Dienstag, 30. Oktober 2018

So wie wir sind, sind wir wertvoll



Foto: AW

Das Gefühl von Wertlosigkeit ist schwer auszuhalten. Oft ist es leichter diese Wertlosigkeit, die durch Erfahrungen in der Kindheit entstanden ist, "auszuagieren" und von anderen immer wieder neue Liebesbeweise und Anerkennung einzufordern.
Werden diese Forderungen wieder und wieder nicht erfüllt verstärkt sich das Gefühl von Wertlosigkeit. Die eigentliche Wunde, die grundlegende Verletzung, wird dadurch nicht geheilt. Es findet keine Integration statt. Im Gegenteil: jede Art von Abwehr gegen die Tiefe des Gefühls verhindert Integration.
Das Gefühl wird stärker, immer stärker, bis wir endlich aufhören es abzuwehren und bereit sind es wirklich zu fühlen. Dann erst kommen wir in echten Kontakt mit uns selbst. Der alte Schmerz bricht hervor. Endlich darf er sein. Endlich schafft er sich Raum in dem wir ihm mit Selbstmitgefühl begegnen können. So wird aus Wut Trauer, aus Forderung Akzeptanz, aus innerem Kampf innerer Frieden.
Wir dürfen bedauern was war.
Wir erkennen an was wir fühlen.
Damit erkennen wir uns selbst an, so wie wir sind, mit allem, was wir sind.
Und so wie wir sind, sind wir wertvoll.

Montag, 29. Oktober 2018

Jeder Verrat kann uns verwandeln


 
Malerei: A. Wende

Es gibt kein Allheilmittel für den Umgang mit dem Schmerz, der durch Verrat und Betrug entsteht. Aber eine beobachtende Haltung einzunehmen kann uns helfen die Dinge anders zu betrachten, auch wenn damit der Schmerz nicht weganalysiert werden kann. Doch es besteht ein Unterschied zwischen blindem Schmerz und Schmerz, der mit Erkennen, Akzeptanz, Erforschen und Einsicht einhergeht. Letzterer hat eine verwandelnde Wirkung.

Ohne uns bewusst zu machen, warum wir betrogen wurden, tendiert das Betrogen Werden dazu sich zu wiederholen. Mit anderen Akteuren und gleichem Drehbuch.
Wenn wir betrogen wurden müssen wir erkennen, wir sind immer noch wir selbst, egal wie sehr wir versuchen, unser Leben neu zu ordnen. Und das gilt es zu akzeptieren. Ebenso wie es gilt zu akzeptieren, dass wir verraten wurden. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. 
Akzeptanz geschieht nicht einfach so, sie zeigt als erstes den inneren Widerstand auf: Das will ich so nicht erleben! Das ist menschlich. Aber wenn wir begreifen, dass Akzeptanz nicht bedeutet, dass wir nichts tun sollen um unsere Lage zu verbessern, können wir vielleicht ein wenig entspannen und sagen: Jetzt ist es so und nicht anders. Und: nichts beliebt wie es ist.

Dann beginnen wir zu Erforschen indem wir uns mit dem inneren Thema, nämlich der Frage, was der Betrug mit uns selbst zu tun hat, befassen. Tun wir das nicht, werden wir die gleichen inneren Überzeugungen über uns selbst behalten und die gleichen Muster in der nächsten Beziehung wieder durchspielen.Vielleicht passt ein anderer Mensch besser zu uns, doch letztlich müssen wir zuerst mit den Schatten unserer eigenen Psyche klar kommen und Unerledigtes erkennen und bearbeiten, damit wir nicht wieder ähnliche Erfahrungen anziehen.

Jeder Verrat kann uns, sind wir dazu bereit, verwandeln.
Aber zunächst: Was ist Verrat?
Verrat ist das Mittel, durch das unser Fantasiebild und unsere Illusionen, die wir uns bezüglich eines anderen gemacht haben, entlarvt werden, damit wir die Selbsttäuschung erkennen und damit wir erkennen, wer der andere auch ist, fernab unserer inneren Bilder, Übertragungen und Projektionen.
Wer ist dieser Mensch, der uns verraten hat? Ist das der Mensch, der unser Vertrauen verdient hat und verdient er es weiter? Ist er überhaupt vertrauenswürdig und vertraut er sich selbst? Und was bedeutet es für uns das zu erkennen? Was bedeutet das für unsere Beziehung zu uns selbst und jene zu diesem und anderen Menschen? Wo vertrauen wir uns selbst nicht? Und wo sind wir selbst nicht vertrauenswürdig? Das verhilft uns zu tiefer Einsicht darüber wo wir in unserer Entwicklung diesem Moment der Zeit stehen. 

Verrat rüttelt massiv an unserer Angst verlassen zu werden. 
Je größer diese Angst ist, desto intensiver sind die Verlassenheitsgefühle, die wir als Kind erlebt haben. Das Kind in uns hat diese Angst bis in unser Jetzt gespeichert. Der Verrat reißt also nicht nur eine neue Wunde, er reißt eine alte Wunde auf. Und damit zeigt er uns, dass wir den Umgang mit dem Verlassenwerden noch zu bearbeiten haben. Tatsache ist: Verlasssen werden und Verluste gehören zum Leben. Können wir das heute aushalten, oder sind da noch immer die Hillflosigkeit, die Angst und die Verzweiflung des inneren Kindes, das davon überzeugt ist, es geht unter wenn ein vertrauter Mensch es betrügt, hintergeht und damit vielleicht auch aus seinem Leben geht? 
  
Verrat bricht alte Muster, Überzeugungen und Verhaltensweisen auf. 
Jeder Betrug, den wir erleben, zeigt uns auf welche Weise wir uns selbst betrügen und wo wir uns selbst verraten.
Er zeigt uns durch die Zurückweisung, das Hintergehen und die Demütigung des Veräters, wo wir lernen müssen uns abzugrenzen und wo wir selbst  uns demütigen, hintergehen und zurückweisen. Was ist Zurückweisung anderes als dass jemand eine Grenze zieht, die wir als unerträglich und schmerzhaft emfinden, weil wir notwendige Grenzen um unsere Integrität zu schützen, selbst nicht zu ziehen vermögen?

Die schwierige und schmerzhafte Lehre dieser Erfahrung zeigt uns also, was in uns selbst auf einer bestimmten Ebene noch nicht entwickelt ist. Haben wir die Lektionen begriffen, dann ist es egal, ob wir die alte Beziehung wieder aufnehmen oder sie verlassen. Etwas in uns hat sich verändert.
Um die Bezieheung trotz des Verrats wieder aufzunehmen braucht es außer dem echten Bedauern des Verräters das Verzeihen des Verratenen. Er muss vergeben können. Aber vergeben ist eine schwere Aufgabe, wenn das Herz verwundet ist und das Ego mehr als angekratzt. Überall lesen und hören wir: Vergebung ist immer eine Erlösung und zwar zuallererst für uns selbst. Vergebung heißt: inneren Frieden fnden. Ein großmütiger Mensch vergibt. 

Aber, müssen wir um ein guter Mensch zu sein vergeben?
Vergebung, kommt sie nicht aus dem Herzen heilt den Schmerz der Wunde nicht.
Wir können Vergebung nicht künstlich erzeugen, wenn wir verraten und verletzt worden sind. Wir können nur daran arbeiten, das zu erkennen und zu integrieren, was zu unserer eigenen Psyche gehört. Vergebung ist eine Gnade, die nicht durch den Akt des Wollens herbeigeführt werden kann. Ist es nicht bitter, sich selbst sagen zu hören, "Ich vergebe Dir", nicht weil es aus tiefstem Herzen kommt, sondern weil wir versuchen, auf diese Weise den Menschen, der uns verletzt hat, wieder zurückzubekommen oder weil wir unbewusst versuchen uns selbst zu beweisen, dass wir es wert sind noch immer von ihm geliebt zu werden, obwohl unsere Liebe zu ihm durch den Verrat vielleicht sogar verloren ist., oder weil wir Angst haben allein und verlassen zurückzubleiben? Vergeben aus diesen Motiven heraus bedeutet: Wir identifizieren uns weiter mit dem, was wir hatte und sehen nicht, was wirklich ist. Und damit fügen wir uns neuen Schmerz zu.

Mit jeder Identifikation wollen wir etwas festhalten was einmal gut war und es nicht mehr ist, in der Hoffnung, dass es wieder gut wird. Wir haften an an etwas, weil wir Angst haben loszulassen. Das ist verständlich, aber nicht gesund, denn damit betrügen wir uns wieder selbst und wir betrügen damit den anderen. Vergeben funktioniert nur dann, wenn wir aus tiefstem Herzen vergeben können. Wenn wir das nicht können, bleibt der Schmerz bestehen und die „Bestrafung“ des Verräters wird immer weiter gehen. Die Beziehung wird zum Schlachtfeld, in dem es keinen Gewinner, sondern lediglich zwei Verlierer gibt - es findet kein Wachstum statt. 

Freitag, 26. Oktober 2018

Wie wir dem alltäglichen Wahnsinn entkommen





„Komm du schaffst es, eins...zwei...drei. Noch einmal komm schon, du kannst es, du musst es schaffen! Mann, das hier macht mich fertig, ich kann nicht mehr. Was soll ich denn noch alles machen? Ich bin doch seelisch völlig am Ende, jeden Tag kommt das gleiche auf mich zu, jeden Abend geht es mir dreckig, weil die mich nicht wie einen richtigen Menschen behandeln. Die Schmerzen werden von Tag zu Tag schlimmer, ich weiß nicht, wie ich das noch länger durchstehen soll. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Ich muss es einfach schaffen, doch ich habe keine Kraft mehr. Ich darf nicht schwach werden, da muss ich durch.“
Dies ist ein Monolog aus Georg Büchner "Woyzeck", den ich kürzlich herausgesucht habe, weil ich Stoff für eine Lesung zum Thema: "Alltäglicher Wahnsinn" suche.
Viele von uns können Woyzecks kräftezehrenden Kampf nachfühlen.

Verstrickung, Ruhelosigkeit, Stress, Streit, Ziellosigkeit, Rastlosigkeit, Krisen, Probleme im Innen und Außen – das ist der alltägliche Wahnsinn in dem wir alle stecken.   
Wenn wir darin verstrickt sind, sind wir wie kleine verletzte Kinder, voller Angst, Zweifel, Mut - und Hilflosigkeit. Je ängstlicher und hilfloser wir uns fühlen, desto mehr produzieren wir Verstrickung, Zweifel und Angst. Wir geraten in einen Teufelskreis des Unheilsamen, wo wir uns doch nach dem Heilsamen sehnen. Aber je stärker sich die Kraft des Unheilsamen in uns selbst und unserem Leben manifestiert umso verlorener sind wir. Die Zuversicht jemals aus diesem Teufelskreis herauszufinden schwindet. Wir ergeben uns in das was ist und irgendwann geben wir uns selbst auf, wir machen weiter wie alle anderen um uns herum.
Aber die Sehnsucht nach dem besseren Leben bleibt. Und je länger sie unerfüllt bleibt, desto schmerzhafter wird sie.
Es liegt allein an uns selbst das zu ändern. 

Wir suchen Halt und Klarheit, wir suchen Heilung und Frieden und dennoch erschaffen wir mit unseren immer gleichen destruktiven Gedanken, Gefühlen und Handlungen immer mehr vom Unheilsamen.
Darum ist des so hilfreich unsere Gedanken bewusst zu beobachten und sie zu überprüfen ob sie gut für uns sind oder uns Schaden zufügen. Damit beginnt die Übung der Achtsamkeit. Mit ihr begeben wir uns auf den Weg zur Bewusstheit. Wir können aus dem alltäglichen Wahnsinn erwachen, wenn wir das wollen. Wir entscheiden uns dagegen. Wir öffnen uns für die Bereitschaft unser Leben auf das Heilsame auszurichten. Wir entscheiden uns für Bewusstheit.

Bewusstheit bedeutet nichts anderes als auf das eigene Denken und Verhalten zu achten. 
Und das können wir üben.
Je öfter und je disziplinierter wir die Übung des Achtsamseins machen, desto klarer und bewusster werden wir uns über uns selbst. Wir erlernen über das achtsame Beobachten unserer Gedanken in jeden Moment zu erkennen, was uns krank macht und was uns zu einem heilsamen Leben verhilft. Wir halten inne und reflektieren. Wir beobachten was ist, was wir fühlen und was wir denken. Wir verfangen uns nicht in der Energie destruktiver Bilder und Gedanken indem wir sie unterdrücken, abwehren oder verstärken. Wir lassen sein was ist und beobachten. 
Und dann entscheiden wir, wie wir handeln wollen. 
Wir sind nicht mehr fremdgesteuert sondern Herr unseres Geistes.
Das zu lernen ist schwer. Es zu leben ist eine tägliche und lebenslange Übung.
Aber für mich der Weg dem alltäglichen Wahnsinn zu entkommen. 
Wir können die Welt nicht retten, wenn wir selber wahnsinnig sind - und damit meine ich zuallererst unsere eigene kleine Welt.
Darum ist es so wichtig die tiefe Einsicht zu akzeptieren, dass wir alleine und sonst niemand die Verantwortung dafür haben, was wir (in uns) erschaffen und was wir in die Welt geben wollen. 

Die entscheidende Frage, die du dir bei bei allem was du tust stellen könntest:
Will ich in Frieden (mit mir selbst und anderen) leben oder im Krieg und ist das was ich denke und tue im Einklang mit meinem Ziel ein heilsameres Leben zu leben? 

Namaste Ihr Lieben



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Identifikation


Foto: A.W.
 
Egal womit du dich identifizierst: Mit deinen Gedanken, deinen Gefühlen, deiner Identität, deinen Vorstellungen, deinen Erfahrungen, deiner Geschichte, deiner Situation, deinen Problemen, deinem Job, deiner Beziehung, deinem Besitz – Identifikation schafft Abhängigkeiten und Ängste.

Alles was du als ICH oder MEINS betrachtest bereitet den ungesunden Boden für Anhaftung.

Je stärker wir anhaften, desto größer ist die Abhängigkeit und desto größer ist die Angst loszulassen oder zu verlieren was ICH oder MEINS ist. Sobald wir damit aufhören uns zu identifizieren, sobald wir beginnen, tiefer zu blicken und uns fragen:
"Bin ich das wirklich?", enthüllt sich uns eine neue Art der Freiheit. Wir begreifen das Augenblickshafte unserer Identität. Wir erkennen: Wir sind mehr als ICH und MEINS.


Dienstag, 23. Oktober 2018

Es geht um Bereitschaft





"Ich will ja, aber irgendwie kann ich nicht. Ich will eine Veränderung, aber ich schaffe ich es nicht." Das höre ich oft und das kenne auch ich. Wir wollen etwas tun, wir wissen wir müssen sogar etwas tun, weil es so wie es ist nicht bleiben kann und die ganze Zeit spüren wir diesen inneren Schwellenhüter, der sich vor uns aufbaut wie eine Wand und uns beim Wollen verharren lässt.

Warum ist das so?
Es ist so, weil etwas wollen nicht ausreicht um aus einem Vorsatz ein Handeln werden zu lassen.
Es geht nicht allein darum ob wir etwas wollen, es geht darum, ob wir innerlich bereit sind, zu tun, was notwendig ist, um eine Veränderung anzugehen und unser Leben zum Besseren hin weiter zu bewegen, und es geht darum ob wir bereit sind dabei zu erfahren, was geschehen wird und was wir dabei fühlen werden. Es geht um die Bereitschaft diese Gefühle zu akzeptieren auch wenn sie unangenehm oder schmerzlich sind.

Es geht um die Bereitschaft sich auf das zarte Pflänzchen des Ungewissen einzulassen und es geht um das Vertrauen, dass wir mit dem Neuen, was uns begegnet umgehen können.
Mir hilft dann der Satz: Egal was kommt, ich werde damit fertig.

Namaste Ihr Lieben

Montag, 22. Oktober 2018

Gedankensplitter



Malerei: A. Wende

Wenn du nach langem Suchen erkannt hast, dass kein anderer 
deine tiefsten Bedürfnisse, Sehnsüchte, Träume und Wünsche 
erfüllen kann, 
lernst du dich auf dich selbst zu verlassen.
Das ist der Beginn einer tragenden lebenslangen Beziehung.
Ich nenne es Selbstliebe.

Freitag, 19. Oktober 2018

Heute





Konzentriere dich auf das Jetzt.
Bemühe dich um Zuversicht.
Akzeptiere was Jetzt ist und wisse -  nichts bleibt wie es ist. 
Blicke achtsam auf das, was sich heute zeigt.
Konzentriere dich auf das Nächstliegende. 
Mach eine Bewegung nach der anderen.
Bemerke deine Fortschritte und wertschätze sie.

Tu heute das Notwendige, um dahin zu gelangen wo du morgen sein willst.

Übe dich im Vertrauen.
Bemühe dich um Klarheit. 
Handle mit Bedacht.
Heute.

Dienstag, 16. Oktober 2018

Medea - Eine Reflexion

                                   


Medea Metamorphosen

„Wir Menschen sind Halbierte, die sich nach Ganzheit sehnen.“

Ein Gedanke aus Platons Symposion

Medea, ein Mythos, der sich in all seinen dramatischen Gestaltungen durch die Jahrhunderte von Euripides bis zur zeitgenössischen Literatur durchzieht, eine Tragödie, festgemacht an einer Frau, die leidenschaftlich liebt und leidenschaftlich tötet.

Medea ist eine tragische Figur von höchster Ambivalenz, eine Figur, deren Geschichte man folgen kann, deren Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen man verstehen oder gar nachvollziehen kann bis zu dem Punkt, der sprachlos macht -  die Hybris der Tragödie, die Medea zum Sinnbild des Bösen macht – der Mord an ihren leiblichen Kindern.

Was macht diese Medea aktuell bis heute? Was ist es, das uns fasziniert an dieser Geschichte? Die Sehnsucht, die Liebe, die Angst, der Hass, die Rache, die Verzweiflung, die Schuld und der Tod - all das birgt der Mythos in sich. Archetypen, die unser Leben durchziehen, kollektiv und individuell.

Medea ist ein Spiegel der zum Zerrspiegel wird, der es am Ende unmöglich macht hineinzuschauen, ohne den Impuls zu verspüren, sich abwenden zu müssen. Es ist das Böse das uns gegenübertritt in seiner dunkelsten und unbegreiflichsten Erscheinung, die Unfassbarkeit des Maßes an Zerstörung, die zu immer neuer Analyse herausfordert, die aber nur schwer gelingen kann, denn das Unbegreifliche existiert als ein Etwas das größer ist als wir.

Es sind überwiegend die weiblichen Literaten, wie Christa Wolf in ihren Medea Stimmen, die Argumente finden, um Medea in die Opferrolle zwängen. Opfer sind entschuldbar. Und es sind die männlichen Stimmen in der Literatur, die sich am Wirken des Thymos festhalten, den Trieb dieser Frau in den Focus stellen, der jenseits von Ratio und Instinkt sich entfaltet, nach der Demütigung durch Jason, dem Geliebten, der Medea benutzt, betrügt und verrät.

Es gibt Entschuldigungsgründe für Jason, wie bei Anouihl, der ihn seiner Schuld enthebt oder zumindest beide zu Opfern und Tätern macht. Opfer einer ungesunden, obsessiven Liebe, die scheitern muss.

Medea ist eine Frau, die den Männern suspekt ist, im Tiefsten allein.

Eine Frau, die anders ist, die sichtbar von der Norm abweicht, heute wie damals, eine Frau, die den Mythos der Weiblichkeit demontiert in allem was sie ausmacht und in allem was sie tut. Medea ist eine Gefahr für das Kollektiv und damit Symbol für etwas, womit das Kollektiv nicht umgehen kann.

Was wir nicht sehen wollen verdrängen wir, wir schließen es aus, verbannen es, schicken es irgendwohin – wo es uns mit uns selbst und unseren Schatten nicht mehr konfrontieren kann.

Medea – die Ausgestoßene.

Die Tragik dieser Figur ist die Tragik aller, die anders sind und  ihren Platz im Leben nicht finden, verzweifelt sie. Sie scheitert an sich selbst, an ihrer wesenhaften Disposition, die der Wirklichkeit nicht standhält.

Leidenschaft, die Fähigkeit unbedingter Liebe, der Antrieb aus dieser Liebe heraus alles zu tun, ist Medeas tiefstes inneres Wollen. Ihre persönliche Odyssee beginnt, indem sie sich Jason als Objekt für ihre Liebe sucht.

Er ist schwach und sie ist stark. Er nimmt ihre Stärke, solange sie ihm nützt und hält sie nicht aus, weil sie ihn kleiner macht in seinen Augen.  Dieser Mann ist klein, zu klein für eine große Frau.

Warum macht diese starke Frau die Erfüllung ihrer Sehnsucht an ihm fest?

Ist sie blind, oder im Innersten so einsam, dass sie im Gefühl endlich geliebt und gebraucht zu werden, seine Schwäche übersieht und verdrängt?

Beginnt das Drama Medeas nicht dort, wo alle menschlichen Dramen beginnen? In ihr selbst, in ihrer psychischen Struktur.
Und ist das Außen nicht nur der Spiegel dessen, was der Mensch in sich trägt?


Wir werden zu dem, was wir sind ...

Medea ist zerrissen, heimatlos schon in der eigenen Heimat, nicht einverstanden mit dem Vater, die Mutter ist abwesend. Wir erfahren nichts von ihr. Sie ist eine Fremde im eigenen Land und damit auch im eigenen Leben, beseelt von einer Sehnsucht, die namenlos ist, beseelt davon sie festzumachen an einem anderen, dem Geliebten. Sie ist nicht souverän, hat keine wirkliche Ich-Stärke, sie ist eine Sucherin, maßlos, und weit davon entfernt, bei sich selbst zu sein. Nur so ist der Mensch anfällig für die Opferrolle.

Medeas Tragödie ist die vieler Frauen. Noch heute, und immer wird es so sein, ist tief im Inneren der Frau ein leises, unbestimmtes Gefühl von Unvollständigsein, wenn sie ohne einen Gefährten durchs Leben geht.

Es gibt dieses unbewusste Wünschen - eine Lücke schließen zu wollen mit der Liebe, die sie in sich selbst nicht findet.

Das hat nichts mit Zeitgeist zu tun, nichts mit einer bis heute fragwürdigen Emanzipation. Es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, das mit Adam und Eva beginnt - die Sehnsucht des halbierten Menschen nach Ganzheit, wie es Platons Symposion so bildhaft darstellt.

Egal ob Frau oder Mann, wir versuchen das Hineingeworfensein in die Welt zu überwinden. Nur dass Frauen diese Sehnsucht aufgrund ihrer seelischen Struktur intensiver spüren und  intensiver leben.

Die Anima ist empfänglicher für die Dinge. Im Wesenhaften des Weiblichen lebt Gaia, Mutter Erde, die Empfangende, die Leben Spendende, das Prinzip von Werden und Vergehen – das Sinnbild des Kreislaufs des Lebens schlechthin. Hingegen Animus: das männliche, das geistige Prinzip, das Klarheit und Struktur gebende. Pole wie sie konträrer nicht sein können.

Seit C.G. Jung wissen wir, dass wir alle Beides in uns tragen, die Frau den Animus, ebenso wie der Mann die Anima. Und es ist  Ziel diesen Antagonismus in uns selbst zu integrieren um zur Individuation zu gelangen. Die Tragödie – wir schaffen es nicht, weder die Integration dieser beiden Anteile in uns selbst, noch die Vereinigung mit dem  polaren Gegenüber zum Guten hin.

Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist die vertrauteste und unheimlichste, die unbedingteste und konfliktreichste - Urgrund unzähliger Dramen, damals wie heute.

Es ist die Unfähigkeit, dem anderen sein Anderssein zu lassen. Weit ab von Einsicht, Akzeptanz und friedlicher Koexistenz, wabert der Kampf der Geschlechter, durchzogen vom Trieb uns fortzupflanzen. Nicht ohne einander und schlecht miteinander.
Mann und Frau sind fähig zu verschmelzen. Für Momente in der Zeit eine Einheit zu sein - das Gefühlte von Einheit. Nach dem  Verlassen des Bettes  - das Gefühl von Getrenntsein.

Medea erträgt dies nicht, sie ist mit Jason symbiotisch verschmolzen. Sie lebt sich durch ihn.

Ihre Persönlichkeitsstruktur ist eine narzisstische. Sie ist die, die sich selbst im anderen liebt, sich selbst nur im anderen spüren kann, allein ist sie einsam, von einer inneren Einsamkeit, die sie verzweifeln lässt.

Jason -  der Komplementärnarziss, der sie braucht, um sich selbst wertvoller zu fühlen. Er wird zum Helden allein durch Medeas kompromissloses Handeln.

Mit Jasons Eintritt in Medeas Leben beginnt das Morden, durch Verrat am Vater, am Bruder. Alle Mittel sind recht, um das geliebte Objekt an sich zu binden. Sie hat ihn sich einverleibt – im wahrsten Sinne des Wortes und er lässt es zu.

„Sieh, was ich für dich tue! Du musst mich also lieben“. Eine Motivation, die der Wunde des Ungeliebten entspringt.


Hierin liegt sie begründet, die Pathologie der Medea, der Ursprung dieser Tragödie, ein metaphorischer Ausdruck des Innersten der Protagonistin im Außen.


Medeas In - der - Welt – sein, das fatale Folgen für die Welt hat in die sie geworfen ist, ist Dreh- und Angelpunkt des sich zuspitzenden Plots. Medea ist eine Geschichte, die die Beziehung der Frau zu sich und die Beziehung von Mann und Frau  zum Inhalt hat. Sie erzählt von zwei Fremden, die sich vertraut miteinander machen, um am Ende zu erkennen, dass das Fremdsein ein unüberwindbares ist.

Das Blut der Kinder, das vergossen wird, ist das ihre - ihr miteinander vermischtes Blut. Es bringt den Tod und nicht das Leben in die Adern, weder für Medeas noch für Jasons Selbst, noch für die Zukunft der nachfolgenden Generation in Sachen Liebe. Das Töten der Kinder ist das Töten der Möglichkeit von  dauertüchtiger Liebe. Das Sinnbild für das Sterben des Glaubens an die Liebe.

Eros oder Phylia - beides ist auf Dauer unlebbar.

Die Liebe hat keinen lang anhaltenden Effekt, sie ist flüchtig. „Immer trägt sie den Charakter des Todes in sich“, wie André Breton einmal sagte ... anders zu denken ist ein Phantasma zwischen Männern und Frauen, das an einer Jahrtausende langen  Gegenteilsbeweisführung zerplatzt.

Das Vergehen der Liebe, ihren Tod nicht zu akzeptieren ist Medeas größtes Vergehen.

Hierin liegen die Tragik und das Entsetzen über die Kindsmörderin Medea, die an der Seele des Medea Rezipienten andockt, verschlüsselt zwar, aber dennoch den Weg findet zu dem Erkennen:

Jeder ist allein. Und das ist das Unerträglichste. Die Nichtakzeptanz dieser Wahrheit kann die sensible Seele in den Wahnsinn treiben.


Medea und der Wahn.

Die Verzweiflung, die realitätsnah wird und schließlich handlungsleitend, die Verzweiflung, die das Ich von der Welt schrittweise abtrennt, die Existenz ad absurdum führt, das Versinken ins Leere und im Gewahrsein dessen der Tod des Ichs und der darin eingeschlossene Wunsch nach Zerstörung dessen was das Ich zerstört – das Scheitern eines metaphysischen Liebesbegriffes.


Medea, die Kindsmörderin.

Frauen töten um sich aus Beziehungen zu befreien, in denen sie gedemütigt wurden. Bevor sie zu Täterinnen wurden waren sie Opfer. In den meisten Fällen töten sie ihre Kinder.

Gedemütigte weibliche Opfer – von Männern gedemütigt?

Oder von einem Ideal, einer unstillbaren, nicht erfüllbaren Sehnsucht nach der einen wahren Liebe - am Manne festgemacht?
Warum töten Frauen die Kinder dieser Männer?
Sie töten, um das zu vernichten, was das Liebste ist – dasjenige was ihre Liebe hervorgebracht hat – das eigene Fleisch und Blut.

Scheitert die Liebe  – scheitert elementares.

Ein Aufschrei der verwundeten Seele, der hörbar sein soll und fühlbar ...von der Welt.


„Es gibt kein größeres Verlangen als das eines Verwundeten nach einer anderen Wunde“, schreibt der Philosoph Georges Batailles.

Bei Euripides hat Medea am Ende ihre Katharsis – sie wird vom Sonnenwagen in den Himmel gehoben ...freigesprochen.

Bei Seneca ist sie die Furie.

Bei Anouilh ist sie das wilde Tier.

Bei Neill La Bute sitzt sie im Gefängnis – verurteilt.

Bei Christa Wolff ist sie der Sündenbock.

Die Medeas von heute sitzen in Psychiatrien und in Frauengefängnissen.

Die meisten von ihnen sind Suizid gefährdet.


 Angelika Wende








Sonntag, 14. Oktober 2018

Ohne Ausnahme

Foto: AW


Wenn wir bedürftig sind akzeptieren wir die bedürftige Seite in uns.
Wir verdammen sie nicht.
Wir verurteilen sie nicht.
Wir schämen uns ihrer nicht.
Wir wollen sie nicht wegmachen.

Wir lassen zu, was in uns ist.

Wir lassen zu, dass wir einen Teil in uns haben, der Menschen braucht, die uns Zuwendung schenken.
Wir lassen zu, dass wir diese kindliche Seite in uns tragen, die sich nach Liebe, Halt, Nähe, Wärme und Geborgenheit sehnt.

Wir lassen zu, anstatt abzuspalten, abzuwehren oder zu kompensieren.

Wir hören auf uns einzureden, wir sind schwach in unserer Bedürftigkeit.
Wir hören auf uns hinter unserer Stärke zu verstecken.
Wir hören auf uns einzureden, wir sind nicht liebenswert in unserer kindlichen Verletztheit.
Wir sagen ja zu diesem bedürftigen Kind in uns.

Wir sagen uneingeschränkt: ja.

Wir sind empfänglich für uns selbst und andere.
Wie erkennen unsere Bedürfnisse an.
Wir erkennen die Bedürfnisse anderer an.
Alle ohne Ausnahme.

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Das Trauma Betrug



Zeichnung: Angelika Wende

Es tut weh, es tut sogar verdammt weh. Es ist ein Gefühl, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist eine seelische Erschütterung, die uns von einem Moment auf den anderen in eine dunkle, fremde Welt stößt, in der wir uns aufzulösen scheinen und alles, was wir für vertraut und sicher gehalten haben, zu einer fragwürdigen Größe wird. Wir verlieren den Halt, die Seele schreit vor Schmerz und findet keinen Trost - der geliebte  Mensch, den man so gut zu kennen glaubte, dem man nichts Schlechtes zugetraut hat, hat uns betrogen. Ein Mal, mehrmals, über Wochen oder über eine lange Zeit hinweg. Wir haben nichts davon gewusst. Vielleicht haben wir es gespürt, aber unserem Gefühl nicht vertrauen wollen, vielleicht haben wir dem Partner aber auch gesagt, dass sich da etwas seltsam anfühlt und sind beruhigt worden und haben uns beruhigen lassen, weil wir das so gerne wollten – beruhigt sein und sicher und im Vertrauen uns wiegen dürfen. Aber es war eine Lüge, man hat uns Sand in die Augen gestreut und wir haben dem Sand mehr Glauben geschenkt als uns selbst und unserer Intuition und ihn uns aus den Augen gerieben, weil uns Vertrauen so gut gefällt. Kein Mensch will betrogen werden. Und dennoch geschieht es, der Betrug gehört zum Verhalten des Menschen wie das Lügen. Mittlerweile gibt es sogar Seitensprungagenturen in dem der, der den Partner betrügen will, ohne großen Aufwand findet, was er sucht.

Der Mensch ist unberechenbar und kennen werden wir den anderen nie. Er bleibt ein Fremder, den wir uns vertraut gemacht haben. Der Glaube, den anderen zu kennen, ist eine Illusion. Das Reich der inneren Schatten ist so groß und so dunkel, dass sich sogar der erfahrendste Analytiker bisweilen wundert, was es da so alles an Ungutem zu finden gibt.
Wenn es etwas gibt, das kein tief fühlender Mensch erleben möchte, dann sind es Betrug und Lüge von dem Menschen, den er von Herzen liebt. Eine solche Erfahrung kann die die innere und die äußere Welt zerstören. Sie zerstört unser Selbstbild, sie zerstört das Bild, das wir vom anderen haben und sie zerstört die Geborgenheit der Welt, die wir mit ihm teilen. Sie zerstört den gesunden Boden auf dem gelebt und geliebt wurde und hinterlässt verbrannte Erde. Wie soll da noch einmal etwas wachsen und wohin und wenn wieder etwas wächst – ist es dann nicht eine Pflanze, die ein zersetzendes nachaltig wirkendes Gift in sich trägt?

Wie er einen Betrug empfindet und damit umgeht kann jeder nur für sich selbst entscheiden. Aber ein Betrug, ganz gleich, ob er verziehen wird, weil man einen Menschen, den man liebt nicht aufgeben will, wirkt nach. Vor allem beim Betrogenen. Er fühlt sich als Opfer, beschämt und ohnmächtig der Tat und den Folgen der Tat ausgeliefert.
Eine solche Erfahrung macht etwas mit der Psyche. Sie erschüttert das Gefühl für die eigene Identität. Selbstzweifel, Wertlosigkeitsgefühle, Wut, Hass, Rachegefühle, Schmerz, Trauer und Verzweiflung  fragmentieren sogar die stärkste Seele. Vertrautes wird fremd – der Partner, die gemeinsamen Erinnerungen, das Jetzt, der Blick auf eine gemeinsame Zukunft wird relativiert und Misstrauen nimmt den Platz ein, wo zuvor Vertrauen und Glaube an den anderen und an die Beziehung herrschten. 

Nicht selten kommt vom Betrüger der Satz: „Es war doch nur Sex. Der Sex hatte nichts mit meinen Gefühlen zu dir zu tun.“
Sexualität ist eine Sprache der Liebe.
Sie geht tief hinein in die menschliche Existenz. Sex ist mehr als eine Begegnung und ein Abagieren zweier Körper. Bei Tieren ist das so, ein reines Ausagieren der Triebe. Das Tier ist unfrei. Es muss seinem Instinkt folgen. Der Mensch aber hat nicht nur ein Herz und einen Bauch, er hat auch eine Vernunft: Er ist frei seinen Trieben zu folgen oder nicht. Er kann entscheiden. Es geht beim Sex um die Begegnung zweier Menschen, insofern ist ein banaler Satz wie „Sex ist nur Sex", unsäglich, weil Sexualität immer den ganzen Menschen umfasst.
 Zwei Menschen haben sich versprochen treu zu sein, einander zu achten, wertzuschätzen udn sich nicht zu verletzen. 
Einen solchen Satz akzeptieren? Nein, das ist kein Ausdruck  von Liebe, es ist Ausdruck der Verachtung von Liebe.

Wie soll man das verzeihen?
Und wenn, mit dem Verzeihen, falls es gelingt, geschieht nicht zugleich das Vergessen. So etwas vergisst man nicht. 
Da sind die Bilder im Kopf vom Partner und dem mit dem er uns betrogen hat, Bilder, die Abneigung hervorrufen können und Abscheu vorm anderen. Da wird das Anfassen des vertrauten Körpers seiner vertrauten Selbstverständlichkeit enthoben, das kommen Gedanken auf wie: War der oder die Andere schöner, zärtlicher, leidenschaftlicher, besser als ich? Da kommen Selbstzweifel und Schuldgefühle auf. War ich vielleicht der Grund, habe ich nicht genug gegeben oder zu viel? Was an mir ist falsch? Was habe ich getan, damit man mir das antut? Da ist die Scham beschämt und beschmutzt worden zu sein. Und da bleibt die große Frage: Warum hast du das getan? Da ist so viel Enttäuschung, so viel Fassungslosigkeit, so viel Wut, so viel Trauer und Schmerz.  

Wie tief und wie nachhaltig der seelische Schmerz ist, wenn der Partner einen Betrug begeht, zeigt eine Studie der Universität Göttingen.
3334 betrogene Männer und Frauen beantworteten einen umfangreichen Fragenkatalog des Psychologen Ragnar Beer. Das Ergebnis: Menschen, die von ihrem Partner betrogen wurden, leiden unter ähnlichen Symptomen wie bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung. So haben, laut der Studie, vier von fünf befragten Frauen noch nach sechs Monaten so genannte intrusive Gedanken: Wieder und immer wieder sehen sie die quälenden Einzelheiten vor ihrem inneren Auge - wie ihr Mann eine andere küsst, sie berührt, verführt. Bei Männern sehen die Zahlen ähnlich aus.  „Ein Betrug ist ein Trauma, ähnlich wie Vergewaltigungsopfer oder Unfallzeugen durchleben die Betrogenen die Situation immer wieder, so der Psychologe Ragnar Beer.

Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis.
Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen in Träumen oder Albträumen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit und das Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Vegetative Übererregtheit, Schlafstörungen und Ängste, bis hin zu Panikattacken, sind keine Seltenheit. Aber auch alte Ängste und alte Verletzungen können durch den Betrug wieder hoch kommen. Das erschwert die Verarbeitung dessen, was im Jetzt ist. Es kommt zu einer Retraumatisierung, der betroffene Mensch ist out of order.

Betrogen werden ist also nichts, was sich mit einem: „Es tut mir leid“ schnell wieder gut machen lässt. Ein Betrug ist eine folgenschwere emotionale Verletzung und eine schwer zu bewältigende Aufgabe für die Seele des Betrogenen, und er ist eine Herausforderung für die Beziehung, will man sie überhaupt weiter führen.
Ich frage mich, was wenn der, der betrügt all das vorher wüsste, würde er dann anders handeln? Die Erfahrung meines Lebens und meine Erfahrung mit Menschen sagt: Leider nein.

Was du als Betrogener tun kannst:
Dein seelisches Wohlergehen hängt nicht davon ab, ob oder wie bald du dem anderen verzeihst. Er hat dich verletzt, er hat nicht an dich gedacht und daran was er dir zufügt. Es geht jetzt nicht darum dem anderen zu verzeihen, sondern jetzt geht es allein darum, wie liebevoll und fürsorglich du mit dir selbst umgehst. 

Wir können Vergebung nicht erzwingen, wir müssen uns zuerst unseren eigenen Gefühlen zuwenden. 
Und das bedeutet: Diese Gefühle zu durchleben und sie auszuhalten. Das Letzte was du brauchen kannst, ist, dass du wieder in die Verdrängung oder in die Abwehr gehst. Tust du das, sagst du NEIN zu dir selbst. Du behandelst dich genauso lieblos wie der andere dich behandelt hat. Fakt ist: Er war nicht loyal. Fakt ist: Er hat in Kauf genommen, dich zu verletzen. Wenn du verletzt worden bist, dann sei solange wütend, traurig, verzweifelt, depressiv wie du es fühlst. Weine, sei wütend, schrei und hab dabei Mitgefühl mit dir selbst. Behandle dich selbst so mitfühlend und liebevoll wie du ein Kind behandeln würdest, das diese Gefühle hat.
Sag dem Kind nicht: Jetzt ist aber genug!, oder: Du musst dich jetzt endlich mal beruhigen.
Sag ihm auch nicht, dass es verzeihen muss, damit es ein guter Mensch ist.
Dein Schmerz kann sich nur auflösen, wenn du dir erlaubst absolut ehrlich zu dir selbst zu sein und das bedeutet, dass du aufhörst etwas von dir zu verlangen, was du gerade nicht kannst. 
Es geht vorbei. Alles geht vorüber.