Freitag, 5. Oktober 2018

Ich rate vom Raten ab.

Zeichnung. A. Wende

Ratschläge sind Schläge.
Diesen Spruch haben wir alle schon einmal gehört. Immer und überall werden Ratschläge gegeben. Eltern raten ihren Kindern, Bekannte raten Bekannten, Freunde raten Freunden, und wissen besser, wie wir mit etwas umgehen sollen, müssen. Gute Ratschläge sind gut gemeint, aber sie helfen dem, der sie bekommt, gar wenig oder gar nicht.
Warum?
Weil jeder Mensch anders tickt. Weil keiner die Empfindungen des Anderen spüren kann. Verstehen ja, spüren nein. Verstehen aus seiner Sicht von Welt, aus seinem Erfahrungshorizont heraus, aus seiner Gefühlswelt heraus. Einander verstehen und einen anderen fühlen, ist ein himmelweiter Unterschied. Auch mit noch so großer Empathie gelingt es uns nicht, die Gefühle des Anderen in gleicher Feldstärke zu fühlen und uns in seinen seelischen Zustand oder in sein konkretes Problem einzufühlen.

Jeder von uns hat eine andere Sicht und eine andere Empfindung der Dinge, bewertet Erfahrungen, Situationen und Erlebnisse anders.
Wer rät, steckt nicht drin im Dilemma. Er hat Abstand und das ist genau das, was dem, der Sorgen und Probleme hat, fehlt. Was für den Einen kein Problem ist, ist für den Anderen eine schwere Belastung, die die Seele quält oder ihn verzweifeln lässt.
Da hilft es nichts, zu sagen: Du musst das so und so machen, nur weil man selbst es so und so machen würde. Unser Mitmensch kann es nicht machen wie wir es machen würden, eben weil er ein Anderer ist. Ich weiß aus Erfahrung, dass damit sogar bisweilen eine Gegenreaktion erzeugt wird. Der mit Rat Geschlagene wendet sich ab. Oder der Ratschlagende, weil sein guter Rat nicht befolgt wird, ist beleidigt und wendet sich ab.

Was braucht eine Mensch, der feststeckt, der Sorgen hat, oder gar verzweifelt ist?
Er braucht es ernst genommen werden. Es hilft ihm nicht, dass sein Problem beratschlagt wird. Was dieser Mensch braucht, ist Achtung vor seinem Gefühl, Verständnis für seine Lage, Annahme als der, der er ist und er braucht Trost. Er braucht das Vertrauen, dass er auf seine Weise, in seinem Tempo und in seiner Gangart sein Problem lösen wird. Damit achten wir den Anderen in seinem Anderssein und lassen ihm die Zeit und den Raum, die er braucht, um im Leben seinen ureigenen Weg weiter zugehen. Wir lassen ihm das Seine, auch wenn er in unseren Augen auf dem Holzweg ist, und sind einfach da. Wir hören achtsam zu, wir stellen vielleicht Fragen, wenn er zustimmt, um ihm zu helfen seine eigenen Antworten zu finden. Wir be-und verurteilen nicht, was wir überhaupt nicht beurteilen können. Auch ein: Das wird schon wieder! hilft dem Verzweifelten nichts. Darum mag ich solche Sätze auch nicht. ich bin sogar allergisch dagegen, übrigens auch gegen den Satz: Alles wird gut!
Woher wollen wir das wissen?

Wahr ist: 
Im Moment ist für den, der das Problem hat, nichts gut und das „Alles wird gut!“ Zukunftsversprechen ändert seinen Gefühlszustand in keiner Weise. Wir sind schließlich im Moment, oder?
Es gibt auch den Spruch: Das Leid ist so groß wie die Schultern, die es tragen müssen. Und der ist sehr wahr. Manche Menschen sind nicht so hart im nehmen wie andere. Wie hart einer im Nehmen ist hängt auch von seiner Resilienz ab. Das ist die angeborene Widerstandsfähigkeit (aus dem lateinischen - abprallen) welche die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen bezeichnet. Je höher die Resilienz eines Menschen ist, desto fähiger ist er Bedingungen auszuhalten und zu durchleben, unter denen ein anderer zerbrechen würden. Der resiliente Mensch braucht auch keine Ratschläge, er vertraut sich selbst und seiner Fähigkeit die Dinge zu durchleben, auch wenn sie schwer sind. Übrigens wesentliche Faktoren, die Resilienz beeinflussen, sind: Eine intakte Familiensituation, ein gut ausgebildetes Urvertrauen, emotionale Intelligenz und die proaktive Herangehensweise an Probleme und Krisen. Das ist nicht jedem gegeben. Wer dies nicht hat erträgt weniger als andere.

Du bist du. Ich bin ich.
Alle Antworten liegen in uns selbst.

Sie offenbaren sich dann, wenn es an der Zeit ist. Und nicht dann, wenn wir das wollen. Manchmal müssen wir mehrere Runden auf der Achterbahn des Lebens drehen bis wir wissen, was gut und was ungut für uns ist. Und manchmal will irgendetwas in uns auch das Ungute, da Drama, erfahren und durchleben.

Unsere Seele will wachsen und die Wege, die sie wählt sind bisweilen unergründlich.
Man muss und kann nicht alles verstehen. Und manchmal gibt es auch keine Lösung oder es gibt sie erst nach langer Zeit. Das zu akzeptieren ist nicht jedermanns Sache, aber hilfreich, denn auch das ist das Leben. Nicht zu wissen, nicht sofort zu wissen und nicht sofort die ultimative erlösende Antwort zu finden.

Mit Ratschlägen wollen wir schnelle Lösungen für andere konstruieren, aus unserem Erfahrungsschatz heraus. Die Erfahrung sagt: Es macht keinen Sinn. Es macht Sinn, anstatt zu ratschlagen, einfach da zu sein, zu begleiten, auch wenn wir das Fühlen und Denken des Anderen für uns selbst nicht nachvollziehen können. Ohne beleidigt zu sein, dass der Andere nicht macht, was wir ihm sagen, weil es doch gut für ihn wäre. Er kann es nicht. Er muss es auch nicht können. Er kann das, was er kann - mit den Informationen, die er zu genau diesem Zeitpunkt hat, als der Mensch, der er zu diesem Moment in der Zeit ist.

Einander achten und einander trösten, das öffnet Herzen.
Das Trösten haben viele Menschen verlernt. Trösten bedeutet: Sich wirklich um ein Verstehen des anderen zu bemühen und das Eigene Gefühlte und Gedachte herauszulassen, sich dem Anderen aufmerksam zuzuwenden, ihn ernst zu nehmen und in seinem Leid anzunehmen. Das ist viel anstrengender und zeitintensiver als ein guter Ratschlag. Das dauert länger als einen Moment und bedeutet - das Eigene nicht mit dem Fremden zu vermischen. Es bedeutet, dem Anderen sein Anderssein zu lassen, auch wenn wir es für uns nicht begreifen können.

Namaste Ihr Lieben

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