Donnerstag, 7. Oktober 2021

Angst, Mut und Würde

 

                                                                 Foto: pixybay


„Manchmal bin ich so wütend, dass ich selbst das größte Hindernis auf meinem Weg bin. Ich bin mein größter Feind, der zulässt, dass mich echte oder eingebildete Angst blockiert. Ich glaube immer noch, dass ich all die guten Dinge im Leben nicht verdiene und suhle mich weiter in meinem Elend. Ich mache so vieles nicht, weil ich diese verdammte Angst habe. Und immer ist sie so groß, viel größer als ich es, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich schäme mich dafür, dass ich so bin.
Meine Klientin ist sich ihres inneren Dramas bewusst. Sie kämpft mit ihrer Angst und allzuoft siegt die Angst. Ihr Leben ist klein geworden. Die gesunde Angst, die sie eigentlich davor bewahren soll, unheilsame Dinge zu tun, hindert sie auf ungesunde Weise am Leben. 
 
Angst ist für viele von uns ein gewaltiger Hemmschuh.
Die Angst Fehler zu machen, die Angs zu scheitern, die Angst vor Erfolg, die Angst vor der Einsamkeit, die Angst vor anderen, die Angst vor den eigenen Gefühlen, vor Verlust, Krankheit und Tod. Es gibt unendlich viele Ängste. Die Gesichter der Angst sind so vielfältig, wie die Gesichter von uns Menschen. All diese Ängste haben eins gemeinsam: Sie hindern uns daran Dinge zu tun, die wir gerne tun möchten. Sie führen zu Enge und zu Vermeidung. Angst kann sehr einsam machen, wenn wir erkennen, dass andere unsere Ängste absolut nicht verstehen und nachvollziehen können. 
„Der Mensch ist Angst. Der Mensch ist Verlassenheit. Der Mensch ist Verzweiflung. Angst ist die existenzielle Erfahrung der Verunsicherung“, schreibt Jean Paul Sartre über die Angst.
Auch wenn viele von uns diesen Satz nachvollziehen können, wer Angst nie gefühlt hat, in der Intensität wie meine Klientin sie fühlt, wird von diesen Worten emotional unberührt bleiben. Welch eine Gnade. 
 
Zu viel Angst ist schmerzhaft. Sie schnürt unsere Lebendigkeit ab. Sie drückt auf die Brust, die lässt das Herz rasen oder sie wabert wie ein bedrohlicher Subtext in unserem Alltag, bei allem was wir tun.  
Noch schmerzhafter ist es, wenn wir uns, wie meine Klientin, für die Angst schämen oder wütend über uns selbst sind. Dann ist nicht nur die Angst unser Feind, sondern wir selbst. Menschen die zu viel Angst haben, die eine Angststörung oder Panikattacken habn, verurteilen sich in den meisten Fällen auch noch dafür. Dabei ist genau das absolut unheilsam. Sie können nichts für ihre Angst, denn übergroße Angst erwächst immer aus einem Trauma. 
„Trauma ist immer direkt gekoppelt mit Angst, ja wir können sogar sagen, dass Angst die Wurzel von Traumata ist. Das reduziert unsere Fähigkeit, uns selber auf eine kohärente und würdevolle Art zu erfahren. Angst regiert dann unser Leben. Wir haben Angst zu sterben, krank zu werden, Fehler zu machen - und vor allem: unser volles Potential zu leben. Angst ist dann die dominierende Kraft, Mut und Würde haben ihren Platz verloren“, schreibt der Psychologe und Traumatherapeut Peter Levine.
Mut und Würde. Wie sehr wünscht sich meine Klientin dies zu besitzen, wie sehr wünschen sich all die Ängstlichen unter uns, dies zu besitzen. Sie besitzen es nicht. 
 
Und trotzdem machen sie das Beste aus ihrem Leben, trotz und mit der Angst. 
Und dafür verdienen sie unsere Hochachtung und ihre eigene, besonders die. Denn es bedeutet Mut sich jeden Tag mit der Angst auf den Weg zu machen, sich ihr zu stellen, drüber zu leben, mit ihr zu leben, trotzdem zu leben, so gut es geht, immer wieder zu scheitern an der Angst, gelegentlich zu fallen, sich wieder aufzuraffen, aufzustehen und trotzdem weiter zu machen, so gut es geht und am Leben teil zu haben, so gut sie es vermögen. Ich würdige diese Menschen und ich wünsche mir für sie, dass sie sich selbst würdigen, weil sie den Mut haben nicht aufzugeben. Ich weiß aus Erfahrung wie schwer es ist vor der Angst nicht zu kapitulieren. Das allein ist für mich schon würdevoll, da stimme ich mit Peter Levine nicht überein. Unsere Angst kann uns die Würde nicht nehmen, nur wir selbst können das, indem wir uns selbst entwürdigen, nämlich weil wir uns dafür verurteilen oder dafür schämen Angst zu haben.
Was meine Klientin angeht, wir arbeiten mit ihrer Angst und nach und nach lernt sie, gesünder damit umzugehen, mutig und würdevoll.

1 Kommentar:

  1. Liebe Frau Wende, auf den Punkt gebracht. Diese Angst macht Angst. Danke für ihren Beitrag.

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