Donnerstag, 12. Dezember 2024

Hunger

                                                                        Foto: pixybay

"Die Gefahr liegt nicht darin, dass die Seele bezweifelt, dass sie Brot haben kann, sondern darin, dass sie sich selbst überzeugt, keinen Hunger zu haben", schreibt die Philosophin Simone Weil. Ein wahrer, ein trauriger, ein bitterer, ein alarmierender Satz. 

Viele Menschen reden sich ein, dass sie keinen Hunger haben, dass das Leben eben ist wie es ist, hart, ein Kampf, lieblos, wenn sie nach all den Verletzungen der Unliebe ihr Herz verschlossen haben. All die gescheiterten Beziehungen, die unheilsamen Erfahrungen in der Liebe von Kindesbeinen an und später im weiteren Leben, führen dazu, dass wir irgendwann glauben, Liebe nicht verdient zu haben. Eine lange Zeit bleibt die Sehnsucht danach, aber irgendwann macht die Seele dicht und wir reden uns ein alleine besser dran zu sein. Wir wollen nicht mehr scheitern, wir wollen nicht mehr bedürftig sein, denn damit ist das Scheitern doch vorprogrammiert. Wir wollen nicht mehr an den Enttäuschungen der Liebe leiden. Wir reden uns ein ohne eine Liebesbeziehung besser dran zu sein, wenn auch nicht gut. Um uns zu schützen, kappen wir die Verbindung zum eigenen Herzen und damit kappen wir die Verbindung zu anderen Herzen. Wir sind singuläre Menschen, die mehr und mehr beziehungsunwillig werden, weil wir, wie die Erfahrung zeigt, doch beziehungsunfähig sind. Wir verlieren den Glauben an die erotische Liebe oder wir werden spirituell und wenden uns der allumfassenden Liebe zu, Agape, die uneigennützige Liebe zum All-eins, nur nicht exklusiv zu der oder dem einen. Womit wir aber auf dem Holzweg sind, denn die allumfassende Liebe schließt alles ein, auch Liebesbeziehungen.

Ich kann nicht alles lieben, wenn ich eine Form der Liebe ausschließe. Ich kann nicht alles lieben, wenn ich die Selbstliebe ausschließe.

Wenn wir, wie Weil schreibt, unsere Seele davon überzeugen, keinen Hunger mehr zu haben, verhungern wir. Aber Hunger geht nicht weg, weil wir das wollen. Hunger ist ein Gefühl im Bauch, das durch Nahrungsentzug verursacht wird und mit dem starken Verlangen nach etwas zu essen einhergeht.
Essen wir nicht, verhungern wir.
Lieben wir nicht, verhungert die Seele.
Die Welt ist voll von nach Liebe hungrigen Seelen, die nebeneinander her leben und sich gegenseitig nicht nähren können. Nicht einmal uns selbst können wir nähren, wenn wir die Liebe aus unserem Leben verbannen, weil wir glauben ihrer nicht würdig zu sein, weil wir Angst davor haben wieder verletzt zu werden oder weil wir glauben nicht liebenswert zu sein.
Wir könnten wieder lernen zu lieben und unser Herz zu öffnen, zunächst für uns selbst. Die Selbstliebe öffnet das Herz für alle anderen Wesen.

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