Freitag, 30. Juli 2010

Der Mann

Er schaut mich an. Seine Augen leer, sein Mund ein schmaler Schlitz, die Worte kommen gepresst: "Wenn Du mit einer Frau schläfst gibst Du ein Versprechen, ein unausgesprochenes. Es ist wie ein Subtext. Wenn Du das nicht einlöst endet es im Schmerz. Wenn Du ein tumber Mann bist, dann ist es Dir entweder egal oder Du merkst es nicht.“ 

Er meint nicht ein auf ewig verpflichtendes Versprechen. Er meint, ein Versprechen im Sinne von Achtung, Vertrauen, Zuneigung, Gemeinsamem, einer Möglichkeit, dem Beginn von etwas, was auch immer Gearteten. Von einem Anfang vielleicht. Wie immer er aussehen mag. Nichts weiter.
"Ein tumber Mann, nimmt sich etwas für den Moment. Er reflektiert nicht über Folgen, weder im Moment des Nehmens, noch danach. Im Zweifel, wenn er nicht bewusst verletzen will, erschrickt er und dann folgt Verdrängung, wohl wissend, dass Verdrängung keinen Schmerz auslöscht beim Gegenüber, der Frau, die beteiligt war - auch nicht im eigenen Inneren. Ich weiß das", sagt er und trinkt Bier aus der Flasche. "Ich bin verheiratet. Sie hat es wohl falsch verstanden. Jetzt hasst sie mich. Ich weiche ihr seitdem aus." 

Ich kenne sie nicht, die Frau, die der Mann meint. Den Mann kenne ich gut.
Das Verdrängte sucht sich seinen Weg, immer. Manchmal wird es zu Angst. Der Mann hat Angst. Aus der Angst heraus handelt er nicht mehr. Angst lähmt. Auch das ist keine Entschuldigung. Zurückgelassenes, Ungelöstes holt uns immer ein, Verletzungen schmerzen, haben Folgen. Im Verletzten und für den, der verletzt hat. Im Verletzten folgt Trauer, dann Wut. Wut versus Angst, eine unheilige Allianz.
 
Aktion - Reaktion, das ist Leben. Aktionen haben Folgen, ob sie überlegt sind, oder einfach getan, ohne nachdenken. Auch ein Mord im Affekt hat Folgen. Der Mörder, wird er entdeckt, wird verurteilt, sein "ich wollte das nicht", ändert nichts am Geschehenen. Er muss die Konsequenzen tragen. Bedauern wirkt strafmildernd. Folgt es nicht, keine Milde. Aktion – Reaktion ...
"Ich war betrunken, glaub mir ich hätte es sonst vielleicht nicht getan. Ich weiß doch wie verletzt sie ist", sagt er. 

"Wir sind verantwortlich für das was wir tun, und für das was wir nicht tun." Laotse
Das Wissen um die potentielle Möglichkeit zu verletzen, einen Menschen zu verletzen, der bereits verletzt ist macht alles noch schlimmer. Wünsche, Sehnsüchte nach Nähe und „Gewollt sein“ zu kennen und sie auszunutzen machen das Geschehene noch verletzender. Es gibt kein: es war absichtslos. Wir haben immer Absichten.

Zu viele Verletzungen führen entweder zu Resignation, zu Ohnmacht, oder zum Antrieb zurückzuschlagen. Dieses Mal nicht mehr „Opfer“ und handlungsunfähig sein. Ende der Demütigung, den Ausgleich suchen und ihn schaffen. Hier ist die Grenze. Aktion – Reaktion...
Verzeihen ist irgendwann unmöglich, wenn da zu viel ist, was unverzeihlich ist. Vertrauen? Nicht möglich. Man vertraut keinem, der verletzt, der unfähig ist zu seinem Handeln zu stehen, zu feige die Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.

"Meine Ehe ist lange schon tot. Ich bleibe wegen der Kinder", sagt er und bestellt sich ein zweites Bier. "Sie versteht das nicht. Vielleicht war es ein Fehler ihr zu sagen, dass ich sie lieb habe. Aber es ist die Wahrheit. Ich wollte ihr so nah sein wie möglich. Sie hat es doch auch gewollt. Sie verachtet mich, ich weiß es." Er sieht an mir vorbei, trinkt.

Man achtet keinen, der sich freiwillig in den Käfig sperrt, der das Dunkel dem Licht vorzieht, die Stagnation der Entwicklung, die Trägheit der Bewegung, der Leben, wie es sein könnte, nicht mehr als Möglichkeit erkennt. Wir selbst sind es, die Geschenke von Möglichkeiten annehmen oder zurückweisen. Das sind Entscheidungen. Schwache entscheiden nicht, sie lassen entscheiden. Man vertraut keinem, der sich ertränkt in Süchten, weil Realität nicht aushaltbar ist bei klarem Bewusstsein. Man vertraut keinem, der lieber die bequeme Lüge lebt, weil er unfähig ist Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen – der sich tragen lässt, weil er zu schwach ist Eigenes zu tragen. Wer sich selbst nicht halten kann, kann keinen halten.
"Sie fehlt mir", sagt der Mann. Seine Augen wässrig vom Bier.

Feigheit ist verachtenswürdig. Was nützt eine Sehnsucht, die längst tot ist?
Zweifel töten Fantasie. Wo ist die Neugier? Was lässt man geschehen?
"Dabei glaube ich, dass sie mir gut tun würde. Sie ist so anders. Irgendwie stark, obwohl sie soviel erlebt hat, was nicht leicht war. Irgendwie dachte ich wir brauchen uns." Er dreht sich eine Zigarette. Seine Finger gelb von verbranntem Tabak." Ich weiß nicht wie es weiter geht. Jedenfalls, jetzt ist sie weg." Er trinkt sein Bier in großen Schlucken.

Wer einen Ertrinkenden retten will läuft Gefahr mit ihm zu versinken. Nicht oft, nicht immer wieder, aber manchmal ist er da, der Punkt, wo die Chance sich ergibt – verwirkt man sie gibt es keinen mehr, der einem heraushilft – man muss selber gehen! Zu viel von alledem, zu oft geschehen. Zerstörung zieht Zerstörung nach sich. Die dumpfe Gleichgültigkeit des Verletzenden wird zu Gleichgültigkeit des Verletzten – gleichgültig gegenüber dem, was die Folge ist – im Zweifel das Scheitern. Soll er untergehen, der, dem es gleichgültig ist was sein Handeln bewirkt.

Gleichgültigkeit ist das Ende aller Gefühle, nicht der Hass, Hass bedingt Liebe, Mitgefühl. Wir fühlen nicht mit dem, der uns nicht fühlt. So ist der Mensch angelegt.
Ich weiß nicht, ob der Mann das weiß.