Auch
wenn viele gern etwas anderes glauben möchten, in unserer Gesellschaft werden ältere
Männer und Frauen noch immer mit ungleichen Maßstäben gemessen. Während Männer
mit zunehmendem Alter interessanter werden, vorausgesetzt sie haben trotz
Kugelbauch und Tränensäcken Geld, Macht und Einfluss, nimmt der Wert der Frauen
nach dem fünfundvierzigsten Lebensjahr in den Augen vieler Menschen ab.
Hochglanzmagazine und Medien präsentieren fast
ausschließlich junge attraktive Frauen und gaukeln den Menschen vor, dass die einzig
erstrebenswerten Attribute einer Frau sich aus Schönheit, Ebenmaß und glatter
Haut ergeben. Frauen,
die diese Attribute nicht mehr besitzen, verschwinden im Nebel, zumindest fühlt
es sich für viele Frauen so an, wenn sie feststellen, dass ihnen keine oder
kaum noch bewundernde männliche Blicke folgen. Zwar gibt es in letzter Zeit den
Trend attraktive ältere weibliche Models zu zeigen, die aber werden zu einer
Art Kunstikone stilisiert, an deren äußere Attribute die normale Frau ebenso wenig
herankommt wie an die verflossene Schönheit der Jugend.
„Die Männer beteuern immer, sie lieben die innere
Schönheit der Frau komischerweise gucken sie aber ganz woanders hin“, sagte Marlene Dietrich, die
sich im Alter vollends von der Welt zurückzog und ihre letzten Jahre in
selbstgewählter Einsamkeit verbrachte, begleitet von ihren letzten Freunden,
dem Alkohol und Psychopharmaka. Die Diva Marlene war ein Extremfall, aber die Wahrheit ist - die Dietrich
hatte Recht und wahr ist auch – die meisten Frauen leiden am Älterwerden.
Aufgrund
der gesellschaftlich fixierten Normen von Attraktivität und der Vorstellung vom
Wert einer Frau, der sich noch immer, trotz Frauen in Führungspositionen und den Parolen einer nimmermüden Alice Schwarzer maßgeblich über Äußerlichkeiten definiert, haben viele Frauen,
wenn sie älter werden, mit einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen. Dass
dieses nicht nur eine Folge des Älterwerdens ist wird dabei übersehen.
Selbstwertgefühl wird nur dann schwächer, wenn es in jungen Jahren nicht
vorhanden war, nur fällt es in späteren Jahren mehr ins Gewicht, denn es lässt
sich nicht mehr hinter einer jugendlich attraktiven Fassade verbergen. Die Maske bröckelt und lässt sich immer schwerer überschminken.
Viele
Frauen geraten in eine Sinnkrise wenn sie älter werden.
Dazu kommen oft Versagensgefühle, innere Leere und Depressionen, besonders wenn Lebensumstände wie das Empty Nest Syndrom, eine
Trennung vom Partner oder Verlust des Arbeitsplatzes, der einer Jüngeren
gegeben wurde, hinzukommen. Nichts lenkt mehr ab vom Altwerden und der Blick in
die Zukunft einer Frau, die die Fünfzig überschritten hat und alleine
lebt, sieht nicht gerade rosig aus. Zudem lassen die körperlicher Kräfte nach,
die Figur verändert sich durch die Hormonumstellung, die Haut wird faltig und die Haare dünner,
die Konturen des Gesichts senken sich und der Blick in den Spiegel macht
täglich schmerzhaft bewusst, dass Frau in die letzten Jahre kommt.
Zeit
Résumé zu ziehen und genau das tun Frauen ebenso wie Männer wenn der Zenit
überschritten ist, nur tun sie es anders.
Während viele Männer noch einmal den
zweiten Frühling künstlich einläuten, indem sie sich eine jüngere Frau suchen,
oder sich ihre Männlichkeit noch einmal beweisen wollen, indem sie plötzlich
die Lust auf nicht gehabte Abenteuer packt, versinken viele Frauen in einer
sentimentalen Rückschau auf ihr Leben. Besonders schwer ist es für Frauen,
die der Kindererziehung wegen ihren Beruf aufgegeben haben. Sie finden beim
Rückblick auf ihr Leben nichts, was sie vorzuweisen haben. Als sei die Leistung
eine Familie zusammenzuhalten und Kinder groß zu ziehen nichts, fühlen sie sich
plötzlich überflüssig und ausrangiert wie ein zerschlissenes Kleid. Sie sind
finanziell von ihrem Mann abhängig und haben nichts, was sie von Innen hält.
Ist die Ehe zerbrochen kommen häufig noch das Gefühl der Isolation, Geldknappheit und Einsamkeit
dazu.
All
dies führt bei vielen Frauen zu diffusen psychosomatischen Beschwerden wie schlechten Schlaf, Konzentrationsstörungen, innere Unruhe und diffuse Ängste. Dazu kommen die
Beschwerden der Wechseljahre wie Hitzewallungen und andere körperliche Missempfindungen.
Alles Dinge, die in der Tat an die Substanz gehen können.
Der Umgang mit dem Älterwerden ist eine Kunst, die uns
niemand beibringt und jede Frau geht anders damit um.
Dennoch, wie bei jeder Situation, auf die sich der Mensch neu
einstellen muss, durchläuft er auch hier individuell verschiedene Phasen. Alle Phasen haben jedoch eins gemeinsam: Sie beginnen mit dem Blick in den Spiegel und dem Gewahrsein,
dass die Zeit der Welke beginnt. Plötzlich blicken die Augen der
Vergänglichkeit ins Antlitz und verglichen mit dem inneren Bild, in dem wir uns
als junge Frau spiegelten, erscheint da ein fremdes Gesicht, das doch nicht
wirklich das unsere sein kann. Es kann, es ist es sogar und es macht keinen
Sinn es nicht sehen zu wollen, auch wenn das in vielen Fällen die erste
Reaktion ist.
Willkommen
in der Verleugnung des Alters
Eine
Frau die ihr Alter verleugnen will beginnt mit dem Schritt zurück. Sie zieht
sich bewusst jugendliche Kleidung an, schminkt und frisiert sich auffällig. Sie investiert
viel Geld in die Kosmetikerin, kauft jede neue Antifaltencreme, die ihr ewige
Jugend verspricht, probiert wahllos Diäten aus, treibt wie besessen Sport oder
geht ins Hormonyoga. Alles in der Hoffnung dem Altern ein Schnippchen zu
schlagen und es solange wie möglich aufzuhalten. Manche legen sich unters
Messer, lassen sich Botox oder Hyaluronsäure spritzen und werden im worst case zu
Junkies von Schönheitschirurgen. Sie tun sich mit gleichgesinnten Freundinnen
zusammen und verbringen ihre Abende auf Ü40 Parties wo sie sexuelle Abenteuer
suchen, um sich ihre noch vorhandene Attraktivität durch Männer bestätigen zu
lassen.
Frauen
in dieser Phase reden nicht über ihr Alter und reagieren höchst empfindlich
wenn man sie darauf anspricht. Sie ignorieren es. Dass das Kraft kostet versteht sich von selbst. Und wohin das führt, kann man sich denken. Wer nicht bereit ist sich mit der eigenen Vergänglichkeit
auseinanderzusetzen wird von ihr eingeholt. Sie lässt sich weder
wegschminken, noch wegschneiden, noch wegdenken – sie ist da unter der Maske
des Nichthinschauenwollens und arbeitet destruktiv und zäh von unten, solange bis sie
die künstliche Maske durchstößt und der morgendliche Blick in den Spiegel
keiner Leugnung mehr standhält. Dieser Fall in die Realität ist schmerzhaft.
Und was dann?
Diese
Frauen hadern mit dem Schicksal, sie beginnen ihren Körper und ihr Gesicht zu
hassen, sie beneiden junge Frauen. Die Folge: Sie machen sich das Alter zum
Feind und bedauern sich selbst in der festen Überzeugung, dass das Leben endgültig
vorbei ist oder noch schlimmer, dass es ihnen etwas schuldig geblieben ist. Die Angst vor der Zukunft wächst und mit ihr die Angst vor dem Tod.
Selbstzweifel und Selbstvorwürfe wechseln sich ab und sie beginnen vielleicht zu
begreifen, dass sie achtlos sich selbst gegenüber gelebt haben. Die Möglichkeiten etwas zu ändern
werden nicht gesehen. Was kommt ist eine tiefe Resignation, die selbstzerstörerische Tendenzen annehmen oder in Depressionen führen kann.
Wer will so leben?
Niemand. Die Frage ist: Wie komme ich in ein neues Gleichgewicht? Eine
schwere Übung, denn das heißt zuallererst: Der Realität mutig und gefasst ins Auge zu blicken.
Es
macht keinen Sinn das Älterwerden ignorieren zu wollen, noch ist es hilfreich, es
als Grund für die eigene Selbstabwertung zu funktionalisieren. Selbstwertgefühl
lässt sich nicht chirurgisch einschneiden oder einspritzen, es ist in uns oder
nicht, es ist im Laufe des Lebens gewachsen oder nicht. Und es ist eine Frage
unserer Biografie, ob wir es mitbekommen haben oder nicht. Ein gesundes
Selbstwertgefühl wird im Alter nicht schwächer, im Gegenteil, es wächst.
Eine
Frau, die sich im Laufe ihres Lebens seelisch und geistig entwickelt hat,
bezieht wenn sie älter wird alles mit ein, was sie in ihrer Vergangenheit
gelebt und erfahren hat und legt es zu dem, was sie in der Zukunft noch erleben
und gestalten will. Sie findet zwar ihre körperlichen Veränderungen nicht erfreulich,
aber sie ist bereit sie anzunehmen und lenkt ihren Blick nicht verzweifelt auf
das eigene Spiegelbild, sondern auf das, was das Alter an Sinnvollem und Wertvollem mit sich
bringt. Im besten Falle mehr Gelassenheit und Souveränität und – vor allem
mehr Zeit für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse, all das, was sie nicht tun
konnte, als die Pflicht und die Sorge um andere ihre Tage bestimmte, sie tut das, was der eigenen Seele und dem Geist Sinn gibt und was Freude macht.
Natürlich
ist das keine leichte Aufgabe, denn Gleichgewicht im Leben ist in keinem Alter
von Dauer. Sicher ist da diese leise Melancholie, die das Bewusstsein der
eigenen Vergänglichkeit und Endlichkeit mit sich bringt, sicher ist da das Erkennen, dass das Meiste gelebt ist. Es gibt Krankheiten,
Trennungen und Todesfälle, die sich im Alter um uns herum häufen und uns daran
erinnern, dass auch wir irgendwann gehen müssen.
Und was jetzt, was machen wir mit dem Rest, der bleibt? Was gibt es zu finden wo vieles verloren ist was wir einst als wichtig und lebenswert erachtet haben. Wie den herbst und den Winter des Lebens gestalten?
Wer sich selbst achtet und sich selbst gegenüber aufmerksam ist wird mehr und
mehr zu sich selbst kommen und das ist für mich die Aufgabe, die uns das Altern stellt. Das Älterwerden ist die Zeit nach Innen zu gehen.
Langfristig wird man so dem Eigenen immer
näher kommen. Das Älterwerden trägt die Chance in sich, uns von oberflächlichen Tendenzen zu lösen und uns wirklich auf das
zu konzentrieren, was uns gut tut. Damit wächst auch die Fähigkeit, sich
selbst anzunehmen und zu lieben, für all das, was man ist.
In den späten Jahre geht es auch um die Abstimmung persönlicher Ziele auf den jeweiligen Lebenskontext.
Was wollen wir noch tun, was erreichen, was ist ungelebt und wie wollen wir es erreichen? Da die Ressourcen begrenzt sind, ist die Auswahl einer Teilmenge potenzieller Ziele notwendig, auf die die Ressourcen dann gebündelt werden.
Hierzu zählt das Setzen neuer Prioritäten, die Konzentration auf zentrale Ziele und die Anpassung dieser Ziele an die jetzigen Gegebenheiten.
Dazu gehört vielleicht der Erwerb neuer Fertigkeiten und das Suchen und Finden von ungenutzen Ressourcen und die Integration dieser Fertigkeiten und Ressourcen in die weitere Lebensgestaltung. Welche Mittel haben wir um Verlusten, die das Altern mit sich bringt entgegenzuwirken? Wie kompensieren wir beispielsweise den Verlust des Partners, wenn sich ein Neuer nicht finden lässt? Was tun wir, wenn wir Dinge und Vertrautes verloren haben oder gar bei Null anfangen müssen, was wir uns nie hätten vorstellen können? Wie wollen und können wir den Verlust aüßerer und innerer Ressourcen bewältigen? Was können wir optimieren und was muss neu gefunden werden um unser Wohlbefinden zu erhalten oder um es neu zu gewinnen? Das sind die wahren Fragen, die uns das Älterwerden stellt und nicht: Bin ich noch schön genug um auf dem Beziehungsmarkt zu bestehen?
Beauty is skin deep
only – wahre Schönheit kommt von Innen und wahre Schönheit entwickeln ist neben
der eigenen Würde für mich die größte Herausforderung des Alters.
Wer fähig ist Schönheit im Außen
wahrzunehmen, trägt sie auch in sich selbst, denn das Außen ist ein Spiegel, in
dem wir sehen, was wir sind. Also macht es Sinn herauszufinden, was wir im
Außen sehen. Das Schöne oder das Hässliche, das Gute oder das Schlechte , die
Freude oder das Leid. Am besten beides ausgewogen, denn nur dann begreifen wir
den Wert aller Dinge und das Leben selbst. Wie wir werten sagt viel über unsere innere Schönheit.
Frauen
die glauben im Älterwerden nicht mehr weiblich zu sein hatten oft auch in der
Jugend keinen Zugang zu ihrer Weiblichkeit, sie haben nicht begriffen,
was sie über die äußere Form hinaus bedeutet. Ein Grund dafür ist, dass wir
Frauen uns immer im Spiegel der Männer sehen, weil wir so erzogen wurden. Aber das
sagt nichts über das wahre Wesen der Weiblichkeit und seine immense Kraft, Klugheit und
Schönheit.
Viele
Männer ziehen uns ein Leben lang Kraft, indem sie etwas von uns fordern, was
wir nicht per se sind, ein schmückendes Attribut an ihrer Seite, eine
leidenschaftliche, treue Geliebte, eine gute, verständnisvolle, sorgende Mutter
und die beste Freundin, die mit ihnen durch dick und dünn geht. Das ist viel,
zu viel an Erwartungen für ein Frauenleben. Und irgendwann ist es genug.
Im Älterwerden können wir uns
entscheiden unsere Kraft endlich für uns selbst zu nutzen und uns zu fragen:
Was will ich und was will ich nicht mehr?
Viele
Frauen haben in der Lebensmitte und darüber hinaus ein großes Verlangen über den
eigenen Schatten zu springen und sich selbst zu leben, ohne die
Verantwortungen, die sie sich ein Leben lang aufgrund ihrer Konditionierungen
in den Schoß haben legen lassen. Wichtig
ist, sich klar zu machen, dass diese Entwicklung Zeit braucht. Der Wille sich
selbst wichtig zu sein und sich selbst gut zu tun, muss reifen, so wie wir selbst mit
den mit den Jahren reifen.
Und
schließlich kommt uns hier auch die Mythologie zu Hilfe. Eine ältere Frau ist
archetypisch eine Frau, die die Zeit der Unschuld und des Nährens hinter sich
hat, die sich einen Platz in der Welt geschaffen hat, an dem sie sicher,
zufrieden und selbstmächtig ist. Sie ist tief, sie ist innerlich gereift und
kennt ihre Grenzen. Diese Zeit ist, wenn wir sie zu nutzen wissen, die
Erntezeit im Leben. Wir handeln weise wenn wir die Früchte unserer eigenen
Erfahrungen erkennen und achten können und sie dann weitergeben. Dazu gibt es
unendlich viele Wege und Möglichkeiten, in der eigenen Familie vielleicht oder wir suchen
uns Menschen, die wir mental unterstützen und begleiten können. Bis
es an der Zeit ist für die Zeit der weisen
Alten, eine Zeit der inneren Ruhe und des Friedens mit uns selbst und der Welt.
Eine weise alte Frau ist in Frieden mit sich selbst und nährt Andere mit
ihrer Weisheit. Aber wer ist weise? Weise ist, wer die wesentlichen Dinge des
Lebens erkannt hat und dazu gehört auch das Erkennen, dass das Alter nur dann
zum Feind wird, wenn wir gegen es ankämpfen.