Montag, 8. August 2016

Aus der Praxis – Ein großer Kummer

"Aber ich kann es einfach nicht aushalten. Ich gehe daran zugrunde. Ich wünsche mir so sehr Veränderung, aber es geht nicht, ich habe keine Kraft mehr!" 

Ich kenne diese Aussagen und ich kenne das Gefühl dahinter gut. Ich weiß, wie sehr Menschen leiden können. Ich erfahre es in meiner Arbeit mit Menschen, ich erlebe es mit Menschen, die ich kenne und ich erlebe es mit Menschen, die mir nahe stehen. All diese Menschen verbindet ein großer Kummer, ein Kummer, der so unendlich groß ist, dass er durch nichts zu trösten oder zu heilen ist.

Ja, das gibt es. Und all die Stimmen, die jetzt widersprechen – mögt ihr das tun, mögt ihr glauben auch der größte Kummer ist heilbar. Ich weiß, es ist nicht wahr. Unser Unterbewusstsein ist so mächtig und bei einem großen tiefen Kummer so unbelehrbar, dass alles was wir in die obere Schicht unseres Bewusstseins gießen mögen, alle Hilfen, alle therapeutischen Interventionen, alle spirituellen Konzepte und Übungen daran scheitern können. Auch das universelle Heilversprechen: Geh in die Liebe und du wirst gesunden!, kann machtlos sein. Ja, so traurig es ist, auch die Liebe kann machtlos sein, wenn ein Herz erfroren ist.

Ein Herz erfriert nicht durch einen einzigen Kälteschock von Außen. So ein Herz ist warm, sehr warm und deshalb braucht es viele dieser Schocks bis es nach und nach einfriert und schließlich im Eis erstarrt. Es sind die warmen Herzen, die ganz weichen Herzen, die irgendwann nicht mehr auftauen, weil es unerträglich für sie wäre, all das noch einmal spüren zu müssen, was sie in die ewige Eiswüste gebracht hat. All das Leid, all die schlimmen Erfahrungen, all die Erschütterungen. Nein, nie mehr wieder!, sagen sich diese Herzen und verharren in der eisigen Landschaft grenzenloser Trauer. 

Nach und nach verliert so ein armes Herz seinen Lebenswillen. Es wird müde vom Frieren, müde vom Aushalten und müde nach Veränderung zu suchen oder sie zu erhoffen. Ach, es hat doch alles schon versucht, aber der Kummer ist nicht weggegangen. Es wurde nicht besser, nur weil ihm jemand die Hand gereicht hat, es getröstet hat und ihm hilfreiche Worte geschenkt hat.  Es wurde nicht besser auch wenn es für einen Moment in der Zeit einmal besser war, es wurde nicht besser, weil es nicht besser werden kann. Das Unterbewusstein hat all das Bessere nicht verstanden, weil es nicht durch den Verstand zu erreichen ist, weil es taub ist gegenüber Worten, weil es fühlt, was es gefühlt hat und immer noch so fühlt, ganz gleich was ihm gesagt wird.

Veränderung geht niemals über den Kopf, das weiß ich. Sie geht über das Gefühl und dafür muss noch ein Rest an Glaube, ein Rest an Zuversicht, Hoffnung und Liebe übrig sein, damit der Verstand mit seinen Werkzeugen etwas ausrichten kann. Ein erfrorenes Herz fühlt nichts mehr, außer kaltem Schmerz und stummer Verzweiflung. Es ist nicht aufzuwärmen, auch nicht wenn ihm in Gestalt eines anderen Menschen die Wärme begegnet, denn es vertraut nicht mehr, es hat es zu oft getan und es ist zu oft enttäuscht und zu tief verletzt worden. Das Gefühl hat gelernt und das ist die Wahrheit des Herzens.

Eine traurige Wahrheit, die diese armen Herzen in sich tragen. Und so leben sie Tag für Tag in ihrem ewigen Eis, das ihren Kummer umschließt und nichts, aber auch nichts kann das ändern. Sie leben und sind innerlich längst gestorben.

Es verlangt Demut das zu akzeptieren. Aber, könnten meine Tränen diese Herzen schmelzen lassen, ich würde einen Ozean für sie weinen. Was mir bleibt ist die Ohnmacht. Und die macht mir Kummer.

3 Kommentare:

  1. Auch aus meiner Erfahrung lassen sich Gefühle nicht direkt beeinflussen, jedoch auf zwei Umwegen: Über Gedanken (Umdenken) und über den Körper. Die klassischen Therapien arbeite mit Gesprächen, Gedanken, "Aufarbeitung" etc. Doch haben sich seit den 60gern/70gern ja auch mehr Körper-orientierte Therapien etabliert, die vom Grübeln/den Kummer innerlich repetieren wegführen. Man macht die Erfahrung, dass "Körperarbeit" all das stoppen und positive Gefühle erzeugen kann - ist das nicht auch eine Hoffnung für das "frierende Herz"?

    AntwortenLöschen
  2. Ich wundere mich immer wieder, wieviel Schmerz in mir noch immer gespeichert ist, obwohl ich mein Herz immer wieder aus dem Eis befreie. Weinen ist mir zur Befreiung geworden, weil ich dann weiss, dass Eis wieder zu Wasser wird. Aber es dauert einfach. Es braucht soviel Kraft und Zeit, sich hinein zu wagen in den Schmerz, ihn aufzuspüren und dann abzuweinen. Manchmal komme ich mir dabei vor, als wenn Schmerz ein wertvolles Erz ist und ich es durch Weinen abbaue. Die Seele als Schmerzmine. Es geschieht dann einfach, ich kann sowieso nichts machen. Langfristig ist mein Körper dadurch wieder aus seinem Nicht-Fühlen erwacht, aber die Zeit läuft eben trotzdem weiter. Warum muss ich soviel Schmerz in mir tragen?

    AntwortenLöschen
  3. Schmerz gehört zum Leben. Wir wollen ihn nicht spüren, weil es weh tut, sehr weh tut.
    Aber wir entkommen dem Schmerz nicht.
    Es macht keinen Sinn zu fragen: Warum?
    Es ist wie es ist.
    Aber wenn Schmerz zu Leiden wird, dann ist da etwas in uns, das am ihm festhält. Dann ist es Zeit uns Hilfe zu suchen.

    Alles Liebe
    Angelika

    AntwortenLöschen