Montag, 8. Juli 2013

Aus der Praxis - Ambivalenz oder der innere Kritiker



Der Ausdruck Ambivalenz wird in der Psychologie in einem sehr weiten Sinne verwendet. Freud übernahm den Ausdruck von Bleuler, der ihn geprägt hat. Bleuler nimmt Ambivalenz auf drei Gebieten an. Auf dem des Willlens – das Subjekt will z.B. zur gleichen Zeit etwas trinken und nicht trinken. Auf der des Verstandes – der Mensch äußert gleichzeitig eine Meinung und deren Gegenteil. Auf dem Gebiet der Emotionen -  man hasst und liebt in einer Regung die gleiche Person.

Zusammengefasst bedeutet Ambivalenz die gleichzeitige Anwesenheit entgegengesetzter Strebungen, Haltungen und Gefühle.

Der Ambivalenz zugrunde liegt in der Regel immer ein Abwehrkonflikt, indem miteinander unvereinbare Motive im Spiel sind, insofern dass das, was für ein System lustvoll ist, für ein anderes unlustvoll ist. Ambivalenz ist bei der Komplexität von Gefühlen, die uns als Mensch ausmachen, wird sie nicht zu einem uns beherrschenden Lebensgefühl, normal. 

Wir alle leben mehr oder weniger in inhärenten Widersprüchen, wir wissen oft nicht was wir wollen und manchmal wissen wir nicht einmal was wir wollen sollen.

Wenn wir von Haus aus ambivalent sind, neigen wir dazu das Eine und das Andere zu denken, das Eine und das Andere zu wollen, bisweilen sogar alles gleichzeitig. Wer zu sehr in der Ambivalenz gefangen ist, wird allerdings entscheidungslos. Wer entscheidungslos ist schwankt und das beständig.

Obgleich in diesem beständigen Schwanken aufgrund seiner persistierenden Beständigkeit, so etwas wie eine Form von Stabilität liegt, quasi ein Lebensgefühl des immer gleichen, bekannten Zustandes, an den man sich gewöhnt und der so als ein Gewohntes, Vertrautes einen gewissen Halt gibt, wo es in Wahrheit keinen gibt, ist dies ein äußerst fragiles und zermürbendes Lebensgefühl für uns selbst und andere. Es ist als lebe man in einer Art Schizophrenie, gefangenen in den ständig schwankenden Gedanken und Gefühlen wider sich selbst, dem Leben und den Menschen in diesem Leben.

Wenn wir immerzu ambivalent sind, sind wir nicht eins mit uns, nicht im Vertrauen, nicht im Fluss, wir leben in einem ständigen inneren Kampf, der nichts anderes ist als der Widerstand gegen unser unsicheres Selbst, das nie gelernt hat sich selbst zu vertrauen, aber es doch will.

Hirnforscher haben herausgefunden, dass bei Menschen mit geringem Selbstvertrauen der Mandelkern, die Gehirnregion, die man auch Angstzentrum nennt, besonders aktiv ist.  Diese Menschen wittern überall Gefahren, selbst dort, wo keine sind. Ein negatives Selbstbewusstsein, so die gängige Lehrmeinung, können Kinder bereits mit zweieinhalb Jahren entwickeln. Mit fünf ist die Ausbildung des Selbstwertgefühls größtenteils abgeschlossen – bis zum 20. Lebensjahr erfolgt nur noch die Feinabstimmung.

Ein geringes Selbstvertrauen ist uns nicht in die Wiege gelegt, es ist erworben, d.h. gelernt. Niemand kommt mit einem geringen Selbstvertrauen auf die Welt. Wenn wir uns nichts zutrauen, unsicher und gehemmt sind, dann deshalb, weil wir schon als Kind destruktive Erfahrungen gemacht haben, die in uns das Gefühl hinterlassen haben, dass mit uns etwas nicht stimmt, dass wir nicht ok sind, wie wir sind.

Diese Erfahrungen sind der Grund dafür, dass wir bis ins Erwachsenenalter eine Stimme in uns tragen, die nie ein gutes Wort für uns übrig hat. Wir leben mit einem inneren Kritiker, der unser Selbstwertgefühl ständig angreift und vernichten will, einem Fremden in uns, der uns auf eine subtile Weise beherrscht und nur ein Ziel hat - uns von unserem wahren Wesenskern abzuschneiden.

Die Stimme des inneren Kritikers klingt so laut, so unfehlbar, so mächtig und wahr, als käme sie direkt von Gott. Sie beeinflusst unsere Gefühle, unsere Gedanken und damit unsere Handlungen. Oft sind wir uns dieser Stimme nicht einmal bewusst. Aber bewusst oder unbewusst, sie schafft es uns zu fragmentieren und klein zu machen, wo und wann immer es geht. Der innere Kritiker ist so alt wie unser Bewusstsein über uns selbst, das sich in den ersten Lebensjahren gebildet hat.

Dieses Selbstbewusstsein wurde uns eingepflanzt von den ersten Menschen in unserem Leben, den Eltern, die uns unbewusst oder bewusst ständig auf unsere Schwächen aufmerksam gemacht und/oder uns mit vernichtenden Worten und abweisendem, lieblosen Verhalten bestraft haben, wenn wir nicht so waren, wie sie es von uns erwartet haben.

Nicht wir konnten entscheiden, wie wertvoll wir sind, andere haben für uns entschieden und damit die Basis gelegt, dafür wie wir uns mit uns und dem Leben fühlen, was wir über uns denken und was wir über uns und unser Leben glauben. Sie haben den Nährboden bereitet für die Ambivalenz, des nicht Wissens, was wir wirklich fühlen und fühlen dürfen, was wir wollen und wer wir sind.

Wissen wer man ist - dazu gehört vor allem sich selbst vertrauen und  "ja" zu sagen zu dem, was uns ausmacht. Dazu gehört auch – „ja“ sagen, zu jedem einzelnen Teil all der vielen Ichs, die in uns hausen. „Ja“ zu sagen auch zum inneren Kritiker und vor allem - ihn ausfindig zu machen, ihn zu identifizieren, ihm ein Gesicht zu geben, damit sein dubioses machtvolles Wesen entlarvt wird und ans Licht kommt.

Man muss ihn kennen lernen um ihn in die Schranken zu weisen, diesen fremden Bewohner, der in unserem Haus lebt. Wer mag schon Fremde in der eigenen Stube, die einen beherrschen und das Leben und unsere Beziehungen vergiften, vor allem, die zu uns selbst? 

Wenn wir unser Selbstvertrauen steigern möchten, ist es unabdingbar, der negative Stimme in uns eine positive Meinung entgegenzusetzen. Leicht ist das nicht, denn was uns als Kind eingepflanzt wurde, ist mit uns verwachsen. Auch wenn wir es immer wieder herausreißen würden, es wächst nach wie Unkraut.
Die Arbeit mit diesem Unkraut ist wie die Gartenarbeit - kümmern wir uns nicht ständig um unseren Garten, wird er vom Unkraut überwuchert.

Lassen wir uns von der Ambivalenz beherrschen werden wir uns jeden Tag fragen – soll, will ich meinen Garten pflegen oder nicht? Und wir werden es im Zweifel nicht tun, je nachdem welcher Stimme in uns wir folgen. Erkennen wir den Grund der Ambivalenz werden wir unterscheiden lernen, wann der innere Kritiker uns davon abhält und wir werden ihn dorthin verbannen wo er hingehört - zu denen, die ihn uns eingepflanzt haben und zu ihm sagen: ich stehe dir nicht mehr zur Verfügung, ich habe Besseres zu tun: Ich kümmere mich um meinen Garten, damit er blüht.






2 Kommentare:

  1. Kommt gerade richtig, !
    Für mich ist es ist es immer einen schritt raus, wenn ich höre wie andere mich wahrnehmen..

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