Samstag, 1. Januar 2011

Dreihundertfünfundsechzig Tage

Die Party, ein zusammengewürfelter Haufen verschiedenster Menschen. Große, Kleine, Alte, Junge, Paare, Singles, Kinder, zusammengekommen an einem Ort, am Ufer des Rheins um das alte Jahr zu verabschieden und das Neue willkommen zu heißen. Und alle haben etwas mitgebracht. Dreißig oder mehr Menschen, ich habe sie nicht gezählt, kommen mit Schüsseln und Platten voll mit Essen und platzieren sie auf dem großen Tisch. Der Pfarrer, der auch unter uns ist, sagt, wir haben zu Essen, und dass alles andere nur Beiwerk ist, im Leben und ich weiß, es ist wahr.

Auf dem Küchenherd köchelt die beste Gulaschsuppe der Welt, wie in jedem Jahr am Silvesterabend. Hier ist es gut, das ist vertraut, das ist ein Ort der Freundschaft, die Jahre überdauert hat. Musik, Wein, Essen und Gespräche. Gespräche zwischen denen, die sich gut kennen, denen, die sich neu kennen lernen und denen, die sich lange nicht gesehen haben.

An diesem letzen Abend im Jahr bin ich nicht allein. Ich habe meinen Lieblingsmenschen an meiner Seite und bin glücklich und dankbar. Noch vier Stunden bis Mitternacht. Erwartung liegt in der Luft. Und da ist noch etwas anderes: Der Abschied von dreihundertfünfundsechzig Tagen Leben wabert im Raum, Abschiednehmen von der Zeit, die unwiderbringlich gelebt ist. Haken wir es ab, sagt Einer, den ich nicht kenne, zu mir. Ist vorbei, kannst Du eh nichts mehr ändern, vergiss es! Als ob er mir ansieht, wie gern ich manches ändern würde, wie groß mein kindlicher, trotziger, unsinniger Wunsch ist, es ändern zu können.

Im Nachhinein sind wir immer klüger. Wir hätten manches anders gemacht, wenn wir gewusst hätten. Die Wahrheit ist eine andere, mächtiger als der unsinnige Wunsch, der kindliche Trotz. Die Wahrheit ist, dass wir nicht anders konnten, dass wir damals genau so gehandelt hat, wie wir es in diesem Damals konnten, mit bestem Wissen und Gewissen und all den Zweifeln, die da auch waren. Ja, abhaken, denke ich und dass er Recht hat, der Mann, den ich nicht kenne. Vergessen? Vergessen geht nicht. Einsicht ist möglich. Lernen aus den Fehlern, die gemacht wurden, ohne sie machen zu wollen.

Aber waren es dann wirklich Fehler? Oder waren es Handlungen aus dem Moment heraus, in dem man ein anderer war. Eben nicht so klug wie jetzt, am letzten Abend der dreihundertfünfundsechzig Tage.

Um zwölf Uhr, zwischen Korkenknallen und Neujahrswünschen, blicke ich in das Gesicht meines Lieblingsmenschen. Er ist da und ich bin da und das Mädchen ist da, das ihn liebt und das er liebt. Am Ende dieser dreihundertfünfundsechzig Tage habe ich zwei Lieblingsmenschen und am Liebsten möchte ich beide unter eine Glasglocke stellen um sie vor der Welt da draussen zu beschützen, wie es der kleine Prinz mit seiner Rose gemacht hat und dann denke ich, das wolltest du doch schon immer, diese Glasglocke über das Wertvollste stellen, dass du hast und vielleicht war das auch ein Fehler, denn unter der Glasglocke atmet es sich schlecht. Es ist eng, sehr eng darunter.

Und dann hake ich ihn ab, diesen Gedankenfehler und verspreche mir selbst, ihn nie mehr zu denken und Vertrauen zu üben, in das, was kommt. Meine beiden Lieblingsmenschen schießen eine Rakete für mich in den schwarzen Nachthimmel über dem Rheinufer, weil ich mich nicht traue sie selbst anzuzünden. Wünsch dir was, sagen sie, und ich schaue der Rakete nach, wie sie im Himmel explodiert und leuchtend goldene Sterne auf uns herunterfallen lässt, und ich wünsche mir in der neuen Nacht für die kommenden dreihundertfünfundsechzig Tage, dass ich es besser machen kann, dieses Mal.



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