Mittwoch, 29. April 2015

Dienstag, 28. April 2015

Wo kein klares Ziel, da kein Weg

 
Zu sich selbst finden ist ein Prozess. Es ist wie beim Schälen einer Zwiebel: Schale für Schale, die man abschält, Schicht für Schicht, kommt die nächste Schale zum Vorschein, und wieder die nächste, solange, bis man irgendwann an den Kern kommt. Wie viele Schichten abgeschält werden müssen, dafür gibt es keine Regel und keinen Zeitrahmen. Jeder Mensch hat seine eigene Gangart. 

Jeder Selbstfindungsprozess beginnt mit der Bewusstmachung der eigenen Überzeugungen, Glaubenssätze und Programmierungen.
Was denke ich über mich, wie fühle ich mich, welche Gedanken laufen unbewusst ab und welchen Mustern folge, weil ich das seit einer Ewigkeit so mache?

All das sind langjährige Programme, die unser Gehirn gespeichert hat und in den verschiedenen Lebenssituationen automatisch abspult. Wir nehmen uns selbst und Welt durch den Filter dieser Programmierungen wahr, solange bis wir sie erkennen, als das was sie sind – gelernte Überzeugungen, die nicht wahr sein müssen und es in den meisten Fällen auch nicht sind.

Bewusstmachung ist aber nur der erste Schritt. Auch wenn wir uns unsere Überzeugungen bewusst machen, die alten Gedanken, die wir über uns haben, sind noch immer da. Sie laufen weiter und zwar ohne, dass wir Einfluss darauf haben. Sie bestimmen immer noch unser Denken, Fühlen und Handeln. Aber das Bewusstmachen hilft dabei, Abstand zu den alten Mustern zu bekommen. Die gewohnte Lebensrealität, unsere Sicht von uns selbst und Welt bekommt Risse, sie wird hinterfragt und damit neu gesehen.

Mit jedem Hinterfragen der alten Überzeugungen verlieren diese an Macht. Zugleich aber sind wir unsicher, weil wir noch keine neuen Überzeugungen haben, die alten ersetzen können. Wir brauchen neue Gedanken, hilfreichere.

Ein Beispiel: Es genügt nicht zu wissen: wenn ich mich klein denke, wenn ich mich ständig selbst klein mache, mir nichts zutraue, ist das nicht hilfreich. Man muss auch wissen wie man sich größer denkt um sich größer zu fühlen und zu handeln.

Mit anderen Worten – wenn ich zwar weiß, dass ich ein geringes Selbstwertgefühl habe und, dass mir das in meinem Lebensalltag schadet, aber nicht weiß, was ich brauche, um mich wertvoller zu fühlen, bleibt eine wirkliche Veränderung im Denken, Fühlen und Handeln aus.

Aus unseren Mustern und Prägungen herauszufinden bedeutet also nicht nur sie zu erkennen, indem wir unsere Gedanken über uns selbst identifizieren, hinterfragen und überprüfen, ob sie für uns hilfreich oder nicht hilfreich sind -  es bedeutet neue Muster zu erlernen. Dazu gehört auch eine Vorstellung dafür zu bekommen, wer wir überhaupt im Tiefsten sein wollen, um zu der werden, der wir sind.

Das heißt: Wir brauchen ein klares Bild von dem Menschen, der wir sein wollen. Es ist wie mit jedem Ziel, das Menschen erreichen wollen – kennen wir es nicht, haben wir keine vollständige, klare, bildhafte Vorstellung von unserem Ziel - wandern wir im Nebel. Wir finden den Weg nicht.

Sonntag, 26. April 2015

Über die Zerstörung



Abspaltung AW

Die brachiale Zerstörung des Alten ist immer ein Akt der Verzweiflung und der radikalen Abwehr jener Teile des Unbewussten, die psychisch nicht integriert werden können. Zwischen Zerstörung und Entstehung aber liegen vielfältige Möglichkeiten zum Wandel.
Die Seele kann ihre Vermittlerrolle zwischen Bewusstem und Unbewusstem allerdings nur dann erfüllen, wenn es ihr gelingt beide zu vereinen. Dazu gehört auch die Integration des Schattens, des Minderwertigen und Abgelehnten, also alles, was der Mensch als Teil seiner selbst nicht wahrhaben möchte. Erst im Erreichen dieser Verbindung erlangt ein Mensch sein höheres Bewusstsein. Im radikalen Abspalten, mittels der Zerstörung, bleibt er in sich selbst gespalten.

Samstag, 25. April 2015

zwischen innen und außen ... immer ich

Foto: AW

Reden zur Kunst: Der Kölner Maler und Konzeptkünster R.J. Kirsch

 

Kunst und Statistik haben auf den ersten Blick eigentlich nichts miteinander zu tun. Und ehrlich gesagt, ich mag auch keine Zahlen. In Bezug auf die Arbeiten des Kölner Malers und Konzeptkünstlers Rolf Kirschs aus dem Zyklus „Rhythmus der Statistik“ habe ich entschieden: hier machen Zahlen Sinn. Erst mal.

2014 war ein schwarzes Jahr für die Luftfahrt. In diesem Jahr sind fast tausend Menschen bei Flugzeugabstürzen ums Leben gekommen - vier Mal mehr als im Vorjahr. Weltweit meldeten Versicherungen zwischen 2002 und Ende 2013 den Verlust von 1673 Schiffen. In der Nacht vom 18. auf den 19. April 2015 kenterte ein überladenes Flüchtlingsboot auf dem Weg von Libyen nach Italien. Vermutlich ertranken 700 Menschen. Das gefährlichste Verkehrsmittel ist das Auto. Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland ist im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 0,9 Prozent auf 3368 gestiegen.  Die Gefahr bei einem Busunglück ums Leben zu kommen ist schon deutlich geringer, es sind zwischen 6 und 19 Tote jährlich. Die Schiene ist relativ sicher. Es gab in diesem Zeitraum zwischen einem und 7 Tote pro Jahr.

 


Was geschieht, wenn weltweit die "Unfallkurve" in erschreckender Weise ansteigt, wenn die sichersten Verkehrsmittel der Moderne an Vertrauenswürdigkeit einbüßen, wenn das Trugbild der uns versicherten Sicherheit moderner Fortbewegungsmittel zudem auch noch dahingehend psychologisch verzerrt wird, das man von jedem größeren Unfall auf der Welt in den Medien in aller Intensität und Schrecklichkeit informiert wird? Dem Unfall wird ein Museum errichtet, in dem die Katastrophen konserviert und ausgestellt werden. Das hat natürlich eine psychologische Wirkung: Die ständige Wiederkehr dieser schrecklichen Ereignisse und ihrer Bilder gehört zu unserer Lebenswirklichkeit. Sie füttern einerseits die Angst der Menschen, andererseits machen sie emotional taub gegenüber dem Leid anderer. Mittels der Distanz des Bildschirms wird das Leid als ein Fremdes abgespalten. Die Möglichkeit der Katastrophe, die den Zuschauer selbst jeden Moment in der Zeit treffen kann, wird psychisch abgewehrt, um das Grauen mental zu bewältigen, bzw. es zu kompensieren, so dass die seelische Verfassung des Einzelnen weitgehend konfliktfrei bleibt und vor dem bedrohlichen Einfluss des Schrecklichen geschützt ist. Anders ausgedrückt: Wir werden überflutet mit Bildern von Unfällen, doch, wie die Bilder dieser Ausstellung, bleiben diese abstrakt, solange das Unglück uns selbst nicht trifft. Jedoch, die spektakulären Unglücksketten, wir sie seit dem vergangenen Jahr weltweit erfahren, lassen immer lautere Zweifel an der Sicherheit unserer hochtechnisierten Fortbewegungsmittel aufkommen. Die Angst selbst Opfer zu werden wirft bei immer mehr Menschen die Frage auf: "Sind die sicheren Zeiten vorbei?"

Diese und viele andere Fragen zum Phänomen „Unglück“ im Kontext mit technischen Beförderungsmitteln, stellen sich auch beim Betrachten der Arbeiten R.J. Kirschs. 


Unter dem Titel „Moto Park“ sehen wir neben Blaupausen, parodierten, neu montierten und collagierten Bedienungsanleitungen von technischen Geräten in skurriler Formsprache, Bilder von zerbeulten Autowracks, untergegangenen Schiffen, umgekippten Zügen, von Fahrzeugen und den Zeichen ihrer Deformation nach dem Unglück. Kirsch macht die Wucht der Zerstörung zum Sujet der Malerei, er seziert und inszeniert das Phänomen des Unfalls. Und hierbei sind es nicht nur die tatsächlich physischen Bewegungen sondern auch die Kinetik des Virtuellen, die den Maler interessiert. Dabei entstehen malerische und filmische Arbeiten, die sich gegenseitig durchdringen. Das Prinzip der Störung, die Verformung des Blechs durch die kinetische Energie, sprich - die Änderung der Bewegungsgrößen wie Geschwindigkeit und Beschleunigung unter der Einwirkung von Kräften im Raum, die Dynamik, die sich mit der Wirkung von Kräften befasst – das, so Kirsch, fasziniert ihn und daraus resultierend, im Akt des Malens, die Konzentration auf die Frage: Wie kann ich malerisch einen riesigen Schrotthaufen bewältigen, wie kann ich die Verformung des Gegenstandes mit malerischen Mitteln verfolgen im Sinne einer adäquaten Umsetzung, die dem Thema Unfall angemessen ist ? Und so sortiert er die Trümmer und räumt sie auf der Leinwand auf. Um was zu erreichen? Das Herstellen einer neuen Ordnung auf dem Grund der Zerstörung? Was entsteht, sichtbar für den Betrachter? Eine Ästhetik des Grauens, die weckt, was der Mensch fürchtet: Das Unglück.

An einem Tag ist das Leben die Ansammlung der Dinge, die wir tun und plötzlich kommt das Unerwartbare - ein Unfall, ein Unglück. Das Unglück, das ist der Moment der das Leben in zwei Teile bricht, der Moment in dem alles, was es vorher gegeben hat, zur Erinnerung an eine blasse Vergangenheit ohne Konturen wird. Das ist der Moment, indem es dich herausschleudert aus dem Raum, den du bewohnt hast. Ein Schlag stoppt dich und beendet was war. Der Augenblick löst sich, im Verlust dessen, was wachsen sollte, auf. Das ist sie, die Katastrophe, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel über dich kommt und dich trifft mit der Wucht der Zerstörung. Ich habe es so erlebt.

In jedem Leben ist immer auch die Möglichkeit des Unglücks, im Leben jedes Einzelnen von uns. Menschen, die ein Unglück trifft, gibt es jeden Tag, jede Minute, in diesem Moment. Das Unglück ist immer und überall auf der Welt. Es gibt viel Unglück. Das Unglück schafft Schmerz, es macht fassungslos, es lähmt, es macht wütend und immer hat es die Frage nach dem Warum zur Folge. 

Das Unglück hat am 19. April wieder viele Menschen getroffen. Es hat uns alle getroffen, uns, die ganze Welt und die ganze Welt ist fassungslos über das schreckliche Unglück, weil es so überraschend kam, so unvorstellbar grausam ist, so unvorstellbar unmenschlich und so unvorstellbar groß. Das Unglück ist geschehen und die Welt hält für einen kurzen Moment den Atem an. Die Bilder des Unglücks gehen um die ganze Welt und die Welt sieht sich die Bilder an, gibt ihnen Raum im Alltag, ist schockiert und voller Wut auf die, die das Unglück vermeintlich erschaffen haben. Die Welt sucht Zeichen und Spuren, will Schuldige und Verantwortliche, will wissen, wann es denn angefangen hat und fragt sich, warum es denn nicht gesehen wurde, beizeiten, das kommende Unglück - und Antworten finden sich keine. 


Was an Materie bleibt, nachdem die Toten unter der Erde liegen, die Verletzten in Krankenhäusern versorgt werden und die Seelen der Überlebenden und Angehörigen traumatisiert sind, sind Mahnmale des Unglücks, stumme Zeugen einer Havarie zu Schaden gekommener und in Mitleidenschaft gezogener Fahrzeuge – das, was wir in Rolf Kirschs Bildern sehen. Die in den Fahrzeugen beförderten Menschen, die Schaden erlitten oder gar den Tod fanden, sehen wir in diesen Bildern nicht. Das Verhältnis des Malers zum Unfall ist ungefähr so wie das Verhältnis des Rechtsmediziners zum Mordopfer: So wie den Forensiker die Todesursache und nicht der Mensch interessiert, so interessiert Kirsch sich für den Schaden an sich. Die Vorlage des Malers: die tagtägliche Wirklichkeit des Verunfallens, die in den Bildern der Medien festgehalten wird, die er dann von der Fotografie stilistisch in die Malerei überträgt.

Was in diesen Bildräumen aufeinandertrifft sind künstlerische Mittel und die Fragwürdigkeit moderner Technik. Dem Künstler geht es in seinen Ölskizzen um die malerische Erfassung kinetischer Verformung, er studiert die Wucht ihrer Deformation. Dabei erfahren wir nichts über die Ursachen der Zerstörung, nichts über den Hergang des Unglücks, nichts über die Folgen für das Individuum. Was der Betrachter sieht sind malerisch in Szene gesetzte Bilder technischer Destruktion: Zerbeulter Stahl und Blechschrott, kaputte Fragmente hochentwickelter technologischer Objekte. Stills gleich, festgehalten in Raum und Zeit ihrer Deformation – eine künstlerische Inszenierung des scheinbar stabilen beschleunigten Gegenstandes und seiner ihm immanenten Brüchigkeit. Nahezu kathartisch mutet diese Aneinanderreihung des Zerstörten an. Die stummen Zeugen der Destruktion zeichnen aber weitaus mehr: Was wir sehen ist ein Abbild der Fragilität unserer hochtechnisierten Fortbewegungsmittel, das durch die Übersetzung kinetischer Verformungen in einen malerischen Duktus die außer Kontrolle geratene Bewegungsenergie des zunehmenden Beschleunigungswahns der Moderne sichtbar und spürbar macht. Die Philosophin Hannah Arendt sagte einmal: „Der Fortschritt und die Katastrophe sind zwei Seiten der selben Medaille. Man kann die Substanz nicht vom Unfall trennen. Je mächtiger die Substanz ist, das technische Objekt, je mächtiger die Energie, desto mächtiger ist die Katastrophe. Das Gute des Fortschritts und das Verhängnisvolle des Unfalls hängen eng zusammen, sie bedingen einander.


Aber was will Kirsch uns sagen? Nun, ich denke nicht, dass hier ein Künstler einen chiliastischen Katastrophismus propagieren will. Ihm geht es nicht um eine Hervorhebung des Tragischen des Unfalls zum Zweck der Verängstigung, wie das die Massenmedien tun, sondern darum, den Unfall ernst zu nehmen, sprich: das Eigentliche, das in ihm verborgen liegt, anzurühren. Angesichts dieser Bilder, begreifen wir, dass die Beschleunigung an sich eine Erklärungspotenz des Phänomen Unfalls besitzt. Der französische Fortschrittsskeptiker Paul Virilio stellt das Phänomen des Unfalls in der Moderne in den Mittelpunkt eines Essays und stellt die Frage: Was ist ein Unfall?
Von der biblischen Erbsünde und dem Urknall über Naturkatastrophen und Industrieunfällen bis zum aktuellen Phänomenen der Beschleunigung in der Gesellschaft ruft Virilio polemisch zu einer neuen Sichtweise auf: Anstatt uns, wie bisher, als dem Unfall ausgesetzt zu begreifen, sollten wir den Spieß umdrehen und den Unfall unserem analytischen Blick aussetzen. Unfälle sind die notwendigen Konsequenzen unserer beschleunigten Lebensweise. Das Wesen des Unfalls, diese These übernimmt Virilio von Paul Valéry, ist jedoch nicht etwa seine Unerwartetheit, sondern – im Gegenteil – seine Notwendigkeit. Der “Unfall der Erkenntnis”, wie Virilio ihn nennt, basiert auf einer dialektischen Wendung des “Normalfalls”. Im Unfall wird das Ding erst erfahrbar, die Wahrscheinlichkeit des Unfalls wird zur Gewissheit, proportional zu dem Maße, wie die moderne Kultur Dinge hervorbringt. Der Flugzeugunfall ist erst möglich durch die Erfindung des Flugzeuges. Im Fliegen ist der Unfall bereits als Möglichkeit angelegt, wie im Auto, im Schiff und in jedem anderen “Fall”. Die Akzidens, in der Nähe des Aristotelischen Begriffs  “accident” lat: das nicht Wesentliche, ist es, welches die Substanz erst zum Erscheinen bringt. Die Zerbrechlichkeit unserer Gesellschaft, die auch eine Zerbrechlichkeit des sich selbst überholenden Fortschritts der Beschleunigung ist, ist so groß, dass der Unfall eine Erscheinung genau dieses Fortschritts ist. Die Produktion des immer schneller, immer mehr, trägt den Unfall in sich. Die Frage, die sich dann stellt, und genau diese Frage stellt sich den Menschen angesichts der letzten Katastrophen ist: Wie können wir uns vor der neuen Form der Bedrohung schützen?
Gar nicht, denn: Der Fortschritt und das Verhängnisvolle des Unfalls bedingen einander. So sehr der Mensch auch versucht, Maschinen zu konstruieren, die perfekt funktionieren, es gibt das Perfekte nicht, es gibt sie nicht, die perfekte Maschine. Wie auch? Der Mensch selbst ist nicht perfekt, er hat nicht alles in der Hand. Es gibt etwas, das größer ist als er. Das zu akzeptieren fällt einer Welt, die von narzisstischen Größenfantasien geradezu überwuchert ist, schwer. Was also, wenn der Unfall, der ein bestimmter Punkt auf dem Weg durch Zeit und Raum ist, sich nicht verhindern lässt, sondern einfach ist? Was wenn die abrupte Beendigung, der Stillstand, an dem Kirsch ein solches Interesse hat, einfach unvermeidbar ist – so wie der abrupte Stillstand unser aller Leben unvermeidbar ist? Dann ist die Phänomenologie des Verkehrsunfalls mit ihrem von außen gesetzten Schlusspunkt, der Phänomenologie des Todes gleichzusetzen - dem Nullpunkt des Lebens.


 http://www.r-j-kirsch.de

© Angelika Wende R.J. Kirsch, Kunstverein Eisenturm 24. April 2015


Dienstag, 21. April 2015

Nicht willkommen



Das Grundgefühl nicht willkommen zu sein ist so alt wie du, so alt, wie der Tag, an dem du nicht mit liebenden Augen willkommen geheißen wurdest.
Das wächst mit, das verlässt dich nicht, vielleicht niemals, dich, den von Anfang an Verlassenen.
Da ist immer das Gefühl dir niemals sicher sein zu können, dass die Zuneigung, die man dir schenkt, wirklich echt ist.
Vertrauen ist schwer. Es scheint leichter, dich hinter einer Mauer in Sicherheit zu bringen.
Nähe ist eine Gefahr, auch wenn dazu kein Grund besteht.
Du hast keine Strategien gelernt um Nähe und Distanz zu regulieren.
Deine Angst vor Nähe lässt deine Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit, Sehnsucht bleiben.
Woran dich halten, wo dich keiner halten konnte?
Der rote Faden früher Ablehnung zieht sich durch dein Leben.
Wer nicht willkommen ist, ist verletzbar, ist misstrauisch und sehr allein.
Dann doch lieber die Mauer.
Ein Schutzschild gegen den Schmerz, von dem du längst weißt, dass er alt ist.
Aber das Kind in dir weiß es nicht.
Du könntest es umarmen, ihm sagen: Du bist willkommen bei mir.
Es kann dauern, bis es dir vertraut.

Montag, 20. April 2015

Gewisse Leute






Es gibt gewisse Leute, die kennen wir alle. Ich spreche von Leuten, die sagen, dass wir ihnen sehr am Herzen liegen und dass wir ganz wundervolle Menschen sind und dass sie unendlich froh sind, uns in ihrem Leben zu haben und wie wichtig wir ihnen sind. Wir alle haben diese gewissen Leute in unserem Leben. Leute, die gewisse Dinge immer wieder sagen, um uns zu vergewissern, wie wertvoll wir (für sie) sind. Vergewisserung schafft Vertrauen, auch wenn die Wirklichkeit bei manchen dieser gewissen Leute in einem, ich möchte es einmal so ausdrücken -  irritierenden Widerspruch zu dem steht, wessen sie uns permanent vergewissern. Deutlicher ausgedrückt: all das, wessen sie uns vergewissern, steht im Widerspruch zu dem, wie sie sich uns gegenüber verhalten.

Eine zeitlang, manchmal sogar jahrelang sind wir geneigt diesen Vergewisserungen Glauben zu schenken, auch wenn das Vertrauen immer wieder auf die Probe gestellt wird und wir mehr als einmal enttäuscht werden und wir längst mit Gewissheit sagen können, irgendwie stimmt da etwas nicht oder es stimmt nicht mehr. Wir versuchen es trotzdem weiter mit dem Vertrauen, auch wenn die Handlungen dieser Leute immer weniger mit dem übereinstimmen, dessen sie uns vergewissern, auch wenn wir uns immer öfter fragen: Wie kann einer so etwas mit gutem Gewissen immer wieder tun, so ganz anders handeln als er redet? Nun, ganz einfach: Weil Worte die wunderbare Eigenschaft haben, dass sie gefügig sind, und man sie zu allem benutzen kann. Worte haben Macht über Menschen.

Diese gewissen wissen um die Macht der Worte. Sie sagen uns wie wundervoll wir sind und sie sagen das so oft, damit sich das auch in unserem nach Zuneigung hungernden Gehirn verankert, damit wir ihnen auch dann noch glauben, wenn wir längst Zweifel hegen müssten gegenüber den wundervollen Worte, denen selten wunderbare Taten folgen. Für letztere sind wir zuständig, schließlich sind wir doch der wundervolle Mensch. Dem Wundervollen gegenüber hat man auch eine Verantwortung und damit auch die Aufgabe diese zu erfüllen, nehmen wir sie denn ernst, die Verantwortung des Wundervollen. Tun wir das, dann tun wir das auch immer und immer wieder, denn wir wollen diese Leute auf keinen Fall enttäuschen. Ja, weil diese Leute uns stets vergewissern, dass wir so wundervoll sind, wollen wir sie nicht enttäuschen. Sie liegen uns ja auch am Herzen, also kümmern wir uns um sie und tun das Menschenmögliche damit es ihnen gut geht. Gewiss, das ist in der Tat wunderbar, wer wünscht sich das nicht in seinem Leben, Leute, die uns brauchen, uns, den wundervollen Menschen.

Das Auffällige aber ist, dass diese gewissen Leute uns ständig brauchen. Wann immer es diesen Leuten schlecht geht, rufen sie: "Hilfe, rette mich. Du wundervoller Mensch kannst das!"
Zack, sind wir da, mit dem Zauberstab oder dem Feenzepter, um die kleinen und größeren Dramen, die im Leben dieser gewissen Leute an jeder Ecke immer wieder aufflackern, zu (er)lösen. Wir sind da, wenn es ihnen mal wieder schlecht geht und das Drama in ihrem Leben Einzug hält. Bei diesen gewissen Leuten, ist das ziemlich oft der Fall. Und deshalb sind wir auch ziemlich oft im Einsatz und vergessen darüber ziemlich oft, welche aufkeimenden Dramen wir im eigenen Leben im Auge behalten sollten oder welches Glück wir schmieden sollten, um weiterzukommen mit dem, was uns wertvoll und wichtig ist, und sei es nur der Schutz unserer kostbaren Lebenszeit.
Aber es ist doch so wundervoll, so viel Wunder tun zu dürfen. Und wir fühlen wir uns damit auch wundervoll. Bis ...
Bis der Moment kommt, ich meine der wirklich entscheidende Moment, wo wir diese gewissen Leute mit Gewissheit brauchen, weil bei uns das Drama Einzug hält. Und dann rufen wir sie...
Und dann sagen diese Leute: "Mach kein Drama draus, mach ein Weinchen auf und entspann dich!"
Ups! Das macht sprachlos.
Das muss man erst einmal einatmen und für ein paar Sekunden auf den Zwischenraum achten vor dem Ausatmen ...
Und genau da könnte es geschehen, das Wunder, dass wir das Wundervolle in uns selbst spüren. Und dann können wir ganz entspannt ausatmen und diesen gewissen Leuten mit absoluter Gewissheit sagen: "Ich bin mir gewiss, dass ich dich gewiss nicht mehr in meinem wundervollen Leben haben will."




Sonntag, 19. April 2015

Regretting Motherhood oder warum Kinder als Schuldige für ein unerfülltes Leben herhalten müssen




Seit Tagen wird im Netz über eine Studie diskutiert, in der Frauen offen bekennen, ihre Mutterschaft zu bereuen. Der Anlass für die Diskussion ist die Studie einer jungen israelischen Soziologin, die 23 Mütter befragte, ob sie es bedauern ihre Kinder geboren zu haben.

Die Studie an sich ist fragwürdig, denn um ein eindeutiges Bild jener Frauen zu zeichnen, die ihre Mutterschaft bereuen, bedarf es weitaus mehr Profilen, um daraus einen fundierten soziologischen Erkenntniswert abzuleiten. Aber sie ist nicht umsonst, denn so einige jener Mütter, die es bereuen ihre Kinder in die Welt gesetzt zu haben, nehmen selbige nun als Unterstützung um ihr ungeliebtes Leben mit Kind zu verargumentieren, vor sich selbst und anderen.

Gut, es gibt diese Studie und es gibt diese Mütter. Auch ich habe den Beitrag dazu im Fernsehen gesehen( Link unter meinem Artikel). Das Ergebnis der Studie ergab: Einige der Mütter bekannten, wenn sie ehrlich seien, hätten sie ihre Kinder lieber niemals zur Welt gebracht. Die Begründung lautete: ihr Leben drehe sich fast ausschließlich um die Kinder und sie selbst und ihre Bedürfnisse blieben auf der Strecke. So weit so gut. Letzteres kennen alle Mütter: Hast du ein Kind, bist du nie mehr allein, denn auch wenn es längst erwachsen ist - es ist in deinem Herzen und in deinem Kopf. Den Wunsch, das Kind lieber nicht zur Welt gebracht zu haben, kennen weniger Mütter.

Was sind das für Mütter, die so etwas behaupten?

Wir erfahren in den Berichten der Medien nichts über die Lebensumstände, psychologische, soziale und familiäre Hintergründe oder über die dazugehörigen Väter, weder sonst etwas, das ein klares Profil der interviewten Frauen zeichnet, aber  - die Welt hat ein neues Modewort: "Regretting Motherhood", genauer:  Regretting Motherhood - A Sociopolitical Analysis über das Bedauern, Mutter geworden zu sein.

In den sozialen Netzwerken gab es dafür jede Menge Beifall: Ein längst überfälliger Tabubruch, mutig, ehrlich, dass sich endlich mal ein paar Mütter trauen zuzugeben, dass sie keinen Bock auf ihre Kinder haben. Anonym allerdings die Meisten, so weit her ist es also nicht mit dem Mut zur Wahrhaftigkeit, muss die regretting mother doch nicht einmal Gesicht zeigen.

Es ist ja auch nicht leicht, den eigenen Kindern postnatal ihre Existenz im mütterlichen Leben als Vorwurf hinzuschmettern. Dazu gehört nicht allein Mut, sondern vor allem eine gehörige Portion an emotionaler Kälte, wie wir sie von der narzisstischen Persönlichkeit und anderen Persönlichkeitsstörungen her kennen. Ich bete zu Gott, dass die Kinder dieser Frauen niemals hören, was ihre Mütter über ihre Existenz auf dieser Erde sagen, wobei, ich bin mir sicher, sie spüren es alle, dass sie nicht gewünscht sind, dass sie lieber nicht da sein sollen, dass sie besser nicht leben sollten, damit es Mama besser geht.

Ich kenne das und daher triggert mich das. Ich selbst bin bei einer solchen Mutter Kind gewesen. Einer Mutter, die mir schon als Kleinkind ihr ungelebtes Leben vorwarf, an dem meine Existenz die Schuld trug, eine Mutter, die mir entgegenschrie, wenn du nicht wärst, wäre mein Leben anders verlaufen, ich wäre glücklich geworden. Damals hat mich das in eine tiefe Ohnmacht versetzt und mir eine Schuld auf die Schultern gelegt, an der ich mich bis ins höhere Alter abgearbeitet habe, bis ich begriff, wie tief verletzt meine Mutter doch gewesen sein muss, wie hilflos und ohnmächtig, um so zu fühlen. Ich begriff, wie unreif und unbewusst die Frau war, die mich nur geboren hatte, weil sie ohne Kondom gevögelt hatte und den Mut nicht aufbrachte mich abzutreiben. Eine kurze Freude und ich, das lange Leid. Ich bekenne, es schmerzt mich noch heute, denn zu allem Übel hat mich meine regretting mother, als ich eine Frau war und selbst Mutter, aus ihrem Leben entfernt, indem sie mir sagte: Für mich bist du gestorben. Getroffen hat mich das nicht mehr, denn ich wusste, in Wahrheit war ich für sie schon immer tot, am Liebsten jedenfalls. Sie hätte Hilfe gebraucht, aber damals sah sie das anders.

Was ist mit den Kindern?

Die Kinder dieser Mütter, die behaupten, wenn ich heute noch einmal entscheiden könnte, hätte ich keine Kinder, sind in vielen Fällen Kinder wie ich eines war: Kinder, denen man auf irgendeine Art und Weise vermittelt, sie hätten das Leben an sich nicht verdient. In meiner Praxis arbeite ich mit Menschen, die genau dieses Lebensgefühl vermittelt bekamen, manche offen, andere auf eine subtilere Weise. Alle tragen das Gefühl: "Ich habe es nicht verdient zu leben", mit sich herum, wie eine erdrückende Last, die sie an ihrer Lebensbejahung und ihrer Selbstentfaltung hindert.

Die gefühlte und erlebte Erfahrung als Kind das Leben der Mutter versaut zu haben, ist eine tief introjizierte Überzeugung, die die Selbstliebe und das Selbstwertgefühl eines Menschen schwer beeinträchtigt. Sie lautet: Ich bin nicht liebenswert und nicht wertvoll. Diese Menschen sind traumatisiert.

Die Argumente der bedauernden Mütter klingen so: Ich bereue nicht mein Kind. Ich bereue meine Mutterschaft. Ich bin unfrei. Ich fühle mich gefangen in diesem Käfig namens Mutterschaft, der sicherlich noch 15 Jahre anhält.

Im Käfig sitzt nur der, der aufgrund eigener kindlicher Traumata oder destruktiver Programmierungen darin gelandet ist, dessen inneres Kind verletzt und ungeliebt ist. Dieses verletzte, ohnmächtige, eingeschlossene Kind bleibt im eigenen Seelenhaus sitzen, auch wenn es selbst Mutter wird. Aber für manche dieser nie erwachsen gewordenen weiblichen Kinder, ist es ist einfacher mit dem Finger auf die scheinbar Schuldigen, in diesem Falle die eigenen Kinder, zu zeigen, als sich im eigenen emotionalen Käfig umzublicken und zwar direkt in den Keller der eigenen Psyche, denn genau da haust das, was Menschen in den Käfig bringt.

Was ist eigentlich das Problem?

Frauen die ihre Mutterschaft als Käfig empfinden, haben in der Tat ein Problem und meist nicht nur eins. Aber eins ist sicher, verantwortlich für das innere Gefängnis, das sie in Unkenntnis der eigenen Psyche auf ihre Mutterschaft und die Kinder projizieren, sind nicht ihre Kinder, sondern die eigene Kindheit, die unverarbeitet ist.

Die ganze Verantwortung hat mich so übermannt. Ich kann keine Entscheidungen mehr ohne Hintergedanken treffen, so ein Statement einer Regretting Mother.

Konnten sie denn vorher Entscheidungen treffen?, wäre die Frage, die ich stellen würde und ich bin mir sicher, die Antwort wäre kein eindeutiges: Ja. Diese Frauen haben ein Problem mit Verantwortung, weil sie die Verantwortung für ihr eigenes Leben niemals übernommen haben oder es aufgrund der eigenen Biografie nicht konnten. Soll ich sie jetzt bedauern? Ich kann ihr Leid mitfühlen, wenn ich sie mir als Kinder vorstelle, ich kann es aber nicht als Rechtfertigung dafür akzeptieren, dass sie es deshalb mit den eigenen Kindern genauso machen, wie man es mit ihnen gemacht hat. Eine beschissene Kindheit ist keine Rechtfertigung dafür ein verantwortungsloser Erwachsener zu sein und es zu bleiben.

Natürlich würden sie ihre Kinder lieben, das stehe außer außer Frage, so die Frauen in der Studie, dennoch hätten sie sie lieber nicht bekommen.

Ist das wahr?
Das ist eine Paradoxie: Wer sein Kind liebt, wünscht sich nicht, es sei nie geboren worden. Wer so etwas sagt, hat keinen Begriff von Liebe, denn Liebe will nicht zerstören und auch nicht im Nachhinein einem geliebten Wesen das Leben absprechen.

Es ist tragisch was in diesen Frauen vor sich geht. Ich würde jeder Einzelnen von ihnen gerne ans Herz liegen eine Therapie zu beginnen, anstatt ihre Kinder psychisch zu schädigen, aber wie so oft im Leben werden aus Opfern, die in der Opferrolle stecken bleiben, TäterInnen, nicht selten sogar TäterInnen am eigenen Fleich und Blut, wenn eine Einsicht fehlt.

Hätte ich die Kinder nicht gehabt, wäre mein Leben besser gewesen, so eine Mutter. 
Hätte, wäre? Ist das wirklich wahr?

Oder ist es die Rechtfertigung für die eigene Unfähigkeit seine Entscheidungen nicht so treffen zu können, das sie den eigenen Bedürfnissen entsprechen? So sprechen Menschen, die der Opferrolle verhaftet sind, die andere für ihre Handlungen und Gefühle verantwortlich machen, für all das, was ihnen fehlt um das eigene Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

Es fehlt: Eigenverantwortung. Es fehlt die Einsicht, dass jedes "hätte" beinhaltet: ich habe nicht. 

Und zwar - weil ich es nicht konnte. Dafür kann niemand etwas, wir können nicht immer können, was wir wollen. Das ist in Ordnung, wenn wir akzeptieren, dass wir eben nur Menschen sind und nicht alles können müssen. Aber kann es sein, dass für ein Nichtkönnen ein Kind die Schuld tragen muss? Es ist möglich, diese Studie zeigt es uns.

Ich bin selbst Mutter. Ich habe meinem Sohn das Leben geschenkt und ja, ich habe manchaml gedacht, ich könnte ihn an die Wand klatschen.

Ich habe es gedacht, wenn er mir als Baby den Schlaf geraubt hat, wenn er als Kleinkind die Luft angehalten hat bis er blau anlief, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, wenn ich nicht zur Arbeit konnte oder die ganze Zeit auf der Arbeit ein schlechtes Gewissen hatte, weil er einen Auftstand gemacht hat, weil er nicht bei der Tagesmutter sein wollte, oder wenn er mal wieder so radikal gegen das war, was ich mir für ihn gewünscht habe und lieber in die Scheiße gegriffen hat, anstatt auf mich zu hören. Ich habe meinen Sohn aber keinen einzigen Tag aus meinem Leben weggewünscht, egal welchen Kummer er sich selbst und mir bereitet hat. Mein Kind hat mich nicht gebeten auf die Welt kommen zu dürfen, ich habe es eingeladen, indem ich mich für sein Leben entschieden habe. Ich bin dankbar für jeden einzelnen Tag in dem mein Sohn in meinem Leben ist, auch wenn wir es nicht immer leicht miteinander hatten. Ich war oft verzweifelt und ich kenne die Überlastung, die Verzweiflung, das Zurückstellen meiner Bedürfnisse und die Schuldgefühle keine gute Mutter gewesen zu sein, aber das ist allein meine Verantwortung und nicht die Schuld oder die Verantwortung meines Sohnes. Ich bin verantwortlich für meine Gefühle und nicht mein Kind. Ich habe mit meinem Kind, als alleinerziehende Mutter, Karriere gemacht, ich war Fernsehmoderatorin und habe Bücher geschrieben, ich habe gemalt und niemals hatte ich das Gefühl, es geht nicht, weil mein Kind da ist.

Was sind das für Mütter, die sich selbst verwirklichen wollen und sich von dem kleinen Menschen, den sie geboren haben, gehindert fühlen? 

Ich kenne viele Mütter, die sich mit Kind und sogar mit mehr als einem Kind selbst verwirklicht haben, die Geschichte ist voll von erfolgreicher Frauen, die Mütter waren und Mütter sind. Was zeigt uns das? Es sind nicht die Kinder, die Frauen an ihrer Selbstverwirklichung hindern, sondern sie sind es selbst.  

Was da in den Medien unter dem Motto "Regeretting Motherhood" hochgejazzt wird, ist ein weiterer sichtbarer Auswuchs einer zunehmend narzisstischer werdenden Gesellschaft, in der der Mensch erschöpft und zermürbt von sich selbst, andere für seinen Mangel an Lebensglück verantwortlich macht.

Der Mensch der Moderne ist erschöpft vom Drang nach Selbstverwirklichung und dem gücklichen und sorglosen Leben, das ihm die  Medien vorgaukeln. Immer mehr, immer besser, immer glücklicher! Sei du selbst! In einer Welt, in der uns alles als möglich und machbar verkauft wird, in einer Welt, die die Illusion erschafft, draußen wartet irgendwo das absolute Glück, wächst die Angst, sich mit dem zufriedenzugeben was da ist. In einer Welt, die alle Hindernisse wegräumt, die sich ihrer gnadenlosen Gier nach dem guten Leben in den Weg stellt, wächst das Ego, das immer mehr will und immer mehr nicht will und wenn es die eigenen Kinder sind, die man nicht mehr will.

Das Drama allerdings ist, die meisten von denen, die all das glauben, stecken im Ego fest wie diese Mütter, sie wissen gar nicht wer sie sind und sie sind sich ihrer wahren Fähigkeiten und auch ihrer eigenen Begrenzheit nicht bewusst. Aber anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen und herauszufinden, was ihnen möglich ist und was nicht, suchen sie die Schuld für ihr ungelebtes Leben im Außen. Und wenn nichts anderes als Grund für das eigene Dilemma herhält, werden die eigenen Kinder schuldig gesprochen, wenns mit der Selbstverwirklichung nicht so klappt, wie Mutter es gern hätte.


P.S.  Und ja, hier muss ich bewerten.
Ich kann es vor mir selbst und dem Schöpfer verantworten, dass ich es in diesem Fall tue. 





http://www.heute.de/frauen-diskutieren-die-mutterrolle-und-stellen-in-frage-ob-es-richtig-war-mutter-zu-serden-regrettingmotherhood-38021100.html

Samstag, 18. April 2015

Gedankensplitter





Der Abgrund des Anderen, in den du blickst, 
ist immer auch dein eigener,
egal wie sehr du die Augen zuzudrücken versuchst.

Freitag, 17. April 2015

Herzblut



wissen ansammeln 
und es weitergeben, 
ist blutleer. 
wissen sammlen, 
es im eigenen leben umsetzen,
es erfahren
und es dann weitergeben, 
ist herzblut.

Montag, 13. April 2015

Jetzt

Gedankensplitter





Wann immer du etwas in deinem Leben nicht verwirklichen kannst, 
liegt es daran, dass etwas anderes in dir noch immer stärker wirkt
als das, was du verwirklichen willst.

Sonntag, 12. April 2015

Aus der Praxis – Resonanzen erkennen und sie zu unserem Besten deuten

Foto: A. Wende

Dort, wo wir verletzt oder traumatisiert sind, verharren wir emotional in der Vergangenheit. Der verletzte Teil in uns wächst nicht mit, er entwickelt sich nicht und er beherrscht immer wieder das Ganze. Die Aufmerksamkeit und die Energie hängen in der alten schmerzhaften Erfahrung. Wir reinszenieren auf unendlich vielen Ebenen, was nicht bewältigt ist und leiden die immer gleichen Schmerzen. Jede bewusst erkannte Reinszenierung aber ist eine Möglichkeit das Alte noch einmal anzuschauen um es zu verarbeiten. Was im Keller unserer Erfahrungen liegt, kann verdrängt, aber nicht vergessen werden. Ein "ich will nicht mehr zurück schauen", löst das Alte niemals auf. Es bleibt wo es schon lange ist, es verharrt in Erstarrung. Etwas auflösen bedeutet es zu lösen, es aus der Starre ins Fließen bringen. Tun wir das nicht, kommt es uns in den unterschiedlichsten Formen und Gestalten entgegen, oft so gut verpackt, dass wir es erst gar nicht als solches erkennen. 

Die Auseinandersetzung mit unseren Verletzungen und Traumata bedeutet nicht, dass wir ständig darin herumstochern, es geht vielmehr um einen ein aktiven, schöpferischen Prozess, bei dem wir die Reinszenierung als das erkennen, was sie ist: Eine von uns selbst künstlich am Leben erhaltene Szene in unserem Lebensfilm, die wir wieder und wieder abspulen, bis wir erkennen –  der ganze Film ist nicht nur diese eine Szene. Sie ist nur ein Teil des ganzen Films, der seither weiter läuft. Solange wir aber diese schmerzhafte Szene wie ein eingefrorenes Bild in uns tragen und es ständig anstarren, wird sich Ähnliches in unserem Leben wiederholen. Solange ein Teil von uns gefühlsmäßig in dieser Energie stecken bleibt, treten wir im Außen mit ähnlicher oder gleich schwingender Energie in Resonanz.

Resonanz (von lateinisch resonare „widerhallen“) ist in der Physik das verstärkte Mitschwingen eines schwingfähigen Systems, wenn es einer zeitlich veränderlichen Einwirkung unterliegt. Dabei wirkt von außen genau die Schwingung auf das System ein, die der Eigenschwingung entspricht.

So geht Verletzung mit Verletzung, Wut mit Wut, Hass mit Hass, Ohnmacht mit Ohnmacht, Schmerz mit Schmerz, Lähmung mit Lähmung, Angst mit Angst, Trauer mit Trauer, innere Leere mit innerer Leere, Chaos mit Chaos in Resonanz. Nicht immer eins zu eins, sondern in den vielfältigsten Ausprägungen und Variationen. Der Philosoph Georges Bataille beschrieb es einmal so: „Es gibt kein größeres Verlangen als das eines Verwundeten nach einer anderen Wunde.“ Mit anderen Worten: Die Wunde sucht ein ähnlich schwingendes Gegenüber und weil sie diese Schwingung aussendet, wird sie diese auch empfangen.

Es ist einfach herauszufinden, welche Lebensgefühle in uns vorherrschen, wir müssen uns dafür nur in unserem unmittelbaren nahen Umfeld umsehen, sprich, entdecken womit wir in Resonanz sind, besonders die Energie der Menschen mit denen wir zu tun haben, ihre Eigenschaften, die Gefühle, die Verhaltensweisen, die sie uns entgegenbringen oder die sie in uns auslösen. Sich das bewusst zu machen ist ein guter Hinweis auf das Ungelöste in uns selbst, auf die Themen, die wir noch nicht bearbeitet haben. Tragen wir beispielsweise unterdrückte Wut in uns wird uns diese in der unterdrückten oder in der offenen Aggression eines anderen bewusst gemacht, oder wir bekommen es immer wieder mit dem Thema Aggression und Gewalt im Außen zu tun. Tragen wir eine tiefe Trauer in uns, ziehen wir traurige, melancholische Naturen an. Wir empfinden Sympathie füreinander (lateinisch sympathia, altgriechisch „Mitgefühl"), weil wir ähnlich fühlen. Wir fühlen mit, weil wir es kennen, wir können mitfühlen, weil wir auch so fühlen oder so gefühlt haben.

Was aber, wenn wir unsere Themen weitgehend bearbeitet haben oder uns im Prozess befinden und uns diese Resonanzen im Außen immer noch oder sogar verstärkt begegnen? Die alte Energie bleibt ein Leben lang in unserem System gespeichert. Wir sind Erinnerung. Trigger, (Reizauslöser) sprich ähnlich Schwingendes im Außen, wecken diese Energie immer wieder, wenn auch nicht in gleicher Stärke, je nach dem Grad der Bewusstheit über unsere Verletzungen in dem wir uns befinden.

Resonanz sorgt auch dafür, dass wir Partner anziehen, die ähnliche Verletzungen und Prägungen wie wir selbst haben. Aber: Hurt people hurt People.

Es kann zu Irritationen und zu schwerwiegenden Problem führen, wenn die Partner gegenseitig an ihre verletzlichen Anteile gelangen. Je intensiver wir Nähe zulassen, desto intensiver und stärker sind wir im emotionalen Kontakt mit diesen Anteilen in uns selbst. Wir kommen tiefer in Kontakt mit den eigenen Verletzungen und den eigenen Mängeln. Schwer mit sich selbst in Kontakt zu bleiben, bei sich zu blieben, anstatt Gefühle von Verletzung oder Angst vom Partner zusätzlich zu den eigenen Gefühlen zu übernehmen. Man spricht hier auch von Überspiegelung, einem zu viel an „Ungutem“.  Resonanz verstärkt sich gegenseitig, sie unterliegt dem Prozess des sich selbst Verstärkens, was die Heilung des Einzelnen für sich selbst erschwert, weil er, auch wenn er selbst im Prozess der Loslösung vom Alten ist, mit den Gefühlen des anderen in steter Resonanz bleibt und seine Wunden immer wieder getriggert werden. Wenn einer in der Beziehung persönliche Entwicklungsarbeit macht, der Andere dies jedoch nicht im gleichen Maße tut , muss dieser Eine die Wunden und Schwächen des Partners ausgleichen und sich zugleich gegen verletzungen, die der andere im zufügt immer wieder schützen. Das ist ermüdend, das ist schmerzhaft, das ist Schwerstarbeit, die jeden Menschen überfordert. Das macht auf Dauer krank anstatt gesünder. Jeder von uns braucht seine Kraft für sich selbst. Wird die Diskrepanz des jeweiligen Entwicklungsstatus zu groß, oder hat einer der Partner sein Resonanzfeld stark verändert, so dass er nicht mehr gleich mit dem anderen schwingt, kommt es zu ernsthaften Krisen. Der Partner wird zum Schwellenhüter für das Weitergehen. Dieses Schwelle muss überwunden werden um das eigene Schmerzhafte zu überwinden.

Manchmal spüren wir, wenn auch nicht unbedingt beim Partner, so doch bei anderen Begegnungen sehr intensiv, das da etwas Altes wieder ganz groß wird, dann zum Beispiel, wenn wir uns ruhig, ausgeglichen und leicht fühlen und plötzlich mit unseren alten Themen in Form der Emotionen und Verhaltenweisen anderer in Berührung kommen. Wir sind verwirrt und denken: "Wieso denn jetzt schon wieder, ich dachte, ich habe dieses Thema gelöst?"

Auch wenn wir unsere Themen weitgehend gelöst haben, ihre alte Energie ist ins uns gespeichert und weil sie gespeichert ist, erinnern wir uns auf tiefer Seelenebene. Wir gehen immer wieder in Resonanz, aber wenn wir Bewusstseinsarbeit gemacht haben, spüren wir, dass das was sich nicht gut anfühlt, etwas ist, was das Alte in uns triggert. 

Haben wir unsere Arbeit gemacht oder sind wir dabei sie zu machen, sind wir achtsamer Beobachter. Das heißt: Wir können uns schützen, indem wir uns von dieser Energie entfernen und fernhalten, bevor sie uns nach Hinten zieht in die Trance des alten Traumas, wir haben verinnerlicht: Was sich nicht gut anfühlt, ist nicht gut! Wir ziehen unsere Konsequenzen und schützen uns selbst, denn auch das haben wir gelernt.

Selbstschutz ist Selbstmitgefühl und dies ist eine große Hilfe um Reinszenierungen, die durch äußere Reize und Begegnungen getriggert werden, bewusst im Keim zu ersticken. 

Es ist, als würden wir ein Haus bauen, indem wir Stein für Stein aufeinanderlegen, damit es Gestalt annimmt. Betreten wir den Resonanzboden eines alten Schmerzes in Gestalt anderer Menschen und umgekehrt, betritt ein Mensch mit ähnlicher Schwingung, den unseren, so ist es, als würden mühsam aufgerichtete Steine wieder abgetragen. Darum ist es hilfreich dieses Energiefeld zu verlassen, um unser Haus in Frieden weiter bauen zu können und es zu hüten.

Samstag, 11. April 2015

Das Beste was ich kann



Ich habe etwas Entscheidendes auf meinem Lebensweg gelernt. Ich habe gelernt, mich von Niederlagen nicht unterkriegen zu lassen, ich habe gelernt, sie als Lerngeschenke zu sehen. Solange ich mich weiterentwickeln kann, weiß ich, dass ich mein Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft habe.

Ich habe gelernt, jedes Scheitern, jeder Rückschlag, jeder Verlust, jede Niederlage, jeder Schmerz, ist nichts anderes als eine Lernaufgabe. Sie ist dazu da, mich zum Wesentlichen zu führen – zu meinen Werten, zu meiner ureigenen Wahrheit, zu dem, was mir wirklich wichtig ist, zu meiner Kraft, zu meiner inneren Stärke und zu einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein. Denn das ist da, tief drinnen, auch wenn es manchmal ein bisschen angeknackst ist. Ich lerne gerade, dass ich mich von Menschen trennen muss, die mich runter ziehen und mich Lebensenergie kosten. Ich entscheide mich dazu, das zu tun, was mir Kraft gibt und mich mit Menschen zu umgeben, die mir Kraft geben. Ich bin mir jeden Tag bewusst, dass es etwas gibt, das größer ist als ich und dass mein Leben kostbar und endlich ist. Ich tue jeden Tag das Beste, was ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens tun kann.



Mittwoch, 8. April 2015

Aus der Praxis - Die giftige Galle Invidia oder warum Neid krank macht

                                                               Malerei: Angelika Wende
 

Neid, dieses Gefühl kennen alle Menschen. Der Neid (lat. Invidia) gilt nach der klassischen Theologie, als eines der sieben Hauptlaster. Aber wie alles im Leben zwei Pole hat, hat auch der Neid eine dunkle und eine helle Seite. 

Neid in der milden Form ist per se nichts Ungutes. Ein bisschen Neid ist anspornend, er kann uns dazu verhelfen, Dinge, die wir an anderen beneiden als Spiegel dessen zu erkennen, was wir nicht verwirklicht haben. Wenn Neid dazu führt, unser Streben zu fördern, etwas zu gestalten, zu tun oder zu erreichen, hat er durchaus eine gute Seite. Wir nehmen das was wir am anderen beneiden als Antrieb etwas in uns zu entfalten, was der Andere uns vorlebt. Dennoch, froh macht der Neid im allgemeinen nicht.

Wenn wir neidisch sind, stellt sich im Neidgefühl immer die Frage: Was beneide ich am Anderen, was ich für mich nicht verwirkliche? Die zweite Frage könnte lauten: Was will ich im Leben verwirklichen und was brauche ich, um es zu tun? So wirkt der Umgang mit Neid konstruktiv.
Ein Mensch aber, der von Neid zerfressen ist, lebt die Schattenseite von Invidia. Er wird nichts und niemanden in seinem dirketen Umfeld neidlos zugestehen können, was er selbst nicht auch hat oder besitzt. Er entwickelt einen abgrundtiefen Hass auf alles was ihm verwehrt bleibt und sieht sich als Opfer einer ungerechten Welt, in der er der ewig Benachteiligte oder der Verlierer ist. Diese Form des Neides ist eine Pathologie, wie wir sie oft auch im Krankheitsbild des Narzissmus finden.

Was bewirkt krankhafter Neid im Gehirn?
Neuropsychologen stellten fest: Neidgefühle zeigen in jenen Hirnregionen starke Aktivität, die auch das Schmerzempfinden auslösen, psychisch als auch physisch. Diese Aktivitäten spielen sich im dorsalen Kortex, dem Pfad im Hirn ab der bewegte Objekte und für die eigene Handlung relevante visuelle Informationen verarbeitet. Des weiteren in der Inselrinde, dem assoziativen Zentrum, das für unser auditives, insbesondere unser sprachliches Denken, den Gleichgewichtssinn, sowie zur Wahrnehmung chemischer Reize (Geruchssinn, Geschmackssinn) und zur emotionalen Bewertung von Schmerzen fungiert und, wie neuere Forschungen zeigen, an unseren empathischen Fähigkeiten beteiligt ist. Diese widerum spielen sich im somatosensorischen Kortex ab, dem Teil der Großhirnrinde, der der zentralen Verarbeitung unserer haptischen Wahrnehmung dient.
Neid tut weh und zwar auf vielen Ebenen unseres organischen und emotionalen Systems und er zerfrisst im wahrsten Sinne des Wortes das Hirn des Neiders - genauer die Dendronen, die sensible Struktur des Gehirns. Diese wird nachhaltig zerstört, wie etwa auch durch Dauerstress. Wenig verwunderlich, dass krankhafter Neid in vielen Fällen zu Depressionen führt. Somit ist die Depression ein neuropsycholgisches Korrelat des Neides.

Der Neidmensch macht sich selbst krank. Er macht sich krank, indem er die Wahrnehmung nur auf das lenkt, was er nicht hat, anstatt auf das, was er hat. Er zerstört damit seine Lebensenergie und seine Freude am Sein. Sein Sein definiert sich über das Haben, besser gesagt - über das Nichthaben. Der Neid ist die Hybris des Habenmenschen, der glaubt, dass er nicht genug hat und daher auch nichts geben kann, weil das, was er hat, niemals reicht. Er will immer mehr haben. Er vergibt sich nichts, weder sich selbst, noch anderen. Der Mangel an Mitgefühl für sich selbst und in der Folge damit auch für Andere, führt zu einem Leben in dem Wut, Zorn und irgendwann Dumpfheit der Affekte und schließlich die Depression hausen. Ein solcher Mensch ist nicht fähig sein Sein zu erfahren und den Focus vom Haben wollen abzuwenden auf das, was schon längst da ist.
Sein selektives Ignorieren dessen was er hat, verengt seine Sicht auf die reale Lebenssituation: Er sitzt, wie der Narziss im Eisenofen und verliert den emotionalen Kontakt zum eigenen Inneren und zum Außen. Sein Drang ist das Begehren. Und das findet kein Ende. Es ist wie eine Sucht, eine Sehn-Sucht die keinen Namen hat und sich auf alles und jedes richtet, was andere haben und er selbst nicht. Gefühlt vom Leben betrogen und benachteiligt wird er feindselig. Er beneidet die Anderen für alles, was sie haben und tun und sucht darin das Schlechte, was er dann verdammen kann. Er macht andere verantwortlich für sein begrenztes Dasein, im Tiefsten davon überzeugt, sie nehmen ihm das, was er so sehr begehrt. Das zersetztende Gefühl des "niemals - genug - Habens" führt dazu, dass sich depressiv-lähmende Gefühle ausbreiten, über das Gehirn in jede Zelle des Körpers.

Der Neidmensch ist der Gefangene seiner Selbstsabotage, die nur er selbst beenden kann. Aber wie?
Eine Neidtherapie lässt sich bis heute nicht finden. Die Neidforscherin Julie Exline betont, dass in diese Richtung noch kaum Forschungen angestellt wurden und die Jungianerin Verena Kast schreibt: "Neid ist in der Therapie ein Tabu." Damit meint sie, dass der Neid nicht zugegeben wird, weil er als gesellschaftlich verpöntes Gefühl tabuisiert wird. Nicht umsonst nennt man ihn die Schlimmste aller Laster. So schreibt Kast: "Wir ziehen es daher vor, diese negativen Emotionen zu verdrängen, auf andere zu projizieren und sie dort zu bekämpfen." Damit wird die Chance vertan, die der neidsiche Mensch nutzen könne um auf seinem Individuationsweg weiterzukommen. 

Wenn es jedoch gelingt sich den eigenen Neid bewusst zu machen und die Auseinandersetzung damit als Herausforderung zu sehen, hilft er uns die eigenen Grenzen wahrzunehmen und ungelebte Potenziale zu entwickeln.
Neid, der nicht bearbeitet und aufgelöst wird führt immer auch zu massiven  Beziehungsproblemen, denn er begrenzt die vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten mit anderen auf Augenhöhe. Der Neidkranke sieht ander Menschen, die mehr hbaen oder mer können als er selbst immer als Konkurrenten, die ihm etwas nehmen wollen, Anshen, Erfolg doer Macht. Er wird immer unversöhnlicher mit seinen Nächsten und dem eigenen Leben und isoliert sich dadurch schließlich selbst.

Neidgefühle, auch wenn sie meist maskiert sind, sind extrem aggressive Gefühle, sie sind der Dauerbeschuss auf das eigenes Selbstwertgefühl und auf das Selbstwertgefühl Anderer.  
"Der Neid ist sodann ein Fehler der sittlichen Natur. Es ist eine Krankheit, die die Seele gleichmäßig durchfrisst; nicht wie es manche Schwächen gibt, die das gute Herz im Ganzen unangetastet lassen und nur äußere Schäden zu sein scheinen, Folgen krankhafter Körperanlagen oder geistiger Verstimmungen. Neid ist mit Liebe nicht vereinbar, und ohne Liebe gibt es keinen guten Charakter. Neid ist vielmehr in vieler Beziehung ein Gegensatz der Liebe, mehr noch als der Hass", formuliert es Friedrich Nietzsche. Nietzsche hat Recht, der Neidmensch spürt keine Liebe, weder in sich selbst, noch für andere. Dazu ist in seinem selektiven System kein Platz. Der Neid, so Kant, gehört zur abscheulichen Familie der Undankbarkeit und der Schadenfreude. 

Genau darin liegt eine Möglichkeit der Loslösung vom Neid - in der Dankbarkeit. Etwas, was dem neidischen Menschen gänzlich abgeht. Es braucht Demut um zur Dankbarkeit zu kommen, ein Wort, bei dem der Neider Gift und Galle spuckt. Solange er das aber tut, wird die giftige Galle in ihm ständig neu produziert, bis sie die Seele zerfrisst.







Montag, 6. April 2015

Aus der Praxis – Über das Mitgefühl



Raum für alles, Acryl auf Leinwand

Die heilsame Qualität des Mitgefühls entwickelt sich vor allem durch das Akzeptieren und Anerkennen der Fragilität, der Verwundbarkeit und Verletzlichkeit der eigenen Existenz. 

Mitgefühl wächst auf der Grundlage der menschlichen Erfahrung, dass das eigene Leid kein privates und persönliches, sondern vielmehr eine universelle und geteilte Erfahrung unseres Menschseins ist.

Mitgefühl bedeutet nicht Mitleiden, es ist kein sentimentales Bedauern, dies führt in eine gemeinsam erlebte Hilflosigkeit, Mitgefühl bedeutet: Alles darf so sein, so wie es ist. Es bedeutet, was gefühlt wird, darf sein. 

Im Mitgefühl ist Raum für alles, auch für Verletzung, Leid und Schmerz. Dieser Schmerz wird gesehen und mitgefühlt und damit wird er bezeugt und von einem menschlichen Gegenüber mitempfunden.
Erleben wir Mitgefühl in diesem Sinne muss Schmerz nicht mehr vergeleugnet, verdrängt und bekämpft und werden. Einem Menschen diesen Raum anzubieten, ist der erste Schritt, der zu einem heilsamen Prozess führen kann.

Freitag, 3. April 2015

Vom Alt werden – Gefährliche Zeiten




 
Ich werde alt. Meine Freunde werden alt. 
Was aber ist alt? 
Für mich beginnt alt werden dann, wenn wir die die Sechzig überschreiten, denn dann geht es stramm auf die Siebzig zu, dem Winter des Lebens entgegen. Und der ist kurz, das Meiste ist gelebt, das muss man sich einmal klar machen. Zugegeben keine leichte Übung, ohne gleich eine klitzekleine gepflegte Panikattacke zu bekommen. Wahr ist, wer die Sechzig überschreitet weiß, es ist nicht mehr all zu viel Zeit übrig, definitiv weniger als die Zeit, die bereits gelebt ist. Der Winter des Lebens ist kürzer und kann ziemlich grau und kalt sein, wenn ich mir die Schicksale vieler alter Menschen anschaue, die allein ihr Leben verbringen, ohne Hoffnung, dass etwas anderes ihre gebrechliche Einsamkeit beenden könnte als der Tod, der alles beendet und damit auch die Einsamkeit. Aber wer will schon lieber tot sein als einsam? Ich nicht. 

Da fällt mir ein Gedanke des Psychoanalytikers Otto Rank ein: "Der Mensch ist sein Leben lang zwischen zwei Polen der Angst hin und her geworfen: zwischen Lebens - und Todesangst. Die Lebensangst ist die Angst, sich dem Leben als isoliertes Individuum zu stellen, die Angst vor der Individuation, davor vorwärts zu gehen. Die Todesangst ist die Furcht vor der Auslöschung, dem Verlust der Individualität, davor sich wieder im Ganzen aufzulösen", schreibt Rank sinngemäß. Darüber lohnt es sich eine Weile nachzudenken, besonderes, wenn man das selbst nicht so fühlt. Ich nicke an dieser Stelle. Ich empfinde das so und ich habe Angst, allerdings mehr vor dem Tod, besonders jetzt, wo ich in meinen persönlichen Winter wandere.

Das ist jetzt kein schöner Einstieg in das Thema Alt werden, ich weiß. Das liegt daran, dass ich alt werden nicht schön finde, außer, dass ich es schön finde noch immer zu leben, es könnte ja auch anders sein. Aber wie lange lebe ich noch? Ich habe nicht die leiseste Ahnung und das ist gut so und wieder nicht gut, denn wenn ich es wüsste, könnte ich leichter entscheiden, was ich mit der mir verbleibenden Lebenszeit anfangen will, was ich  radikal leben will, was ich bisher nicht mache, weil ich oft denke, ich habe so viele Möglichkeiten, probier sie alle aus. Aber das wird nicht mehr lange so sein, das mit dem alles ausprobieren, weil die Zeit doch etwas knapp wird, für Alles. 


Das Alter ist eine Herausforderung für alle Menschen, auch für die, die mir sagen, und das meist mit einer wegwischenden Handbewegung, was viel mehr über den wahren gefühlten Gehalt ihrer Worte aussagt, als das Gesprochene: " Wir werden alle alt, man ist so alt wie man sich fühlt." Man möge mir verzeihen, ich kann bei solchen Platitüden nur denken, " Wem willst du da grade etwas vormachen? Dir oder mir?" Dem Alter das Positive abgewinnen ist eine Kunst und diese erfordert meiner Meinung nach eine ziemliche Verrenkung um darin Meisterschaft zu erlangen. Aber ich schaffe das, wenn die Weisheit und die Gelassenheit, die mir das Alter hoffentlich schenkt, dabei helfen. Mit Platitüden und dem Wegwischen dessen, was ich nicht sehen will, wird das allerdings nichts.
 
Das Alter ist Gegenstand medizinischer, biologischer psychologischer, philosophischer, sozialgeschichtlicher, literarischer und sozial- und kulturwissenschaftlicher Betrachtung.

Mit den mit dem Älterwerden und dem Altsein verbundenen Phänomenen, Problemen und Ressourcen beschäftigt sich die Alterswissenschaft, die Gerontologie. Aber trotz aller wissenschaftlicher Analyse und Auseinandersetzung mit dem Alter, gibt es eine unumstößliche Tatsache: Die Mitte des Lebens, der Zenit unserer gelebten Zeit, ist eine Zeit von höchster psychologischer Wichtigkeit: Sie ist der Point of no Return. 

Die Mitte des Lebens ist ein Höhepunkt und jedem Höhepunkt folgt unwiderruflich die Bewegung nach unten. Eine gefährliche Zeit für viele von uns.
Die Bewegung nach unten ist zunächst einmal nichts Negatives, wenn wir nicht bewerten. Aber hier macht es Sinn genau das zu tun. Was das Altern angeht bedeutet nach unten, was unseren Körper betrifft, es beginnt ein langsamer und stetiger Verfall, vorausgesetzt es trifft uns nicht das Schicksal einer schweren Krankheit, die diesen Verfall beschleunigt oder gar vorzeitig mit dem Tode beendet. Im Alter krank zu werden ist, wie die Erfahrung zeigt, von hoher Wahrscheinlichkeit. Der Körper verbraucht sich mit dem Vergehen von Zeit und mit dem, was in der Zeit geschieht. Er zeigt Abnutzungserscheinungen.

Nichts bleibt in den Kleidern stecken.
Wir können unsere Erfahrungen, besonders die leidvollen nicht einfach abstreifen wie ein Kleidungsstück. In jeder einzelnen Zelle sind sie gespeichert, unsere Wunden und unsere Verletzungen. Wir gehen nicht unverwundet durchs Leben – keiner von uns tut das. Die körperlichen Kräfte lassen spürbar nach, bei den Meisten von uns modernen Menschen, die ihre Tage nicht mit Muße und Kurzweil verbringen, sondern mit einer Menge Stress und emotionalen Belastungen. Das nennt man Leben und jetzt komme mir bitte keiner mit Spaß, Freude, Kontemplation und Spiel. Die wenigsten, die ich kenne, würden so ihren Lebensalltag beschreiben und es wäre auch glatt gelogen. Die Nischen um Zeit in Muße zu verbringen müssen sich die meisten Menschen hart abringen. Das Leben ist ein Kampf ums Überleben - monitär, emotional und seelisch, und wenn ich mir die Gesichter da draußen anschaue, komme ich nicht umhin zu sagen: nach Spaß, Freude und Spiel sehen sie alle nicht aus. Sie kämpfen, mit sich selbst vor allem mit den Umständen des Lebens, die nicht immer dem entsprechen, was wir selbst wollen. Die Gefahr, dass der Körper irgendwann nicht mehr die Widerstandskraft hat alles zu schlucken und gesund zu verdauen ist hoch, denn was die Seele nicht verarbeitet, manifestiert sich in körperlichen Symptomen und Erkrankungen. Als Substanz aller Lebewesen ist die Seele die Form, sie ist selbst körperlos, sie ist die Essenz, die unser Körper umhüllt, sie der Mittelpunkt, der Kern des Körpers. Alles was wir tun ist Seele in Aktion, ist Seele in Verkörperung. Schon Aristoteles wusste, der Körper wird regiert von seiner Form, der Psyche, der Seele. Er nannte diese Interaktion enérgia, (Lebens)energie. Diese Lebensenergie ist endlich. 

Das Altern ist der Weg, der mit einhergehendem Energieverlust in die Endlichkeit führt. Ein Prozess, der auf drei Ebenen geschieht – körperlich, seelisch und geistig.
Am wenigsten beeinflussbar ist die körperliche Ebene. Auch wenn wir gesund leben, nicht rauchen, nicht trinken, auf eine bewusste Ernährung achten und uns bewegen – nichts davon ist ein Garant, der uns vor Verfall und Krankheit schützt. Immerwährende Gesundheit unterliegt nicht unserem Einfluss, auch wenn wir das nur allzu gerne glauben wollen. 
Alles was wir nicht beeinflussen können macht uns Angst. Daher ist es ganz natürlich, dass viele Menschen Angst haben alt undkrank zu werden. Beides zugleich ist eine schwere Bürde und ein großes Leid. Mögen wir davon verschont bleiben.

Alter ist gekonnter Umgang mit der Angst.
Auch das und vor allem das. Wir haben Angst unsere letzten Jahre nicht so zu erleben, wie wir es uns vorstellen. Und die Realtität in der wir leben, beweist uns, dass diese Angst durchaus berechtigt ist. Ich kenne viele Ehen, die im Alter zerbrechen, ich kenne Menschen, die im Alter schwer erkranken, ich kenne Menschen, deren Existenz im Alter vollkommen zuammenbricht und ich kenne Menschen, die in diesem Alter viel zu früh von uns gehen. Die einzige Haltung die wir dieser realen Angst entgegen setzen können ist die Überzeugung – egal was kommt, ich werde damit fertig – trotz der Angst. Das ist gekonnter Umgang mit der Angst - Angst zulassen und trotzdem den Mut der Zuversicht zu üben und ihn zu leben. 

Jenseits von Alterspessimismus und Altersverklärung sollte wir eine Auseinandersetzung mit diesem archetypischen Thema aber vor allen Dingen das Altern selbst als conditio humana, als allgemeine Bedingung des Menschseins und der Natur des Menschen, ernst nehmen. Das hilft uns nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, wie wir das Altern in seiner Unabwendbarkeit und als natürlichen Prozess sinnvoll als letzte Phase in unser irdisches Lebens integrieren können. Es macht Sinn, sich damit zu befassen, denn auch Wissen ist ein gutes Mittel gegen die Angst, ebenso wie das Denken – und zwar das Konstruktive.

Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern", schreibt der Philosoph Ernst Bloch im hohen Alter.
Wer sich aufs Hoffen verlegt, macht den ersten Schritt, wer hoffnungsvoll handelt, wobei mir Zuversicht besser gefällt, denkt und handelt im Bewusstsein des Gelingens. Und es ist völlig egal, ob er dann trotzdem scheitert. Die gelebte Zeit in der Zuversicht, sie gestalten zu wollen und zu können ist Lebensbejahung und jedes Ja zum Leben schenkt uns Kraft und Lebensfreude. Egal wie alt wir sind. Irgendwann trifft sie jeden von uns: Die Erfahrung von Endlichkeit, die Angst vor Einsamkeit, Krankheit, Sterben und Tod, die Vergänglichkeit und der damit einhergehende Verfall und die Entfremdung vom eigenen Körper, vor allem aber: die Frage nach dem Sinn unseres Lebens und die Akzeptanz des endgültigen Abschieds vom Leben. 

Der Geist fragt ständig nach dem Sinn des Lebens. Die Sinnfrage ist eine Grundfrage des Menschen, die wir uns in jedem Altersabschnitt neu stellen. Angesichts des näher rückenden Lebensendes wird sie jedoch drängender. Was uns unbewusst oder bewusst klar wird ist die Irreversibilität und das Vergehen der Zeit. Und damit kommt eben genau die Frage: Was war und was mache ich mit dem Rest, der mir noch bleibt?

Es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit.
Zeit ist Veränderung. Und mit dem Fluss der Zeit geht auch das Wunder des Neuen, des Unbekannten, des noch nicht Erforschten und des noch nicht Erfahrenen einher. Im Alter gibt es nicht mehr allzu viel Neues zu entdecken. Menschen, die ihr Leben aktiv, bewusst und neugierig gelebt haben, wissen, dass es so ist. Nicht mehr allzu oft ist da dieses wundervolle staunende erste Mal. Das Staunen verliert sich ein wenig, ob des bekannt Vertrauten. War die kindliche und jugendliche Lebensphase ein schier unerschöpflicher Kurs im Wundern, so wundern wir uns mit zunehmendem Alter immer weniger. Man nennt das Gelassenheit. Sie ist zum einen eine Qualität, zum anderen ein Verlust, ein Verlust an Naivität, Unschuld, Euphorie, Leidenschaft, Extase und Leichtigkeit. 

Das Alter kennzeichnet sich durch Schwere und Schwäche.
Die Schwerkraft zieht nach unten, die Gesichtszüge, die Haut, die Gedanken, die Gefühle. Schwere und Schwäche ziehen uns nach unten in Richtung Erde. "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist; denn du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück!" (Genesis 3,1)
Erde zu Erde, Staub zu Staub - ein natürlicher Vorgang, wenn auch unschön und beängstigend, denn wir wollen nicht zu Staub verfallen. Wir haben aber keine Wahl. Am Ende sind wir wahllos und unser Wille richtet rein gar nichts mehr aus gegen das Unabänderliche. So gesehen ist der Körper unserem Geist in seinem „nach unten gehen“ voraus und damit zeigt er uns wieder einmal seine große Weisheit. 

Der Körper lügt nicht, er spricht die Sprache der Seele.
Jeder Versuch das Altern künstlich aufzuhalten ist ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt, es ist schierer Selbstbetrug und zugleich ein sinnloser Eingriff in die Natur. Botoxspritzen, Liftings und kostspielige Anti-Aging Maßnahmen sind äußere Zeichen des inneren Widerstandes gegen die eigene Natur, die über künstlich verlängerte Haltbarkeitsdaten nur lächelt. Denn auch wenn wir uns die Falten aus dem Gesicht spritzen lassen, der Hals und die Hände, der Rest des Körpers zeigen die Wahrheit. Da sind dann manche Teile Sechzig und manche Vierzig und bitte, wie sieht das denn aus? Mit Harmonie hat das nichts zu tun und gerade Harmonie ist für mich der Ausdruck von Schönheit, Innen wie Außen. Wie viel Kraft kostet so ein Widerstand, wie viel Energie, die Lebensenergie raubt, die sich anders und sinnvoller nutzen ließe. Wir sehen, wenn wir uns unters Messer des Schönheitschriurgen begeben haben, vielleicht im Gescht jünger aus – wir sind es aber nicht. Wir glauben der Zeit ein Schnippchen schlagen zu können, die Zeit interessiert das nicht. Sich im Alter krampfhaft und mit allen Mitteln jung zu geben wirkt lächerlich und ist würdelos. Sich dem Alter hinzugeben im Sinne von - sich ihm zuwenden - ist weise. Und Weisheit hat auch ihre Schönheit. Ich erinnere hier an die wegwischende Handbewegung. 

Werde, der du bist“, schreibt Friedrich Nietzsche. Und alle klugen Leute nicken zustimmend. Aber wie wollen wir werden, wer wir sind, wenn wir nicht einmal fähig sind, zu akzeptieren, dass wir altern und irgendwann auch alt sind.
Wenn wir verzweifelt versuchen einen Zustand im Außen wieder herzustellen, der sich längst überlebt hat, ist das nicht im Sinne eines Werdens und nicht im Sinne einer Entwicklung nach Vorne. Wer nicht altern will bleibt stecken. Wie eine Schlange, die sich nicht häutet, in der alten Haut. Übrigens - die Schlange würde ersticken. Was ersticken wir mit einer Verweigerung, die sich gegen das Vergehen der Zeit, gegen die Vergänglichkeit dessen, was wir sind, richtet? Diese Frage möge sich jeder selbst beantworten.

Heraus lösen, sich lösen, loslassen ist eine der großen Aufgaben des Alters.
Es ist zugleich die Aufgabe mit der Angst zu leben, auch mit die Angst nicht genug gelebt zu haben, nicht erreicht zu haben, was wir uns vorgestellt und ersehnt haben, verloren zu haben was uns wertvoll und wichtig war -  und mit genau dieser Angst einverstanden zu sein. Denn sie ist da und je mehr wir uns gegen sie wehren, desto mehr wird sie uns beherrschen und damit lähmen. Das muss so nicht sein. 

Der Weg um Frieden zu schließen, mit sich selbst zufrieden zu sein, ist sich von den Vorstellungen zu lösen, wie man es gern gehabt hätte oder es hätte sein können oder wie man oder es sein können und ja sagen zu dem was war und ist. Auch das ist eine Kunst. Das Altern mit aller Macht aufhalten zu wollen, das Gelebte zu verdammen oder mit ihm zu hadern und wenn die Zeit knapp wird, mit Macht eine künstliche Jungendlichkeit erschaffen zu wollen, die uns alles nicht Gelebte auf den letzten Drücker endlich bringen soll, ist ein künstlicher Akt. Alles Künstliche spüren wir und auch die Anderen instinktiv. Alles Künstliche ist unecht und damit gegen das Leben und gegen uns selbst gerichtet. Sehr ungesund.

Auch im Alter findet der Geist Möglichkeiten um der verbleibenden Zeit Lebensqualität zu geben, trotz eines nicht mehr jungen Körpers.
"Die Mitte des Lebens ist", wie C.G.Jung schreibt, „der Moment größter Entfaltung, wo der Mensch noch in seiner ganzen Kraft und seinem ganzen Wollen in seinem Werke steht. Aber in diesem Moment wird der Abend geboren, die zweite Lebenshälfte beginnt. Statt vorwärts blickt man häufig unwillkürlicherweise rückwärts und beginnt sich Rechenschaft zu geben über die Art und Weise wie sich das Leben bisher entwickelt hat. Man sucht nach seinen wirklichen Motivationen und macht Entdeckungen.“ 
 

Das letzte Abenteuer beginnt Innen, in uns Selbst.
Das ist das Entscheidende -  Entdeckungen machen und zwar im eigenen Inneren. Sich selbst, seine Eigenart, sein Wesen, sein Schicksal und seine Biografie zu verstehen versuchen. Die Fülle von Erlebnismöglichkeiten im eigenen Inneren sehen, den eigenen inneren Raum betreten, ihn beleuchten und sich im eigene Haus heimisch machen - eine Möglichkeit sich mit uns selbst anzufreunden, bevor es zu spät ist. Das ist für mich die größte Aufgabe. Und was wir an Wissen, Erfahrung und Weisheit gesammelt haben an die Nächsten weitergeben, es in die Gemeinschaft tragen, damit es wirken kann. 

Der Tod ist ein Schatten, den wir nicht abschütteln können, aber wir können, bevor er uns gänzlich umfängt, Licht ins eigene Leben und in das Leben anderer bringen.
Ich kenne alte Menschen, meist sind es künstlerisch orientierte, die im Alter noch Großartiges schaffen, die Werke schaffen, die ihnen als junger Mensch so nicht gelungen wären. Ich kenne alte Menschen, die das eigene Leben reflektieren und festhalten. Beispielsweise in Tagebuchaufzeichnungen oder im Schreiben der eigenen Biografie. Mit dem Alter ändert sich das Alltagsleben meist radikal. Wir scheiden aus dem Berufsleben aus, die Kinder haben ihr eigenes Leben, nahe stehende geliebte Menschen sterben, das soziale Netz wird brüchiger und um vieles kleiner. Das Gefühl nicht mehr gebraucht zu werden stellt sich ein und vor allem erwartet uns im Zweifel die Begegnung mit dem Alleinsein. Am härtesten trifft dieses Alleinsein die, die nichts haben was sie von Innen hält, eine Passion, eine Leidenschaft, ein tiefes Interesse oder einfach ein Hobby, das sie lieben.

Davor fürchten sich die meisten Menschen, außer vor Krankheit und Armut. Sie haben Angst alleine und einsam alt zu werden und zu sterben.
Und sie stürzen deshalb nicht selten in eine tiefe Krise. Diese an Leib und Seele erlebte Krise steht im Gegensatz zur Auffassung vieler Philosophen, die das Alter schätzen, nicht zuletzt, weil Altern die Fähigkeit einschließt, sich in der späten letzten Lebensphase einen Überblick über das eigene Leben zu verschaffen, Zusammenhänge zu erkennen und damit einen individuellen, möglicherweise tieferen Lebenssinn für sich zu gewinnen als in der Jugend. Um es mit Schopenhauer zu sagen: „Die ersten vierzig Jahre unseres Lebens liefern den Text, die folgenden dreißig den Kommentar dazu.“  
Warum ihn also nicht niederschreiben? Warum nicht die Krise nutzen um zu erkennen, wer wir im Tiefsten sind? Klarheit schaffen und aufräumen, was liegen geblieben ist, auch das was im Inneren nach Ordnung machen schreit. Frieden machen mit dem, was Unfrieden in der Seele stiftet - eine Möglichkeit.

Dennoch wahr ist auch: Alter ist zunehmende Zukunftslosigkeit.  
Um es in mit Karl Valentin zu sagen: „Die Zukunft war früher auch besser.“

Früher, in der Kindheit und in der Jugend scheint uns die Zeit zu langsam zu vergehen. Wir können es kaum erwarten älter zu werden. In der Mitte unseres Lebens erscheint es uns, als renne uns die Zeit davon. Im Alter haben wir das Gefühl sie zerfließt uns in den Händen. Ihre Vergänglichkeit wird zur existentiellen Bedrohung, wenn es uns nicht gelingt, uns mit ihr anzufreunden. Es ist schwer, ich weiß das, es ist schwer zu erfahren wie das, was mir früher mit Leichtigkeit gelang, mich heute Anstrengung kostet und es ist schwer zu spüren, dass ich schneller ermüde und es ist schwer zu sehen, das manches einfach nicht mehr geht. Es ist schwer zu erkennen, das es immer schwerer wird Menschen zu finden, die mir entsprechen und mit denen ich meine kostbare Zeit verbringen will.

Zeit – das magische Wort.
Was ist Zeit? Sie ist das beständige Ticken der Zeiger der Uhr, das Vergehen des Augenblicks und der Übergang in den nächsten. Zeit ist Bewegung und Fließen. Aber das Wunder der Zeit ist: Zeit ist immer relativ in unserer Empfindung. Bedrohlich wird Zeit dann, wenn wir glauben, etwas nicht erledigt zu haben, etwas nicht getan zu haben, etwas versäumt zu haben, etwas verloren zu haben, etwas nicht mehr haben zu können, etwas nie mehr erreichen zu können, etwas nicht mehr wieder gut machen zu können, etwas nicht mehr ändern zu können, etwas nicht mehr wieder zu bekommen, etwas nie mehr zu bekommen oder etwas nie mehr tun zu können. 

Aus jedem nie mehr resultieren Fragen, die geradezu danach schreien Antworten zu finden. Diese dann neu zu deuten, sie anders zu betrachten, sie zu relativieren, Ambivalenzen herauszufinden und sich am Ende vielleicht zu sagen: Ich habe mein Bestes getan. Ich habe das getan, was ich genau in diesem Moment in der Zeit habe tun können, was in meiner Macht stand in diesem Moment meiner Entwicklungsstufe. Das ist der Beginn des inneren Friedens – das Wesentliche für mich, wenn ich an ein würdevolles Alter denke.

Wir sind vergänglich und unser Leben ist endlich. Das lässt sich nicht philosophisch wegdiskutieren. Doch wir können der Angst in Bezug auf das Alter das Bedrohliche nehmen. Es liegt an uns, das Potenzial jeder Lebensphase zu nutzen. Was mein Altern angeht, so halte ich es mit Cicero: „Vor nichts muss sich das Alter mehr hüten, als sich der Lässigkeit und Untätigkeit hinzugeben.“ In diesem Sinne: Entdecken wir die Möglichkeiten und zwar jene, die für uns selbst wesentlich sind, solange wir es noch können.