Dienstag, 21. Januar 2025

"Ich kann nicht mehr!" Krisen im Alter

 

                                              Malerei: Angelika Wende 

 

Jeder Mensch kann in eine kritische Situation oder in eine Krise geraten. Ich selbst habe in meinem Leben einige Krisen durchlebt und bin jedes Mal stärker daraus hervor gegangen. Das gelingt nicht jedem Menschen und auch dem, dem es immer gelungen ist mit Krisen fertig zu werden, kann an einen Punkt kommen, wo er das Gefühl hat: "Ich kann nicht mehr!"

Im Chinesischen steht das Wort Krise steht wéi für Gefahr und Risiko, sowie das Zeichen jī für Chance und Gelegenheit.  Eine Krise ist ein entscheidender oder ein gefährlicher Moment im Leben. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wir meistern die Situation und überwinden die Krise und wachsen daran oder wir sind überfordert und zerbrechen daran.

 

Je älter wir sind, desto mehr Lebenserfahrung haben wir, auch was Krisen angeht. 

Die meisten von uns haben alle Krisen irgendwie gemeistert. Je älter wir werden, desto stärker und resilienter werden wir, könnte man meinen, aber das ist nicht immer so. 

Je älter wir werden, desto fragiler können wir werden, desto weniger Energie und Kraft steht uns zu Verfügung, die wir noch in jungen Jahren hatten. Wir haben viel erlebt und manches blieb nicht in den Kleidern stecken. Auch unsere Resilienz kann sich aufbrauchen. Dazu kommt, dass wir viele Verluste erlebt haben und je älter wir werden, desto mehr werden es. Wir verlieren Menschen, die uns Halt gaben und Menschen, die die wir lieben. 

Viele ältere Menschen sind mehr und mehr auf sich selbst zurückgeworden. Ein neues soziales Umfeld zu schaffen, das die eigenen Bedürfnisse erfüllt und mit dem Resonanz möglich ist, fällt aus vielerlei Gründen nicht leicht. Kommt dazu noch eine schwere Krise, kommt der Moment, wo wir denken: „Ich kann nicht mehr!“

Dieser Gedanke ist ein Signal der Psyche, wenn alles zu viel wird.

Sich das einzugestehen kann eine Erleichterung sein.

 

Trennung, der Tod eines geliebten Menschen, Eintritt ins Rentenalter, eine schwere Krankheit, körperlicher Verfall, Überforderung oder Unterforderung, weil wir keine Aufgabe mehr haben, uns nicht mehr gebraucht fühlen, Langeweile, Leere, gefühlte Sinnlosigkeit, Sinnverlust, Einsamkeit und Vereinsamung sind typische Krisensituationen im Alter.  

Findet sich kein Ausweg, kann all das in eine schwere Lebenskrise führen.

Wir fühlen Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wir sind traurig. Wir spüren Wut. Wir resignieren. Wir sind hoffnungslos und verzweifelt. Vielleicht möchten wir nur noch auf dem Sofa liegen oder kommen kaum noch aus dem Bett.

Es gibt kein „Wozu“ mehr um am Morgen aufzustehen.

Diese Gefühle und Zustände sind sehr belastend. Sie drücken nach Unten. 

Sie sind schwer auszuhalten.

 

Vielen Menschen, besonders Männern, fällt es schwer, um Hilfe zu bitten.

Es ist schwer zu sagen: „Ich komme gerade mit meinem Leben und mit mir selbst nicht zurecht.“ Manche Menschen machen deshalb Folgendes:

Sie ziehen sich zurück, sie lassen sich gehen, sie haben keine Tagestruktur mehr. Sie trinken zu viel Alkohol, sie fangen an zu rauchen oder rauchen mehr als früher. Sie essen zu viel und/oder zu ungesund oder sie essen kaum noch. Sie nehmen Psychopharmaka um die belastenden Gefühle zu betäuben. All das sind Suchtstoffe und unheilsame Verhaltensweisen, die schnell zur Gewohnheit werden, abhängig machen und auf Dauer zerstörerisch wirken.

Gefühle wie: „Ist doch auch schon egal!“ „Ich bin alt. Mein Leben ist eh nicht mehr lebenswert.“ Oder eben: „Ich kann einfach nicht mehr", sind nachvollziehbar.

Hört man genauer hin, steckt hinter dem „nicht mehr können“ oft ein: „Ich will nicht mehr.“

 

Hinter “nicht mehr können und “ nicht mehr wollen” stecken Gefühle und Gründe.

Diese gilt es zu herauszufinden.

Gefühle wie diese sagen uns auch: Bleib stehen und halte inne.

Sie signalisieren wie groß die Erschöpfung der Psyche ist.  

 

Fast jeder Mensch empfindet manchmal so.

Das ist kein Zeichen von Schwäche.

Es ist ein Zeichen, dass die Krise jetzt Gefahr signalisiert.

 

Ein Mensch, der nicht mehr weiter weiß, der nicht mehr können will, braucht Hilfe. 

Wer nichts tut, bleibt in der Krise stecken. Die Spirale geht weiter nach Unten.  

Doch woher Hilfe nehmen, wenn da vielleicht keiner mehr ist, dem wir uns anvertrauen können? Wer hört zu? Wen interessiert es? Wer ist wirklich bereit zu helfen? Wer ist bereit da zu sein, mitten in der Krise, durch die Krise? Wer hat die Zeit, die Bereitschaft und die Kraft einen Menschen zu begleiten, auf seinem Weg durch die dunkle Nacht der Seele? 

Ich wünsche jedem, dass er einen Menschen hat oder findet, der ihn ernst nimmt, mit all seinen Gefühlen und Ängsten. Einen, der wirklich zuhört ohne zu bagatellisieren oder gut gemeinte Ratschläge zu geben, einen, der einfach da ist, der versteht und nicht bewertet.

 

Für viele Menschen die in einer Krise stecken, ist es schon eine große Hilfe über ihre Gefühle zu sprechen und vor allem: verstanden zu werden.

Das ist der Anfang die Chance zu nutzen, die sich in der die Krise bietet: Reden, Verständnis suchen und verstanden werden. Dann erst Lösungen finden um weiter zu machen.

Es gibt immer eine Lösung, die wir in der Krise allein nicht sehen können. 

Dafür bin ich da, um zu verstehen und um Lösungen zu finden, wenn da sonst keiner ist.

 

Diese Woche biete ich wieder kostenfreie Erstgespräche an.

Wenn Du Hilfe brauchst, schreib mir dazu gerne unter: aw@wende-praxis.de.


 

„Es ist nie zu spät, das eigene Leben neu zu gestalten.

Selbst in den schlimmsten Zeiten können wir uns für einen Sinn entscheiden.“

 

Viktor Frankl

 

Montag, 20. Januar 2025

Aus der Praxis: Was nützt Erkenntnis?


                                                            Gemälde: Kerstin Lichtblau
 

Wenn wir den Weg zur Genesung gehen, gewinnen wir irgendwann die Erkenntnis darüber, was uns geprägt und zu dem Menschen gemacht hat, der wir sind. Wir wissen um Ursachen und Gründe. Wir verstehen weitgehend, warum wir so denken, fühlen und handeln wie wir es tun. Unser Verstand sagt uns, dass wir nun, da wir alles erkannt haben, die Lösung gefunden haben. Und dann merken wir, dass sich doch nichts verändert.
Erkenntnis hat viele Aspekte unter anderem auch diese:
Du hängst fest am erkannt haben und weißt keinen Schritt weiter, weil das Erkannte dich erschüttert, dir den Boden unter den Füßen wegreißt und alles zusammenbrechen lässt, was du für wahr, wertvoll und wichtig gehalten hast.
 
Du weißt nicht, was dich erwartet, nach dem, was du erkannt hast.
Erkenntnis kann schmerzhaft sein, so schmerzhaft, dass ihr Lähmung folgt.
Erkenntnis kann ein Wegfallen sein, das dich ins Fallen bringt.
Erkenntnis kann eine Blockade sein, die dir die Sicht auf das verstellt, was sein könnte.
Erkenntnis kann dich in der Vergangenheit festhalten und dich für das Jetzt blind machen.
Erkenntnis ist ein Stadium zwischen dem, was erkannt ist und dem, was noch nicht erkennbar ist.
 
Erkenntnis allein ist noch keine Lösung.
Sie ist noch keine Veränderung.
Erkenntnis ist ein Anfang auf der kognitiven Ebene. Zur Umsetzung muss sie in eine tiefere Ebene sacken. Sie ist noch keine Verhaltensänderung. Verhaltensänderung beginnt dann, wenn du ins Fühlen kommst, bewusst im Jetzt ankommst und handelst um deine Erkenntnisse umsetzen. Veränderung beginnt, wenn du einen emotionalen Zugriff auf das hast, was du erkannt und verarbeitet hast. 
 
 
Angelika Wende

Sonntag, 19. Januar 2025

Neue Wahrheiten

 

                                                               Zeichnung: A.Wende

 

Lange glaubten die Menschen, dass die Erde das zentrale Element im Weltraum sei und das Meer der Anfang vom Ende der Welt sei, bis der Astronom Galileio Galilei eine Entdeckung machte und behauptete, dass die Sonne der Mittelpunkt unseres Planetensystems ist und die Himmelskörper um die Sonne kreisen.

Galileio´s neues Weltbild aber widersprach dem, was die Menschen glaubten. Vor allem die Katholische Kirche wehrte sich dagegen, denn, was der Astronom sagte, widersprach der Bibel. Nach seiner Verurteilung durch die Inquisition der katholischen Kirche wurde Galilei verboten seine Lehre zu verbreiten. 

"Eppur si muove!" - "Und sie bewegt sich doch!" soll Galileo Galilei gesagt haben, als er nach seiner Verurteilung den Raum verließ.

Heute wissen wir, er hatte Recht. Seine Entdeckung hat die Welt verändert.

 

Attackieren, ausgrenzen, verurteilen – Galileio´s Geschichte ist nur ein Beispiel dafür, wie Menschen reagieren und handeln, wenn etwas nicht in ihr Glaubenssystem passt und ihm widerspricht: Sie verschließen sich neuen Gedanken und Erkenntnissen, sie schließen die, die ihnen neue Wahrheiten anbieten aus, sie verurteilen sie und sie machen sie mundtot, so sie das können.

Das war früher so und das ist heute so.

 

Menschen werden unruhig, wenn man an ihren Glaubensmustern, Überzeugungen, Vorstellungen und selbsterschaffenen Wirklichkeiten kratzt, wenn einer an ihren Suggestionen und Automatismen rüttelt. Sie bekommen es mit der Angst zu tun. Der Halt, der sie gehalten hat, könnte ins Wanken kommen, die Welt, die berechenbar erschien, könnte unberechenbar werden. Strukturen könnten sich auflösen, die alte Wahrheiten wie Leim zusammenhalten. Ihre selbsterschaffenen Götter könnten sich als Illusion erweisen.
Bloß alles beim Alten lassen.
Bloß nichts Neues zulassen.
Auch wenn das Alte längst überkommen ist und zu nichts Gutem geführt hat.
Bloß nichts ändern.

 

Jeder der seine eigene Wahrheit hat, die alte Denkweisen in Frage stellt und es wagt sie zu äußern, geht auf dünnen Eis. Er macht sich unbeliebt, er macht sich angreifbar, er passt nicht in die Welt so wie die Masse sie zu sehen gelernt hat. Wer es wagt alte Glaubensmuster, Konzepte und Therorien in Frage zu stellen oder gar neue Einsichten und Wahrheiten zu verbreiten, geht das Risiko ein, attackiert ausgrenzt und ausgestoßen zu werden. 

Wer selber denkt ist suspekt. Er fällt aus dem Rahmen des Denkrahmens, auf den sich das Kollektiv geeinigt hat.

Er hat die Wahl zu schweigen oder weiter seine Wahrheit zu vertreten und für sie einzustehen. Viele dieser freien Denker schweigen dann, denn als Ausgestoßener lebt es sich schwer. Manche aber schweigen nicht, so wie Galileo Galilei es getan hat. Er und all die anderen, die ihre eigenen Wahrheiten suchen, finden und für sie einstehen, haben meinen tiefen Respekt, denn sie sind es, die uns weitergebracht haben und weiter bringen. 

 

Wie sagte Galileio einst?

„Ich fühle mich nicht zu dem Glauben verpflichtet, dass der selbe Gott, der uns mit Sinnen, Verstand und Vernunft ausgestattet hat, von uns verlangt dieselben nicht zu benutzen."

 

Genauso sehe ich das auch.

 

 

 

Freitag, 17. Januar 2025

Spirituelle Co-Abhängigkeit

 

                                                           Malerei: A.Wende

 
"Der Lehrer, der Guru, der Meister, ist verantwortlich für mein spirituelles Wachstum."
Bei dieser Überzeugung hat das Kind in uns das Gefühl, dass sein Wachstum von den Eltern abhängt. Der Guru, der Lehrer, der Meister, ist Stellvertreter für die elterliche Instanz. Er ist dafür verantwortlich uns auf den Weg zu führen, uns zu leiten, zu nähren, zu befreien, zu erleuchten. Ohne seine Lehren sind wir unfähig und hilflos. Nur mit seiner Weisheit, seinem Wissen und seiner Führung erreichen wir Wachstum.
In Wahrheit aber sind wir abhängig von der kindlichen Sehnsucht gehalten, geführt und umsorgt zu werden. Die kindliche Sehnsucht fixiert sich auf etwas außerhalb von uns selbst.
Jede Fixerung auf etwas außerhalb von uns selbst nimmt uns die Verantwortung für unsere eigene Wahrnehmung, unsere eigene Erfahrung und unsere eigene Wahrheit ab.

Mittwoch, 15. Januar 2025

Selbstwirksamkeit

 

                                                              Malerei: A.Wende


All der unerledigte Kram der Vergangenheit, all das, was an uns nagt, all das, was uns schwer auf der Seele liegt, was wir nicht verdaut haben, hindert uns daran im Jetzt zu leben und auf eine bessere Zukunft hinzuarbeiten.
Unerledigtes und Ungelöstes hindern uns daran, auf Wege zu gelangen, die zu Besserem führen. Wir sind in gewisser Weise von Dingen vergiftet, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Um weiterzugehen müssen wir sie aus unserem Geist entlassen, uns auf das Jetzt konzentrieren und auf die Dinge, auf die wir jetzt Einfluss haben. 
 
Wenn wir unser Leben damit verbringen, vergangene Dinge zu bedauern, sie wieder und wieder im Geist durchspielen, bleiben wir den Herausforderungen der Gegenwart gegenüber starr und unbeweglich. 
Niedergedrückt von der Last der Vergangenheit schaffen wir es nicht, uns wieder aufzurichten. Das Alte hängt wie ein schwerer Rucksack an uns, der nichts als ungesunde Nahrung enthält. Wir vergiften uns selbst weiter. Es fehlt uns an Selbstvertrauen und Zuversicht. Wir sind passiv, resigniert und handlungsunfähig. Wir fühlen uns mental, emotional und körperlich schwach.
Es ist so einfach, uns zu entmutigen und zu sagen „Das schaffe ich nicht.“ Wir können es schaffen. Es gibt keinen Grund, dass wir es nicht schaffen, außer dem einen: Wir bleiben stehen, weil wir uns nichts mehr zutrauen und nicht mehr an uns selbst glauben.
Wohin führt das? Zu nichts.
 
Die einzige Art voranzuschreiten ist: Handeln.
Jede noch so kleine Handlung in die richtige Richtung schenkt uns das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Jedes Mal, wenn wir Selbstwirksamkeit erfahren, wächst unser Selbstvertrauen und unser Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Kompetenzen die Anforderungen des Lebens wirksam bewältigen zu können und positive Ergebnisse zu erzielen.
 
 
Wenn Du Deine Selbstwirksamkeit stärken willst, unterstütze ich Dich gern.
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Dienstag, 14. Januar 2025

Verletzlichkeit

 

                                                                                Foto: A.W.


 

Verletzlichkeit bedeutet nicht, dich selbst zu verlieren.

Verletzlichkeit bedeutet, von einem Ort der inneren Stärke heraus zu teilen.

Verletzlichkeit ist eine Entscheidung, deine Authentizität zu offenbaren 

und dabei in deiner Würde und Selbstachtung verankert zu sein.

Montag, 13. Januar 2025

Was ist dran am Klischee vom intelligenten, glücklichen Einzelgänger?

 

                                                                           Foto: A.W.

 

Eine Studie aus dem British Journal of Psychology zeigte vor einigen Jahren, Hochintelligente Menschen, the extremely intelligent, genannt, erfahren weniger Zufriedenheit in sozialen Kontakten. Damit stehen sie im Gegensatz zur Mehrzahl der Menschen, bei der Sozialisation mit anderen Menschen einer höheren Lebenszufriedenheit gleichkommt. 

 

Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen einander, das haben zahlreiche Wissenschaftszweige belegt. Der Reiligionsphilosoph Martin Buber brachte es auf den Punkt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Der Mensch wird am Du zum Ich“,  denn nur in Beziehung zu einem Du kann sich unser Ich entwickeln. Mit "Du" meinte Buber dabei unsere Mitmenschen als auch Gott, im Sinne von: Das „ewige Du“.

 

Wie aber steht es um die intelligenten Einzelgänger, brauchen sie kein Du, keine Begegnungen, und wenn, warum ist das so?

Laut obengenannter Studie sind viele intelligente Menschen Einzelgänger. Sie vermeiden weitgehend soziale Kontakte. Die Autoren der Studie, Norman Li, ein Evolutionspsychologe an der Singapore Management University und Satoshi Kanazawa von der London School of Economics, haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Intelligenz, Freundschaft und Bevölkerungsdichte auf das Glücksgefühl der Menschen auswirken. Ihr Fazit: Intelligente Menschen fühlen sich glücklicher, wenn sie ihre Zeit nicht mit anderen verbringen müssen. 

Der Grund: Sie können Aufgaben besser alleine lösen und ziehen es vor selbstständig die Herausforderungen des Lebens zu meistern. Ihr Fokus liegt auf Autonomie im Gegensatz zu Fremdgesetzlichkeit, Fremdbestimmtheit und Bindung, also der Abhängigkeit von fremden Einflüssen bzw. vom Willen und den Erwartungen anderer. Aufgrund ihres starken Autonomiebedürfnissen sind ihnen Beziehungen weniger wichtig. Manche von ihnen, so eine Aussage der Studie, empfinden Beziehungen sogar oft als Klotz am Bein. 

 

Unser Maß an Intelligenz beeinflusst die Art, wie wir die Welt sehen.

Ein Mensch mit einem hohen IQ und ein Mensch einem niedrigen IQ sehen nicht dieselbe Welt. Die Person mit dem höheren IQ erkennt und versteht komplexe Informationen, Zusammenhänge und Muster, die die Person mit dem niedrigen IQ nicht sieht. Er ist fähig abstrakt zu denken, Dinge schnell zu erfassen, zu verarbeiten und daraus angemessene Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Fähigkeit umfasst kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Lernen, Erinnern, kritisches Denken und eine hohe geistige Leistungsfähigkeit bei Entscheidungsfindungen und im kreativen Lösen von Problemen. 

Von diesen Menschen, die diese Fähigkeiten besitzen, gibt es nicht allzu viele. Was dazu führt, dass jene, die sie besitzen, oft Einzelgänger sind. 

 

Ann Clarkson von der Mensa International, der weltweit größten und bekanntesten Hochbegabtenvereinigung, sagte dazu einmal Folgendes: „Es ist belegt, dass sich sehr intelligente Menschen manchmal von den Menschen um sich herum isoliert fühlen, weil sie die Welt anders sehen und wahrnehmen. Es ist schwer, jemanden zu finden, der Informationen genauso verarbeitet wie du, wenn dein Gehirn so funktioniert, wie das von nur zwei Prozent vom Rest der Weltbevölkerung.“

 

Mit anderen Worten: Wer besonders intelligent ist, ist allein, ein Einzelgänger. 

Da aber alles  mehrere Seiten hat, gilt auch hier: Das Thema ist komplex.

Der postulierte Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und Intelligenz stimmt so pauschal nicht. Das würde im Umkehrschluss heißen: wer sozial integriert ist, gesunde Beziehungen führt und Freunde hat, ist nicht sonderlich intelligent. Auch unter Hochintelligenten gibt es sozial integrierte Menschen, die erfüllende Beziehungen haben. Man hüte sich wie immer vor Verallgemeinerungen. Wahr allerdings ist, es ist schwer, mit jemandem zu kommunizieren, der nicht dieselbe Welt sieht, die wir sehen.

Eine Ursache dafür, dass intelligentere Menschen oft Einzelgänger sind, liegt u.a. am Kommunikationsspektrum. Jeder Mensch kann am besten mit einem Gegenüber kommunizieren, das einen ähnlich hohen IQ und ein ähnliches Kommunikationsspektrum hat. 

Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger Menschen können ihn verstehen, was dazu führt, dass man sozial isoliert ist, dann nämlich, wenn man absolut keine Begabung für Small Talk hat und diesen als sinnlos, ermüdend und langweilig empfindet. Während sich die meisten Menschen für banale Dinge interessieren und darüber endlos reden, machen sich intelligentere Menschen über wichtigere und komplexere Dinge Gedanken. Sie gehen in die Tiefe, haben einen hohen Anspruch an Details, nehmen wahr, was anderen gar nicht auffällt und meiden alles, was nur die Oberfläche kratzt. Pseudothemen ohne Nährwert sind für sie reine Zeitverschwendung.

Vielen intelligenten Menschen mangelt es an Menschen mit ähnlicher Intelligenz.

Sie isolieren sich dann, auf Grund der Tatsache nicht verstanden zu werden.

Sie wählen aufgrund dessen, dass sie keine Resonanz finden, ihr Einzelgängertum selbst, nach dem Motto: „Besser allein, als schlecht begleitet.“ Ihr unerfüllter Anspruch zwingt sie in die Isolation.

Intelligente Menschen machen zudem immer wieder die Erfahrung, dass sie oft nicht verstanden oder sogar missverstanden werden, dass man ihnen sagt,  sie seien seltsam, kompliziert, überempfindlich und anstrengend.

Wozu sollen sie sich dann austauschen?

In Folge ziehen sie sich, aufgrund wiederholter Zurückweisung, in ihre eigene Welt zurück. Viele intelligente Menschen sind nicht einmal introvertiert, sie finden einfach keine Verbundenheit, sprich Menschen, die ähnlich wahrnehmen, denken und fühlen. Sie sind auch nicht unbedingt sozial inkompatibel, sie genießen Gesellschaft, wenn inspirierende Gespräche stattfinden.

 

Fakt ist auch: Je höher die Intelligenz, umso höher sind in der Regel die Selbstansprüche.  Werden diese nicht erfüllt, wachsen Frust, Enttäuschung und Selbstzweifel. Was wiederum auch zum inneren Rückzug führen kann. Je intelligenter, desto mehr Gedanken sind im Kopf, und das heißt auch, desto mehr wird gegrübelt. Was nicht immer heilsam ist.  

Eine kanadischen Studie mit dem Titel: "Intelligence and emotional disorders: 
Is the worrying and ruminating mind a more intelligent mind?", die den Zusammenhang 
zwischen Intelligenz und emotionalen Störungen untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, 
dass das Grübeln tatsächlich ein Grund dafür ist, warum besonders intelligente Menschen 
die Einsamkeit bevorzugen. 
Zudem zeigte die Studie, dass es einen Zusammenhang zwischen Angst- und Depressionen 
mit Intelligenzmessungen gibt. Laut der Studie machen sich Menschen mit hoher Intelligenz 
mehr Sorgen. Infolgedessen haben sie ein höheres Angstniveau und entwickeln häufiger 
Angststörungen wie z.B. die GAS (Generalisierte Angststörung). 
 
Schließlich sind intelligente Menschen oft sensibler, heißt: Verwundbarer. 
Da jeder Kontakt die Möglichkeit beinhaltet, verletzt zu werden, neigen sie zu sozialem 
Rückzug, was zur Vereinsamung führen kann. 

Intelligente Menschen, die noch dazu hochsensibel sind, fühlen sich zudem häufig missverstanden und damit nicht anerkennt und ausgegrenzt.

Daher meiden Sie Gespräche und Kontakte, die negative Gefühle auslösen. 

 

Das Klischee vom intelligenten, glücklichen Einzelgänger kommt bei genauerer Betrachtung ins Wanken. 

Ich kenne, auch durch meine Arbeit, einige intelligente Menschen, die oft einsam und traurig sind. Sie leiden unter einer inneren Einsamkeit, die C.G. Jung einmal so definierte: „Einsamkeit kommt nicht davon, keine Menschen um sich herum zu haben, sondern davon, unfähig zu sein, die Dinge zu äußern, die einem wichtig sind oder seine eigenen Standpunkte zu vertreten, die andere als unzulässig finden.“

Es ist also nicht so, dass hohe Intelligenz uns per se zum glücklichen Einzelgänger macht, und dass sie generell zu einem gelingenden Leben führt, es macht auch nicht unbedingt Spaß allein zu sein. Das Klischee vom intelligenten Einzelgänger ist eine hochkomplexe Sache, es ist u.a. die Reaktion auf die Umwelt, verbunden mit vielen Parametern der Persönlichkeit und der Psyche, wozu übrigens auch die Bindungsangst und Bindungsstörungen gehören, welche dann als „Splendid Isolation des einsamen Genies “ stilisiert und romantisiert werden.

Manchmal ist es auch einfach bequemer intelligenter Einzelgänger zu sein, nach dem Motto: Am Gipfel bleibt die Lage überschaubar.

Mein Fazit: Intelligenz ist leider nicht genug für ein gelingendes Leben.