wie geht sterben, paul? sie fixierte meinen blick mit ihren braunen
eichhörnchenaugen, die ich so liebte und die ich manchmal nicht ertragen
konnte, weil mir die traurigkeit, die darin lag, das herz zerriss.
anna,
ich weiß es nicht. woher bitte soll ich wissen, wie sterben geht? ich
bin ebensowenig darin geübt wie du. sie gab mir ein bitteres lächeln.
mit deinem sarkasmus machst du es nicht besser. wir müssen alle
sterben, es ist ganz normal mir gedanken darüber zu machen, wie es
geht. du nimmst mich nicht ernst. ich hasse es, wenn du mich nicht ernst
nimmst.
ich beschloss sie ernst zu nehmen. sie hatte
recht, manchmal nahm ich sie nicht ernst. es war reiner selbstschutz, um
nicht verrückt zu werden. also? sie sah mich provozierend an. nimmst du
mich jetzt ernst? ich nickte, spürte wie die wut in mir hoch kroch,
diese hilflose wut, die sie in mir auslöste mit ihren dunklen gedanken.
wie ich diese gedanken hasste. sie verschwanden manchmal für stunden.
dann war sie ausgelasssen und lebendig wie ein kind. sie brachte mich
zum lachen, sie brachte andere zum lachen, alles war gut und ich
wünschte mir diese lebendige, lachende anna für mich und für sie. aber
mein wünschen verlor sich in der realtität, die alles andere war als
lachend, die mich allenfalls fies angrinste, als wolle sie mich
verhöhnen.
pass auf, freu dich nicht. ihre mutter hatte
ihr beigebracht, dass freude etwas war, dem man nicht trauen konnte,
weil es niemals blieb. annas mutter hatte dem flüchtigen ein misstrauen
zugrunde gelegt, das kind verunsichert, ihm angst gemacht sich zu
freuen. freude war für anna ein vorbote des schlechten, das kommen
würde, wie eine strafe für das schöne, das gewesen war. ich verachtete
annas mutter dafür und an manchen tagen verachtete ich anna dafür, dass
sie es nicht aus sich heraus bekam, dieses misstrauen. das misstrauen
und anna schienen miteinander verwachsen. ich fragte mich, was passieren
würde, wenn man es aus ihr herausrisse, aber ein herausreißen war
sowieso nicht möglich. anna lebte mit dem misstrauen gegen das leben und
ich lebte mit annas misstrauen unser gemeinsames leben.
ich spürte, wie sich das misstrauen gerade in eine große
lebensangst verwandelte, einem dämon gleich, der die macht übernommen hatte. er sah mich fordernd aus annas eichhörnchenaugen heraus an. los paul,
sag, was denkst du, wie geht sterben?
ich schnaufte
tief durch, nahm mir eine kippe aus der schachtel, die auf dem tisch lag
und zündete sie an. ich tat zwei tiefe züge. ich habe keine ahnung,
anna. darüber denke ich nicht nach. ich lebe und du lebst, wir leben,
jetzt, in diesem moment leben wir. also, was macht es für einen sinn
über das sterben nachzudenken?
pah! sie fauchte mich an. dieser moment, mein lieber, ist schon vorbei.
anna,
sei nicht kindisch. kein mensch weiß, wie sterben geht. du weißt, wie
blödsinnig deine frage ist. man kann sterben nicht lernen. das lernst du
dann, wenn es ans sterben geht. du sitzt hier mit mir am tisch. wir
haben gut gegessen, wir trinken wunderbaren rotwein, wir hatten einen
schönen tag und du sagst mir, du willst wissen, wie sterben geht.
ja, ich sage das, weil ich es wissen will.
ich
kochte innerlich. am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte sie
verlassen, in diesem moment, für immer. sie verdarb mir den abend. sie
verdarb mir so viele abende. ich ließ mir die abende verderben und
die tage und das leben, mein leben, das endlich war. ja, es war verdammt
noch mal endlich. ich musste sterben und ich hatte keinen blasser
schimmer, wann das sein würde.
ich kam runter von
meiner wut. anna was ist los? ich machte den versuch, sie in den arm zu
nehmen. sie schüttelte mich ab. was los ist? ich habe dich etwas gefragt und du
tust nichts anderes, als mir klarmachen zu wollen, dass meine frage
sinnlos ist.
das ist sie auch, anna. du kannst doch keine frage stellen,
von der du genau weißt, dass es keine antwort gibt.
doch paul, das kann ich.
aha.
ich war fassungslos. du stellst eine frage, auf die es keine antwort
gibt und sagst, das kannst du. das wird ja immer sinnloser. anna,
hallo! komm zurück. komm hierher in diesen moment. alles ist gut, jetzt
in diesem moment ist alles gut!
sie nickte, o.k., jetzt bin ich in diesem moment, paul.
und, alles gut, anna?
in diesem moment frage ich mich, wie sterben geht.