Mittwoch, 11. Juni 2025

Was wir fürchten, ist schon passiert und weil es passiert ist, darf es sich nie mehr wiederholen

 


Was wir fürchten, ist schon passiert und weil es passiert ist, darf es sich nie mehr wiederholen."Was wir fürchten, ist schon passiert" im Kontext von Traumatischen Erlebnissen drückt aus, dass das, was wir befürchten, bewusst oder unbewusst, längst eingetreten ist. „Die Vergangenheit belagert unsere Gegenwart“, schrieb Fritz Perls, der Vater der Gestaltherapie. "Sie belagert sie in der Weise, dass Handlungen, Aktivitäten und Situationen vermieden werden, die nur das Geringste mit dem, was in der Vergangenheit passiert ist, zu tun haben könnten. "
 
Die Tendenz Unangenehmes zu vermeiden, hat jeder von uns.
Es ist ein Abwehrmechanismus, um uns vor etwas zu schützen, was wir fürchten. Traumatisierte Menschen aber haben tief verinnerlicht, wenn ich dies und das tue, passiert das, was ich einmal erlebt habe oder getan habe, was dazu führte, dass mir Leid geschah oder dass ich anderen durch mein Verhalten Leid angetan habe, auch Letzteres kann traumatisch wirken. 
 
Ich hatte einmal einen Klienten, der als junger Mann mit achtzehn Jahren seine Familie verlassen hat, weil er den aggressiven, alkoholsüchtigen Vater und die Gewalt, die er ihm gegenüber ausübte hat, nicht mehr ertragen konnte. Er ging, als der Vater ihn im Rausch fast totgeschlagen hätte. Er ließ seine Mutter und die siebenjährige kleine Schwester zurück. Um sein eigenes Leben in Sicherheit zu bringen, verließ er die beiden. Das führte zu starken Schuldgefühlen, die er unterdrücken und abspalten musste um nicht daran zu zerbrechen. Im späteren Leben tat er alles um die Erwartungen anderer zu erfüllen und ignorierte seine eigenen Bedürfnisse vollkommen. Er blieb in einer Ehe in der er todunglücklich war, weil er nie wieder jemanden verlassen wollte. Er opferte sich für seine Familie auf, er stellte seine Bedürfnisse zurück indem er sich an die Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen anderer anpasste. Er gab sein Selbst völlig auf. Alles um die alten Gefühle von Schuld und Scham nicht fühlen zu müssen, derer er sich nicht einmal bewusst war, weil er sie zum damaligen Zeitpunkt abgespalten hatte. Nie mehr wollte er jemand im Stich lassen. Er vermied alles von dem er glaubte, es könne anderen schaden. Er verließ sich selbst. Er sperrte sich selbst in einen Käfig und lebte nur für andere. Als er die Diagnose Krebs bekam, kam er zu mir um seine Vergangenheit aufzuarbeiten.
 
Die Vermeidungsstrategie meines Klienten wurde zu seiner Überlebensstrategie um nie wieder die alten Gefühle von Schuld und Scham fühlen zu müssen, weil er, um sein eigenes Leben zu schützen, Mutter und Schwester alleine mit dem gewalttätigen, alkoholkranken Vater gelassen hatte. Er verhielt sich so, weil er unbewusst glaubte, dass der Preis für seine Schuld das Opfern all seiner Bedürfnisse, Rechte und Grenzen sei.
 
Was mein Klient vermeiden wollte, war längst passiert. Er hatte zwei geliebte Menschen verlassen.
Vermeidung und Spaltung sind Abwehrmechanismen, mittels derer wir belastende und schmerzhafte Gefühle, Erfahrungen, Erlebnisse, Erinnerungen, Gedanken und Bedürfnisse aus dem Bewusstsein verbannen. Es kommt zu einer Abschiebung ins Unterbewusstsein. Die Spaltung dient der Abwehr der unerträglichen Vorstellungen unseres eigenen Selbst oder von anderen. Es gibt nur noch gut oder böse, schwarz oder weiß und keine Mitte. 
Vermeidung ist eine Form der Abwehr um die Gefühle, die in der belastenden Situation als so bedrohlich und unaushaltbar empfunden wurden, dass sie abgespalten wurden, nie mehr fühlen zu müssen. Trotz der Abspaltung aber sind diese Gefühle da. Sie werden permanent unterdrückt oder kompensiert, unter anderen durch selbstschädigendes Verhalten, egal welcher Art. 
 
Die Vermeidung einer Situation, eines Ortes, von Handlungen, Gefühle, Gedanken oder sogar von Menschen hat große Auswirkungen auf den Menschen, der das tut. Er will alles vermeiden um nicht mit dem unverarbeiteten Erlebnis in Kontakt zu kommen und konfrontiert zu werden Dies führt dann zu allen möglichen seelischen Problemen und psychischen Störungen und im schlimmsten Falle zu schweren körperlichen Erkrankungen. 
 Vermeidung und Spaltung können bewusst oder unbewusst geschehen. Wenn wir Dinge im Leben vermeiden, weil sie uns an ein belastendes Erlebnis oder ein Trauma erinnern, ist es wichtig für unsere seelische und unsere körperliche Gesundheit, Hilfe zu suchen um das Belastende zu verarbeiten und es als Teil unserer Biografie zu akzeptieren und zu integrieren. Wenn alles verarbeitet und integriert ist, gibt es keinen Grund mehr zu vermeiden. 
 
Mein Klient darf lernen die Tatsache, dass er seine Familie verlassen hat, annehmen zu können, auch wenn sie schmerzt und diesen Schmerz endlich zuzulassen. Er darf lernen mit Ambivalenzen (emotional Unvereinbarem) umzugehen, die Spannungen und Ängste erzeugen können. Er darf lernen sich selbst zu verzeihen, indem er begreift, dass er zum damaligen Zeitpunkt nicht anders handeln konnte. 
 
„Schmerz ist dafür da, um uns aufzuwecken. Wir müssen Schmerz aushalten. Er ist wie ein Radius. Sie spüren seine Stärke, wenn sie Schmerz erfahren. Alles hängt davon ab, wie wir damit umgehen.“
Fritz Perls
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

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