Freitag, 31. Oktober 2014

Gedankensplitter

... es sind die abbildungen der bilder, die von beginn an in uns einfließen.
 sie sind es, die uns unsere wirklichkeit zurückspiegeln ins eigene innere - das ist unser bild von welt.

Aus der Praxis - Liebe und Hass



Malerei: ich


Hass ist eine zutiefst menschliche Emotion.
Hass ist die stärkste Form der Abneigung für einen anderen Menschen.
Hassen wird ein Mensch immer dann, wenn er selbst nicht fähig ist eine Kränkung oder eine Verletzung, die er erfahren musste, zu verarbeiten.

Die Motive des Hassenden sind in den meisten Fällen unbewusst und spielen sich zwischen einem Spannungszustand von Gefühl und Verstand ab. Die Vernunft ruft nach der Verarbeitung der Verletzung während das Gefühl nach Rache und Bestrafung schreit. In Meyers Kleinem Lexikon der Psychologie ist zu lesen, dass das Gefühl des Hasses oft mit dem Wunsch verbunden ist, den Gehassten zu vernichten. Der Hassende verabscheut also nicht nur den Menschen, der ihn verletzt hat, er möchte ihm schaden.

Was aber macht einen Menschen zum Hassenden?

Hass folgt nach einer tiefen Verletzung. Wir alle werden in diesem Leben mehr als einmal verletzt und manche von uns sogar tief. Verletzungen gehören zum Leben. Diese Einsicht fehlt dem Hassenden. Er fühlt sich ungerecht behandelt von dem, der ihm die Verletzung zugefügt hat und darüber hinaus vom Leben selbst. In der Tiefe aber fühlt er sich einer Konstruktion von Leben beraubt, die er sich gemacht hat. Die starke Emotion von Hass folgt also immer einer Erschütterung des persönlichen Weltbildes, das davon ausgeht, alles haben und kontrollieren zu können. Ein infantiles Weltbild, das Weltbild einer narzisstischen psychischen Struktur, die glaubt, das Maß aller Dinge zu sein, Schöpfer und Beherrscher seiner Welt zu sein und das Recht zu besitzen, alles festhalten zu können, was geglaubt das Seine ist. Hassende sind "Haben" Menschen. Das sind Menschen, die ihr Leben von Dingen und Besitz abhängig machen und sich darüber definieren. Sie wollen be-halten. Dazu gehören in diesem Bild von In-der-Welt-sein auch Menschen. Die Basis des Hasses ist der Eigennutz, Hass entspringt immer dem Motiv des Eigennutzes. Dem Hassenden geht es um sein Ego. Alles was dieses Ego stört und gefühlt herabsetzt wird zum Objekt tiefer Abscheu, es verdient seinen Hass.

Erich Fromm unterscheidet zwei Formen von Hass. Zum einen den reaktiven Hass. Dieser ist immer das Ergebnis einer tiefen Verletzung oder einer schmerzlichen Situation, der ein Mensch ohnmächtig gegenübersteht, da er sie nicht verändern kann. Erich Fromm schreibt: „Unter reaktivem Hass verstehe ich eine Hassreaktion, die aufgrund eines Angriffs auf mein Leben, meine Sicherheit, auf meine Ideale oder auf eine andere Person, die ich liebe oder mit der ich identifiziert bin.“

Nun reagiert aber nicht jeder Mensch unter diesen Bedingungen mit Hass. Viele Menschen bleiben in der Ohnmacht stecken oder sie richten Wut und unterdrückten Hass gegen sich selbst, bevor sie ihn auf andere richten. Andere sind sich ihrer Wut und ihrer Hassgefühle bewusst und lernen konstruktiv damit umzugehen und sie zu kanalisieren, ohne sich selbst und anderen damit zu schaden. Diese Menschen begreifen sich nicht als Opfer, sondern haben eine tiefe Einsicht in das, was das Leben auch mit sich bringt, nämlich Zurückweisung, Enttäuschung und Verletzung. Es sind Menschen, die gereift sind an den Erfahrungen des Lebens. Dazu gehört, dass sie gelernt haben mit Schmerzlichem umzugehen, also auch mit Verlust.

Der Hassende hasst den Verlust. 

Er sieht ihn als persönliche Kränkung. Sein narzisstisches Weltbild kann das nicht zulassen, denn der Verlust lässt ihn zusammenbrechen und stößt ihn in das Gefühl, das ein Narziss nicht erträgt: sich klein und hilflos fühlen. Dieses Gefühl gilt es unbedingt zu vermeiden und, wenn es bereits entstanden ist, wieder zu verändern. Das kann in seiner Welt nur geschehen, indem er sich die Macht über das Haben zurückerobert. Hass führt daher oft zu Machtspielen, in denen der Hassende sein Opfer zu manipulieren und/oder zu terrorisieren versucht, oder im schlimmsten Falle zu vernichten versucht. Ein anstrengender Kampf, der am Ende meist zwei Gräber schaufelt, das des Hassenden und das des Verhassten, der den emotionalen Druck nicht mehr aushält.

Hass ist so stark wie die Liebe, allerdings zum anderen Pol hin - zur Zerstörung.

Was der Hassende nicht mehr haben kann, muss vernichtet werden. Nur so entkommt er der narzisstischen Kränkung. Aber es braucht noch mehr, um den Hass zum vorherrschenden Trieb werden zu lassen, der Leben vergiftet oder zerstört.

Zurück zu Erich Fromm. Fromm nennt dies den charakterbedingten Hass. Er wird zwar auf die gleiche Art und Weise wie der reaktive Hass ausgelöst, setzt aber eine grundlegend andere Persönlichkeitsstruktur voraus. Nach Fromm ist die Fähigkeit zu hassen in diesem Fall ein Charaktermerkmal, was bedeutet, dass eine Hassreaktion lediglich ein Ausdruck eines schon innewohnenden, also angelegten oder über Jahre verdrängten Hasses ist. Der Hauptunterschied zum „reaktiven Hass“ ist demzufolge die im Wesen eines Menschen angelegte Bereitschaft zu hassen, eine erkennbare Feindseligkeit, welche in Hassausbrüchen ihren Ausgang findet. „Doch wurde der Hass dann zu einem Charakterzug des Betroffenen, so dass er jetzt feindselig ist. ... Im Falle des reaktiven Hasses ist es die Situation, die den Hass erzeugt; im Falle des charakterbedingten Hasses hingegen wird eine nicht-aktivierte Feindseligkeit durch die Situation aktualisiert", so Fromm.

Im Menschen angelegt oder nicht, das Grundgefühl des Hassenden wird aktiviert durch ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit. 

Der stärkste Hass erwächst aus gekränkter Eitelkeit und verschmähter Liebe. Die Mythologie ist voll von hassenden "Liebenden". Medea und Jason sind eines der extremsten Beispiele. Da geht der Hass der Frau soweit, dass sie die eigenen Kinder tötet um Jason zu vernichten um ihm zu zeigen wie tief er sie gekränkt hat.

Aber kann Hass werden, wo einst Liebe war?
Nein.
Denn wo Liebe war, ist Liebe. Liebe entspringt dem Sein, sie ist ein Seinszustand und dieser geht niemals mit haben oder besitzen wollen einher. Wo Liebe ist ist kein Platz für Hass, wo Liebe geht, sind Trauer und Schmerz, sind am Ende, nach aller Trauer, ein Abschied und eine Heilung im Sinne von Dankbarkeit geliebt worden zu SEIN.

Der Hass aber will HABEN. Wer am Ende einer Liebe hasst, hat nicht geliebt, er hat gehabt.
Wo in einem Charakter der Hass sitzt und wütet, war und ist kein Platz für Liebe, denn Liebe und Hass schließen sich aus.

Sonntag, 26. Oktober 2014

Warum





warum, immer wieder dieses: warum?

und wenn die antwort einfach ist:
weil es der plan ist,
weil es das programm ist
weil es so und nur so ablaufen soll ...

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Erinnerung an eine Mutter

"Mutter" Acryl auf Leinwand,  A.Wende 2014
 
Er sagte: Du suchst deine Mutter in dir und kannst sie nicht finden. Denn sie hat dich nicht in ihr Herz gelassen, daher kann sie auch nicht in deinem sein. Diese leere Stelle versuchst du zu füllen und kannst dabei nur scheitern. Es ist nicht deine Sache, was du da suchst, an dir verurteilst, vermisst. Du kannst sie nicht ersetzen, aber du kannst dir selbst eine gute Mutter sein und du bist es für dein Kind.

"... nirgends hab ich die blaue blume geschaut."

Malerei: Angelika Wende

Dienstag, 21. Oktober 2014

Einsicht



Malerei: Angelika Wende

sie wollte leben, endlich leben, dieses endlich, das sie antrieb, immer wieder.
sie wollte sich anders denken was gewesen war, sich entfesseln vom gewesenen und beschloss all ihre kraft darauf auszurichten. es war eine ungeheure anstrengung. gefangen im neurotischen versuch der eigenen biografie zu entkommen, bemerkte sie das kräftezehrende nicht.

hinsehen und dann wieder nicht hinsehen, weil es weh tat. also wegsehen und den blick zu dem hin wenden, was man ihr vorenthalten hatte. die liebe war es doch, die man ihr verwehrt hatte, also die liebe als ziel. nicht wissend, dass liebe niemals ziel sein kann, nur ist. ein suchen, was nie gefühlt werden konnte, nicht gespürt innen.

eine illusion schaffen, ihr nachjagen und sie füllen mit interpretationen von liebe. adaptieren an gelesenes, gesehenes, gedachtes, ein starkes wollen. das musste doch gehen. sie wollte, voller wut, denen gegenüber, die ihr die liebe verwehrt hatten. entschuldigungen suchend für sie, kritisch würdigend, dass sie lebte, trotzdem, und sie entschuldigen mit einem: sie haben es nicht besser gewusst.

sie wusste, dass sie ihre geschichte nicht ändern konnte, nichts nachholen konnte, was vergangenheit war. also warum ewig über die verschüttete milch weinen? das war töricht, sagte man doch. sie wollte dem gesagten glauben und vergessen. aber wie vergessen, was unvergesslich eingebrannt ist in jede zelle. jedes neuron, das bei der kleinsten zurückweisung die erinnerung abfeuerte, trat den beweis an: sie hatte keinen einfluss, trotz gewollter einflussnahme. sie wollte es nicht wissen, wollte neues wissen, wollte die liebe die wunde der ungeliebten heilen lassen und suchte beharrlich im außen, was innen fehlte.

leben will ich, schrie es in ihr und die dazugehörigen gefühle fühlen. alles was zählt ist die liebe und ohne die liebe ist alles nichts. das schloss nichtlieben können aus, schloss sie aus. sie wollte dazugehören, wollte wie alle sein, kein außenseiterdasein führen, nicht wissend, dass durch anpassung nur ein verdrängen stattfand, ein unterdrücken und kompensationen, nicht ahnend, dass angst und aggressionen bleiben und wiederholungstaten schaffen.

aussicht, statt einsicht ins eigene.

liebe festmachen an ersatzgedanken und innen weiter das nichtspüren, defizite des nichtgefühlten in beziehungen zu anderen auffüllen, endlosschleife vergeblichkeit.

und endlich kraftlos, das erkennen: einsicht ins eigene, statt aussicht.

 







Samstag, 18. Oktober 2014

Gedankensplitter


Malerei: Angelika Wende

... und ich frage mich zum tausendsten Mal: Wie kann es sein, dass eine Mutter ihre Kinder verstößt? Dabei müsste ich es doch wissen, denn es gibt nur eine einzige Antwort: Diese Mutter hat keine Liebe in sich. Sie hat keine Liebe für ihre Kinder und sie hat keine Liebe für sich selbst.
Es gibt tausend andere Gründe, die man finden könnte, aber wahr ist letztlich nur dieser eine Grund, aus dem alle anderen Gründe erwachsen.

Freitag, 17. Oktober 2014

Der Maler Karol Rousin - Ein Bild von Landschaft





Karol Rousin malt Landschaften.
Mit sezierendem Blick für die Temperatur des Lichts und der Farben tritt er mit dem Sichtbaren in einen eigenwilligen und erfinderischen Kontakt und kultiviert ihn bis in die Abstraktion. Gegen eine hoch technisierte Welt, die der Mensch gestaltet hat, die menschenfeindlich ist und einem unaufhörlichen Vorstoß in die Selbstentfremdung Vorschub leistet, setzt Karol Rousin die Vergegenwärtigung von Natur. Seine intensive Auseinandersetzung mit der Landschaft gleicht einer Suche, einer Reise, die angesichts der kraftvollen Intensität des Naturalen den Blick zu öffnen vermag auf die innere Leere, in die Konsum und mediale Reizüberflutung den Menschen führen. In seinen Arbeiten schafft Rousin nicht nur sein Bild von Landschaft, er hinterfragt auf subtile Weise das Menschenbild des Zeitgeistes, indem er uns mit dem konfrontiert, was alles Leben hervorbringt, was uns hervorgebracht hat, uns leben lässt und in das wir letztlich eingehen:  Natur.

Der Mensch und Maler Rousin erfasst und begreift die Landschaft mit seinen Sinnen, er beobachtet das Licht, nimmt wahr wie sich Form, Farbigkeit und Atmosphäre durch seinen Einfall verändern, er macht Fotografien oder Skizzen, um das Wahrgenommene festzuhalten. Vor der malerischen Umsetzung plant er das Farbgefühl, das er transportieren will, bestimmt das Colorit, indem er die Leinwand untermalt, entscheidet so, ob es ein warmes oder ein kaltes Bild wird, setzt die Farbe gleichsam als Symbol für die Qualität von Licht. Ein Park im orangeroten Licht der Morgenstimmung, die Silhouette eines nächtlichen Häusermeeres auf tiefblauem Grund, ein Felsenmeer in der hereinbrechenden Dämmerung erwachsen auf dem Ton der Grundierung. Mit wenigen kraftvoll-dynamischen Pinselstrichen und dem hartem Duktus der ausführenden Hand wird das Bild gleichsam modelliert. Organisches formiert sich zu geometrischen Elementen, das Antlitz der Natur wandelt sich ohne das Wesenhafte einzubüßen.

Statt eines Fensters zur Natur entsteht ein Bildbewusstsein, das über die bloße Nachahmung von Landschaft weit hinaus geht. Wege und Bäume, Himmel und Erde, Berge und Täler kommen als Formen für Wirklichkeit vor. Mehr noch -  der Maler erfindet Wirklichkeit nach seinem Empfinden. Aus dem Lebendigen werden abstrahierte Formen, die vom Wesen der Landschaft, ihrer elementaren Bedeutung und ihrer Stimmungshaftigkeit erzählen. Dem Maler gelingt es die unterschiedlichen Aspekte einer Landschaft parallel wirken zu lassen. Abbildung und Wiedergabe der Atmosphäre treten gleichberechtigt auf und ermöglichen den Blick über die eigentliche Landschaftsansicht hinaus.




Rousins Blick auf Landschaft durch die Augen des Künstlers gleicht einem Spaziergang durch die Matrix der Natur. Die malerische Umsetzung fließt in Bewegung und Rhythmus der räumlichen Formen, ist empathisches Spiel mit Harmonie. Wie ein Magier jongliert Rousin mit dem Kontrast der Farben, mit Licht und Schatten. Expressiv, voller Energie und intensiver Dynamik ziehen uns diese Leinwände in den Bann und schenken uns ein einzigartiges ästhetisches Erlebnis des naturalen Phänomens.

Alles ist offen. Der Betrachter selbst hat die Wahl, er entscheidet was er sieht: Landschaft oder abstrakte Farbfläche. Geschickt und intelligent spielt Karol Rousin mit der Wahrnehmung des Betrachters. Er zeigt ihm eine Landschaft, eine Stadtsilhouette, die so gar nicht ist. Durch das Mittel der Eindichtung komprimiert er das Markante, zerlegt es und fügt es neu zusammen und kreiert so eine malerische Illusion - gleichzeitig manifestiert er die eindeutige Erkennbarkeit des Vorgegebenen. Hier geht Reales mit Irrealem eine Allianz ein und verändert dennoch nicht den ursprünglichen Charakter, im Gegenteil: Dieser tritt durch die Neumontage sogar stärker hervor als in der Wirklichkeit. Rousin lässt die Illusion einer einzigen Wirklichkeit zusammenbrechen. Er entnimmt der Realität Bilder, um Realität neu entstehen zu lassen, durch den Blick des Künstlers, der nach einem neuen Einblick sucht. Durch die mentalen Abbilder der Pseudowirklichkeit einer urbanen Struktur reißt er die raum-zeitliche Dimension des menschlichen Bewusstseins von Im-Raum-Sein, von In-der Zeit-Sein auf.

Karol Rousins künstlerische Handschrift ist eindringlich. Bewusst nutzt er die schöpferische Gabe Begrifflichkeit und Wesen von Natur zu beherrschen, er ist sich seiner Mittel bewusst, nimmt sich den unendlichen Spielraum, der sich ihm öffnet, weiß um die Möglichkeiten ebenso wie um die Herausforderung für den Maler. Vor allem aber weiß er um eines: Er weiß um die Fähigkeit mittels Kunst der Nachbildung des von der Natur Vorgegebenen zu entwachsen. Diese nutzt er, um schließlich über das bloße Wiedergeben hinauszuwachsen, hinein ins eigene Innere, dessen Selbstbewusstheit, sich in diesen Bildern spiegelt.





Kunsthalle Ingelheim, 16.Oktober 2014
 Fotos: (c) Alexander Szugger

Gedankensplitter



Malerei: Angelika Wende

wenn sich etwas wiederholt bedeutet das nicht nur, dass du etwas nicht gelöst hast,
und die nächste lektion kommt, es bedeutet, dass du es jetzt lösen kannst.

Sonntag, 12. Oktober 2014

AUS DER PRAXIS - Innere Leere, oder: Ich weiß nicht wer ich bin.



Gefühllosigkeit ist das, was Menschen allgemein als innere Leere beschreiben. Diese innere Leere ist ein wesentliches Merkmal der Depression. In der Depression erleben Menschen den Verlust der Gefühle, also die Fähigkeit Freude, Trauer oder Wut zu spüren und sie ausdrücken, bzw. zeigen zu können, sie fühlen sich leer und sehen nur noch ein schwarzes Loch.

Aber nicht jedes Gefühl von innerer Leere ist ein Indiz für eine Depression.
 
Innere Leere spüren auch Menschen, die so weit von ihrem inneren Wesen entfernt sind, dass sie sich selbst nur wenig oder nicht spüren können. Diese Menschen fehlt der Zugang zu ihrer eigenen Identität, mit anderen Worten: Sie wissen nicht, wer sie sind.
Dieses nicht wissen: „Wer bin ich?“, ist meist so alt wie diese Menschen selbst und nicht selten ist es die Folge einer in der Kindheit nicht stattgefundenen Identitätsbildung. Für diese Menschenkinder wurde entschieden, alles und jedes. Ihnen wurde gesagt, was man fühlen und was man nicht fühlen darf, was man sein und was man nicht sein darf, wie man sein und wie man nicht sein darf, was man tut und was man nicht tut. Die Betonung liegt auf: man. Sie wurden erzogen um angepasst zu sein und jeder Impuls eines kreativen Ausdrucks oder einer eigenen Meinung wurden im Keim erstickt oder verpönt. Meist wurden sie irgendwann brave Kinder, die man nicht sehen und nicht hören durfte.

Aufgrund der frühkindlichen Introjektionen, sprich der tiefen Verinnerlichung von Werten, Überzeugungen und Normen des elterlichen und/ oder des sozialen Umfelds, wie sie zu sein haben, fehlt ihnen das Gefühl für das eigene Sein. Sie haben die Introjektionen des Umfeldes nicht nur widerstandslos übernommen, sondern diese, meist bis zur Krise, die aufgrund der dauernden inneren Leere irgendwann unweigerlich im Leben eintritt, niemals hinterfragt. 

Menschen über die bestimmt wurde, bis ins eigene Gefühlsleben hinein, sind als Kinder abhängig von den Erwachsenen die über sie bestimmen und ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.  

Noch als Erwachsene sind sie fatalerweise genau aufgrund dieses frühen Ausgeliefertseins, abhängig von der Meinung und der Bestätigung anderer Menschen, die sie auch ständig suchen, weil sie nicht spüren, wie es sich anfühlt, sie selbst zu sein. Die leere Identität ist angewiesen auf Füllung von außen. Je weniger diese statt findet, desto leerer fühlen diese Menschen sich. Sie brauchen andere um sich zu spüren wie die Luft zum Atmen. Alles was das Loch im Inneren füllt ist lebensnotwendig. Das kann Aufmerksamkeit jeder Art sein, das kann ein Job sein, das können wechselnde Liebhaber sein, das kann Sport sein, das kann Einkaufen sein, alles was dazu dient zu kompensieren, dass da nichts ist, eben alles, was das Loch füllt. Aber ebenso schnell wie es gefüllt wird, fließt alles wieder aus ihm heraus und wieder fühlen diese Menschen die zermürbende Leere. 

Mit dieser Leere einher geht das Gefühl der Unsicherheit, besser der Selbstunsicherheit. 

Es gibt ja kein Selbst, es wurde nie formiert. Unbewusst spüren diese Menschen das. Nicht selten haben sie Ängste, sind permanent unsicher und angespannt, immer am Suchen und immer enttäuscht von der Welt und den Menschen, die ihre Bedürfnisse nicht befriedigen, ohne allerdings überhaupt zu wissen, was ihre wahren Bedürfnisse sind. Ein solches Leben ist wie das wahllose Fischen in einem großen Meer, in der Hoffnung endlich einen versunkenen Schatz zu finden. Aber sie finden ihn nicht, vielmehr spült sie eine Flut von nicht fassbaren Emotionen immer wieder zurück in die eigene Leere. 

Die Suche geht weiter.  

Auf der Suche nach Sinn, Halt und Bestätigung probieren sie alles Mögliche aus, um ihrem Leben einen Inhalt zu geben. Sie leben Beziehungen, die auf Projektionen, Idealisierungen und Wunschbildern basieren. Zu echter Nähe sind sie nicht fähig, denn wir Menschen können anderen nur so nahe kommen und sein, wie wir uns selbst nahe sind. Sind wir von uns selbst entfernt, gelingt uns keine Verbindung mit einem anderen. Es ist unmöglich sich einen anderen Menschen vertraut zu machen, solange der Mensch sich selbst ein Fremder ist.
 
Alles was von außen kommt und nicht aus dem eigenen Selbst, gibt niemals verlässliche Anhaltspunkte für das Spüren der eigenen Identität, wenn sie nicht existiert, weil sie, bevor sie sich entwickeln konnte, im Keim erstickt wurde.  

Das Ersticken kindlicher Individualität ist eine Form emotionaler Vergewaltigung. Die Opfer sind bedauernswerte Geschöpfe, solange bis sie sich dessen nicht bewusst sind, solange bis sie sich nicht aufmachen um die Türen nach hinten zu öffnen,Tür für Tür, bis zur allerletzten, um das zu finden, was in ihnen angelegt wurde, bevor man es ihnen zerstört hat: Den göttlichen Funken, mit dem sie das Licht der Welt erblickt haben, ihr schöpferisches Potential. Das ist der Schlüssel zum Gestalten einer eigenen Identität. Dafür ist nie zu spät.


Kein neues Leben




es gibt kein neues leben.
es gibt ein leben.
und dieses leben ist genauso alt wie wir selbst.

die idee von einem neuen leben ist so töricht wie die idee von der unsterblichkeit.
in jedem leben gibt es abschnitte
und jeder abschnitt ist ein wegstück auf dem einen weg.
wie werden keine neuen menschen
wir werden im leben, der der wir sind oder wir werden es nicht.

Samstag, 11. Oktober 2014

AUS DER PRAXIS – Von der Angst verletzt zu werden und wohin sie uns treibt ...


Malerei A.Wende

Es ist ein kindlicher Wunsch durch dieses Leben gehen zu wollen, ohne verletzt zu werden. Ein Wunsch, der so alt ist wie wir selbst. Er wird alt werden wie wir selbst und er wird sich für keinen Menschen erfüllen. Menschen werden verletzt und in der Folge werden sie verletzen, sich selbst und andere. Die erste Verletzung wird uns beigebracht, wenn wir den Mutterleib unter Schmerzen und Angst verlassen, während wir uns aus der warmen Sicherheit herauskämpfen in das Leben draußen. Traumatisiert vom gewaltigen Akt der Geburt, schutzlos und verletztlich durch die erschütternde Erfahrung des Ausgetriebenwerdens aus dem sicheren Schoß, in dem wir versorgt und geborgen waren bis ... bis wir getrennt wurden, finden wir uns schreiend mit durchschnittener Nabelschnur allein in einer Welt, die wir nicht begreifen, nur fühlen. Die Angst und der Schmerz sind der Preis für unser Leben, ein Geschenk, so ambivalent wie das Leben selbst. Welch ein Schock. Ein Schock, den wir ein Leben lang in uns tragen und den die Liebe der Mutter und die Liebe des Vaters, sind sie denn Liebende und uns Liebende, heilen mit bedingungsloser Liebe.

Aber etwas bleibt. Sie bleibt, die Angst des Erlebten, in jeder Zelle unseres Körpers. Beim Einen ist sie groß, sie wird ihm ein lebenslanger Begleiter, beim Anderen wird sie klein und kleiner.

Ich kenne die Angst. Ich kenne die große Vielfalt an Strategien um mit ihr zu leben und zu handeln, trotzdem sie da ist. Ich kenne ihre guten Seiten und ich kenne ihre schlechten Seiten. Ich habe Resonanz zur Angst und ich habe sie angenommen als eine Aufgabe in meinem Leben, der ich mich stellen muss, seit ich lebe. Ich weiß, wie sie sich anfühlt und ich weiß, wie es sich mit ihr lebt und mit ihr leben lässt und sie weiß das auch.

Es gibt unendlich viele Ängste und alle sind aus der ersten Erfahrung unseres Eintritts in das Leben geboren. Aus ihrer Quelle fließen kleine Bäche oder größere Flüsse, machmal sogar reißende Ströme die in ein tiefes Meer münden. Die Erscheinungsformen der Angst sind so verschieden wie es verschiedene Menschen gibt. Aber alle Ängste haben eines gemeinsam: Sie sind Hindernisse, die zwischen uns und uns, zwischen uns und anderen stehen und zwischen uns und der Welt, die die unsere ist.

Die Angst ist so komplex wie die Liebe und manchmal ist sie das, was Liebe verhindert, zu uns selbst und damit zu anderen. Wer sich selbst nicht bedingungslos liebt hat viel Angst. Er ist allein, sein Leben ist ein stetes Bemühen sich selbst zu schützen. Die Wunde im Eigenen, die Erfahrung von Verletzung und Schmerz macht klein, macht eng, macht einsam. Wer sich nicht liebt, nicht lieben gelernt hat, fürchtet sich vor der Liebe, denn wie soll er an sie glauben, sie fühlen, wenn er sie in sich selbst doch nicht fühlen kann, wenn das Herz wund ist und die Seele ein zersplittertes Etwas, das seine Essenz sucht und sie in all den Einzelteilen, die im Raum schweben, nicht zu finden vermag? Dann gesellt sich die Traurigkeit zur Angst und die Vorsicht waltet im ganzen Sein.

Vorsicht, lass dich nicht verletzen, Vorsicht, du kannst nicht vertrauen, Vorsicht, du kannst dich nicht binden, also winde dich heraus aus allem, was die Möglichkeit in sich trägt deine Angst zu bestätigen und deinen Schmerz zu erneuern. Vermeiden ist dann das Mittel der Wahl, das schützen soll und vorgaukelt es zu tun. Ein Irrglaube, eine vermeintliche Sicherheit im engen Schutzraum der Einsamkeit, der umklammert und seinen Preis fordert. Der Preis ist das Leben mit all seinen Facetten. Der Lohn ist die Starre der Lähmung: Angst.

Angst isst die Seele nicht nur auf, sie lässt sie nicht wachsen, sich verhindert Erfahrung und lässt sie verkümmern, noch ehe sie sich in ihrem ganzen Reichtum entfalten kann. Angst brennt wie ein Feuer, das die Seele in glühende und schließlich in kalte Asche verwandelt. Tot im Leben.

Bis dahin treibt sie den Ängstlichen um, sie treibt ihn zur Flucht, wenn die Liebe erscheint und ihm die Hände reicht. Und er will sie fassen, sie auf sein wundes Herz legen und vertrauen, endlich vertrauen. Und manchmal für einen Moment in der Zeit gelingt es sogar. Aber halten? Wie halten, was Angst macht, was Verletzung bedeuten kann? Kann. Niemals ist da ein Wissen, ob sie auch eintreten wird. Aber die Angst glaubt es zu wissen, die alte Angst weiß, was geschehen ist und wieder geschehen kann und sie warnt das Herz. Und das Herz verschließt sich der Möglichkeit ein Besseres zu lernen. Es kann nicht anders. Es fürchtet sich doch so sehr und es ist noch immer in der Vergangenheit zu hause und zugleich aus der Erinnerung heraus in der Zukunft mit all den schmerzhaften Konstruktionen, die doch eintreten müssen, weil die gefühlte Erfahrung ihm das sagt. Die Gegenwart sieht es nicht, weil es blind ist vor Angst.

Aber wo die Angst ist, ist kein Raum für die Liebe, sagt der Teil der Seele, der größte aller Teile, der weiß, der mehr weiß, als die Angst. Und wenn er seinen Mut dazuruft, der irgendwo immer auch ist, dann sind da zwei Teile, die die Kraft haben sich über die Angst zu legen, sie zu zudecken, ganz behutsam, ohne sie zu verurteilen, ihr Mitgefühl schenken und ihr sagen: Angst, du darfst sein, denn du bist und ich weiß dich zu schätzen, aber schau, du kannst dich ausruhen, bis ich dich wirklich brauche um mich zu warnen, denn das ist deine wahre Qualität, aber es ist nicht deine Aufgabe mich von der Liebe zu entfernen, denn ohne sie gäbe es auch dich nicht.















































Standhalten





Malerei A. Wende

Wenn es schwer wird neigen wir dazu aufzugeben und uns in etwas pressen zu lassen, was uns nicht entspricht. Standhalten, den eigenen Wünschen und Sehnsüchten folgen, die eigenen Gaben und Begabungen zu leben und sie zu entwickeln, das schaffen die Wenigsten. 

Warum ist das so? Warum ist es so schwer, das zu leben, was wir lieben? Warum ist es so schwer der zu sein, der wir sein wollen?

Es ist so schwer, weil die Realität sich nicht für unsere Träume interessiert und weil es einen Preis hat, das Träumen: Nämlich im Zweifel den Verzicht auf all die Dinge, die wir glauben haben zu müssen.

Freitag, 10. Oktober 2014

Gedankensplitter

wer kann besser heilend wirken, als einer, der deine wunde spürt und sie annimmt, ohne darin herumzubohren, weil er weiß wie wunden zu behandeln sind, weil er selbst ein verwundeter ist.

Gedankensplitter

ein kleiner riss in der eigenen identität genügt, um einen graben zwischen dem ich und der welt aufzureißen.

Fünf Gründe, warum Menschen sich selbst und anderen etwas vormachen:


sie vertrauen sich selbst nicht
sie vertrauen dem anderen nicht
sie vertrauen dem leben nicht
sie vertrauen der wahrheit nicht
sie vertrauen gott nicht

Malerei A. Wende

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Gedankensplitter

DER TEUFEL 
FÄNGT UNS MIT SCHMEICHELEI.
GOTT 
ERREICHT UNS MIT DER WAHRHEIT.

Abhängigkeit




mit einem: "so etwas werde ich niemals tun", zog er das blanke messer aus der scheide, mit der ihr ins herz stechen konnte, wenn er tun würde, was er ja niemals tun würde.

er steckte es zurück in die scheide.

in ihr blieb es stecken.

verdreht





im kreis drehen 
um das eingekreiste drehen
drehen um das immer gleiche
drehendes unwissen
drehendes nichtverstehen
verdrehtes leben


Sonntag, 5. Oktober 2014

Heimweh





meinen kaffee trinke ich heute morgen anders als sonst. in mir ist ein gefühl von abschied. ein abschied, den ich ahnte, als ich in diese stadt zog, in die ich nicht ziehen wollte, in der ich mich bis heute nicht heimisch gemacht habe. wieder ein abschied. wieder habe ich verlassen, was ich nicht mehr halten konnte, ohne mich selbst zu verlieren. heute ist es etwa ein jahr her, dass ich in die kleine wohnung zog, in der ich mich bis heute nicht heimisch gemacht habe. das leben in dieser stadt, in dieser wohnung fühlt sich noch immer an wie ein warten, wie eine übergangsstation und ich bin mir bewusst, dass es das bleiben kann, dann nämlich, wenn es mir nicht gelingt, die station zu verlassen. das ist möglich. es ist immer alles möglich.

ich will hier nicht bleiben, ich wollte hier nicht ankommen. aber es gab keine lösung, die anderes möglich gemachte hätte, damals vor einem jahr. jetzt sitze ich hier an diesem kühlen oktobermorgen und frage mich: ist das wirklich wahr? gab es keine andere lösung damals oder hast du sie nur nicht gefunden, hat sie dich nicht gefunden? ich frage mich, ist das wirklich wahr, bin das wirklich ich, die hier gelandet ist, mit leichtem gepäck, weil ich das schwere zurücklassen musste, weil ich es nicht mehr tragen konnte, nicht mehr finanzieren konnte. es wird alles besser, sagte ich mir letzten oktober.  jetzt ist einiges besser geworden, ein jahr danach, aber das zurückgelassene wiegt noch immer schwer, drückt auf die seele und das wort heimweh kriecht nach oben und lässt mich weinen. ich habe heimweh nach der stadt auf der anderen seite des rheines, heimweh nach der wohnung, die ich verlassen musste, heimweh nach dem alten baum, der vor meinem fenster stand und mir trost gab über alle jahre, in denen ich trost brauchte.

ich trinke meinen kaffee und blicke aus dem kleinen fenster, das mir noch immer ein fremdes fenster ist. ich schaue in den kleinen garten, der in seinen spätsommerzügen liegt. er wird sein grün bald verlieren und dann ist da kein alter baum, der seine blätter verliert und mir noch blattlos trost spendet, wenn ich ihn brauche. der winter wird kommen und ich werde weiter heimweh haben, mehr noch als in diesem sommer, weil das grau nichts besser macht. ich werde mich hinträumen an den ort, den ich verlassen musste und mich erinnern in der enge der fremden wohnung an die weite meines alten lebens, an den ort, den ich liebte und ich werde sehr allein sein in dieser fremden stadt. ich werde eine möglichkeit finden zu akzeptieren, was ist oder ich werde eine möglichkeit suchen zu ändern, was nicht mehr sein soll. aber, mitten im schmerz des heimwehs, weiß ich, der ort zu dem ich mich begeben muss, liegt in mir selbst.



Donnerstag, 2. Oktober 2014

HERZ





... aber das herz ist manchmal so verwundet, dass es sich selbst nicht mehr vertraut, 
denn wie sonst, sagt sich das herz, hätte ich mich so verwunden lassen können?

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Für alle, die es nicht leicht haben ...



Heute morgen beim Aufwachen dachte ich an all die Menschen, die ich kenne, wie sie ihr Leben leben, wie sie sich fühlen, in diesem Leben. Und ich dachte am Ende meines Nachdenkens, dass es keiner von ihnen leicht hat. Ich dachte an die Ängste und die Schwierigkeiten, die sie haben und ich dachte, wenn ich nur könnte, würde ich zaubern und ihnen Ruhe und Zufriedenheit ins Herz zaubern. Aber ich bin keine Zauberin und auch wenn das ein bisschen schade ist, so versuche ich doch meinen Beitrag zu leisten um die Welt einiger Menschen ein bisschen besser zu machen. Ich kann nicht anders. Hätte man mir, als ich jung war, gesagt, dass ich das einmal wollen würde, ich hätte es nicht geglaubt. Das Einzige was ich wollte, war glücklich sein und das hieß für mich zu lieben, zu leben, zu lachen und eine Karriere als Künstlerin zu machen. Heute Morgen dachte ich auch, dass ich das Meiste gelebt habe und meine Zeit jetzt kürzer ist, als die Zeit zuvor. Ich hatte ein aufregendes Leben, ein gutes und ein ungutes und wenn ich jetzt, Mitte Fünzig, auf dieses Leben zurückblicke, muss ich gerechterweise sagen: Das Gute und das Ungute hielten sich die Balance und wenn ich noch etwas genauer hinschaue, muss ich sogar sagen, ohne das Ungute wäre das Gute überhaupt nicht erst entstanden.

Alles hat einen Sinn. Das ist für mich kein übernommenes esoterisches Geschwafel, es entspringt meiner Lebenserfahrung. Ich bin oft durch meine persönliche Hölle gegangen und fühlte mich innerlich so einsam und verlassen, dass ich das Gefühl hatte, ich bin der einzige Mensch auf dem Planeten. Da war niemand, der mir Trost und Halt gab, niemand, der mir zuhörte und sagte: Du schaffst das! Niemand, der mich in den Arm nahm und mir das Gefühl gab, es wird wieder besser. Die, auf die ich glaubte zählen zu können, waren in den unguten Zeiten nicht da. Heute weiß ich, diese Einsamkeit hat mich zu mir selbst geführt. Durch die Verzweiflung, die Wut, die Angst und die Ohnmacht, die ich fühlte, habe ich zu der gefunden, die ich heute bin. Heute bin ich nicht mehr allein, ich bin immer mit mir, dem besten Freund, den ich habe.

Alleinsein, von allen verlassen sein, ist bitter. Wer das kennt, weiß, wie bitter es ist. Ich habe diesen Zustand einmal als große Ungerechtigkeit empfunden, aber ich weiß heute, und zwar genau deshalb weil ich allein war, ich bin mehr als meine gedachten oder gefühlten Grenzen und vor allem, ich bin mehr als das Bild, das ich in jungen Jahren von mir selbst hatte. Dieses Bild ist Vergangenheit. Ich hadere nicht mehr damit, dass manche meiner Jugendträume sich nicht erfüllt haben, ich weiß nämlich, dass das Leben etwas anderes mit mir vor hatte als mein Ego. Dieses Ego brauchte genau diese unguten Zustände und Erfahrungen um das zu begreifen. Es brauchte die Angst, die Ohnmacht, die Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die Verluste, die Wut und die Enttäuschung.

Trauer, Wut, Enttäuschung und Angst sind zutiefts menschliche Gefühle. Jeder kennt sie in mehr oder weniger großer Feldstärke. Bei mir war diese Feldstärke oft gewaltig, aber diese Intensität hat mich geformt und mir beigebracht, dass das auch das Leben ist und nicht etwas, das es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Es geht sowieso nicht. Es ist wie es ist und es kommt wie es kommt und wie es kommt müssen wir es nehmen. Es liegt dabei an uns selbst, wie wir es nehmen. Wir können uns dagegen wehren und Widerstand leisten wie ein Kind, das sich auf den Boden legt und schreit: Ich will das aber nicht, oder wir können es nehmen und sagen: So beschissen das auch gerade ist, jetzt ist das ein Teil meines Lebens. Das verändert viel, es hilft über die eigenen Grenzen zu gehen, auch wenn es verdammt schwer ist und wir glauben, dass wir es niemals schaffen. Ich habe es geschafft mit einigen Blessuren und einigen verloren gegangenen Illsuionen über das Leben, die Liebe und die Menschen. Aber das verbittert mich nicht, vielmehr ist es ein Antrieb mir zeigen zu lassen, dass es vielleicht doch Illusionen gibt, die keine sind, nur weil ich sie verloren habe.

Ich glaube an das Gute im Menschen ebenso wie an das Schlechte im Menschen. Da ist immer beides. Ich trenne es nicht mehr. In jedem von uns liegen beide Möglichkeiten, auch in mir, so wie in jedem von uns die Möglichkeit liegt, das Gute und das Schlechte auszuleben, zur einen und zur anderen Seite hin. Wir können wählen und zwar innerhalb der Möglichkeiten, immer. Das ist nicht leicht, eben weil das Leben nicht leicht ist. Manche Menschen werden böse, weil sie ihr Leben als ungerecht empfinden, manche beklagen sich ohne Unterlass, dass sie nicht bekommen haben, was sie so sehr wollten, manche ertränken ihre Enttäuschung in Alkohol oder anderen Drogen, manche machen andere für ihr Schicksal verantwortlich und manche sagen ja zum Leben, ganz gleich, was es ihnen vor die Füße legt. Sie heben es auf und machen das Beste daraus.

Und jetzt bin ich wieder am Anfang, bei all den Menschen, die ich kenne und die es gerade nicht leicht haben. Sie selbst wählen, wie sie mit dem Schweren umgehen und zwar aus ihren Möglichkeiten heraus, den Möglichkeiten, die in ihnen angelegt sind und aus dem Bild heraus, das sie von sich selbst haben.

Bilder kann man verändern, sogar die, die andere in uns sehen wollen oder jene, die sie in uns hineinerzogen haben. Wie ein Künstler kann man sie verändern, indem man die alte Farbe abkratzt, neue Farben und Formen darüberlegt oder indem man sie zerstört um neue zu malen. Auch deshalb male ich so gerne, weil ich genau das fühlen kann, wenn ich ein Bild male: Ich kann alles was auf der Leinwand erscheint wieder verändern, was nichts anderes für mich heißt als - ich kann gestalten mit dem Material, das ich vor mir liegen habe, dem Material, das das Leben mir jetzt gerade schenkt.