Foto: A.Wende |
Immer wenn wir nach einer Zeit des Alleinseins wieder einem Menschen begegnen, der uns anzieht und fasziniert fallen viele von uns in jene kindliche Stufe zurück, die sich ein Leben lang nach Symbiose sehnt. Das Kind in uns hofft noch immer alles Wohlgefühl, alles Glück, alle Aufmerksamkeit, alle Liebe von diesem einen Menschen zu bekommen, der seine Augen liebend auf uns legt und sie ausspricht, die magischen drei Worte: „Ich liebe dich“. Und wir tun wieder alles um geliebt zu werden. Wir sind so beseelt vom Gefühl geliebt zu werden, dass wir nicht merken, wie wir wie in einer Art Trance nach hinten gehen, zurück in die Zeit als wir uns so sehr nach bedingungsloser Liebe gesehnt haben und sie nicht bekommen haben. Wir wollen diese eine Liebe, die wir so schmerzlich vermisst haben, um jeden Preis, sogar um den Preis der Selbstverleugnung. Und plötzlich sind wir auf diesen einen Menschen fixiert und bereit alles, was wir uns in der Zeit des Alleinseins erarbeitet haben, aufzugeben.
Die Erfahrung, dass jede Beziehung eine fragile Sache ist, blenden, wir von Glückshormonen überschüttet, aus. Die Erfahrung, dass wir vielleicht genau aus dem Grund, dass wir vieles, was uns wichtig war, in der letzten Beziehung aufgegeben haben, blenden wir aus. Die Erfahrung wie verletzbar wir waren, nachdem wir uns vollkommen geöffnet haben, blenden wir aus. Die Erfahrung, dass kein Mensch, dem rosaroten Bild, das wir ihm am Anfang übergestülpt haben, stand hält, blenden wir aus. Die Erfahrung, dass Symbiose keine Basis für eine erwachsene Beziehung auf Augenhöhe ist, blenden wir uns. Wir sind geblendet vom tiefen Bedürfnis unseres kindlichen Urhungers nach Zuneigung und Liebe.
Selbst wenn sich in klaren Momenten der Schatten all der missglückten Beziehungen, die wir bereits hatten, auf das blendende Licht des Verliebtseins legt, hoffen wir noch: Dieses Mal wird es anders, weil wir ja etwas gelernt haben.
Haben wir das?
In Wahrheit ist dieses Kind in uns süchtig danach endlich anzukommen, bei dem was es nie bekommen hat: bedingungslose Liebe. Solange wir sie nicht bekommen fühlen wir uns halb, und wir alle wollen ganz sein. Dieses Ganzsein ist letztlich das Ziel unserer Existenz. Aber diese Ganzheit finden wir nicht im anderen. Warum sollte das gelingen, wo es schon damals nicht gelungen ist? Im Grunde suchen wir Etwas im Jetzt, was es damals schon nicht gab. Warum kann das Finden nicht gelingen? Weil es das, so wie wir es uns wünschen, nicht gibt, ist die ernüchternde Antwort. Es ist eine Illusion, die wir uns machen. Eine Illusion, durch die wir uns wieder und wieder selbst verletzen. Eine Illusion, die auf einer unerfüllbaren Sehnsucht basiert. Wir alle suchen nach einer Lösung für unser Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit und Liebe. Jede Trennung zerstört die Hoffnung, dass es gelingen kann, die Sehnsucht aber bleibt. Das Urbedürfnis gehalten zu werden bleibt.
Angesichts all unserer Enttäuschungen den Glauben nicht zu verlieren, dass da draußen jemand ist, der uns diese Bedürfnisse erfüllt, ist schwer, also halten wir daran fest. Dieser Glaube wird zum Anker in den einsamen Stunden in denen wir das Leben, das wir mit uns selbst leben, alles andere als schön empfinden.
Das Alleinsein zu leben ist schwer. Es ist eine Kunst, die nur wenigen Menschen auf Dauer gelingt. Wir sind auch nicht dafür geschaffen. Wenn es uns aber gelingen würde, mit uns selbst gut zu sein, auch wenn da kein anderer ist, der für uns da ist, wenn es gelingen würde, mit uns selbst in liebevollem Kontakt zu sein, wenn es gelingen würde, uns selbst das zu geben, was wir so verzweifelt im anderen suchen, dann könnten wir diesen Glauben fallen lassen. Wir könnten lieben was da ist - der einzige Mensch, der immer da sein wird - wir selbst.
Genau deshalb ist es so essentiell wichtig gut zu uns selbst zu sein. Wir können es lernen, indem wir eine nährende Verbundenheit zu uns selbst aufbauen, indem wir achtsam, rücksichtsvoll und fürsorglich mit uns selbst umgehen. Menschen, denen das gelingt, denen ein liebevolles Mit-sich-selbst-sein gelingt, finden das, was wir letztlich alle suchen - innere Ruhe, inneren Frieden, Zufriedenheit, Klarheit und diese eine Liebe, die nicht bedürftig ist. Jede Art von Bedürftigkeit führt zu Abhängigkeit und jede Abhängigkeit kann zur Sucht werden. Jede Sucht führt zu Anhaftung und so zum Verlust unserer inneren Freiheit.
Sicher es ist menschlich bedürftig zu sein, aber wie viele Menschen geben sich selbst oder einen wesentlichen Teil ihrer selbst auf um vom anderen zu bekommen, was sie in sich selbst partout nicht finden?
Und wieder und wieder dreht sich das Karussell der Erwartungen, Sehnsüchte und Wünsche, die unerfüllt bleiben.Wie wollen wir Etwas von einem anderen bekommen, wenn wir es uns selbst nicht geben können? Und wie wollen wir einem anderen das geben, was wir uns selbst nicht geben können? Also könnten wir uns bemühen, es uns selbst zu geben und es nicht immer wieder von einem anderen einzufordern, der das meist auch nicht kann. Das ist harte Arbeit und das dauert. Das ist tägliche Übung. Das ist lebenslange Übung. Das ist nicht auf einmal da, weil wir wissen, dass wir es brauchen. Das ist genauso wie ein Kind großzuziehen, es achtsam und fürsorglich zu begleiten, es immer wieder zu trösten, wenn es ihm nicht gut geht, jeden Tag für dieses Kind da zu sein, so wie eine hinreichend gute Mutter ein Leben lang für ihr Kind da ist.
Echte, tiefe Begegnungen können nur dann stattfinden, wenn sich Menschen begegnen, die dazu fähig sind sich selbst zu geben, was sie brauchen.
Alles andere ist die bedürftige Sehnsucht des ungeliebten Kindes in uns. Und genau diese Sehnsucht führt zu immer wieder neuen Enttäuschungen. Vielleicht brauchen wir diese Enttäuschungen um endlich das zu erledigen, was unsere Aufgabe ist - uns selbst zu wertschätzen und lieben.
„Liebe ist ein Wert, der durch liebende Handlungen verwirklicht wird“, schreibt Stephan R. Covey. Er hat Recht. Das ist der Weg zu Selbstliebe, das ist auch der Weg um einen anderen zu lieben – liebevolles Handeln, wie gesagt - erst einmal an und für uns selbst. Wenn uns das gelingt greift diese Liebe über uns selbst hinaus, hin zu einem anderen, der sich auch liebevoll behandelt. Dann ist eine Beziehung auf Augenhöhe, frei von kindlichen Erwartungen und kindlichen Sehnsüchten möglich.
Ja, ich weiß, das klingt nicht so schön, aber die Erfahrung sagt: Ja, so ist es.
Vielen vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag. Genau das ist mein Ziel...mir selbst geben, was ich brauche. Ich bin auf dem Weg und ich habe das Gefühl, er ist noch sehr lang. Aber immerhin bin ich schon losgegangen und jeder kleine Schritt hilft.
AntwortenLöschenslow and steady wins the race ;)
AntwortenLöschenWieder ein Artikel, der für mich und über mich geschrieben zu sein scheint...
AntwortenLöschenGibt es wohl eine Chance auch innerhalb einer Beziehung auf diese Augenhöhe zu kommen, wenn der eine Partner schon gut für sich sorgen und daher auch abgrenzen kann, der andere aber (noch) in dieser kindlichen Sehnsucht verhaftet ist, das zwar erkannt hat, aber noch nicht in der Lage ist, auf die Erfüllung dieser Sehnsucht vom Anderen zu verzichten, weil sonst die Angst vor dem Verlassen werden und sein übergroß wird?
Wieder mal DANKE
DiPi
es gibt immer eine chance ...
AntwortenLöschenDanke, danke, danke!
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