der schatten führt, zu den schatten des ungelebten lebens in uns, zu dem was wir tun, weil wir es zu tun glauben müssen und es uns eigentlich überhaupt nicht entspricht. und zugleich hausen da unten die schatten des todes, die mich irgendwann einhüllen werden und dann ist es dunkel, sehr dunkel, so dunkel wie in morpheus armen und es wird nicht mehr hell. nie mehr. nicht umsonst heißt der tod schlafes bruder.

daran erinnern mich meine träume, die mich nachts besuchen, besonders die albträume, von denen ich aufwache, an meine schatten und ans abschied nehmen, dann, irgendwann und an das was nicht verwirklicht ist, wenn es dann soweit ist. ich muss zugeben, schwere themen lassen sich in der nacht besser anschauen als am hellichten tag. die schatten der nacht sorgen für ein umfassenderes begreifen gelebten lebens, sie erzählen mir über die, die ich bin, über die, die ich nicht bin, über die, die ich noch nicht bin und die, die irgendwann nicht mehr sein wird und vor allem erzählen sie mir von der, die noch immer in einem selbst steckt, das nicht ihr wahres ist.

da sind gedanken an das, was mich verfolgt, weil es nicht gelöst ist. da erscheinen bilder von menschen, die mich verletzt haben und bilder von menschen, die ich verletzt habe, da wird sie ganz groß die erinnerung. da melden sich schicksalsschläge, die ich nicht verdaut sind und schuldgefühle, die mich traurig und wütend zugleich machen. da erscheinen bilder von der, die in mir angelgt ist, von dem wunderbaren begabten, liebenswerten, kreativen, starken, mutigen kind, das in mir steckt und endlich spielen will und sich entfalten, anstatt das zu tun, was das angebliche leben von mir fordert oder irgendeines dieser glaubensmuster, denen ich noch immer nicht entkommen bin, mir einredet. jede zerreißprobe meines nächtlichen aufwachens verschafft mir zugang zu den schatten meiner unterwelt damit ich sie besser verstehen lerne, endlich mein wahres selbst erkenne, bevor es endgültig dunkle um mich wird, damit ich den den sinn begreife dessen was ist und war und frieden mache, damit ich, wenn mich die unterwelt endgültig holt, in frieden mitgehen kann.

das schaffst du nie, du und friedlich werden! springt die rebellion aus ihrem schmollwinkel hervor. ja, es ist möglich, dass mir meine schlaflosigkeit auch das zeigen will. mit regelmäßigkeit werde ich dagegen aber ganz sicher nichts ausrichten.

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