Sonntag, 2. September 2018

Einsamkeit führt zu uns selbst



 
Ich sage meinen Klienten oft: Alles hat einen Sinn. Das klingt banal und ist schwer anzunehmen, wenn es einem gerade so richtig mies geht. Aber es ist für mich kein Geschwafel, es entspringt meiner Lebenserfahrung und meiner Haltung dem Leben gegenüber. Ich bin oft durch meine persönliche Hölle gegangen und fühlte mich dabei innerlich so einsam und verlassen, dass ich das Gefühl hatte, ich bin der einzige Mensch auf dem Planeten. Da war niemand, der mir Halt gab, niemand, der mir zuhörte und sagte: Du schaffst das! Die, auf die ich glaubte zählen zu können, waren in jenen Zeiten nicht da. Heute weiß ich, die Einsamkeit hat mich zu mir selbst geführt. Durch die Gefühle die sie mit sich brachte und die ich aushalten lernte, bin ich innerlich gewachsen.  
 
Alleinsein, von allen verlassen sein, ist bitter. Da kommt es dann hoch, das Gefühl der Einsamkeit, das sich anfühlt, als würde es einen innerlich zerreißen.  
Wer es kennt, weiß, wie viel Angst es machen kann, und am größten ist die Angst, dass es immer so bleiben könnte. Ich habe diesen Zustand einmal als große Ungerechtigkeit empfunden, aber ich weiß heute, und zwar genau deshalb weil ich allein war und es immer wieder bin, ich bin mehr als meine gefühlte Einsamkeit. Ich bin mehr als meine gedachten oder gefühlten Grenzen und vor allem, ich bin mehr als das Bild, das ich in jungen Jahren von mir selbst hatte. Dieses Bild ist Vergangenheit. Ich hadere nicht mehr damit, dass manche meiner Träume sich nicht erfüllt haben, ich weiß heute, dass das Leben etwas anderes mit mir vor hatte als mein Ego. Dieses Ego brauchte genau diese unguten Zustände und Erfahrungen um das zu lernen und zu begreifen. Es brauchte die Verluste, die Angst, die Ohnmacht, die Hilflosigkeit, die Wut und die Enttäuschung und es brauchte dafür die Zeiten der Einsamkeit. 

In der Einsamkeit kommen alle Gefühle nach Oben, die wir sonst nicht so spüren.  
Das sind zutiefst menschliche Gefühle. Jeder kennt sie in mehr oder weniger großer Feldstärke. Bei mir war diese Feldstärke oft gewaltig, aber genau diese Intensität hat mich geformt und mir beigebracht, dass das auch das Leben ist und nicht etwas, das es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Es geht sowieso nicht. Es gibt kein dauerhaftes Glücklichsein. Es ist wie es ist und es kommt wie es kommt. Wir können nicht alles kontrollieren, auch wenn wir das noch so gerne täten. Wir können nicht immer wählen wie es kommt, aber wir können wählen wie wir damit umgehen wie es ist. Wir können uns dagegen wehren und Widerstand leisten wie ein Kind, das sich auf den Boden legt und schreit: Ich will das aber nicht, oder wir können es annehmen und sagen: So beschissen das auch gerade ist, jetzt ist das ein Teil meines Lebens. Ich schaue was ich daraus machen und lernen kann. 

Wenn wir fähig sind zu akzeptieren was ist, wenn wir den inneren Widerstand aufgeben verändert sich viel. Diese Veränderung hilft uns über die eigenen Grenzen zu gehen, auch wenn es schwer ist und wir glauben, dass wir es nicht schaffen. 
Ich habe es geschafft mit einigen Blessuren und einigen verloren gegangenen Illusionen über das Leben, die Liebe und die Menschen. Es verbittert mich nicht. Es macht mich bisweilen traurig, weil ich mich selbst getäuscht habe und auch das ist okay. Ich glaube an das Gute im Menschen ebenso wie an das Schlechte im Menschen. Da ist immer beides. Ich trenne es nicht mehr. In jedem von uns liegen beide Möglichkeiten nah beieinander, so wie in jedem von uns die Möglichkeit liegt, das Gute und das Schlechte auszuleben, zur einen und zur anderen Seite hin. Wir können wählen und zwar innerhalb der Möglichkeiten. Das ist nicht leicht, eben weil das Leben nicht leicht ist. Manche Menschen werden bitter, weil sie ihr Leben als ungerecht empfinden, manche beklagen sich ohne Unterlass, dass sie nicht bekommen, was sie so sehr wollen, manche ertränken ihre Enttäuschung und ihre Wut über ihr scheinbar verkorkstes Leben in Alkohol, manche machen andere für ihr Schicksal verantwortlich und manche sagen ja zum Leben, ganz gleich, was es ihnen vor die Füße legt. Sie heben es auf und machen das Beste daraus. Sie gestalten im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
 
Wir selbst wählen, wie sie mit dem Schweren umgehen und zwar aus unseren Möglichkeiten heraus, den Möglichkeiten, die uns  ihnen angelegt sind und aus dem Bild heraus, das wir von sich selbst haben und von dem Entwicklungsstadium aus, indem wir uns  gerade befinden.  
Probleme und Krisen im Leben entstehen dadurch, dass wir etwas nicht gelernt haben oder etwas Falsches gelernt haben. Das ist kein Drama und dafür können wir nichts. Wir sind nicht unfähig oder kaputt, wir haben nur etwas nicht oder falsch gelernt. Und das bedeutet: Wir müssen an manchen Punkten unseres Lebens dazulernen oder umlernen oder wir müssen etwas vollkommen Neues lernen. Dazu sind Krisen auch da. Dazu ist Einsamkeit da. Denn wenn wir einsam sind, auch wenn es nur gefühlt ist, dann wirft uns das Leben auf uns selbst zurück. Es schenkt uns diesen sich so leer anfühlenden Raum um ihn zu füllen: Mit neuen Erfahrungen die wir nur alleine machen können. Lernen bedeutet nichts anderes als die Veränderung unseres gewohnten Verhaltens durch neue Erfahrungen. Wenn ich aber das tue, was ich immer tue und immer getan habe, kommt dabei heraus, was immer dabei heraus kam. Das müssen wir erst einmal begreifen. Und das bedeutet das Gewohnte anzuschauen und es daraufhin zu überprüfen, ob es für das, was gerade ist, hilfreich ist oder nicht. 

Manchmal müssen wir neu denken lernen und das bedeutet Neues in unser Leben zu lassen und das ist erst dann möglich, wenn wir bereit sind das Alte zu verabschieden, auch wenn es schmerzt und es bedeutet uns eine Zeit lang einsam zu fühlen.
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4 Kommentare:

  1. Ja, ich kenne es, stecke gerade wieder tief drin. Kommt also (wieder mal) zum passenden Zeitpunkt, diese Artikel.
    Danke!

    LG,
    DiPi

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  2. Einfach mal einen Schritt zurück zu treten und die Situation erst mal so sein zu lassen wie sie ist. Ohne sie als gut oder schlecht zu bewerten. Ich merke das hilft mir in solchen Situationen. Ich muss nicht sofort hektisch aktiv werden um irgendetwas zu verändern, was dann vielleicht auch nicht besser ist. Ich darf es so sein lassen und die Gefühle, die da hochkommen, einfach auch mal aushalten. Denn ist mein Leben. Keiner kann mein Leben leben ausser mir.
    Aber ich gestehe, es ist schwierig. Ich vermute, es wird meine lebenslange Übung. Ich mache kleine Fortschritte, sehr kleine. Aber ich bin für jeden kleinen Schritt und kleinen Aha-Moment dankbar. Denn auch ich glaube tief in mir, dass es einen höheren Plan gibt und dass alles seinen Sinn hat.
    Das Hadern kommt trotzdem immer hoch. Ich denke, das ist dieser Widerstand von dem Sie sprechen.
    Ich übe und habe damit meine Gedanken verändert im Gegensatz zu früher, in dem ich alles sofort als schlecht oder gut bewertet habe. Das ist zumindest ein Anfang. :)

    LG und vielen Dank, Susi.

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  3. ...das ist ein sehr guter Weg!

    Alles Liebe!
    Angelika

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