Dienstag, 21. März 2023

Auf dem Weg

 

                                                                        Foto: www

 
Während wir auf dem Weg der Genesung sind beginnen wir viele geglaubte Wahrheiten und Überzeugungen zu hinterfragen. Wir beginnen anzuzweifeln, was wir für selbstverständlich hielten. Wir beginnen mehr und mehr wahrzunehmen, was in uns und um uns herum nicht in Ordnung ist.
Wir werden sensibler, für uns selbst und für andere.
Wir brauchen mehr Zeit für uns selbst und beginnen öfter die Stille zu suchen. Wir hören auf unsere Intuition und beginnen ihr mehr und mehr zu vertrauen.
Wir setzen Grenzen Menschen gegenüber, die uns immer wieder missachten und verletzen. Wir grenzen uns von jenen ab, die uns nicht wertschätzen und von jenen, die unseren Weg nicht mitgehen. Wir lassen ihnen das Ihre und kümmern uns weiter um das Unsere. Wir verlassen Beziehungen, die uns schädigen und sorgen für gesunde Beziehungen.
Wir erkennen, dass unser Wert nicht von anderen Menschen abhängt. Wir lassen uns nicht mehr manipulieren und bestimmen selbst wo es lang geht.
Vielleicht ziehen wir uns eine Weile zurück.
Unser Denken über emotionale und geistige Gesundheit verändert sich. Wir begreifen die Zusammenhänge zwischen unserer Psyche, unserem Geist und unserer Gesundheit und beginnen selbstschädigende Gewohnheiten zu lassen und entwickeln neue heilsame Gewohnheiten, die wir täglich praktizieren. Wir praktizieren Selbstfürsorge.
Wir begegnen unserem Inneren Kind und machen uns mit ihm vertraut. Wir lehnen es nicht mehr ab, weil es uns so oft boykottiert, sondern begegnen ihm mit Verständnis, Neugier, Mitgefühl und liebender Güte.
Wir reagieren weniger aus dem alten Überlebensmodus heraus und nehmen den Raum zwischen Reiz und Reaktion immer öfter bewusst wahr. Wir reagieren weniger und agieren mehr.
Wir stärken unsere Selbstwirksamkeit. Wir kennen unsere Werkzeuge zur Selbstberuhigungskompetenz und nutzen sie, wenn ungute Gefühle uns zu schaffen machen. Wir beginnen langsam das verlorene Vertrauen in uns selbst zurückzugewinnen.
Unsere Beziehung zu unserer Umwelt wird wacher, achtsamer und mitfühlender. Wir fühlen stärker unsere Verbundenheit mit allem. Wir leben bewusster. Wir vertrauen mehr und mehr unserer inneren Führung. Wir folgen unseren Werten und handeln danach.
Wir denken ganzheitlicher und integraler. 
 

Montag, 20. März 2023

Aus der Praxis: Emotionale Reifung

 

                                                                   Foto: A.Wende

 
Der Schmerz, den wir fühlen, lässt sich nicht durch einen besseren Job, einen besseren Partner oder mehr Erfolg beheben. Gefühle der Verlassenheit, der Trauer der Wut, der Wertlosigkeit, der inneren Einsamkeit, der Unzufriedenheit und der inneren Leere werden nicht durch das Verändern äußerer Umstände geheilt, auch wenn manche das meinen.
Die Erfahrung zeigt: Egal wo wir hingehen, wir nehmen uns mit.
Wir können die Probleme nicht auf der Ebene lösen, auf der sie entstanden sind.
Solange die verletzten jüngeren Anteile in uns unsere Sicht der Wirklichkeit prägen, bleiben wir der Mensch, der wir sind. Darum ist es so wichtig unsere Vergangenheit zu verstehen, zu verarbeiten und zu integrieren, um das verlorene Vertrauen in uns selbst wiederzuerlangen. Damit beginnt der Weg der Genesung.
 
Genesung ist ein bewusster Prozess, der Tag für Tag gelebt werden muss, indem wir uns unsere Denkweise über uns selbst bewusst machen und verändern.  
Dazu gehört, dass wir unser Bewusstsein auf die unbewussten Anteile in uns selbst richten, indem wir uns selbst von einer höheren Ebene aus mit Abstand beobachten. Damit ändert sich mit der Zeit unsere Selbstwahrnehmung und unser Bewusstsein über uns selbst.
Wir nehmen mehr und mehr wahr, wann wir aus den verletzen Anteilen heraus denken, empfinden und reagieren. Erst wenn wir diese Wahrnehmung geschult haben, können wir entscheiden, ob diese Anteile es gut mit uns meinen oder nicht, ob sie hilfreich sind oder nicht. Sind sie es nicht, nehmen wir Abstand und entscheiden uns für das, was jetzt in diesem Moment hilfreich ist. Damit beginnt der Prozess der emotionalen Reifung.
Emotionale Reife heißt kurz: Wir handeln nicht mehr aus den alten Konditionierungen und Überzeugungen der Kindheit heraus. Wir lernen die alten Muster zu identifizieren und sie nicht mehr auszuagieren, im Wissen, dass sie uns schaden, auch wenn wir dafür aus unserer Komfortzone heraustreten müssen. Dieser Prozess ist schwierig und er braucht neben der Bereitschaft ihn zu leben, viel Zeit, Arbeit und Disziplin. Wir müssen dranbleiben. 
 
Genesung ist keine Spontanheilung und kein Wunderwerk.
Was über Jahrzehnte unbewusst in uns wirkt, ändert sich nicht in kurzer Zeit, nur weil wir uns dessen jetzt bewusst sind. Wissen ist wichtig, aber es bedeutet noch lange nicht, damit wird gleich alles anders.
Es braucht Umsetzung. Gelebtes Wissen. Wissende Handlung.
Genesung braucht vor allem eins: Aktive, kontinuierliche Arbeit an uns selbst. Es gibt keine Abkürzung, der Weg ist das Ziel.
Ob wir diesen Weg gehen wollen, entscheiden wir selbst.
Denn jetzt sind wir kein Kind mehr - wir sind erwachsen und treffen unsere eigenen Entscheidungen. Wir übernehmen Eigenverantwortung. Wir haben eine Wahl.
Wir stellen uns dem alten Schmerz. Anstatt uns von ihm beherrschen zu lassen, lernen wir von ihm, sonst bleiben wir ewig darin stecken. 
 
Namasté

Freitag, 17. März 2023

Genesung

 


Genesung bedeutet auch: Ich gehe in eine Phase der Verpuppung. Ich ziehe mich zurück.

Ich verbringe meine Zeit alleine. Ich bleibe bei mir selbst. Ich bleibe in der Stille. 

Ich höre auf meine innere Stimme. Ich zwinge mich zu nichts. 

Ich tue nichts um mich zu manipulieren. Ich erlaube mir nichts zu tun und nichts zu wollen. Ich bin eine Weile absichtlos. Ich nehme nur wahr. Ich bin präsent. Ich vertraue dem Prozess. Ich schiebe ihn nicht mit Druck an. Ich vertraue mir selbst. Ich weiß, dass sich am Ende ein Schmetterling offenbart.

Mittwoch, 15. März 2023

„Mädchen, ich sage dir steh auf!“

 

                                                                      Foto:www


Viele Frauen haben sich jahrelang bereitwillig in den Dienst anderer gestellt. Dann kommt der alles verändernde Moment: Die Kinder sind aus dem Haus, die Ehe oder die Beziehung sind unerträglich geworden oder gescheitert, der Job langweilt oder belastet nur noch und der Blick auf die Zeit sagt: Mädchen deine Jahre sind begrenzt. Dann kann es sein, dass sie kommt: Die existentielle Sinnkrise.
Diese Frauen müssten eigentlich verdammt stolz auf sich sein, was sie bis in die 50iger Jahre ihres Lebens geleistet haben. Sie sind es aber nicht. Vielmehr fühlen sie sich nicht mehr gebraucht, leer und einsam, weil da niemand mehr ist für den sie da sein können. Sie haben nur noch sie selbst, sie fragen sich: Wer ist dieses Selbst? Und sie wissen nicht, wer sie wirklich sind und wie es weiter gehen soll.
Sie wissen oft nicht einmal mehr was ihre Bedürfnisse, Wünsche und Visionen sind, weil sie immer auf andere fokussiert waren und sie umsorgt haben, und wenn sie es wissen, denken sie, dass diese sich nicht mehr erfüllen lassen. „Zu spät“, kommt dann oft und je öfter sie diesen Gedanken denken, desto fester sitzt er im Kopf und verstärkt sich.
 
Sie fühlen sich verbraucht, müde, alt, nicht mehr attraktiv und begehrenswert, nicht wertvoll, nicht liebenswert und uninteressant. Sie fühlen sich haltlos und unsicher und wissen nicht wohin mit sich. Sie haben auf einmal viel Zeit für sich und wissen nicht, wie sie sie gestalten sollen. Sie haben keinen Plan, wie es weitergehen soll und die Angst vor einer ungewissen Zukunft lähmt.
„War das jetzt alles?“, fragen sie sich und tiefe Traurigkeit und Mutlosigkeit erfasst ihr Inneres.
Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
 
Ich kenne die Sorgen und Nöte dieser Frauen, den manche von ihnen durfte und darf ich begleiten.
Was diese Frauen brauchen ist zuallererst eine Inventur.
Einen Rückblick auf das, was sie alles geschafft haben, ein Anerkennen dessen, was sie vollbracht haben und Selbstwürdigung. Eine neue Sicht der Dinge und eine neue Bewertung dessen, was ihr Leben war – eine Kraft gebende. 
 
Es geht es darum, sich Klarheit zu verschaffen.
Dazu gehört zu schauen, was aufzuarbeiten ist, und es dann aufzuarbeiten. Dazu gehört: Auszusortieren, was nicht mehr hilfreich ist und zu behalten, was hilfreich und nützlich ist.
„Den Keller ausmisten“, nenne ich das.
Wenn das getan ist, wenn alles an hinderlichen Gedanken, lähmenden Überzeugungen, unheilsamer Realitäts- und Selbstbewertung, belastenden Erfahrungen, Verletzungen und Enttäuschungen angeschaut und verarbeitet ist, geht es um Weichenstellung.
Es geht um eine Weichenstellung, die klar und wahrhaftig ist, statt: „Ich sollte, ich müsste…
Sollen und müssen war lang genug!
Was will ich wirklich? Was will ich nicht (mehr)? 
Was oder und wer dient mir zu meinem Besten und was und wer nicht?
Was ist meine Vision? Was gibt mir Sinn? Was sind meine Werte?
Wie will ich mein Leben gestalten, so dass es tiefer, lebendiger und wesentlicher wird?
Das sind nur einige Fragen, die neue, klare Weichen stellen.
 
In dem Buch von Anselm Grün mit dem Titel „Finde Deine Lebensspur“ gibt es die Geschichte der kleinen Esther, die ich meinen Klientinnen, die sich in oben beschriebener Lage befinden, zum Lesen ans Herz lege.
Die Geschichte beginnt mit dem Entschluss der kleinen Esther, lieber zu sterben, als weiter in der Welt der Erwachsenen zu leben. Und damit beginnt ihre Heldinnenreise Richtung Freiheit, denn das ist der Schatz, den sie sucht.
Im Laufe der Reise lernt Esther trotz ihrer Angst zu handeln, sie lernt die Leere und das Alleinsein zu ertragen und anzunehmen. Je mehr Zeit vergeht, desto deutlicher und lauter hört sie ihre innere Stimme. Sie beginnt auf sie zu hören und die Kraft ihres Herzens wächst. Sie gibt nicht auf. Sie überwindet alle Herausforderungen.
Bis sie auf den Schwellenhüter trifft, der sich in jeder Heldenreise irgendwann zeigt um zu überprüfen, ob der Held oder die Heldin es wirklich ernst meinen. Er zeigt sich in Gestalt eines Steines, auf dem die Inschrift steht: „Ich lebe – und ich liebe dich, so wie du bist!“
Esther erstarrt. Sollte das etwa der Schatz sein, den sie sucht, der ihr zu einem freien Leben verhilft?
Sie kann und will es nicht glauben.
Sie ist enttäuscht, ihr Herz ist so voller Trauer, dass sie zusammenbricht. So viele Jahre war sie unterwegs, hat alle Gefahren überwunden, aller Angst getrotzt, all ihre Einsamkeit. Leere und Sehnsucht ausgehalten – und jetzt das?
Nur ein Stein mit der Inschrift: „Ich lebe - und ich liebe dich, so wie du bist?
Esther resigniert. Sie ist bereit aufzugeben und zu sterben.
Plötzlich hört sie eine Stimme: „Mädchen, ich sage dir steh auf!“
Nein, sagt Esther: Warum? Wozu? Für wen?
Aber die Stimme ruft ein zweites und ein drittes Mal: „Mädchen, ich sage dir steht auf!“
Und beim dritten Ruf kommt Esther eine Kraft entgegen, die sie bis in Innerste ihres Wesens führt. Dorthin, wo sie sich selbst als liebenswert und stark erkennt.
Und Esther steht auf.
Und geht weiter …
 
 
Namasté
Angelika Wende


Montag, 13. März 2023

Aus der Praxis: Wer in der Gefangenschaft der Sucht nicht leben will, muss aussteigen.

 

                                                         Malerei: A. Wende

 

Das Zusammenleben mit einem Alkoholiker bedeutet extremen Stress. Der Süchtige verhält sich wie eine Melange aus Dr. Jeckyl und Mr.Hyde, einem hilflosen, ungezogenen, bockigen Kind und, je weiter die Sucht voranschreitet, wie ein Pflegefall. Die Angehörigen müssen alles ertragen und alles erledigen, was der Süchtige nicht mehr schafft. Sie müssen die Schäden der Sucht mittragen und schließlich den Süchtigen versorgen, wenn er selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Sucht ist eine Familienkrankheit, von der alle betroffen sind.

Sucht gleicht einem schwarzen Loch, das alle Bemühungen verschluckt. Irgendwann kommt der Punkt, an dem der Angehörige, der den Süchtigen „retten will“, in diesem schwarzen Loch versinkt, während der krankheitsuneinsichtige Süchtige weiter seiner Sucht frönt. 

Das größte Leid der Angehörigen tritt dann ein, wenn der Süchtige in der chronischen Phase angelangt ist und sie weiter auszublenden versuchen, dass der zerstörerische Sog des Siechtums sie mit in den Abgrund zieht.

Angehörige von Süchtigen, die zu mir kommen, haben emotionale und/oder physische Gewalt erfahren und viele leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, was ihnen oft nicht bewusst ist.

Das Leben in der Co-abhängikeit von einem Süchtigen, der keine Kranheitseinsicht hat, ist ein Ritt durch die Hölle. Und der hat Nachwirkungen, auch dann wenn Co-abhängige sich bereits getrennt haben. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes vergiftet. Sie müssen entgiften um zu genesen.  

Viele Co-abhängige geben alles um dem Süchtigen zu helfen, und alles ist vergeblich. Sie betreiben oft über Jahrzehnte oder lebenslang "betreutes Trinken", ohne sich dessen bewusst zu sein. Mit ihrer Unterstützung, ihrer Duldsamkeit, ihrer Leidensfähigkeit und ihrer Hilfe, halten Sie die Sucht aufrecht.

Wer mit einem Alkoholiker lebt weiß: Alles dreht sich um den Süchtigen. Eigene Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte bleiben unerfüllt. Und nicht nur das:

Selbst der Gesündeste beginnt an sich zu zweifeln, wenn er mit einem Alkoholiker zusammenlebt. 

Alkoholismus schafft verzweifelte Menschen. 

Sucht zerstört den ganzen Menschen. 

Sucht macht so ich-süchtig, dass jedes Gefühl abstirbt.

Sucht macht so taub, so leer, so kalt, dass alles andere darunter begraben wird.

Eben auch die Seele und das Leben der Angehörigen.

Für Süchtige gibt es zahllose Hilfen, die jeder, der eine Krankheitseinsicht hat, nutzen und in Anspruch nehmen kann. Die Angehörigen stehen in ihrem Leid oft alleine da. 

Co-abhängige haben kaum eine Lobby. Und viele von ihnen schämen sich Hilfe überhaupt zu suchen oder sie reden sich ein, dass es ihnen so schlecht nicht geht und es so schlimm doch nicht ist. Dem Süchtigen geht es ja am Schlimmsten. Sogar in den Angehörigenseminaren mancher Suchtkliniken, ich spreche aus eigener Erfahrung, sieht man die Aufgabe der Angehörigen darin, den Suchtkranken auch bei seiner Genesung mit allen Kräften zu unterstützen. Und wieder sind sie in der Rolle der Therapeutin, bzw. des Therapeuten, des alles Verstehenden und Verzeihenden, des Betreuers bzw. der Betreuerin. Denn: auch wenn der Süchtige trocken ist, geheilt ist er nicht. Alkoholsucht ist eine chronische Krankheit, die nicht heilbar ist, man kann sie nur stoppen. Sie hat die höchste Rückfallquote aller Süchte.

TherapeuthIN oder BetreuerIN – ein Platz, an den Angehörige nicht hingehören, denn dazu ist eine Partnerschaft nicht da. 

Wieder kommt es zu einem unheilsamen systemischen Ungleichgewicht, indem die Rücksicht auf und das Verständnis für den Süchtigen vor den eigenen Bedürfnissen und Befindlichkeiten Vorrang haben. Es geht ja um seine Genesung. Dazu gehört aufzupassen, dass man als Angehöriger den Suchtkranken nicht wieder durch irgendeinen "Fehler" oder Trigger in den Rückfall treibt. Wieder kommt es zu Dauerstress, dauernder Angespanntheit, dauernder Habacht-Stellung, dem ständigem Drehen um den Süchtigen, jetzt um ihn vor einem Rückfall zu bewahren. Denn nach wie vor dreht es sich um den Alkohol, der jetzt nicht mehr getrunken werden soll und die Belastung, die Abstinenz bedeutet. Und wieder ist da Erschöpfung, Traurigkeit und Wut, und wieder sind da permanent Druck und Angst. Zu viel an Belastendem um die eigenen Bedürfnisse hinreichend leben zu können. Zu viel um endlich Ruhe und Frieden zu finden. 

Wer will so leben?  Meiner Meinung nach niemand, der sein Leben und sich selbst genug wertschätzt und würdigt. Aber: das ist nur meine Meinung. Jeder entscheidet für sich. Jeder ist für sich selbst und sein Leben verantwortlich.

Wer in der Gefangenschaft der Sucht nicht leben will, muss aussteigen. 

Das ist für Co-abhängige genauso schwer wie der Ausstieg des Suchtkranken aus der Sucht. Der Ausstieg beginnt mit dem ersten Schritt: Dem Anerkennen, das die Suchtdynamik die Kontrolle über das eigene Leben hat. Entscheidend um den Ausstieg aus dieser Dynamik zu finden ist es zu lernen die eigenen Gefühle bewusst wahrzunehmen und sie auch ernst zu nehmen. Dann geht es darum Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein (wieder)zuerlangen, die eigenen Grenzen zu spüren und zu setzen, sprich gesunden Selbstschutz zu üben, um schließlich das co-abhängige Verhalten zu verlernen. Dazu gehört unabdingbar, dass man nach den Ursachen sucht, die oft in den jüngeren verletzen Anteilen liegen.

Es geht im Grunde darum das zu lernen, was der uneinsichtige chronisch Süchtige nicht will und am Ende auch nicht mehr kann: Verantwortung für sein Denken und Handeln zu übernehmen - Eigenverantwortung - und das bedeutet: Zuallererst für sich selbst gut zu sorgen.

Wenn Du co-abhängig bist und Unterstützung suchst – ich bin für dich da.

Schreib mir eine Mail unter: aw@wende-praxis.de

Ich freue mich auf Dich.

Angelika Wende

 

 

 

 

 

 

 



Sonntag, 12. März 2023

People Bashing: Hurt People hurt People

 


Mit steigender Unsicherheit, Frust und Angst ob der schwierigen Zeit in der wir seit Beginn der Corona Krise leben, werden viele Menschen immer nervöser und empfindlicher und manche leider auch immer aggressiver und feindseliger. Besonders gut beobachten kann man das in den sozialen Medien.
Diese Feindseligkeit hat ein neues Phänomen hervorgebracht: Das sogenannte "People oder Social Bashing".
„People Bashing“ ist eine Bezeichnung für die öffentliche heftige bis herabsetzende Kritik an einer Person. Diese wird verbal angegriffen und öffentlich schlecht gemacht. Bashing geht mit Vorwürfen, Unterstellungen, Beschimpfungen und Diffamierung einher. Ziel ist es, die Person öffentlich schlecht zu machen.
Der gebashten Person werden immer ungute, böse oder unmoralische Motive unterstellt. Es wird kein gutes Haar an ihr gelassen. Dabei werden bewusst negative Eigenschaften betont und als Vorwürfe formuliert. Die Person wird attackiert, niedergemacht, runtergemacht und schlecht geredet.
People Bashing ist der moderne Pranger unserer Zeit zum Zwecke der sozialen Vernichtung derer, die nicht dem Mainstream oder den Befindlichkeiten ihrer Gegner entsprechen.
Motiv des People Bashings ist: Die betreffende Person sozial zu vernichten. Und im Extremfall kann das gelingen. People Bashing kann so weit gehen, dass ein sensibler Mensch in die Verzweiflung getrieben wird. So hat sich vor kurzem der Biologe Clemens Arvay das Leben genommen, weil er die öffentlichen Angriffe, Kränkungen, die Hassampagne und die mediale Hetze gegen seine Person nicht mehr ertragen hat.
R.I.P Clemens Arvay.
 
Was treibt solche Leute an, die andere verunglimpfen und fertig machen wollen?
Ihnen fehlt vor allem Empathiefähigkeit. Sie sind unfähig sich in die Gefühle derer zu versetzen, die sie fertig machen wollen. Sie sind unsensibel für andere. Sie zeigen antisoziales Verhalten. Sie verletzen rücksichtslos Normen und Werte wie Respekt, Achtung und Wertschätzung ihren Mitmenschen gegenüber, zum eigenen Frustabbau oder zum eigenen Vergnügen.
Zu ihren Eigenschaften gehören Impulsivität, mangelnde Impulskontrolle, hohe Reizbarkeit und aggressives Verhalten. Sie projizieren ihre verdrängten Schatten auf andere und reagieren ihren Frust, ihre Unzufriedenheit, ihre Ohnmacht, ihre Wut, ihre Unsicherheit, ihre eigenen Verletzungen und ihr geringes Selbstwertgefühl an anderen ab um sich selbst besser zu fühlen und sich selbst zu erhöhen indem andere abgewertet werden. Es besteht keine Einsicht in das eigene schädliche Tun und zugleich eine hohe Ignoranz für die Folgen der eigenen destruktiven Handlungen, die anderen Schaden zufügen. Aufgrund des mangelnden Einfühlungsvermögens haben sie keine Schuldgefühle oder empfinden Verantwortungsbewusstsein, wenn sie andere verletzen. 
 
Hurt people hurt people.
People Basher projizieren und schlagen munter drauf los, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie denken in Schwarz-Weiß Kategorien und kennen keinen Zwischentöne. In ihrer Welt gibt es nur ihre Meinung und ihre Sicht der Dinge. Wer diese nicht teilt oder in Frage stellt, ist ihr Feind und der muss bekämpft oder sogar vernichtet werden. Und manchmal gelingt ihnen das sogar, wie der Fall des Biologen Clemens Arvay auf tragische Weise gezeigt hat.
Traurig.
Und übel das Bashen.
Sehr übel.
 
Besonders übel ist, man kann diesem Bashing kaum Einhalt gebieten. Jede Person, die in der Öffentlichkeit steht und eine eigene Meinung vertritt, kann ihm zum Opfer fallen.  
Diese Meinung muss nicht einmal eine politische oder wissenschaftliche sein. Pepole Basher finden immer Trigger und Gründe und immer neue Opfer um sich abzureagieren.
Es reicht schon eine Meinung zu vertreten oder eine Wahrheit zu konstatieren, die solchen Leuten nicht in den Kram passt. Man ist, einmal zum Opfer auserkoren, dem Bashing auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Die einzige Chance dem zu entkommen ist der mediale Rückzug. Oder man hält es aus. Dazu braucht es eine sehr starke Persönlichkeit, ein hohes Maß an Gelassenheit und die Fähigkeit Schläge einzustecken.
Aber auch dann stellt sich mir die Frage: Will man das aushalten? Ist es das wert? Ist einem das, was man tut und wofür man steht, wert, dass man sich diesen Aggressoren zum Fraß vorwirft?
Wenn ihr mich fragt: Nein.
Clemens Arvay hat es lange ausgehalten bis er sich zurückzog. Nur war es wohl tragischerweise zu spät.
Was in einem Menschen durch permante Angriffe und Kränkungen tief verletzt wurde, heilt nicht indem er sich nicht mehr als Angriffsfläche zur Verfügung stellt. Was geschehen ist, die soziale Vernichtung und damit die soziale Ausgrenzung, nimmt ihm sein soziales Leben und damit auch das, was ihm seinen Lebenssinn gab. Clemens Arvay hatte eine Vision. Sie wurde medial vernichtet, und damit wurde dieser sensible Forscher und Biologe in seinem ganzen Sein vernichtet.
Wir sollten sehr vorsichtig sein, wie wir miteinander umgehen.
Wir sollten sehr vorsichtig sein, "wie" wir Kritik an anderen Meinungen üben.
Wir sollen sehr vorsichtig sein, im Umgang mit den Seelen unserer Mitmenschen und mit der eigenen.

Freitag, 10. März 2023

Und nach all der Unliebe habe ich endlich gelernt mich selbst zu lieben

 



Gestern machte ich auf meiner Faebookseite einen Post über Selbstliebe.
Darin standen zwei Sätze darüber, was Selbstliebe für uns tut.
Nichts weiter.
Und es gab Angriffe.
Das ging soweit, dass der Vorwurf kam, ich betreibe Victim Blaiming.
Aha, interessant!
Ich habe erkennen dürfen: Das Wort Selbstliebe ist ein Trigger für manche von uns. Für die Ungeliebten, die Traumatisierten, die, die sich selbst nicht lieben können, die, die verwundet sind von der Unliebe, die, die Liebe nie erhalten haben oder nur Unliebe oder gar Hass erfahren haben, kann das Wort Selbstliebe starke negative Gefühlen auslösen.
Ich verstehe das.
Dennoch ist das kein Grund zum Angriff über zu gehen, die Selbstliebe zu verteufeln und die, die darüber schreibt, in diesem Falle mich, zu attackieren.
Auch wenn ich das Motiv dieses Angriffs nachvollziehen kann – Angriffe dieser Art sind ungut. Sie sind projektiv, sie sind aggressiv und sie sind respektlos. Also bitte, wem nicht passt, was ich schreibe, der braucht es nicht gut heißen, nicht annehmen und nicht drüber nachdenken, es ist meine Wahrheit und die muss nicht jedem gefallen und nicht für jeden wahr sein.
Aber: respektloses Verhalten und persönliche Angriffe dulde ich auf meiner Seite nicht. 
 
Zur Selbstliebe ...
Niemand muss sich selbst lieben.
Niemand muss Selbstliebe für wichtig oder für heilsam halten.
Niemand muss sich schlecht oder schuldig fühlen, weil er sich selbst nicht lieben kann.
Niemand muss sich selbst lieben lernen wollen, wenn er das nicht will.
Niemand muss das Wort mögen, wenn es ungute Gefühle bei ihm auslöst.
 
Wir haben die Wahl.
Wir haben die Wahl zu entscheiden, ob wir in Sachen Liebe etwas für uns tun wollen oder nicht.
Meine Erfahrung sagt: Es ist heilsam sich selbst lieben zu lernen. Es ist heilsam den Weg zu gehen, der uns liebevoll mit uns selbst und unseren innersten Kern verbindet – und der ist in seiner Essenz für mich Liebe. Liebe für uns selbst, unsere Nächsten, Mutter Erde und das Leben selbst.
Es ist heilsam von der Unliebe zu genesen, die uns verletzt hat, die uns hart und lieblos für uns selbst gemacht hat, die uns beigebracht hat, dass wir nicht nicht wertvoll, nicht wichtig, nicht gut genug, nicht würdig sind um liebenswert zu sein. Die Unliebe, die uns all das beigebracht hat und der wir all das geglaubt haben, das noch im Erwachsenenalter in unseren jüngeren Anteilen steckt und uns einen liebevollen Zugang zu uns selbst unmöglich oder sehr schwer macht, ist destruktiv.
 
Ich kenne viele Menschen, die sich selbst nicht lieben können. Viele meiner Klienten können das nicht. Das hat nichts mit Schuld zu tun. Ich selbst konnte es lange nicht. 
Ich habe geliebte Menschen verloren, die ohne Selbstliebe waren. Einer davon hat sich erfüllt von Selbsthass zu Tode getrunken, der andere ist auf dem Weg der Selbstzerstörung. Meine Liebe zu ihnen konnte beide nicht retten. Soweit kann der Mangel an Selbstliebe gehen, hin zum Selbsthass und bis zur Selbstzerstörung, indem ein Mensch sich schlecht behandelt und sich langsam mit Alkohol oder anderen Drogen selbst vergiftet bis er dahinsiecht und sich zu Tode bringt. Welch ein Leid. Welch ein Leid für die, die dabei zusehen müssen und nichts, aber auch nichts tun können, so sehr sie den anderen auch lieben. Ich habe lernen müssen: Liebe zu einem Menschen, der sich selbst nicht liebt, kann nichts bewirken. Meine Liebe konnte ihre Liebe zu sich selbst nicht wecken. Ich begriff: Die Unfähigkeit, sich selbst zu lieben, ist die Wurzel ihres Leids.
 
Als ich mich selbst nicht lieben konnte, dachte ich, alles würde besser, wenn ich nur einen Menschen finde, der mich liebt. Es war eine der größten Illusionen in Sachen Liebe, die ich mir gemacht habe. Ich erkannte mein Leid bestand nicht darin, das andere mich nicht lieben. Mein Leid bestand darin, das ich mich selbst nicht genug lieb hatte. Und weil das so war, habe ich mir immer Partner gesucht, die mir das gespiegelt haben. Partner, die sich auch nicht lieb hatten und um deren Liebe ich kämpfen musste, wie als Kind um die Liebe meiner Eltern. Ich habe mein Drama wiederholt und es ging jedes Mal nicht gut aus. Ich habe mich selbst behandelt wie man mich als Kind behandelt hat - lieblos und ich wurde behandelt wie man mich als Kind behandelt hat - lieblos. Ich bin es nicht wert geliebt zu werden, dachte ich, aber heute weiß ich: es ist nicht wahr.
 
Weil ich "glaubte" nicht liebenswert zu sein, ja Liebe nicht einmal verdient zu haben, habe ich mich lieblos behandeln lassen.
Die Unfähigkeit, sich selbst zu lieben, ist die Wurzel vielen Leids.
Wer keine liebende Güte für sich selbst empfinde, hat es schwer, er empfindet einen Mangel, den er im Außen zu erfüllen sucht. Wie will ich lieben, Liebe überhaupt fühlen, für mich selbst und andere, wenn Liebe außerhalb meines Selbst liegt, wenn sie abhängig von anderen ist, die mir dieses Gefühl geben sollen, das ich mir selbst nicht zu geben vermag?
Wie kann ich von anderen erwarten, dass sie mich lieben, wenn ich es selbst nicht tue, wenn ich Liebe nicht in mir selbst trage, für mich und mein Leben, das ein Geschenk ist? Mir wem gehe ich dann Resonanz? 
 
Wenn ich keine Liebe für mich selbst fühle, ist jedes Lieben ein mich Be Lieben lassen, ein mich selbst im anderen lieben. Brauchen ist das, nicht lieben.
Ich hatte ich mich darauf verlegt gebraucht zu werden, wenn ich schon nicht geliebt werden konnte. Ich habe Selbstmissbrauch betrieben. Solange bis ich endlich wach wurde, bis mir schmerzhaft klar wurde, warum mir das alles immer wieder in geschieht: Damit ich endlich lerne mich selbst zu lieben.
Damit ich aufhöre verzweifelt in anderen zu suchen, was ich nicht in mir und nicht für mich selbst empfinde.
 
Ich brauche umso mehr Liebe und Wertschätzung von anderen, je weniger ich diese Gefühle mir selbst gegenüber fühle. 
Wenn ich mich selbst nicht lieb haben kann, was nichts anderes heißt als liebevoll JA zu mir zu sagen, mit allem, was ich bin und nicht bin, mit meinen Wunden und meinen Verletzungen und gerade deswegen, mitfühlend und liebevoll ja zu mir sage, kann es auch niemand anderes auf eine Weise tun, dass es mich erfüllt. Wenn ich mich selbst nicht lieben kann, liebe ich ersatzweise andere. Wenn ich mich selbst nicht lieben kann, bleibe ich in der Opferrolle stecken und sie, die mir Unliebe gaben, haben gesiegt. Ich habe entschieden: Ich bin kein Opfer – ich bin eine Überlebende. Das kleine Mädchen, das misshandelt und verstoßen wurde, hat überlebt und es ist gewachsen. Dafür liebe ich es von ganzem Herzen. Dafür liebe ich mich. Auch dafür. 
 
Alle Liebe, die wir im Außen suchen und vielleicht irgendwann sogar finden für eine Weile, macht den Mangel an Selbstliebe nicht wett. 
Verlieren wir den Geliebten oder die Geliebte, bleiben wir unzufrieden und voller trauriger Sehnsucht. Wir empfinden ein Gefühl der Leere, vielleicht sogar Wut, wir haben wenig Hoffnung und Zuversicht und empfinden das Leben und all unsere Bemühungen als scheinbar sinnlos, denn - ohne Liebe ist alles Nichts. Der klassische Ausdruck dieses Zustands ist die Depression.
Ich habe begriffen, solange ich mich nicht selbst lieb habe und mein Sosein als Mensch nicht würdige, ist meine größte Angst, nicht geliebt zu werden und niemand lieben zu dürfen.
Ich war eine Abhängige der Liebe.
Ich bin es nicht mehr.
Nach all der Unliebe habe ich endlich gelernt mich selbst zu lieben.
Und weil ich weiß, dass es möglich ist, sich selbst lieben zu lernen und weil ich weiß, wie schmerzhaft es ist, es nicht zu können, tue ich was ich tue, jeden Tag, indem ich Menschen dabei unterstütze und begleite sich selbst Liebe, Respekt und Wertschätzung zu schenken.
Ich tue das, weil ich es kann. 
 
Namasté
Angelika Wende