Samstag, 21. Dezember 2024
Wichteln
Donnerstag, 12. Dezember 2024
Hunger
"Die Gefahr liegt nicht darin, dass die Seele bezweifelt, dass sie Brot haben kann, sondern darin, dass sie sich selbst überzeugt, keinen Hunger zu haben", schreibt die Philosophin Simone Weil. Ein wahrer, ein trauriger, ein bitterer, ein alarmierender Satz.
Viele
Menschen reden sich ein, dass sie keinen Hunger haben, dass das Leben
eben ist wie es ist, hart, ein Kampf, lieblos, wenn sie nach all den
Verletzungen der Unliebe ihr Herz verschlossen haben. All die
gescheiterten Beziehungen, die unheilsamen Erfahrungen in der Liebe von
Kindesbeinen an und später im weiteren Leben, führen dazu, dass wir
irgendwann glauben, Liebe nicht verdient zu haben. Eine lange Zeit
bleibt die Sehnsucht danach, aber irgendwann macht die Seele dicht und
wir reden uns ein alleine besser dran zu sein. Wir
wollen nicht mehr scheitern, wir wollen nicht mehr bedürftig sein, denn
damit ist das Scheitern doch vorprogrammiert. Wir wollen nicht mehr an
den Enttäuschungen der Liebe leiden. Wir reden uns ein ohne eine
Liebesbeziehung besser dran zu sein, wenn auch nicht gut. Um uns zu
schützen, kappen wir die Verbindung zum eigenen Herzen und damit kappen
wir die Verbindung zu anderen Herzen. Wir
sind singuläre Menschen, die mehr und mehr beziehungsunwillig werden,
weil wir, wie die Erfahrung zeigt, doch beziehungsunfähig sind. Wir
verlieren den Glauben an die erotische Liebe oder wir werden spirituell
und wenden uns der allumfassenden Liebe zu, Agape, die uneigennützige
Liebe zum All-eins, nur nicht exklusiv zu der oder dem einen. Womit
wir aber auf dem Holzweg sind, denn die allumfassende Liebe schließt
alles ein, auch Liebesbeziehungen.
Ich
kann nicht alles lieben, wenn ich eine Form der Liebe ausschließe. Ich
kann nicht alles lieben, wenn ich die Selbstliebe ausschließe.
Wenn
wir, wie Weil schreibt, unsere Seele davon überzeugen, keinen Hunger
mehr zu haben, verhungern wir. Aber Hunger geht nicht weg, weil wir das
wollen. Hunger ist ein Gefühl im Bauch, das durch Nahrungsentzug
verursacht wird und mit dem starken Verlangen nach etwas zu essen
einhergeht.
Essen wir nicht, verhungern wir.
Lieben wir nicht, verhungert die Seele.
Die
Welt ist voll von nach Liebe hungrigen Seelen, die nebeneinander her
leben und sich gegenseitig nicht nähren können. Nicht einmal uns selbst
können wir nähren, wenn wir die Liebe aus unserem Leben verbannen, weil
wir glauben ihrer nicht würdig zu sein, weil wir Angst davor haben
wieder verletzt zu werden oder weil wir glauben nicht liebenswert zu
sein.
Wir könnten wieder lernen zu lieben und unser
Herz zu öffnen, zunächst für uns selbst. Die Selbstliebe öffnet das Herz
für alle anderen Wesen.
Dienstag, 10. Dezember 2024
Nur für heute
Montag, 9. Dezember 2024
Niemandsland
Foto: pixybay
Samstag, 7. Dezember 2024
Alle Jahre wieder - Einsam an Weihnachten
Foto: A.Wende
Alle Jahre wieder kommt das Christuskind.
Weihnachten naht und die Medien reproduzieren am laufenden Band idealisierte Bilder von Gemütlichkeit und Besinnlichkeit, von leuchtenden Kinderaugen und glücklichen Familien unter dem prachtvoll leuchtenden Weihnachtsbaum. Harmonie und Seligkeit pur, das ist das Bild von Weihnachten, das sich in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt hat. Dieses idealisierte Bild von Weihnachten wird uns bereits in der Kindheit suggeriert, die Realität sieht bei der Mehrzahl der Menschen anders aus, aber das blenden viele aus.
In den Geschäften, im Radio und auf den Weihnachtsmärkten dudelt Weihnachtsmusik in Dauerschleife. „Oh du fröhliche“, nicht für jeden, oder „Have yourself a merry little Christmas“, oder auch das nicht, dann nämlich, wenn Menschen an Weihnachten klar wird, wie allein oder wie einsam sie sind. Und das sind viele.
Laut einer Umfrage verbringen jährlich etwa 2,4 Millionen Menschen in Deutschland das Fest der Liebe alleine. Manche freiwillig, manche unfreiwillig. Manche haben damit kein Problem, andere leiden besonders an den Weihnachtsfeiertagen unter Gefühlen der Einsamkeit. Während anderswo Familien oder Paare ihr Weihnachtsfest vorbereiten packt sie schon im Vorfeld der Weihnachtsblues. Je näher das Fest der Liebe rückt, desto schmerzhafter wird der Gedanke, dass sie allein sein werden, ohne Liebe.
Weihnachten ist ein Fest, das emotional völlig überladen ist. Das liegt, wie gesagt, unter anderem daran, dass uns das idealisierte Bild von Weihnachten bereits in unserer Kindheit suggeriert wird.
Dabei war das Weihnachten der Kindheit für manche von uns oft alles andere als selig und fröhlich. Ich höre in meinen Sitzungen mit Menschen vieles über deren Kindheit und auch über deren Weihnachten in der Kindheit. Und vieles ist alles andere als selig, fröhlich und voller Liebe. Es gab Streit, es gab Dramen, es gab sogar Gewalt am Heiligen Abend. Ich selbst erinnere mich ungern an meine Kindheitsweihnachten, an denen der Vater, alle Jahre wieder betrunken, erst sentimental, dann aggressiv wurde und wir Kinder voller Angst unter dem prachtvoll geschmückten Baum saßen und hofften: Möge der Abend vorüber gehen. Nichts mit: Stille Nacht heilige Nacht. Gruselige Nacht.
Weihnachten ist ein Fest, das bei manchen von uns nicht nur mit schönen Gefühlen einhergeht. Weihnachten lässt auch bedrückende Gefühle aufkommen, alte und neue.
Verluste werden schmerzhaft gespürt, Erinnerungen an bessere Zeiten werden wach, Melancholie und Trauer schleichen sich ins Herz und machen Knoten im Magen und eben auch Gefühle von Einsamkeit werden ganz groß. Neulich sagte eine Klientin zu mir, sie habe regelrecht Panik, wenn sie an die einsamen Weihnachtsfeiertage denkt. Wir haben eine Lösung für sie gefunden, sie verbringt Weihnachten in einem Wellesshotel. Diesen Luxus kann sich aber nicht jeder leisten und manch einer mag auch an Weihnachten nicht allein im Hotel sein.
Wer an Weihnachten einsam ist, ist es meist auch an anderen Tagen im Jahr. Und ich rede nicht von Alleinsein, sondern von diesem schmerzhaften Gefühl der Einsamkeit, dieser existenziellen Einsamkeit, die Menschen auch in einer Beziehung oder in Gesellschaft anderer empfinden und die sich dann im Alleinsein noch verstärkt.
Eine Melange, die in der Tat schwer aushaltbar ist.
Eine Umfrage der Partnervermittlung ElitePartner ergab, dass sich jeder dritte Single in der Weihnachtszeit melancholisch oder einsam fühlt. Und darunter sind nicht nur ältere und alte Menschen, sondern auch junge, beruflich erfolgreiche. Was sie alle gemeinsam haben: Es fehlt an erfüllenden sozialen Bindungen. Die Gründe dafür sind verschieden, die Auswirkungen gleichen sich: Ohne tiefe vertrauensvolle Bindungen fühlen Menschen sich innerlich einsam. Und es werden immer mehr.
Wie umgehen mit der Einsamkeit an Weihnachten?
Die ernüchternde Antwort lautet: Es gibt kein Patentrezept um die Einsamkeit zu erlösen und auch eine Therapie macht aus einem Einsamen keinen sozial verbundenen Menschen. Was einsame Menschen brauchen kann man nicht hintherapieren.
Einsamkeit hat viele Ursachen, die zum Teil in uns selbst liegen können, zum Teil aber auch an den äußeren Umständen. Was zur Vereinsamung geführt hat ist oft tief in uns verwurzelt. Eine schnelle, für alle passende Lösung, gibt es nicht. Da helfen banale Tipps wie: Gehen sie in einen Verein, in einen Volksschulkurs, suchen sie Kontakt, nichts. Es geht nicht um beliebige Kontakte, es geht um erfüllende Resonanz auf emotionaler und geistiger Ebene, um tiefe Bindung und diese findet sich nicht automatisch indem man unter Menschen geht.
Wie also damit umgehen, jetzt an Weihnachten, wenn die Einsamkeit noch schmerzhafter spürbar ist als an anderen Tagen?
Ein Patentrezept habe ich leider nicht, aber ein paar Gedanken dazu:
Verabschiede dich von dem idealisierten Bild von Weihnachten und wie es aussehen sollte. Es ist okay dich einsam und traurig zu fühlen. Du darfst traurig sein. Du darfst vermissen, was dir fehlt.
Du musst kein Weihnachten feiern, keinen Christbaum aufstellen, keine Weihnachtslieder hören und kein Festessen zubereiten. Du kannst Selbsthilferatschläge wie: Mach es dir schön, verwöhn dich selbst, mach dir ein tolles Geschenk, in die Tonne hauen, wenn dir absolut nicht danach ist.
Du darfst dich mal richtig ausschlafen, rumgammeln, dich den ganzen Tag aufs Sofa legen, eine Pizza, anstatt der Weihnachtsgans in den Ofen schieben, ein gutes Buch lesen, deinen Lieblingspodcast hören oder endlos deine Lieblingsserie gucken bis dir die Augen zufallen.
Du kannst die Wohnung ausmisten, Ballast entsorgen, eine Wand farbig streichen, endlich mal die Fenster putzen, den PC aufräumen, gründlich Putzen, die Steuererklärung machen. Lass dir von niemandem sagen, wie dein Weihnachtsfest aussehen soll.
Sei liebevoll zu dir selbst, wenn du es kannst und wenn du es nicht kannst, hab Mitgefühl mit dir selbst, dass du es gerade nicht kannst. Du musst nichts tun, was krampfhaft schöne Weihnachten herstellt. Hör auf gegen deine wahren Gefühle anzukämpfen.
Nimm dich selbst ernst.
Mach dir bewusst: Alles, alles geht vorüber, auch die Weihnachtsfeiertage.
Und - alles kann sich zum Besseren wandeln.
This Christmas ist nicht Next Christmas.
Vielleicht hilft dir der Gedanke, du bist nicht allein mit deinen Gefühlen. Viele Menschen fühlen sich jetzt einsam wie du.
Und du könntest dich fragen: Was ist eigentlich Weihnachten?
Es ist der Tag von Christi Geburt, um nichts anderes geht es. Da wurde in einem Stall in Bethlehem Einer geboren, der zeigte, was ein Mensch sein könnte.
Und es geht um die Hoffnung, dass in dunklen Zeiten das Licht zurückkommt.
It is through the cracks where the light comes in.
„Ring the
bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in.“
Leonard Cohen, Athem
Montag, 2. Dezember 2024
Aus der Praxis: Vom Opfer zum Gestalter
Sonntag, 1. Dezember 2024
Alleinsein, allein leben
Alleinsein – all einsein, heißt im Einklang mit uns selbst zu sein, mit uns selbst und mit dem Ganzen gefühlt in Kontakt und verbunden zu sein. Alleinsein bedeutet nicht einsam sein, das zu unterscheiden ist wichtig. Einsam sein kann man auch unter Menschen und in einer intimen Beziehung. Einsamkeit ist schmerzhaft. Sie ist ein Zustand, der nie selbst gewählt ist. Das Gefühl von Einsamkeit wird durch ein emotionales Defizit ausgelöst. Alleinsein bedeutet für sich sein, physisch allein zu sein, also keinen anderen Menschen in unserer Nähe zu haben. Allein zu sein und allein zu leben bedeutet viel Zeit mit uns alleine zu verbringen, alleine Dinge zu tun, alleine unseren Alltag zu meistern, in allen Lebensbereichen alleine für uns zu sorgen, abends in eine leere Wohnung zu kommen und morgens alleine aufzustehen, oft auch an den Wochenenden allein zu sein, Dinge alleine zu tun, niemand zu haben, der da ist, weil Freunde und Familie keine Zeit haben oder weit weg wohnen. Allein leben bedeutet, dass, wenn wir krank sind, niemand da ist, der uns umsorgt.
Allein leben ist eine Herausforderung, vor allem dann, wenn wir es nicht gewohnt sind oder es uns anders wünschen. Es gibt Menschen, die Angst vor dem Alleinsein haben. Für sie ist die Vorstellung alleine zu leben schwer auszuhalten. Sie bekommen schon beim Gedanken daran ein beklemmendes Gefühl. Alleinsein ist für sie mit einer diffusen oder einer konkreten Angst besetzt. Sie sind unfähig das Alleinsein zu genießen und vermeiden es um jeden Preis. Viele Menschen bleiben aus Angst vor dem Alleinsein sogar in unheilsamen Beziehungen. Wer nicht allein sein kann ist abhängig von anderen. Diese Abhängigkeit erzeugt wiederum eine diffuse Unsicherheit. Verlieren diese Menschen wovon sie abhängig sind, ist da eine große Leere. Sie wissen nicht wohin mit sich, nichts mit sich selbst anzufangen, sie fühlen sich lost oder einsam. Manche Menschen haben so starke Angst vor dem Alleinsein, dass diese Angst zu Panikattacken und anderen seelischen Problemen führen kann. Dann spricht man von einer Autophobie.
Die Angst vorm Alleinsein hat Gründe. Meist liegen diese in der Kindheit. Man nimmt an, dass frühe Erfahrungen von Verlusten und Trennungen zu dieser Angst beitragen. Betroffene befürchten eine Wiederholung dieser traumatischen Erlebnisse und wollen diese Erfahrung um jeden Preis vermeiden. Wer Alleinsein als bedrohlich und schmerzhaft empfindet, ist gut beraten, sich professionelle Hilfe zu suchen um mit der Angst umgehen zu lernen. Dabei geht es nicht darum die vollständige Abwesenheit der Angst zu erreichen, Ängste sind hartnäckig, sondern um die Kontrolle über die Furchtreaktion, wodurch sie auf einem subjektiv erträglichen Intensitätsniveau gehalten werden kann und die angstbesetzte Situation nicht mehr vermieden werden muss. Wie bei allen Ängsten gilt auch bei der Angst vorm Alleinsein: Damit wir mit der Angst arbeiten können, müssen wir uns der Angst stellen und dann durch sie hindurchgehen. Wenn wir dagegen ankämpfen, wird sie nur stärker. Je mehr wir versuchen, Angst zu vermeiden, desto intensiver fühlen wir sie. Jedes Mal, wenn wir es schaffen die Angst auszuhalten, wird sie beim nächsten Mal weniger intensiv. Jedes Gefühl, auch Angst, verändert sich, aber dazu müssen wir uns mit Situationen konfrontieren, in denen wir das Gefühl fühlen.
Aber auch das klappt nicht immer und nicht bei jedem. Damit eine neue Wahrnehmung entsteht, müssen wir ein neues Gefühl entwickeln um die Angst auflösen und transformieren zu können. Eine Möglichkeit ist: Wir gehen in die Angst hinein und versuchen in der Angst eine neue Emotion wahrzunehmen. Konkret bedeutet das: Wenn wir Angst vorm Alleinsein haben, sorgen wir dafür gedanklich bewusst in einen positiven Zustand zu kommen, der ein positives Gefühl auslöst.
Es ist hilfreich sich immer wieder zu sagen: Ich alleine mit mir selbst bin frei, ich bin für mich da, ich sorge gut für mich, ich bin in guter Gesellschaft, ich genieße die Ruhe und die Stille. Ich bin dankbar mit mir selbst in Kontakt zu sein. Ich bin nicht allein, ich bin immer für mich da. Diese Worte können helfen ein positiveres Gefühl zu empfinden. Unser Gehirn kann das Gefühl speichern, indem wir diese Gedanken wiederholen. Wir überschreiben alte Annahmen mit neuen Annahmen. Eine weitere Möglichkeit mit der Angst vor dem Alleinsein angemessen umzugehen ist, sich zunächst einmal zuzugestehen, dass man Angst hat. Besonders Menschen, die noch nie alleine gelebt haben fühlen sich am Anfang lost. Das ist normal. Sie müssen ja erst lernen mit der neuen Situation umzugehen und sich ihr langsam anzupassen. Es hilft, sich zu sagen: Dieses Gefühl wird nicht für immer bleiben. Ich habe schon andere schwierige Situationen gemeistert, das schaffe ich auch. Es gibt vieles, was wir für sich selbst tun können, um die Angst zu reduzieren. Schon alltägliche, kleine Dinge, die wir gerne tun oder Dinge an denen wir uns erfreuen, Beschäftigungen, die usn erfüllen, können dazu führen, dass wir uns weniger ängstlich fühlen.
Was kann ich jetzt für mich alleine tun, um mich besser zu fühlen? Was macht mich glücklich? Was macht einen Tag zu einem guten Tag? Bei welcher Tätigkeit vergesse ich die Zeit? Was kann ich für mich tun, was mir jetzt gut tut?
Fragen wie diese sind unterstützend um uns, anstatt auf die Angst, auf einen kreativen Umgang mit dem Alleinsein zu fokussieren. Entscheidend aber ist, um die Angst vor dem Alleinsein zu überwinden, dass man mit sich selbst im Reinen und mit sich selbst zufrieden ist. Alleine sein und alleine leben ist eine Kunst. Die Kunst des Alleinseins ist wie jede Kunst erlernbar. Zugegeben, das ist für Menschen, die Angst davor haben, keine leichte Übung. Es erfordert Geduld, Kontinuität und aktives Tun um die Angst nach und nach zu transformieren. Es lohnt sich, denn wer angstfrei mit sich alleine leben kann, wer mit sich selbst in guter Gesellschaft ist, braucht niemanden um seine Gefühle zu regulieren, sich seine Zeit vertreiben zu lassen und um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Er ist selbstbestimmt und emotional nicht von anderen abhängig. Er ist sich selbst genug und damit selbstabhängig, was nicht bedeutet, wenn ihm die Liebe begegnet, dass er sich ihr nicht zuwendet - um zu lieben, nicht um zu brauchen oder um gebraucht zu werden.
Sonntag, 17. November 2024
Wo ist die Liebe?
„Wo soll sie dann hin, die Liebe, wenn sie nicht gedeihen kann?“, fragte mich gestern ein Freund. Das ist eine tiefgründige und traurig machende Frage zugleich. Ja, wohin mit der Liebe, wenn sie nicht gedeihen kann? Anders formuliert, wohin mit der Liebe, wenn es keinen Ort gibt an dem sie gedeihen kann? Wenn es keinen Empfänger gibt, der sie nehmen will? Keinen Platz, an dem sie sich entfalten und lebendig sein kann, so dass sie fühlbar wird in uns, die wir sie hineingeben, in ein Subjekt oder ein Objekt. Picasso sagte einmal sinngemäß: „Wenn ich keine Menschen um mich hätte, würde ich einen Türknopf lieben oder einen Nachttopf, irgendwas.“
Krasse Aussage. Wie kann man einen Türknopf lieben, könnte man sich fragen? Man kann auch einen Nachttopf lieben, würde ich sagen, in Übereinstimmung mit Picasso. Es geht hier nicht um den Nachttopf und es geht nicht um den Türknopf – es geht allein darum liebevolle Resonanz zu empfinden zu etwas, egal was es ist. Liebe braucht Resonanz. Ohne Resonanz verkümmert sie. Aber es muss nicht immer diese eine Liebe sein, die wir jemanden entgegenbringen, auch wenn viele genau das verstehen und meinen, wenn sie von Liebe sprechen. Liebe ist weit mehr. Liebe ist zunächst in uns selbst. Nur weil sie in uns selbst ist, kann sie überhaupt nach Resonanz verlangen und in Resonanz gehen. Aber viele Menschen spüren diese Liebe in sich selbst nicht oder sie haben keinen Zugang zu ihr. Da muss erst jemand kommen um sie aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken. Ist da niemand, der die Liebe erweckt, wird sie nicht gefühlt oder sie wird gefühlt und weiß nicht wohin mit sich und dann wird sie ganz traurig und einsam und wir haben das Gefühl es gibt sie nicht für uns. „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, heißt ein Buch von Carson McCullers. Es „jagt“ nach Liebe. Nach dem einen, der uns liebt, damit unsere Liebe andocken kann, damit sie weiß, wo sie gedeihen kann. Gibt es diesen Ort des Gedeihens nicht, weiß sie nicht, wohin mit sich. Das kann sehr einsam machen. Nicht nur allein, sondern zutiefst einsam innen, weil es unerfüllt ist, das Verlangen gehört, gesehen, berührt zu werden.
In dieser lieblosen Einsamkeit fehlt der eine Mensch, dem wir uns nah und verbunden fühlen. Unsere Intimitätsbedürfnisse bleiben resonanzlos, unsere emotionalen Erfahrungen sind nicht mitteilbar, nichts kann geteilt werden – wir sind singuläre Menschen, ohne erfüllenden Kontakt, ohne Nähe, auf uns selbst reduziert. "Monaden, die keine Fenster haben, durch die etwas ein- oder austreten könnte", wie es Gottfried Wilhelm Leibniz sinngemäß beschreibt. Dann vielleicht doch den Türknopf lieben. Lieben was da ist. Der Türknopf als Metapher für all das, was es zu lieben gibt. Uns selbst, die wunderschöne Erde auf der wir leben dürfen, die Dinge, die wir lieben, die Tätigkeiten, die wir lieben, die uns in den Flow versetzen und uns Glück empfinden lassen, Augenblicksglück liebevoller Momente. Die Liebe zum Wahren, Guten und Schönen, das es trotz allem Unheilsamen auf der Welt gibt, diese Trias, wenn wir sie sehen können. Wir können sie gedeihen lassen, wir selbst, indem wir das Wahre, das Gute und das Schöne in uns fühlen, es erkennen, uns ihm öffnen, in Resonanz damit gehen. Dazu brauchen wir keinen anderen Ort als unser Herz und unsere Sinne. „Die Liebe ist in allen Dingen gleichsam die Seele und das Auge. In dieser Liebe schließt sich der Lauf der Welt. Liebe ist die volle Wirklichkeit des Guten", schreibt Hildegard von Bingen. Besser kann man es nicht ausdrücken.
Montag, 21. Oktober 2024
Dem Sinnlosen Sinn geben
Foto: A.Wende
Freitag, 18. Oktober 2024
Alleinsein ist kein Zwischenzustand
Montag, 14. Oktober 2024
Projektion