Traurig zu sein ist ein Teil von uns wie Freude, Glück und all die anderen schönen Emotionen, die wir so sehr lieben. Und dennoch, Traurigkeit ist ein ungeliebtes Gefühl. Auch wenn sie eine natürliche Grundstimmung des Menschen ist, wir empfinden sie nicht so, auch wenn wir das wissen. Bereits Babys und kleine Kinder haben ihre melancholischen Momente und sogar der Hund, der lange Zeit mein Begleiter war, hatte seine traurigen Phasen, wo ihn nicht einmal der Ball, dem er so gern hinterher rannte aus seiner Melancholie reißen konnte. Er lag da und ab und zu schnaufte er so tief und herzerweichend, als sei sein Leben ein armseliges Hundeleben. Ich erinnere mich an meine Melancholie aus Kindertagen als ich plötzlich erkannte, dass es das Sterben gibt und wie unsagbar traurig mich der Gedanke machte, dass ich einmal nicht mehr sein könnte. Ich erinnere mich an den Tag an dem meine Großmutter starb, bei der ich aufgewachsen bin bis ich Fünf war, und wie starr und fassungslos es mich machte, als man sie auf einer Bahre aus der Wohnung trug und Großvater stumm und keine Hilfe in meiner Angst. Ich erinnere mich an diesen unendlichen Schmerz über das verzweifelte Erkennen, dass Oma nie mehr wiederkommen würde um mich in ihre warmen Arme zu schließen und ich nicht mehr den Geruch ihrer frisch gestärkten Schürze einatmen würde, der mir das Gefühl von Zuhause und Geliebtsein gab. Es war verloren mit ihrem Verlust und die Trauer darüber begleitet mich noch heute.
Traurigkeit zeigt uns, was wirklich wichtig für uns ist. Sie macht uns bewusst, wonach wir uns sehnen und was uns schmerzhaft fehlt. Vor allem aber - die Traurigkeit bringt uns dahin, uns mit der Vergänglichkeit der Dinge und unseres Lebens zu beschäftigen.Wir spüren wie zerbrechlich wir sind, wie zerbrechlich dieses Leben ist. Und wenn wir ganz nah bei uns sind, bei unserer Zerbrechlichkeit, begegnen wir uns selbst in unserer ganzen Tiefe. Wir schauen in unser Gesicht ohne die Maske, die wir tragen um uns zu schützen vor dem, was wir nicht fühlen oder zeigen wollen. Unsere Haut ist hauchdünn wenn wir traurig sind, unsere Nerven hoch empfindsam für das, was uns in unserem Innersten wirklich ausmacht und für das, was uns fehlt um uns ganz zu machen.
In der Trauer begegnen wir unserer eigenen Wahrheit. Sie zeigt uns unsere Grenzen, sie macht uns bewusst, dass wir nicht alles haben können, nicht alles erreichen können, nicht alles verändern und nicht alles kontrollieren können, schon gar nicht andere Menschen oder das Schicksal. In der Trauer bricht manches alte Leid wieder auf, sie zeigt uns die Wunden, die nicht verheilt sind und wir erkennen, was noch zu heilen ist, was noch unerledigt ist und was uns wirklich berührt. Wenn wir die Trauer zulassen und all ihre Tränen weinen, kommt etwas in den Fluss - das Schmerzhafte fließt aus uns heraus und liegt vor uns damit wir es sehen. Nur was wir sehen kann geheilt werden. Nur wenn wir sie spüren und anerkennen können unsere Wunden zu heilen beginnen, wenn wir die Schleusen öffnen um all die Knoten der Verdrängung zu lösen, die sich in uns festgesetzt haben. Doch viele Menschen wollen gar nicht, dass sie sich lösen, sie wollen wie meine Klientin, dass das schnell weggeht. Sie suchen den Ausweg, anstatt den Weg nach Innen zu gehen. Sie begreifen nicht, dass sie, wenn sie bereit sind ihre Traurigkeit anzunehmen und sie aushalten lernen, sich selbst annehmen. Wenn unsere Traurigkeit sein darf und wir Ja zu ihr sagen, spüren wir: genau in diesem Ja steckt die Kraft die Traurigkeit auszuhalten und eine große Wahrheit über uns selbst.
"Deine Traurigkeit ist der dunkle Samt, auf dem die Juwelen deines Lebens leuchtend funkeln. So wird dir sichtbar, über welch reiche Schätze du verfügst.“
Helen Ambach

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