Sonntag, 31. Mai 2015

Vom Suchen






Immer mehr Menschen fühlen sich niedergeschlagen oder depressiv. Ihr ganzes Denken ist auf die Frage ausgerichtet, wie sie ihr Leben verbessern können. Aber genau mit diesem „verbessern wollen“ fokussieren sie sich auf Etwas, das im Außen als besser anerkannt wird oder sie kleben an alten Überzeugen, die man ihnen als Kind beigebracht hat, darüber wie sie selbst und ein gutes Leben zu sein haben.
Sie kommen gar nicht auf die Idee dort hin zu schauen, wo das Bessere ist, nämlich dort wo etwas in ihnen selbst fehlt. Auf dieses Weise schneiden sich immer mehr Menschen von ihrer wahren Tiefe ab. Sie klammern sich an ein illusionistisches Sicherheitsdenken und nehmen sogar Situationen als Probleme wahr, die sich ihnen als Lösungen präsentieren.
Was wir suchen ist da, wenn wir aufhören uns dadurch selbst abzulehnen, dass wir uns verbessern wollen. Denn das bedeutet - wir mögen uns so wie wir sind nicht, wir lieben uns selbst nicht bedingunglos – wir geben uns selbst nicht die Liebe, die wir uns so sehr ersehnen. Wie also wollen wir sie von anderen bekommen? Das größte Problem, das wir haben, ist der Widerstand gegen das, was in uns lebendig werden will.

In Reih und Glied


Freitag, 29. Mai 2015

Notiz an einen, der am liebsten immer fliegen möchte






wenn du hoch fliegst, sieht du irgendwann die erde nicht mehr. du bist in den wolken, schwerelos und alles ist so leicht. aber egal wie hoch du fliegst, du musst irgendwann wieder landen.
da unten ist alles schwerer, so viel schwerer.
beim fliegen hast du vielleicht vergessen, dass auch das schwere zum leben gehört. dann fühlt sich die landung für dich an wie ein harter fall.
du kannst eine weile liegen blieben, aber du musst wieder aufstehen irgendwann. und weiter gehen ... bevor du wieder fliegen kannst.

Montag, 25. Mai 2015

Wenn du gewusst hättest, Maria ...

Mischtechnik, Acryl auf Leinwand, A. Wende 2015

Schachmatt, erst mal ...




manchmal im leben braucht man sehr lange, bis man begreift, dass einem etwas nicht gut tut, ja, sogar wenn man es weiß, braucht man manchmal sehr lange. und dann kommt eine krankheit, die einen schachmatt setzt, so richtig schachmatt, dass man gezwungen ist, sich zu überlegen, warum es einen denn so matt setzt. und langsam, ganz langsam begreift man, was es ist, was einen da krank macht. und dann will man es immer noch nicht wahr haben, sucht argumente dagegen, sagt sich, pah jeder wird mal krank, das ist der stress, die überlastung, das sind die sorgen. es sind aber nicht der stress, die sorgen oder die überlastung - es ist etwas, das viel tiefer sitzt, das nämlich, was fehlt um dem stress und der überlastung stand zu halten: freude.

oft sind es ungesunde beziehungen, die uns die freude nehmen. beziehungen, die uns kraft rauben, anstatt uns freude zu schenken, beziehungen, die uns aussaugen, anstatt uns mit energie zu füllen. es sind beziehungen, die uns nicht gut tun und uns schließlich krank machen. jede krankheit ist ein symbol für ein ungleichgewicht im organismus. sie ist das resultat verstimmter lebenskraft. lebenskraft, die wir dahin geben, wo wir wenig oder nichts zurückbekommen, wo wir vielleicht energie investieren in menschen, die uns dabei zusehen wie wir uns abrackern um zu überleben, um unsere pflicht zu tun, um zu funktionieren, menschen, die uns sogar dann noch antreiben, wenn sie merken, dass wir eigentlich schon lange nicht mehr können, die uns immer wieder sagen: du schaffst das schon, anstatt zu sagen: ich sehe, dass es dir nicht gut geht. ruh dich aus, ich mach das jetzt mal eine weile für dich mit.

wir glauben das, wir glauben an die kraft, die man uns in den schoß legt mit worten, obwohl unsere seele das schon lange nicht mehr glaubt, weil wir doch zeigen wollen, wie stark wir sind, weil wir doch niemanden enttäuschen wollen, der an uns glaubt. und wir machen weiter.

dann brauchen wir sie, die krankheit, wie eine mahnung, um uns unserer lebensmuster bewusst zu werden, wir brauchen sie, um zu erkennen vor welcher lebensnotwendigen entscheidung wir uns so sehr drücken, wir brauchen sie, damit wir endlich aufhören und in uns gehen, weil alles andere nicht mehr geht, damit wir uns endlich um die beziehung kümmern, die die einzig wichtige ist, die beziehung zu uns selbst. das wird uns besonders klar, wenn wir krank sind und uns keiner helfen kann wieder gesund zu werden, denn das müssen wir, trotz medizin, alleine schaffen.

ich weiß das, ich weiß das alles sehr gut, ich vermittle das tag für tag anderen menschen. wie heißt es so schön: we teach best what we most have to learn. und wenn wir es ums verrecken nicht lernen, lehrt es uns der eigene körper, weil er das letzte mittel ist, das die seele hat um alarm zu schlagen. ich habs kapiert. und jetzt ist gut.


nachtrag: wenn du schon mehrmals in das selbe loch gefallen bist, wenn du weißt, wo das loch ist – warum solltest du dieses mal nicht drum herum gehen?

Freitag, 22. Mai 2015

Aus der Praxis – Vom Mut gut für sich selbst zu sorgen



Andauernde Niedergeschlagenheit und Depressivität kann eine Reaktion auf ein ödes, langweiliges, ereignisloses Leben sein.

Ein solches Leben kann dazu führen, dass wir von einer tiefen Unzufriedenheit ergriffen sind. Wir fühlen uns niedergeschlagen, sind müde, träge und beginnen zu resignieren. Es gibt keine positiven Verstärker mehr, die wir nutzen können, sie sind uns in der Routine und in der Monotonie des immer Gleichen abhanden gekommen, die Quellen aus denen wir einmal schöpfen konnten sind versiegt, wir funktionieren nur noch, wir jagen Geld, Erfolg und Anerkennung hinterher. So sind wir letztlich nur noch fremdbestimmt und stellen irgendwann fest, dass wir unsere Sehnsüchte und Wünsche im Hamsterrad des fordernden Alltags verloren haben.

Wir tun etwas, das uns gut tut immer seltener oder gar nicht mehr und irgendwann vergessen wir sogar, was wir brauchen um uns selbst Freude zu bereiten und uns damit zu belohnen, das wir das, was uns gut tut, auch tun und zwar immer wieder.

Oft lassen wir uns durch andere davon abhalten, wir nehmen ihre Erwartungen wichtiger als unsere tiefsten Bedürfnisse, wir meinen sogar, sie erfüllen zu müssen, um den anderen eine Freude zu machen, anstatt uns selbst, weil wir glauben wir dürfen es nicht, weil wir glauben es sei egoistisch oder nicht so wichtig, ja weil wir vielleicht sogar Schuldgefühle haben, wenn wir nicht tun, was andere von uns erwarten. In Wahrheit aber glauben wir im Tiefsten, dass wir es nicht wert sind uns selbst Gutes zu tun und uns zuerst um die Erfüllung unserer eigenen Bedürfnisse zu kümmern müssen, bevor wir die Bedürfnisse anderer erfüllen. 

Die Dinge, die wir zu tun lieben,  aber sind überlebenswichtig für die Seele. 

Sie wieder zu entdecken oder neue Dinge zu finden, die eine positive Verstärkerfunktion haben, ist hilfreich um wieder an Lebensfreude zu gewinnen und nicht gänzlich in die Depression abzurutschen. Die positiven Verstärker, die man verliert, führen zu mentaler und seelischer Erschöpfung und rufen eine innere Leere hervor – das Syndrom der Depression.

Jeder ist einmal erschöpft, niemand ist fähig sich dauernd mit den Erwartungen oder den Problemen anderer zu beschäftigen.

Man könnte meinen, es sei einfach Stopp zu sagen und endlich liebevoll mit sich selbst umzugehen, aber die meisten von uns wissen – es ist ganz und gar nicht einfach.
Es braucht Mut zu sich selbst und seinen Bedürfnissen zu stehen und es braucht noch mehr Mut es auszusprechen. Es ist mutig, wenn wir uns um die Befriedigung unserer Bedürfnisse kümmern. Es ist mutig aus dem Hamsterrad auszusteigen. Es ist mutig, sich aus alten selbstschädigenden Mustern zu befreien. Es ist mutig Bestandsaufnahme zu machen und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und es ist verdammt mutig sich von allem zu trennen was einem schon lange nicht mehr gut tut, um so zu leben, wie es einem gut tut.

Die Wahrheit ist: Wir müssen nicht ständig tausend Dinge für andere erledigen, tausend Probleme für andere lösen, bevor wir etwas für uns selbst tun dürfen. Wir dürfen etwas für uns tun um unsere Bedürfnisse zu erfüllen und wieder Freude in unser Leben zu bringen. Wir verdienen es, uns selbst Gutes zu schenken.

Wenn wir das begreifen und gelernt haben gut zu uns zu sein, wenn wir gelernt haben, gut für uns selbst zu sorgen, entsteht in uns ein Gefühl inneren Reichtums, völlig unabhängig davon wieviel Geld wir besitzen, wie toll unser Job ist, oder wie hoch unsere Anerkennung von außen ist. Nur aus dem Gefühl heraus sich selbst gut zu tun, können wir anderen wirklich etwas geben. Geben wir, weil wir glauben es zu müssen um ein guter Mensch zu sein, heißt das, wir geben nicht aus vollem Herzen, sondern aus mangelnden Selbstwertgefühl und mangelnder Selbstliebe heraus. Je länger wir das tun, desto leerer wird unser Leben.

Es ist hilfreich sich jeden Tag zu fragen: Was kann ich heute für mich tun? Für mich, den wichtigsten Menschen in meinem Leben!




Montag, 18. Mai 2015

Ausgebrannt? Damit es erst gar nicht soweit kommt ...



Viele von uns sind richtig gut darin, die Grenzen ihrer Belastbarkeit andauernd zu überschreiten, aber was wir glauben, auch noch schaffen zu können führt dazu, dass wir irgendwann reagieren, indem wir unruhig und genervt sind oder irgendwann am Ende unserer Kraft anlangen. Süchte, Schmerzen, Ängste, Depressionen, Ausgebranntsein oder Unfälle, die uns stoppen, sind der Versuch unserer Seele, uns darauf aufmerksam zu machen, dass es Zeit wird die Reißleine zu ziehen und uns besser um uns selbst zu kümmern.

Damit es gar nicht so weit kommt ...

Frag dich: Was brauche ich, damit es mir gut geht?
Verschaffe dir Klarheit über deine Bedürfnisse und sprich sie aus.
Nimm Deine Wünsche und Deine Sehnsüchte ernst.
Sei aufrichtig zu Dir selbst und mach Dir nichts vor. Die Selbstlüge zieht alle anderen Lügen nach sich.
Alles was Du über Dich selbst weißt, ist durch die Überzeugungen Deiner Kindheit und die Prägungen deiner Vergangenheit gefärbt. Nimm Dir hin und wieder Zeit um alte Überzeugungen über dich und die Welt zu überprüfen. So findest Du Deine eigene Wahrheit.
Nimm deine Gefühle ernst.
Wenn Dir etwas keine Freude macht, quäl Dich nicht und hör auf damit.
Lass Dich nicht einspannen für Probleme, die andere selbst lösen können. Du musst die Deinen lösen.
Vergiss nicht – Zeit ist Dein wertvollstes Gut. 

 
Wende Dich den Menschen zu, die Dich wertschätzen und lieben.
Achte und schütze Deine seelischen und körperlichen Grenzen..
Entscheide was für Dich wesentlich ist und trau Dich es zu leben.

Sei achtsam: Alles, was Du anderen (an)tust, kommt zu Dir zurück.
Es macht Sinn, Dein Hirn und Dein Herz ausgewogen zu benutzen
Wenn Du etwas nicht kannst, dann bitte um Hilfe. Du musst nicht alles alleine schaffen.

Vergiss nicht: Die wichtigste Beziehung in Deinem Leben ist die Beziehung zu Dir selbst!





Samstag, 16. Mai 2015

Verantwortung übernehmen






Die Konsequenz, mit der das Leben uns zur Verantwortung zieht, ist immer konstruktiv. 
Das Leben versucht nicht, uns zu schaden. Es stellt uns immer vor die Wahl. Wir können wählen, ob wir eine alte Schuld begleichen oder ob wir die Verantwortung erneut zu umgehen versuchen. Übernehmen wir die Verantwortung wird das Leben uns belohnen. 
Umgehen wir sie, wird das Leben uns vor Aufgaben stellen, die schwerer zu lösen sind.


Freitag, 15. Mai 2015

wer bist du?





anfang
ende
wo ist anfang
wo ist schluss
wo beginnt alles
als kind, wenn du aufnimmst wie ein schwamm
durchlässig
nicht entscheiden kannst

wer sagt dir was gut ist und was ungut ist
wer du bist
wer du nicht bist
wer du sein sollst
und wer nicht
der schwamm durchtränkt von fremdem

wer rührt deinen lebenskuchen zusammen
was berührt dich wirklich

wer bist du
am schluss?

Donnerstag, 14. Mai 2015

Gedankensplitter zum Vatertag

nicht selten reagieren wir mit selbstschädigendem verhalten oder einer verweigerung dem "normalen" leben gegenüber, weil das kind in uns immer noch unbewusst gegen die forderungen eines strengen und harten vaters rebelliert, der genau das von uns gefordert hat. das alte beherrscht damit unser leben und wir sind nicht im jetzt, sondern da hinten, wo es ungut war. das tragische: wir führen das ungute fort und verletzen uns selbst. das macht mich sehr traurig.

Aus der Praxis – Der Wahn vom perfekten dauerhaft glücklichen Menschen

 

Stell dir vor, man gäbe dir die Erlaubnis, das fühlen zu dürfen, was wirklich ist, ohne die rosarote Brille, die die negativen Gefühle nicht sehen will oder nicht sehen darf. Wie fühlt sich das an? Ich sage dir wie sich das anfühlt – das macht Angst. Allein die Vorstellung ungute Gefühle zu fühlen macht uns Angst. Paradox, etwas, das wir fühlen macht uns Angst? Warum ist das so? Warum schreckt die Erlaubnis alles fühlen zu dürfen viele Menschen ab und führt nicht zu einem erleichterten Aufatmen?

Durch unsere Erziehung und unsere westliche Leistungsgesellschaft ist uns das Fühlen abhanden gekommen. Dies gilt insbesondere für die sogenannten schwachen oder negativen Gefühle wie Angst, Wut, Schmerz und Trauer. Was wir bei einem kleinen Kind normal finden, verbieten wir uns als Erwachsener, weil wir glauben, dass sogenannte negative Gefühle uns schwächen, in unseren eigenen Augen und in den Augen der anderen.  Manche Menschen schämen sich sogar für ihre Gefühle. Wir leben in der Überzeugung, wenn wir ungute Gefühle zulassen sind wir verwundbar und  wir glauben wer verwundbar ist,  ist schwach und damit angreifbar. 

Das sind Gedanken, die  dazu führen, dass wir unsere unguten Gefühle verstecken. Wir versuchen sie uns weg zu denken. Dabei übersehen wir, dass sich Gefühle nicht wegdenken lassen. Denn sie sind wahr, wir fühlen sie ja im ganzen Körper. Wenn wir Angst haben, spüren wir Angst,  wenn wir trauern, trauern wir um einen Verlust, wenn wir wütend sind, gibt es einen Grund für unsere Wut.  Wir alle sind verwundbar und wir alle wurden und werden verletzt und wir alle erleben Verluste.  Die meisten von uns haben vor nichts mehr Angst als die damit einhergehenden Gefühle zu spüren und zu diesen Gefühlen zu stehen. Wozu ist das gut? Es ist gut für das Funktionieren. 

Wer schwach ist fällt aus – er funktioniert nicht mehr im Sinne unserer Leistungsgesellschaft. Er wird nutzlos und ist nicht mehr zu gebrauchen. Also denken wir doch bitte alle mal positiv.
Erich Fromm fasst es so zusammen: „Das positive Denken mit seinem Glücks- und Heilsversprechen ist inzwischen zu einer allgegenwärtig anzutreffenden Norm geworden, deshalb gerät immer mehr in Vergessenheit, dass ein lebendiger und empfindender Mensch gar nicht umhin kann, oftmals in seinem Leben traurig und bekümmert zu sein. Hieran sind nicht nur die vielen unnötigen Leiden schuld, die auf die Unvollkommenheit unserer gesellschaftlichen Einrichtungen zurückzuführen sind, sondern es liegt im Wesen der menschlichen Existenz begründet, dass es unmöglich ist, dass wir nicht mit mannigfachem Schmerz und Kummer auf das Leben reagieren. Da wir lebendige Wesen sind, müssen wir uns voll Trauer darüber klar sein, dass zwischen dem, was wir erreichen möchten, und dem, was wir in unserem kurzen, mühsamen Leben erreichen können, eine tiefe Kluft besteht. Da der Tod uns vor die unvermeidliche Tatsache stellt, dass entweder wir vor denen, die wir lieben, sterben werden oder sie vor uns - da wir täglich um uns herum unvermeidliches wie auch vermeidbares und überflüssiges Leiden mit ansehen müssen - wie können wir es da vermeiden, Kummer und Traurigkeit darüber zu empfinden?" 

Das wahnsinnige Heilversprechen des positiven Denkens hat diese negative Entwicklung der Verdrängung unserer wahren Gefühle massiv unterstützt und teilweise erst möglich gemacht. Die künstliche Fixierung auf das „positive Wunschdenken“ aber hat fatale Folgen für die Seele. Der "krampfhafte" Versuch des positiven Denkens- und Fühlen Wollens als weiterer Selbstoptimierungsversuch des modernen Menschen macht nicht nur die Seele, sondern auch den Körper auf Dauer krank, denn es schließt Teile des ganzen Menschen aus, es stigmatisiert sie als schädlich und störend für unser Leben. Ganz im darwinschen Sinne – nur die Stärksten überleben,  überfordern sich Menschen mit dem Glauben sie müssten ihre wahren Gefühle manipulieren, aus unguten gute machen, um ein perfektes Leben zu leben, ohne Tiefen, krisenfrei, happy und schwerelos. 


Ich habe es lange vergeblich versucht, meine Reaktion auf eine bestimmte Situation zu verändern. Ich habe es mit allen möglichen Affirmationen des Positiven Denkens probiert. Nichts hat geholfen, immer wieder bin ich in die gleichen alten Verhaltensmuster zurückgefallen und habe mich danach auch noch über mich selbst geärgert und mich damit schlecht behandelt. Heute weiß ich, wie sinnlos es ist eine neue Programmierung über eine alte zu stülpen. Das ist so wie wenn man auf einem rutschigen Boden ein Fundament für ein Haus errichten will. Es wird nicht gelingen. Ich muss den Boden sanieren, in der Sprache der Seele heißt das – ich muss mein Unterbewusstsein durchforsten aufräumen um Klarheit zu gewinnen, um einen stabilen Grund zu schaffen, um in meinem Haus wohnen zu können und zwar in dem Haus in dem ich wirklich wohne und nicht in der Traumvilla von der ich träume und akzeptieren, dass genau das mein Haus ist und mich darin einrichten. 

"In unserer Kultur sind am erfolgreichsten die", schreibt der Psychologe und Autor Arno Gruen "die am meisten von ihren Gefühlen und von der Fähigkeit zum Mitgefühl abgeschnitten sind. Wir glauben, wenn wir zu jemandem sagen "Das schmerzt mich", sind wir schon unterlegen. Das stimmt aber nicht. Es zeigt gerade, dass wir stark genug sind, das zu sagen, ohne dem anderen damit ein Unterwerfungssignal zu geben." 

Wirkliche Stärke bedeutet wahrhaftig sein, es bedeutet zu dem zu stehen wer und was wir sind, mit allem was uns ausmacht. Die Betonung liegt auf allem – also aller Gefühle und aller Gedanken, die wir haben. Stärke bedeutet auch aufhören zu können, wenn man spürt, dass man schwach ist, sich sich selbst zuwenden und was gefühlt wird ernst zu nehmen. Uns ernst nehmen - mit allen unseren Gefühlen. Stark sein bedeutet nicht wegzusehen, nicht sich zu verstecken vor dem was da in uns ist, oder es uns schön oder wegzureden und damit uns selbst und anderen etwas vorzugaukeln.

Sich selbst ernst nehmen, das ist authentisch. Authentizität bedeutet echt zu sein, ehrlich und wahrhaftig zu sein mit anderen Worten: unser Denken, unser Fühlen und unser Handeln stimmen überein. Ein selbstbewusster Mensch lässt seine Gefühle zu, er achtet sich selbst, er quält sich nicht mit einem krampfhaften positiven Denken müssen, er macht sich selbst und anderen nichts vor, um den Schein des „alles ist gut“ zu wahren. Ein selbstbewusster, starker Mensch weiß, dass das Zulassen aller Gefühle ihn zu dem führt, was wir als kleines Kind einmal konnten, nämlich –  zu fühlen was ist und damit wahrhaftig sein. Schädlich ist alles, was wir mit Macht verdrängen. Alles Verdrängte holt uns an irgendeiner Stelle wieder ein, es fordert die Beachtung, die im zusteht.

Deshalb beginnt Heilung da, wo wir das Ganze fühlen dürfen, und nicht indem wir Gefühle, die in uns sind, abspalten. Neulich sagte eine Klientin zu mir: „Ich will, dass das jetzt endlich weggeht, dieses Scheißgefühl, gibt es da keine schnellere Methode, irgendwas, Hypnose oder so?“ Ich höre so etwas oft und ich versuche zu erklären, dass jedes Wegmachen, jedes Abspalten letztlich zu einer Verengung und Begrenzung unserer menschlicher Kapazitäten im Bewusstsein auf seelischer, geistiger und emotionaler Ebene führt. Viele Menschen glauben „heil sein“ bedeutet keine Probleme mehr zu haben, keine Ängste, keine Trauer, keine Wut mehr zu fühlen. Aber all das nicht mehr fühlen zu wollen ist krank, im Sinne von gefühllos sein. Das ist der Wahnsinn der Normalität, der Wahn vom perfekten dauerhaft glücklichen Menschen.

Seit Anbeginn der Psychoanalyse vor gut hundert Jahren, mit dem Ziel die seelische Landkarte des Unbewussten zu erschließen, wurde die Macht der Gefühle zum Thema empirischer Wissenschaften. Körper und Geist bilden eine Einheit, Empfinden, Fühlen und Denken sind untrennbar miteinander verbunden. Die verschiedenen geistigen Prozesse finden zwar in unterschiedlichen Regionen des Gehirns statt, sind aber miteinander verflochten und bedingen sich gegenseitig. Wie also soll das gehen Gefühle, die nicht sein dürfen, wegzudenken, ohne diese Einheit massiv zu stören, ohne dabei krank zu werden? Gefühle und Empfindungen vermitteln zwischen bewussten und unbewussten Prozessen. Das bedeutet – nur über meine Gefühle komme ich zu mir selbst, zu dem Menschen, der ich wirklich bin – ich werde mir meiner selbst bewusst. Die Grundlage dieses Selbstbewusstseins ist das Empfinden im eigenen Körper. 

Der Grundsatz des französischen Philosophen Descartes "Ich denke, also bin ich" hat sich längst überholt. Er steht im Gegensatz zu den Forschungsergebnissen international bedeutender Hirnforscher und dieser Grundsatz lautet: "Ich fühle, also bin ich". Wer sein Eigenes zugunsten einer Identifikation mit einer Gesellschaft des sich positiv denkenden Selbstoptimierungswahns verwerfen muss, wird zeitlebens von einem unbewussten inneren Selbsthass begleitet sein, der sich von innen nach außen frisst, ein Hass, der das Gefühl für sich selbst vernichtet und damit auch das Gefühl für Andere. Mit dem Negieren der eigenen Gefühlswelt in ihrer Gesamtheit geht folgerichtig auch das Mitgefühl zugrunde, ein Grund warum die Gesellschaft in der wir leben, auf Dauer nicht überlebensfähig sein wird.


Dienstag, 12. Mai 2015

Aus der Praxis – Der Wunsch nach sich selbst


"sfumato" angelike wende, acryl auf leinwand, 2015

Was für den Wunsch nach Erfolg, gesellschaftlicher Anerkennung oder die Sehnsucht nach einer Beziehung gehalten wird, sind Mittel, die dazu verhelfen sollten, „ich selbst zu sein.“ Was es auch sein mag, jeder Wunsch, jede Hoffnung, jede Sehnsucht, zielt auf ein inneres Gefühl des Ganzseins, einer inneren Stabilität, die es möglich macht glücklich zu sein, eins mit sich selbst zu sein. Es ist immer der Wunsch nach „sich selbst“. Ohne diesen Wunsch gäbe es keine Frustration, keine Sehnsucht und keinen Mangel.
Es ist ein Irrglaube, dass die fehlende Qualität im eigenen Leben im Außen liegt und nicht im Selbst. Es ist ein Irrglaube, dass ein Job, gesellschaftliche Anerkennung oder ein Partner das hat, was gebraucht wird, um die tiefsten inneren Bedürfnisse zu befriedigen. Ein solches Denken führt dazu, dass alle Anstrengungen vor allem auf die Veränderung im Außen gelenkt werden, anstatt herausfinden zu wollen, was eigentlich fehlt. 
Dabei geht die Freiheit, Alternativen zu entwickeln, die für die Erfahrung des Selbst gebraucht werden verloren im Erwarten, dass das Außen es richten wird, wenn es nur anders gestaltetet werden könnte. Alles um die Arbeit an der eigenen Person zu vermeiden. 
Die Erwartung einer Lösung, die vom Außen kommt, basiert auf einem kindlichen Missverständnis über die Natur des Selbst. Alles im Außen kann bestenfalls dazu beitragen, die Herausbildung der Fähigkeit zu einem sich selbst gestaltenden Selbst zu unterstützen.



Freitag, 8. Mai 2015

ich bin die, die das eine vom anderen nicht trennt, weil es untrennbar ist.





folgende nachricht, in etwa so, denn ich tippe sie hier nicht im orignal ab, das wäre unfein, dem gegenüber, der sie schrieb, fand ich heute früh als pn in meinem facebookaccount.

sinngemäß las sie sich so: "hallo angelika, ich finde das geht gar nicht, was du da machst! du hast eine seite für deine praxis und dann noch deine private seite und da schreibst du dann auch über die psyche und da ist dann der blog, da sind psychologische artikel drin und kurzgeschichten und reden über kunst, und da sind dann auch bilder, die du malst. also mal ehrlich - das geht doch nicht, das muss man doch trennen, das berufliche und das private. das ist doch nicht professionell. da würd ich mal drüber nachdenken - ausrufezeichen.

danke, lieber schreiber, für die anregung, das tue ich hiermit. nicht über das problem, das du mit mir hast, denn das ist deins, sondern über deinen satz "das ist doch nicht professionell".

und ob es das ist. all das ist meine profession.
all das bin ich. meine profession ist meine berufung, das was mich ruft, es zu verwirklichen in meinem leben als der mensch, der ich bin.
als ganzer mensch.
das bin ich, ich bin mein ganzer mensch. ich bin viele und all diese vielen sind mein ganzes.
ich möchte dir sagen, wie reich mein leben ist, mit all dem vielen, was ich bin. ich wünschte, du könntest dir vorstellen, wie sich das anfühlt. es fühlt sich immer reich an, auch wenn in mir hin und wieder eine leise angst hochkriecht, weil ich nicht weiß, ob ich meine miete pünktlich zum ersten zusammenkriege. bisher klappt es immer.

ich bin coach. ich bin malerin. ich bin schreiberin, ich bin rednerin, ich bin mutter, ich bin freundin, bin geliebte, ich bin köchin, ich bin hausfrau. in dieser reihenfolge oder umgekehrt, das spielt keine rolle. ich bin, die, die keine rollen an sich selbst verteilt oder rollen spielt. ich bin was ich tue. ich bin die, die das eine vom anderen nicht trennt, weil es untrennbar ist.

ich kann das gar nicht, rollen spielen, ausser im theater, das hast du übrigens vergessen, das mache ich auch noch. warum? weil ich keine rollen spielen muss um anderen ein professionelles bild von mir zu zeichnen, das sie dann in eine schublade stecken können in die ich nicht reinpassen will. ich will in keine schublade reinpassen, weil man menschen weder in schubladen stecken soll, noch passend für irgendwas machen machen soll. ich lasse das für mich nicht zu. hab ich noch nie zugelassen, außer einmal. da habe ich eine rolle gespielt, die mir überhaupt nicht passte, weil es eben eine rolle war, die ich zu spielen versuchte und das bin nicht ich. ja, es gab eine zeit in meinem leben, da war ich mal so richtig professionell angestellt und das hat mir gar nicht gut getan.

ich verstehe nicht, was menschen dazu treibt jobs zu machen, die sie nicht mögen, nur um geld zu verdienen, das sie dann ausgeben, um sich dinge zu kaufen, die sie dann dafür entschädigen sollen, dass sie den ganzen tag über dinge tun, die sie nicht mögen und sich dann ein paar stunden ihres lebens stehlen müssen um dem nachzugehen, was sie lieben und was sie dann hobby nennen.

lieber schreiber, ich habe keine hobbies und ich habe viele hobbies. mein ganzes leben besteht aus meinen hobbies. hobbies was für ein wort. nein, ich habe leidenschaften. mein ganzes leben ist die leidenschaft für die dinge, die tue, weil ich sie liebe. jedes einzelne ding macht mich aus. jedes einzelne ding fügt sich zusammen zu einem einzigen - mich selbst. meine gefühle, meine gedanken, meine worte, meine bilder, meine liebe - ich selbst. ich muss und ich will mich nicht entscheiden für das eine oder das andere. wer sagt denn so was? wer hat dir das gesagt, als du kind warst?
mir hat man das auch gesagt: "du musst dich entscheiden was du für einen beruf lernen willst. malen und schreiben kannst du dann in deiner freizeit oder du suchst dir einen reichen mann, dann kannst du nur malen und scheiben, setzte mein vater dereinst oben drauf auf den satz: aus dir wird nie was ordentliches. was ordentliches und was professionelles klingt irgendwie ähnlich.

ja, lieber schreiber, du klingst in der tat ein bisschen wie mein vater und dem habe ich auch nicht zustimmen können und bin trotzdem was geworden. ich habe das nicht gewollt, etwas machen nur um ordentlich geld zu verdienen, und das, was kein geld bringt, mache ich dann in der freizeit. ich habe keine freizeit, ich habe alle zeit der welt, bis meine zeit abgelaufen ist. in dieser zeit mache ich das, was ich mache freiwillig, das ist freizeit für mich. ich trenne das nicht, denn ich bin untrennbar die, die ich bin. mit allem was ich kann und was ich tue, weil ich es kann und wenn ich es kann mache ich das bis ich oma bin und am ende werde ich sagen: ich habe gelebt und zwar alles, was du in mir angelegt hast, lieber gott, so gut ich es konnte, jeden einzelnen tag.

in diesem sinne ... lieber schreiber: und ob das geht, was ich da mache!



























Dienstag, 5. Mai 2015

Es ist möglich




was braucht ein mensch, wenn er verzweifelt ist, wenn er das gefühl hat am nullpunkt zu stehen, wenn er keinen weg mehr sieht, wenn alle hilfsmittel über die er selbst verfügt, jede fähigkeit sich selbst zu beruhigen, jeder hoffnungschimmer in seiner welt gewichen ist?

er braucht trost, er braucht einen menschen, der ihn annimmt mit genau diesen gefühlen, die ihn überwältigen, er braucht einen menschen, der ihm sagt: ich verstehe deinen schmerz und ihn hält, ganz fest hält, solange hält, bis er seinen schmerz ausgeweint hat.
er braucht einen menschen, der die geduld und die stärke hat, all das mit ihm auszuhalten.
er braucht einen menschen, der ihm ruhig und sanft sagt: du bist nicht deine verwzeiflung, du bist nicht deine angst und du bist nicht deine hoffnungslosigkeit.
er braucht einen menschen der ihm sagt, das sind deine gefühle und sie dürfen sein, sie sind wahr für dich in diesem moment, aber sie bleiben nicht, sie werden wieder gehen, wie alles kommt und geht.
er braucht einen menschen, der ihm sagt, es gibt immer einen weg, auch wenn du ihn nicht siehst, in diesem moment in der zeit.
er braucht einen menschen, der ihm sagt, dass nicht sehen nicht heißt, dass der weg sich nicht öffen wird, wenn du genug trauer, genug angst und genug verzweiflung gefühlt hast.
er braucht einen menschen, der ihm mut und zuversicht schenkt und ihm kraft gibt, solange er kraftlos ist.

was er nicht braucht ist ein mensch, der seinen schmerz füttert.

was aber, wenn wir einen solchen menschen nicht haben?
dann müssen wir all das selbst für uns tun.
ich weiß, es ist möglich. 



Mancher braucht den Fall


Er hatte sich eingerichtet in seinem Leben. So eingerichtet, dass alles so lief, wie es gut war für ihn. Von außen betrachtet war es das. Innen sah es anders aus. Je älter er wurde, desto mehr schien ihm, als richte sich sein Blick gegen seinen Willen nach Innen, auch wenn er dafür sorgte, im Außen zu bleiben, so gut es eben noch ging. Es ging immer weniger gut und ihm ging es immer weniger gut. Es war als würde der Lack des Bildes, das er von sich selbst gemalt hatte und immer wieder neu übertünchte, langsam aber sicher abblättern. Da war zu viel Farbe, die Schichten, übereinandergelegt, zu dick, der Untergrund hielt nicht mehr, die Folge ein Abrutschen. Das beunruhigte ihn. Was er sah gefiel ihm immer weniger. Das Missfallen nicht gewohnt, lenkte er sich ab, blickte auf die um ihn herum, bei denen es nicht gut lief, suchte nach Fehlern für das Nicht-gut-laufen, deutete mit dem Finger darauf, urteilte und gab Ratschläge wie sie es besser machen konnten. Was ihm besonders auffiel waren Fehler, die er selbst hatte. An diesen hing er sich gern auf, bei den anderen, analysierte sie, war gut im analysieren, das tat ihm gut, beruhigte das Gewissen, half, nicht bei sich selbst zu analysieren. Es gelang ihm immer weniger. Was ihm ins Auge stach wie ein spitzes Messer schmerzte, schmerzte immer mehr. Der Schmerz fürchtend, begann er wieder zu trinken, auch ein Fehler, den er bei anderen immer bedeutete, mit dem Finger darauf deutend, ein Urteil fällend über die Schwäche. Seine Schwäche, durch den Alkohol ihn weiter schwächend, mehr und mehr geschwächt, versuchte er Veränderungen zum Besseren hin, nicht wissend, dass der Alkohol der größte Feind der Veränderung ist. Er wankte geschwächt. Als es immer schlechter lief, dachte er: Mancher braucht den Fall um Stehen zu lernen.

Montag, 4. Mai 2015

Unmoral





unmoralische menschen achten andere nicht.
sie achten nicht einmal sich selbst, denn würden sie das tun, würden sie andere achten.
sie haben keine würde und sie achten daher die würde anderer nicht.
es gibt sie, diese menschen. es gibt sie immer und überall.
die lektion, die sie uns lehren ist: selbstachtung.
diese menschen, könnte man nun sagen, bedürfen unseres mitgefühls.
ich sage: die begegnung mit diesen menschen bedarf des mitgefühls mit uns selbst.

Weißt du eigentlich?





Weißt du eigentlich, wie viel du kannst?
Weißt du wie wertvoll du bist?
Weißt du, wie liebenswert du bist?
Wie einzigartig du bist?
Wie wundervoll du bist?
 
Weißt du das?
Glaubst du das?

Nein?

Dann weiß es auch sonst niemand.
Dann glaubt es auch sonst niemand.
Wenn aber doch.
Dann steht dir die Welt offen.

Geh raus und lebe!

Samstag, 2. Mai 2015

Von der Zurückweisung

Malerei A.Wende

Das Gefühl der Zurückweisung. Wir kennen es alle, aber nicht alle von uns haben damit ein Problem, ein ernsthaftes Problem, meine ich, ein Problem, das direkt aus dem Herzen nach oben steigt und von dort einen dicken Kloß in den Hals schiebt, der sich dann weiter nach oben bewegt und so lange auf die Kehle drückt, bis er zerfließt und zu Tränen wird. Wer unter Zurückweisung leidet hat es nicht leicht. Jeden einzelnen Tag besteht die Möglichkeit zurückgewiesen zu werden. In Form eines Angriffs, einer Beleidigung, eines Vorwurfs, einer Anklage, einer Missachtung oder mit Worten, die verletzen.

Menschen, die mit Zurückweisung nicht umgehen können sind dünnhäutig und angreifbar. Sie haben die Neigung alles Ungute, das von anderen kommt, auf sich zu beziehen. Jeder noch so kleine Vorwurf stößt sie in tiefe Schuldgefühle. Sie machen sich selbst für alles verantwortlich, was andere ihnen antragen oder was sie ihnen entziehen. Sie tun das, weil sie in der unbewussten inneren Überzeugung leben: Du bist der Grund für die schlechten Befindlichkeiten anderer, weil du schlecht bist.

Sie fühlen sich schlecht, ob des Schlechten, das man ihnen vorwirft, auch wenn sie tief drinnen wissen, dass das nicht der Realität und schon gar nicht der überprüfbaren Wahrheit entspricht. Sie nehmen jeden Korb an. Das ist kein schönes Gefühl. Es ist sogar ein sehr belastendes Gefühl. Aber was sie nicht wissen - das Gefühl ist alt, es ist so alt wie sie selbst. Würde ich ein Bild von diesem Gefühl malen, so könnte man darauf ein Kind sehen, das in sehr engen, sehr schwarzen und sehr schmutzigen Schuhen verlassen in einer dunklen Ecke steckt und weint. Die Schuhe hat man ihm angezogen, als es sich nicht wehren konnte, gegen die Vorwürfe, Beurteilungen und Vernichtungen seiner Erwachsenen, die dem Kind im Grunde alle nur eins sagten: Du bist schlecht!

Diese Schuhe der Schlechtigkeit trägt dieses Kind ein Leben lang, wenn es ihm nicht gelingt, sie irgendwann von den Füßen zu lösen und sie so weit wegzuwerfen, dass sie dort landen, wo sie hingehören, nämlich dorthin, wo die sind, die sie ihm angezogen und so fest zugeschnürt haben.

Viele dieser Kinder schaffen das nicht, denn es ist nicht leicht, den tief verwurzelten Glauben über die eigene Schlechtigkeit einfach abzuwerfen. Und so gehen sie ohne Erdung, ohne Vertrauen ins Leben und in andere Menschen, auf einem brüchigen Boden, immer darauf bedacht, dass er nicht unter ihnen einbricht, immer darauf bedacht, nicht zu stolpern, immer in der Angst der brüchige Boden könnte unter ihnen einbrechen und sie verschlingen. Sie haben Angst, Angst vor Menschen und Angst vor Nähe, denn das Zulassen von Nähe beinhaltet immer auch die Gefahr verletzt zu werden. Nun, das ist ja auch wahr, das wissen auch die, die kein Problem mit Zurückweisung haben: Nähe trägt immer beides in sich - ein Anziehen und ein Zurückstoßen, denn Nähe geht einher mit Distanz, sie schließt Distanz ein, weil das eine immer sein Gegenstück in sich trägt.

Menschen, die mit Zurückweisung nicht umgehen können, sind nicht in ihrer Mitte. Sie sind eigentlich immer auf jener Seite, wo sie sich schlecht fühlen und gut sein wollen, damit sie sich nicht mehr schlecht fühlen müssen, denn das rührt am alten Schmerz der Kinderseele. Wenn diese Menschen dann doch einmal Nähe zulassen sind sie sehr darauf bedacht dem Anderen alles Recht zu machen, ihm Gutes zu tun oder ihm hilfreich zur Seite zu stehen, wenn er nach ihnen ruft. Sie geben sich große Mühe den Anderen nicht zu enttäuschen, auch wenn sie spüren, dass der Andere vielleicht gar nicht sie meint, sondern nur das, was er von ihnen haben will. Sie geben dennoch, ohne auf sich selbst zu achten, sie geben um nicht als schlechter Mensch abgestempelt zu werden, denn wir alle glauben doch - nur schlechte Menschen geben nichts. Auch so eine ungesunde Überzeugung, die man uns beigebracht hat.

Menschen, die Zurückweisung als seelische Vernichtung empfinden sind emotional ausbeutbar. Sie wollen lieb sein, sie wollen gut sein, sie wollen, dass ihnen endlich einer sagt: Du bist nicht schlecht. Sie fordern von sich selbst, alles zu verstehen, auch wenn sie längst nicht mehr verstehen, im Grunde aber wollen nur eins -  sie wollen geliebt werden und nicht zurückgewiesen werden wie damals, als sie dieses "schlechte" Kind waren.

Ich fühle mit diesen Kindern, ich kann sie gut fühlen, weil ich eins dieser Kinder bin. Ich möchte diesen Kindern gerne sagen: Ihr seid nicht schlecht, schlecht sind die, die euch schlecht geredet haben, die, die euch diese Schuhe angezogen haben. Und dann möchte ich dabei zusehen, wie alle diese Kinder diese elenden Schuhe aufschnüren und sie weit wegwerfen, mit einem lauten Schrei der Befreiung und einem, aus dem Herzen kommenden: Ich bin ok, ich bin so was von ok, auch wenn ich nicht mehr alles mit mir machen lasse! Ich bin gut zu mir selbst, wenn ich nicht mehr zulasse, dass man mich verletzt, ich höre auf Gutes zu tun, nur um mich als ein guter Mensch fühlen zu dürfen. Ich möchte hören, wie sie laut Nein sagen, wenn sie spüren, das ihnen etwas nicht gut tut und eine Grenze ziehen, dort, wo man ihre Grenzen verletzt und ich möchte sehen, wie sie gelassen lächeln, wenn man sie zurückweist und ich möchte sie sagen hören: Das ist dein Problem und nicht meins. Und ich möchte spüren, dass sie sich dabei nicht schlecht fühlen.