Freitag, 20. September 2024

Kollektives Trauma - was kann der Einzelne zur Bewältigung beitragen?

 

                                                        Foto: Pixybay
 
 
Kriege, Wetterkatastrophen und Pandemien sind Ereignisse, die ein kollektives Trauma auslösen. Definiert wird ein kollektives Trauma als ein Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen, die das Sicherheitsgefühl einer oder mehrerer Gruppen von Menschen zerstört. Ein kollektives Trauma ist eine tiefe Erschütterung unseres Vertrauens in die Kontrollierbarkeit des Lebens. Ein Trauma bedeutet immer: maximalen Kontrollverlust. Auch wenn wir wissen, dass wir wenig Kontrolle über die Dinge haben, so nimmt das Trauma uns das Gefühl, sie zu überhaupt zu haben.
Ein kollektives Trauma hat individuelle Auswirkungen auf jeden Einzelnen in der Gemeinschaft. Es bedeutet Stress, Verunsicherung, Angst. Es führt zu Gefühlen von Kontrollverlust, Ohnmacht, Gefühlen der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, zu Ängsten, Grübeln, Schlafstörungen, erhöhter Wachsamkeit, Hypervigilianz, ständige innerer Unruhe, Scham – und Schuldgefühlen, und vor allen auch zu einer Veränderung wie Menschen die Welt sehen.
Das einst Vertraute ist erschüttert. Ein permanentes Gefühl von Verunsicherung, Orientierungslosigkeit und Haltlosigkeit kann sich einstellen. Die Erfahrung eines kollektiven Traumas zeigt uns, wie fragil die eigene Existenz ist. 
 
Wie nach jeder traumatischen Erfahrung kann es zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung kommen.
Folgen davon sind:
Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Depressionen, psychosomatische Störungen, körperliche Erkrankungen, Gefühl der Entfremdung, erhöhte Aggressivität, verringerte Impulskontrolle, Misstrauen, Desorientierung, sozialer Rückzug, Selbstisolation, Misstrauen anderen und dem Leben gegenüber, Angst vor weiteren Bedrohungen, Zukunftsangst.
Es kann zu Bewältigungsstrategien wie Alkohol- und Drogenmissbrauch kommen.
 
Die Auswirkungen eines kollektiven Traumas sind bei jedem von uns andere. Diese sind u.a. auch abhängig von der persönlichen Resilienz, dem eigenen Verhalten und dem Umgang mit dem traumatischen Ereignis im Moment des Geschehens und wie wir es empfunden haben, wie wir darauf reagiert und uns verhalten haben. Hier gilt der weise Satz von Dr. Gabor Maté: "Trauma ist nicht das, was mit dir passiert, sondern das, was in dir passiert."
"Ein Trauma ist eine psychische Wunde, die uns auf seelischer Ebene hart macht und in der Folge unsere Fähigkeit, zu wachsen und uns zu entwickeln, beeinträchtigt, konstatiert Dr. Gabor Maté weiter.
Ein kollektives Trauma hinterlässt eine unsichtbare kollektive Wunde. Diese Wunde wird über nachfolgende Generationen weitergegeben, wenn das Trauma nicht aufgearbeitet wird.
Aufarbeitung bedingt, das Trauma im kollektiven Kontext anzuerkennen und es aufzuarbeiten, anstatt es zu ignorieren, klein zu reden oder zu verdrängen. 
 
Was wenn das nicht geschieht?
Was können wir als Einzelne zur Traumabewältigung für das Ganze beitragen?
Als erstes den Satz: „Was kann ich schon tun?“, in unserem Denkapparat streichen. Jeder von uns kann etwas zur Bewältigung beitragen, indem er sich fragt, was die Auswirkungen des Traumas auf sich selbst sind. Wir können uns darüber klar werden, was das Ereignis mit uns gemacht hat.
Dazu gehört das Erforschen und Erkennen der eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen, während und nach dem traumatischen Ereignis.
Dazu gehört zu erkennen, welche Folgen uns belasten, z.B. in welcher Weise wir uns und unser Leben, unsere Beziehungen und unseren Alltag verändert haben.
Die bewusste Auseinandersetzung hilft uns unsere Rektionen zu verstehen und sie einzuordnen – das ist die Voraussetzung um den Genesungsprozess in Gang zu setzen.
Es hilft mit anderen darüber zu reden, zuzuhören, sich einander mitfühlend zuzuwenden, Verbundenheit herzustellen, auszusprechen, was man denkt und fühlt, Erfahrungen auszutauschenund sich, wenn wir spüren, dass wir die Verarbeitung alleine nicht bewältigen können, oder andere nicht zu Gesprächen bereit sind, professionelle Unterstützung zu holen um mit den Folgen umgehen zu lernen, die das Trauma in uns ausgelöst hat.
 
Die Verarbeitung ist für jedes Trauma von entscheidender Bedeutung, um unsere psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken und um Wachstum nach dem Trauma möglich zu machen. Das ist nur möglich, wenn wir in der Lage sind es zu integrieren. Nur ein integriertes Trauma kann zu dem führen, was wir postraumatisches Wachstum nennen.
Gelingt die Integration nicht, wird das kollektive Trauma mit seinen destruktiven Folgen aufrechterhalten. Es verändert nicht nur den Einzelnen in unheilsamer Weise, sondern das ganze Kollektiv und die, die nach uns kommen. 
 
An dieser Stelle möchte ich Euch, bei Interesse, dieses Buch empfehlen: Vom Mythos des Normalen: Wie unsere Gesellschaft uns krank macht und traumatisiert – Neue Wege zur Heilung von Dr. Gabor Maté
 
Angelika Wende

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