Freitag, 18. Juli 2025

Die Vorstellung des Nichts im Tode

 




Seit meinem Stromschlag denke ich wieder einmal mehr über den Tod nach, der ja kommen wird, auch wenn er mich jetzt noch nicht haben wollte. Und ich denke an das Konzept vom ewigen Leben, an das viele Menschen glauben und an das ich nicht glaube. Mir stellt sich bei dem Konzept vom ewigen Leben immer wieder die Frage: Warum sollte dieses zeitlose unzerstörbare Zuhause existieren?
Weil der Mensch nicht willens oder fähig ist, sich selbst als vergänglich zu sehen, seiner Zerstörbarkeit und seiner eigenen Sterblichkeit ins Auge zu blicken, nicht willens anzuerkennen, dass es Lebendiges gibt, das leblos und tot werden kann, sich auflösen kann, vergehen kann, zu Staub werden kann, zu Nichts?

Das Nichts.
Der Mensch kann sich das Nichts nicht vorstellen.
Dazu reicht die Vorstellungskraft des menschlichen Gehirns nicht aus. Er kann sich nicht vorstellen wie es ist, wenn es überhaupt nichts gibt. Er kann sich das Nichts nicht vorstellen, denn könnte er es, wäre es ja wieder etwas und nicht Nichts.

So sucht er seine Rettung vor dem Unvorstellbaren in der Vorstellung vom ewigen Leben, vom zeitlosen unzerstörbaren Zuhause des Selbst. Für mich ist diese Vorstellunge die Abwehr der Angst vor dem eigenen Tod, dem Eingehen ins Nichts. Man könnte sagen: eine omnipotente Strategie der Verleugnung des eigenen Verschwindens ins Nichts.
Ich glaube, je einverstandener man mit dem gelebten Leben ist, desto weniger hat man Angst um die Nichtexistenz des eigenen Selbst und desto weniger wird man sich an die Vorstellung eines zeitlosen unzerstörbaren Zuhauses klammern.

Wenn alles Wandel und Veränderung ist, gibt es auch kein festes und kein ewiges Selbst, an das es sich zu klammern lohnt. Dieses Anklammern des Menschen an etwas, das er als sein unzerstörbares Selbst betrachtet, ist eine der Wurzeln des Leidens.
Wie sagte Frida Kahlo einmal: "Ich erwarte freudig den Ausgang – und hoffe, nie wieder zurückzukehren."
Das hoffe ich auch. 

Und bis dahin ... Viva la Vida!


Donnerstag, 17. Juli 2025

Carpe Diem


 
Ich renoviere gerade meine Wohnung. Während ich die Fliesen im Bad streiche, sehe ich die alte Lampe über dem Spiegel, die ich für tot halte. Ich beschließe sie anzuschließen, um zu sehen, ob sie noch funktioniert.
Zack! Ein lauter Knall und ein Gefühl, als würde ein Blitzeinschlag direkt in meiner Hand zünden. Mein Herz rast, ich zittere am ganzen Körper und denke: „Wow, das war´s jetzt.“
Mit Herzklopfen, zitternd und schwindelig, befrage ich Dr. Google, was ich machen soll. Ist ja sonst keiner da, den ich fragen kann. Der meint: Auch nach einem kleinen Stromschlag soll man unbedingt den Arzt rufen und sich gründlich durchchecken lassen. Insbesondere das EKG gibt Aufschluss über Herzrhythmusstörungen.
Hm, ich rufe ja nicht so gern den Notarzt, was ein Act, aber als ich an mein Herz denke, das so bedrohlich klopft und an meine angeborene dritte Leitung zu viel, die schon ohne Stromzufuhr ab und zu außer Takt gerät und wie irre losrast, hab ich es doch gemacht. In drei Minuten war er da.
In die Augen geleuchtet, EKG gemacht. „Alles gut“, meint er und ich soll mich 24 Stunden beobachten und sofort wieder anrufen, falls es mir schlechter geht und, ich solle doch in Zukunft die Sicherung rausdrehen, bevor ich mich am Strom vergehe.
Tja, wie blöd kann man sein.
Jedenfalls, ich habe großes Glück gehabt. Ich bin noch am Leben und sehr dankbar, dass ich es noch bin und für die zündende Erinnerung: Das Leben kann verdammt schnell vorbei sein. Das wusste ich zwar schon immer, aber gefühlt ist es was anderes.
Also, Carpe Diem, mach das Beste aus jedem Tag, du weißt nie, wie lange du es noch kannst.

I am still here and that is everything.

Montag, 14. Juli 2025

Unsere eigene Geschichte

 

Die meisten Menschen tragen ihre Wunde mit sich herum, als wäre sie die Person, die sie sind, und erkennen nicht, dass es nur die Wunde ist, die sie mit sich herumtragen. Sie sind so damit identifiziert, dass sie sich nie fragen, ob es einen Ausweg gibt, oder sie sind davon überzeugt, dass es ihn nicht gibt und sich die Mühe nicht lohnt, ihn zu finden.
Dabei haben wir alle haben die Chance zu erfahren, wer wir wirklich sind, jenseits der Geschichten unserer Kindheit, wenn wir uns auf den Weg machen.
 
Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Wunden, die einzigartig sind.
Daher hat jeder Mensch seinen eigenen Weg, um zu genesen. Was für den einen hilfreich ist, ist es für den anderen nicht. Was bei einem wirkt, wirkt beim anderen nicht. 
 
Heilung ist eine sehr persönliche Reise.
Sie erfordert die Bereitschaft unseren ureigenen Weg zu finden.
Dann, wenn wir ihn gehen, wird es unsere eigene Geschichte.
 
 

Alles, was uns passiert, kann zu einem Segen werden.
Wenn wir ein Trauma oder Schmerzen erleiden, ist das für uns das Schlimmste auf der Welt. Aber wenn wir den Schmerz verarbeitet haben, wird er zu etwas, das uns Kraft gibt. Er wird zu etwas, das uns als Wegweiser und Lehrer dient.
 
Wir alle sind hier, um einander zu helfen zu heilen. Wenn ich nur einem Menschen helfen kann, sich besser zu fühlen, dann folge ich meiner Bestimmung. 
 
 

 
 
 
 
 
Angelika Wende

Sonntag, 13. Juli 2025

Schatten

 



Du denkst du hast etwas abgeschlossen und deine Lektion gelernt. Du denkst, das wird dir nie mehr in ähnlicher Weise passieren und wähnst dich immun. Und dann holt dich die Erinnerung, mitsamt allen Gefühlen, in Gestalt des Ähnlichen wieder ein. Du denkst, das kann doch nicht wahr sein. Du bist verwirrt und spürst wie dich das, was du abgeschlossen zu haben glaubtest, wie magisch anzieht.
Und dann begreifst du: Es gibt Dinge und Menschen, die dich immer magisch anziehen werden, das wird sich nicht ändern. Da ist etwas in dir, was damit in Resonanz geht, was so intensiv ist, dass es dich reizt. Da ist dieser Teil in dir, nenn es Schatten, den du nicht los wirst, weil es eben ein Teil deines Ganzen ist. Der bleibt. Was sich aber ändert, ist deine Reaktion darauf.
Du lässt die Finger davon, auch wenn es dich magisch anzieht.
Du widerstehst der Versuchung und backst dir ein Ei drauf.

Samstag, 12. Juli 2025

Aus der Praxis: Gewalt in Beziehungen

 

                                                                 Malerei: A.Wende



Die Gewalt ist ein Bereich undurchdringlicher Dunkelheit des Menschseins, den wir niemals vollständig begreifen werden. Der Mensch ist zu allem fähig, zu Liebe und Mitgefühl ebenso wie zur Grausamkeit und zur Zerstörung.

Wenn die Gewalt spricht, schweigt das Argument.
Menschen können zu gewalttätigen Monstern werden. Darin zeigt sich die dunkle Seite ihres Menschseins. Gewalt ist eine für jeden von uns zugängliche Handlungsoption. Wo Gewalt ausgeübt wird gibt es Täter und Opfer. 

 

Gewalt, egal ob es emotionale, psychische oder körperliche Gewalt ist, wirkt auf den Körper, sie hinterlässt tiefe Spuren an Körper und Seele. Gewalt verletzt und verursacht Schmerzen ud Leid. Wenn uns Gewalt widerfährt ist nichts wie zuvor. Für den Täter ist es das Gefühl von Allmacht, das er empfindet, für das Opfer ist es das Gefühl absoluter Ohnmacht.

 

Gewalt in Beziehungen verändert die Bedingungen unter denen Menschen einander begegnen, denn nach der Gewalttat ist nichts mehr wie es zuvor war.

Dennoch bleiben viele Opfer von Gewalttätern in diesen Beziehungen.

Sie versuchen die Gewalt als Ausnahmehandlung des anderen zu rationalisieren, sie versuchen sie wegzuerklären um ihre Fassungslosigkeit zu domestizieren.

Sie versuchen den, der ihnen Gewalt angetan hat, zu verstehen.

Sie suchen nach Rechtfertigungen, nach Erklärungen, nach Entschuldigungen für den Täter. 

Sie wenden sich dem Täter und seinen Absichten und Motiven zu und nicht den eigenen Gefühlen.

 

Die Intention des Täters verstehen zu wollen gehört immer zum Erleben des Opfers.

Das liegt daran, dass wir Menschen nicht nur auf Handlungen reagieren, sondern nach den dahinterliegenden Absichten fragen.

Wir fragen uns: Ist die Gewalt, die mir angetan wurde, absichtsvoll oder versehentlich geschehen, aus dem Affekt heraus oder mit Vorsatz?

Ist die Gewalt mit Erniedrigung und Demütigung verbunden?

Was habe ich getan, dass mir Gewalt widerfährt?

Womit habe ich den Täter vielleicht provoziert?

Was hat er für Probleme?

Welche Umstände haben es ihm ermöglicht, seine Hemmungen abzulegen?

Was wird durch die Gewalt mitgeteilt?

All das hat einen Einfluss darauf, wie eine Gewalttat bewältigt wird und wie Menschen auf sie antworteten.

 

In der Definition des Soziologen Heinrich Popitz ist Gewalt „eine Machtaktion, die zur absichtlichen Verletzung anderer führt, gleichgültig, ob sie ihren Sinn im Vollzug selbst hat, als bloße Aktionsmacht, oder, in Drohungen umgesetzt, zu einer dauerhaften Unterwerfung, als bindende Aktionsmacht führen soll“.

In dieser Definition liegt die Antwort: Bei jeder Art von Gewalt geht es um Machtausübung über andere. Darin liegt der Ursprung von Gewalt: "Ich erhebe mich mächtig über dich und versetze dich in Ohnmacht."

 

Wer ohnmächtig ist, ist hilflos, gelähmt, handlungsunfähig, erstarrt.

Er ist manipulierbar und kontrollierbar.

Er ist seiner Ich – Stärke und seinen Selbstwertes beraubt. Er ist in seiner Würde verletzt.

Er ist Opfer.

Ein Opfer, das begreifen muss, dass Gewalt aus einem Macht- und Kontrollbedürfnis resultiert.

Das wissen muss: Aggressoren nutzen Gewalt als Mittel, um Kontrolle über ihre Opfer auszuüben und ihre eigenen Unsicherheiten oder Probleme zu kompensieren.

Das wissen muss, dass es normal ist, sich nach einem gewalttätigen Vorfall verwirrt, ängstlich, beschämt oder machtlos zu fühlen.

Das wissen muss: Es gibt keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung für Gewalt – sie ist ein NO GO in jeder Art von Beziehungen. Sie ist maximale Grenzüberschreitung.

 

Wenn wir Opfer von Gewalt wurden, egal ob es körperliche, emotionale, psychische oder sexuelle Gewalt war, ist es immens wichtig über unsere Gefühle zu sprechen, unsere Gefühle, Gedanken und Erfahrungen, als real anzuerkennen, ohne sie zu bewerten oder zu verurteilen. Es geht darum uns auf uns selbst zu konzentrieren und auf unsere innere Welt und nicht auf den Täter. Es geht darum, das Gefühl der Demütigung und der Scham, die viele Opfer von Gewalt empfinden, dahin zurückzugeben wo sie hingehören -  zum Täter.

Es geht darum zu erkennen: Es war nicht mein Fehler und nicht meine Schuld.

Denn, egal was ich gesagt oder getan habe, Gewalt ist niemals eine gerechtfertigte Antwort.

Sie ist inakzeptabel und zerstörerisch.

 

Eine Gewalterfahrung zu verarbeiten kann dauern, denn Gewalt ist, weil sie verletzt und Schmerzen verursacht, eine fortwährende Irritation von Körper, Geist und Seele und eine Herausforderung für das Begreifen des Unfassbaren.  

Und damit ist sie eine Traumatische Erfahrung, die bewältigt werden muss, um zu genesen. 

Für Opfer von Gewalt ist es wichtig sich Hilfe zu suchen, um die Dynamik zu verstehen und sich nicht allein oder schuldig zu fühlen. Erst dann kann es m.E. Sinn machen das Verhalten des Aggressors zu kontextualisieren und zu validieren, um das Opfer emotional zu entlasten.

 

Wenn uns Gewalt widerfahren ist können wir es nicht ändern. 

Wir müssen es verarbeiten, so gut wir können, aber wir können Vorkehrungen treffen, die künftig Menschen davon abhält, Gewalt gegen uns auszuüben.

 

 

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

 

Angelika Wende

www.wende-praxis.de

 

 

Mittwoch, 9. Juli 2025

Ein neues Drehbuch

 



 
Das Gelingen eines therapeutischen Prozesses ist der Punkt an dem der Mensch als Autor seines Lebens ein neues Drehbuch zu schreiben beginnt. Es unterscheidet sich vom alten Drehbuch dadurch, dass es weniger rückwärtsgewandt in der Vergangenheit spielt, sondern vielmehr ein Entwurf auf das Jetzt und die Zukunft hin ist. Es ist weniger verhaftet und gefangen in kindlichen Gefühlen, Mustern und Überlebensstrategien, weniger verstrickt in Selbstlügen und innerseelischen Konflikten, Mythen der alten Geschichten und infantilem Wunschdenken, freier von belastenden und quälenden Wiederholungen, sondern erwachsener und reifer, akzeptierender, selbstverstehender, gelassener, klarer und selbstbewusster, mehr der Wirklichkeit im Jetzt und der eigenen inneren Wahrheit zugewandt.

Montag, 7. Juli 2025

Alter Schmerz

 
 
                                                   
Malerei: A.Wende
 
 
 
Wir holen uns immer wieder in Dosen den alten Schmerz zurück, den wir am meisten loswerden wollen.
Die alte Trauer, die alte Wut, die alte Schuld, die alte Ohnmacht, die alte Scham, die alte Angst unserer Kindheit.
Wir tun das solange und so oft, bis wir innerlich bereit sind ihn nicht mehr zu verdrängen, abzuwehren, auf äußere Schauplätze zu verlagern, in ihn unheilsamen Beziehungen zu verpacken, zu dissoziieren oder zu kompensieren.
Wir tun das solange bis wir bereit sind ihn endlich zu fühlen und zu verarbeiten um ihn loslassen zu können.