Mittwoch, 29. Oktober 2025

Zeit, ein kostbares Gut


 
Zeit, ein Gut, das nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere von großer Bedeutung ist. Achtsamkeit darauf, wie wir unsere Zeit nutzen und sie verbringen ist für mich ein Teil der Selbstachtung und der Selbstfürsorge. Ich weiß darum wie kostbar meine Lebenszeit ist. Ich weiß, sie ist endlich. Ich gehe bewusst und fürsorglich mit ihr um. Vor allem, ich verschwende sie nicht an für mich sinnlose Dinge und nicht an Situationen und Menschen, die mir nicht gut tun. 
 
Aber was ist mit dem Achten der Zeit anderer Menschen?
Dessen sind sich viele nicht bewusst.
Immer wieder erlebe ich z.B., dass Menschen mir eine Mail schreiben und sich einen Termin für ein Erstgespräch wünschen. Ich schreibe zeitnah zurück und plane Zeit für diese Menschen ein. Und dann passiert Folgendes: Sie antworten nicht auf meine Rückantwort, sie sagen eine Stunde vor dem vereinbarten Termin ab, sie erscheinen erst gar nicht oder sie rufen mich zum Termin an und meinen, sie hätten jetzt eine Lösung für sich gefunden und ob ich trotzdem ihr Problem anhören will. Andere vereinbaren Sitzungen und sagen sie nicht ab. Ich sitze dann da und habe eine Stunde Zeit, die ein anderer hätte brauchen können. Oder ich bekomme lange Mails, in denen mir Menschen ihre Probleme schildern und mich fragen, ob ich eine Lösung für sie habe - kostenlos. Ich gebe hier so viel for free, und nein - meine Unterstützung ist nicht kostenlos. Sie hat ihren Wert und der ist unter anderem auch - meine Zeit. An dieser Stelle: Ich freue mich über jede(n) neue(n) KlientIN, aber bitte nur wenn eine ernsthafte Absicht besteht.
 
Das Achten der Zeit anderer ist ein Zeichen von Respekt und Wertschätzung. 
Es hat Auswirkungen auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und die Gesellschaft insgesamt. Wenn wir die Zeit anderer Menschen achten, zeigen wir, dass wir sie selbst, ihre Arbeit, ihre Verpflichtungen und ihre Prioritäten respektieren. Indem wir pünktlich zu vereinbarten Terminen erscheinen oder Fristen einhalten, signalisieren wir, dass wir die Zeit des anderen schätzen und ihren Wert achten. 
 
Respekt ist die Grundlage für jede gesunde Beziehung, sei es im persönlichen oder im beruflichen Kontext. 
Leider geht der Respekt immer mehr flöten während Selbstbezogenheit und Missachtung Hochkonjunktur haben, nicht nur was die Zeit anderer angeht. Das Respektieren der Zeit anderer ist essenziell für eine klare und wertschätzende Kommunikation. Wenn wir sehen, dass unsere Zeit geschätzt wird, sind wir eher bereit, offen zu kommunizieren. Dies führt zu einer besseren Zusammenarbeit und einem produktiveren Austausch, von was auch immer. Indem wir die Zeit anderer achten, stärken wir das Vertrauen in Beziehungen. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind zudem entscheidend, um ein positives, vertrauenswürdiges Bild von uns selbst zu vermitteln. Wir Menschen neigen dazu, denen zu vertrauen, die unsere Zeit respektieren. Wenn Termine pünktlich starten und enden, können alle Beteiligten ihre Zeit besser planen und nutzen. 
 
Indem wir die Zeit anderer respektieren, lernen wir auch, unsere eigene Zeit mehr zu schätzen. 
Wenn wir erkennen, wie wertvoll Zeit für andere ist, werden wir uns bewusster darüber, wie wir unsere eigene Zeit nutzen und investieren. Dies fördert einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Zeit und diese ist kostbar und endlich, je mehr davon vergeht.
Der achtsame Umgang mit der Zeit anderer trägt zudem zur Schaffung einer positiven Kultur in Gemeinschaften bei. Wenn Menschen spüren, dass ihre Zeit respektiert wird, führt dies zu einer Atmosphäre, in der sich alle wohl fühlen.
Durch das Respektieren der Zeit anderer entwickeln wir ein besseres Verständnis für die Herausforderungen und Verpflichtungen, mit denen andere konfrontiert sind. Dieses Einfühlungsvermögen fördert zwischenmenschliche Verbundenheit, gegenseitige Wertschätzung, Respekt und Vertrauen, was letztlich zu einem gelingenderem, harmonischeren menchlichen Miteinander führt. Indem wir die Zeit anderer wertschätzen, schaffen wir ein Feld, in dem alle Beteiligten gedeihen können.
 
„Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und einem doch das Kostbarste stehlen: die Zeit.“
Napoleon 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Dienstag, 28. Oktober 2025

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

 



Irgendwann hat sich wohl jeder einmal die Frage gestellt: Was ist der Sinn des Lebens?
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist eine der ältesten, komplexesten und subjektivsten Fragen der Menschheit. Sie wird in verschiedenen Kulturen, Religionen und philosophischen Strömungen unterschiedlich beantwortet. Sie wird von jedem Menschen je nach philosophischer, religiöser, psychologischer oder gesellschaftlicher Perspektive unterschiedlich beantwortet.
Fakt ist: Es gibt viele Antworten, aber keine definitive Antwort.
Wenn wir nach dem Sinn fragen, heißt das, dass wir davon ausgehen, dass es einen Sinn gibt, einen Grund für unser Dasein und die Existenz.
Fragen wir einmal anders: Gibt es überhaupt einen Sinn des Lebens?
Vielleicht ist die Sinnhaftigkeit des Lebens nichts weiter als ein von Menschen gemachtes Konstrukt? Möglich.
Vielleicht IST alles einfach nur – ohne Sinn.
Wir existieren ohne Sinn.
Das Leben hat keinen Sinn.
Es gibt keinen Sinn.
Damit wären wir bei der Existenzphilosophie und bei Jean Paul Sartre angelangt, der behauptet, dass es keinen vorgegebenen Sinn des Lebens gibt, sondern dass jeder Mensch seinen eigenen Sinn erschaffen muss. Dies steht im Gegensatz zu vielen traditionellen Philosophien und Religionen, die an einen göttlichen oder einen universellen Plan für den Menschen glauben. Für Sartre ist der Mensch dazu verurteilt, frei zu sein, womit er meint, dass wir die Freiheit haben, unser eigenes Leben zu gestalten, aber auch die Verantwortung dafür tragen müssen.
Der Nihilismus legt noch eins drauf und behauptet: Es gibt keinen objektiven Sinn, keine Werte und keine moralischen Wahrheiten. Alles Zufall. Das Leben, unser Dasein hat keinen Sinn und weil das so ist kann es sogar abgelehnt werden.
Aber wenn wir davon ausgehen, dass das Leben keinen Sinn hat, wozu dann leben?
Hier findet der Hedonismus einen Ansatz: Um Glückseligkeit zu empfinden. Im Hedonismus ist das höchste Gut im Leben der Genuss und die Freude. Alle unsere Handlungen sollen darauf abzielen, persönliches Wohlbefinden und Freude zu maximieren. Schmerz und Leid hingegen wird als negativ angesehen und sollte tunlichst vermieden werden.
Wishfull thinking. Das Konzept scheitert schon daran, dass es ein Leben ohne Leid nicht gibt.
Wie man es dreht und wendet, was der Sinn des Lebens ist oder ob es überhaupt einen Sinn gibt: wir wissen es nicht. 
 
Es geht nicht darum immer den Sinn erkennen zu müssen. Es geht darum, dass der Mensch, auch wenn es keinen objektiven Sinn gibt, nun mal ein Sinnsucher ist. Das Streben nach Sinn ist tief in unserer Psyche verwurzelt. Die Suche nach Sinn ist ein grundlegendes und natürliches menschliches Bedürfnis. Würde der Mensch nicht nach Sinn suchen hätte sich die Menschheit nicht entwickelt. Sinnsuche und Sinngestaltung unterscheidet uns u.a. vom Tier. Erst die Sinnsuche ermöglicht es uns Werte zu definieren, nach unseren Werten zu leben und zu handeln und unser Leben zu gestalten, Dinge zu erforschen, zu verstehen und einzuordnen, und - Dinge über uns selbst hinaus zu erschaffen und in die Welt hinein zu geben. Das hat nichts Abstraktes - es ist Lebendigkeit, gelebtes Leben, Schaffenskraft, Schöpfertum. Also scheint es, brauchen wir Sinn, weil es sinnvoll ist ihn zu haben.
Das Gefühl für den Sinn des Lebens führt zu größerer Lebenszufriedenheit. Menschen, die glauben, dass ihr Leben bedeutungsvoll ist, sind zufriedener, erfüllter und emotional stabiler. Sie leiden seltener unter psychischen Störungen. Sinnempfindung kann uns Kraft, Motivation und Hoffnung geben, insbesondere in schwierigen Zeiten. Sinnempfindung hilft dabei, Herausforderungen und Widrigkeiten besser zu bewältigen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Erfahrungen, auch die schmerzhaften, einen Sinn haben, sind sie resilienter. Der Glaube an einen Sinn im Leben lässt uns Lebensziele setzen und Visionen verfolgen. Er lässt uns wieder aufstehen, wenn wir fallen. Menschen, die einen Sinn in ihrem Leben sehen sind motivierter was ihre persönliche Entwicklung und inneres Wachstum angeht.
 
Wenn ein Mensch keinen Sinn empfindet, hat er keine Motivation, was zu Hoffnungslosigkeit und Resignation führt. Er empfindet sein Leben und damit sich selbst als bedeutungslos. Die psychologischen Praxen sind voll von Menschen, die unter Sinnlosigkeit und einer tiefen inneren Leere leiden. Sinnlos empfundenes Leben ist u.a. oft die Folge einer lieblosen Kindheit und misslungener Bindungserfahrungen. Ein Kind hingegen, dass sich geliebt fühlt, zweifelt nicht an seinem Wert als Mensch, es empfindet sein Dasein und das Leben als sinnvoll. Überhaupt Liebe - der größte Sinn, wenn man mich fragt.
 
Wenn ein Mensch keinen tiefen Sinn empfinden kann, worin auch immer, kann er in eine Sinnkrise oder in tiefe Depression fallen bis hin zum Suizid. Um es mit Viktor Frankl zu sagen, der sich sein Leben lang mit der Frage nach dem Sinn befasst hat: „Die Depression hängt nicht allein davon ab, ob da einer arbeitslos ist oder nicht, sondern eher davon, ob er sein Leben für sinnlos hält oder nicht. Die Sinnorientierung ist nicht nur lebenswichtig, sondern überlebens-wichtig! In jedem Menschen steckt das alte und ewige metaphysische Bedürfnis, sich Rechenschaft abzulegen über den Sinn des Daseins.“
 
 
Angelika Wende
aw@wendepraxis.de

Montag, 27. Oktober 2025

Liminal

 


Liminal

 

Der Ort wo nichts bekannt ist und alles möglich.

Raum des Übergangs zwischen zwei Phasen.

Schwelle des „nicht mehr“ oder „noch nicht“.

Zustand des Wandels, in dem alte Vorstellungen von Raum und Zeit durcheinandergebracht werden, Identität sich auflöst und wandelt.

Der Ort, um Geduld zu üben und vertrauen zu lernen.

Und Neugier statt Angst.

Entfaltung zulassen.

Ohne Widerstand.

Ohne zu kämpfen.

Bis du ankommst im Neuen

gewandelt

erneuert.

Samstag, 25. Oktober 2025

Aus der Praxis: Den Kreislauf der Wiederholung durchbrechen

 



„Was in Beziehung erkrankt, kann in Beziehung geheilt werden.“
Auch wenn diese These eine starke Vereinfachung ist, ist sie grundsätzlich wahr. Wir heilen nicht ausschließlich in Beziehung, aber eine korrigierende positive Beziehungserfahrung wirkt auf Menschen mit Bindungstraumata und einer Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (KPTBS) heilsam.
Eine komplexe PTBS entwickelt sich meist als Folge von schweren, anhaltenden oder wiederholten Traumatisierungen in der Kindheit. Im Unterschied zur PTBS kommt es hier u.a. zu ausgeprägten Beeinträchtigungen im Bereich des Denkens, der Gefühle und der sozialen Beziehungen, verzerrter Selbstwahrnehmung, mangelndem Gefühl für die eigene Identität, geringem Selbstwertgefühl, Vernachlässigung der Selbstfürsorge, Schuldgefühlen, dem Gefühl, von anderen isoliert zu sein, andauerndem Gefühl der Leere und Hoffnungslosigkeit, Gefühl der Entfremdung von anderen Menschen, anhaltendes Misstrauen und die Neigung wieder in die Opferrolle zu geraten.
Eine gesunde Beziehungserfahrung in der Kindheit ist wichtig für unsere Entwicklung. Eine gesunde Beziehung basiert auf Ehrlichkeit Vertrauen, Respekt, Verlässlichkeit, Zuneigung und Liebe. All das haben Menschen mit Bindungstraumata nicht erfahren. Fatalerweise machen sie oft auch in späteren Beziehungen erneut ähnliche Erfahrungen, die denen aus der Kindheit gleichen.
 
Es gibt den Kreislauf der Wiederholung, das was Sigmund Freud als Wiederholungszwang bezeichnete. Ein Begriff mit zwei Bedeutungen. Klinisch beschreibt er das unbewusste Wiederholen von balastenden Erlebnissen. Psychologisch bezeichnet er eine Triebkraft, die unabhängig von Lust oder Unlust zur Wiederholung drängt. Man unterscheidet zwischen passiver Wiederholung und aktiver Wiederholung, was beduetet: "Wir wiederholen als Versuch einer Neuschöpfung".
Beides sind untaugliche Versuche, die nur wieder zu Leid führen.
Menschen mit einer KPTBS sind aufgrund des Wiederholungszwanges besonders gefährdet in destruktive Beziehungen zu geraten. Sie haben einerseits eine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, andererseits haben sie ein verzerrtes Bild von Liebe und dem, was eine gesunde Beziehung ist. Wer in der Kindheit missbräuchliche oder vernachlässigende Bindungspersonen hatte, findet sich daher immer wieder in Partnerschaften mit einer ähnlichen Dynamik wieder.
Trotz der unheilsamen Erfahrungen suchen sich Betroffene unbewusst PartnerInnen, die die Muster der frühen Beziehung wiederholen, was bedeutet, sie sind anfällig für das Erleben von weiteren Beziehungstraumata. Der Kreislauf von Bedürftigkeit, Misstrauen und Abhängigkeit zieht sich bis ins Erwachsenalter durch und führt dazu, dass die Symptome der KPTBS aufrechterhalten bleiben und sich sogar verstärken.
 
Was in Beziehung krank gemacht hat wiederholt sich solange bis das Trauma aufgearbeitet wird. Nicht umsonst sagte Freud: "Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten", aber nicht in ungesunder Weise als Tat, ohne zu wissen, dass wir Altes wiederholen, sondern in einem geschützten, sicheren Raum, bestenfalls in einer als korrigierend und positiven erlebten Beziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn. In diesem Sinne kann Beziehung dazu beitragen zu heilen, was in Beziehung krank gemacht hat. Eine gesunde Beziehungserfahrung löscht zwar nicht das Trauma, aber sie kann dazu beitragen, dass Traumatisierte neue positive Beziehungserfahrungen machen, was in der Folge dazu führt, dass das Gehirn diese abspeichert. Damit verändern sich eingefahrene neuronale Bahnen, sie werden quasi überschrieben – Stichwort: Neuroplastizität. Wenn das gelingt, werden wir aufgrund neuer gespeicherter Erfahrungen die alten nicht mehr automatisch abspulen. Wir durchbrechen den Kreislauf der Wiederholung.
 
Du musst lernen, was Liebe nicht ist, um zu lernen, was Liebe ist. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Montag, 20. Oktober 2025

Hochsensible leben nicht leicht

 



Besonders hochsensible Menschen denken oft: "Wenn ich nur nicht so empfindlich wäre, wäre mein Leben leichter. "Ja, wenn, dann würde einem so manches am A….vorbeigehen.
Ist aber leider nichts so, Hochsensibilität lässt sich nicht abstellen und nicht wegtherapieren. Sie ist Fluch und Segen zugleich und man muss damit leben lernen, ohne an der Härte der Realität zu zerbrechen.
 
Wer empfindlich ist, ist jedoch nicht gleich hochsensibel.
In Deutschland ist der Prozentsatz der Bevölkerung an Hochsensiblen relativ gering. Schätzungsweise gelten 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung als hochsensibel, wobei die genaue Zahl schwer zu bestimmen ist.
Wie kommt die Zahl zustande?
Es gibt den Der HSP-Test für Hochsensibilität von Dr. Satow, der Hochsensibilität auf drei zugrundeliegenden Faktoren misst. Anhand der Ergebnisse wird ermittelt, wie hoch der Anteil der Menschen ist, deren Werte auf dem Fragebogen über einer bestimmten Schwelle liegen. Das Ergebnis aus der Stichprobe wird dann auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet, um einen ungefähren Prozentsatz zu erhalten. Die Fragebögen basieren ausschließlich auf der Selbsteinschätzung der Teilnehmer. Der HSP-Test bestimmt den Grad von Hochsensibilität anhand von drei diagnostischen Faktoren:
 
Leichte Erregbarkeit (Ease of Excitation)
Menschen mit hohen Skalenwerten sind leicht erregbar und schnell beunruhigt, insbesondere dann, wenn viele Dinge und Informationen gleichzeitig auf sie einströmen. 
 
Niedrige Wahrnehmungsschwelle (Low Sensory Threshold)
Menschen mit hohen Skalenwerten nehmen ihre Umwelt intensiver und oft auch früher wahr als andere. Sie sind empfindlicher, z.B. für flackerndes Licht oder unangenehme Gerüche. 
 
Hohe Empfindsamkeit (High Sensitivity)
Menschen mit hohen Skalenwerten beschäftigen sich sehr mit ihren eigenen Gefühlen und inneren Vorgängen. Die hohe Empfindsamkeit verstärkt die leichte Erregbarkeit und niedrige Wahrnehmungsschwelle deutlich. 
 
Hochsensible haben feine Sensoren und ein hohes Maß an Spiegelneuronen. Daher nehmen sie sich selbst und ihre Umwelt sehr genau wahr.  
Mit Hilfe der Spiegelneuronen können sie die Gefühle anderer nachempfinden. Je sensibler, sprich - je offener ein Mensch für Reize sind, desto intensiver kann er mit anderen mitfühlen. Das kann dazu führen, dass Hochsensible mitleiden, weil ihr Gehirn den Schmerz anderer so verarbeitet, als wäre es der eigene. Hochsensible Menschen sind zudem sehr kreativ, haben eine bildhafte Sprache und eine hohe Vorstellungskraft. Beim Erzählen, Lesen oder Zuhören läuft bei ihnen automatisch ein innerer Film ab. Dieser Film brennt sich im Gehirn ein und kann sie über Jahre begleiten.
Darüber hinaus beschäftigen sich Hochsensible intensiv mit ihren eigenen Gefühlen und Gedanken. Sie verbringen viel Zeit damit sie zu erforschen und kennen sich daher selbst gut. Sie wissen um ihre inneren Vorgänge, ihre Wünsche und Bedürfnisse und können sich daher auch in andere Menschen gut einfühlen, denn nur wer mit sich selbst, mit den eigenen Gefühlen tief verbunden ist, ist auch in der Lage, sich mit anderen verbunden zu fühlen.
Hochsensible nehmen Geräusche, Geschmack und Gerüche, die Mimik und Gestik anderer intensiver wahr. Unangenehme Kleinigkeiten bringen sie schnell aus der Ruhe und lösen negative Emotionen aus. Emotional sind sie wesentlich empfindlicher und verletzbarer als andere. Dafür ist das zentrale Nervensystem verantwortlich. Schon die geringste Kränkung kann sie aus der Balance bringen und stärker und langanhaltender belasten als weniger sensible Menschen. Die besondere Verletzbarkeit basiert auf der intensiveren Wahrnehmung und der hohen Sensibilität für emotionale und sensorische Reize.
Da Hochsensible schnell reizüberflutet sind, fällt Ihnen oft schwer, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Ihre Aufmerksamkeit wird immer wieder auf Nebensächlichkeiten gelenkt, so dass sie Schwierigkeiten haben ihre Aufmerksamkeit zu steuern und auf das Wesentliche zu konzentriere . Manche Hochsensible werden extrem nervös in Menschenansammlungen, andere ertragen nur wenig oder nur zeitweise Nähe. Wenn ein Hochsensibler unter Druck gesetzt wird oder er sich überfordert fühlt, sei es beruflich oder privat, leidet er Seelenqualen. Ihm fehlt die Fähigkeit die Dinge auch mal locker zu nehmen. Es kann alles sein, was den Hochsensiblen aus seiner inneren Ruhe bringt.Hochsensible spüren sich, sie spüren andere und sie spüren Energien. Zu viel spüren belastet, mit anderen Worten: zu viel ist zu viel, zu viel vom Vielen.
Hochsensible leben nicht leicht. 
 
Um sich als Hochsensibler zu entlasten ist es wichtig, die Reize herausfinden, die ihn ins seelische, gedankliche oder körperliche Ungleichgewicht bringen. Findet er das heraus, ergibt sich daraus das einfache Rezept: Meide genau das!
Entscheidend aber ist: Wer hochsensibel ist, muss sich nach Innen stärker in den elementaren Untergrund und die vitale Gesamtheit verwurzeln. Er darf niemals nur nach außen leben. Hochsensible brauchen Zeit, Zeit mit sich selbst und Zeit um das täglich Erlebte zu verarbeiten. Sie brauchen viel mehr Zeit mit sich selbst und viel länger um Gewesenes zu verdauen, als andere, eben weil sie intensiver fühlen. Deshalb ist ein hochsensibler Mensch auch oft ruhebedürftig und hat das drängende Gefühl sich für eine Weile von allem zurückziehen zu müssen. Das ist ein gesundes Bedürfnis, denn das Nervensystem braucht diese Ruhe um sich wieder entspannen zu können. Diesem Bedürfnis sollte er folgen.
 
Für hochsensible Menschen ist es wichtig, ihre Grenzen zu kennen, sie zu schützen und sie auch zu setzen. Ebenso wichtig ist es sich von negativen Energien fernzuhalten und sich eine wohlwollende, ruhige Umgebung zu schaffen. 
Achtsamkeit und Meditation können helfen, inneren Frieden zu finden.
Für mich ist die Herausforderung des Hochsensiblen, das im Inneren angesammelte Material zu lösen, seine Haltungen zu überprüfen und zu verändern um sich emotional zu entlasten. Was sie brauchen ist ein Weg, um mit ihren diesen Stressoren umzugehen. Denn wenn er sich damit abfindet, von seiner überladenen Gefühls- und Gedankenwelt beherrscht zu werden, ist er unfrei. Daher sollte er es sich zum Ziel machen sich zu befreien um bei sich selbst anzukommen. Das bedeutet: Alle angesammelten Spannungen identifizieren, zu lernen das Fremde von Eigenen zu trennen und achtsam zu werden, für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse und vor allem, diese ernst zu nehmen. Was dann übrig bleibt, ist reine Sensibilität, die nicht von unverarbeiteten und verdrängten Erlebnissen beeinflusst ist.
 
 
Angelika Wende


Sonntag, 19. Oktober 2025

Fühlen statt Grübeln

 



Wenn wir zu viel grübeln bedeutet das: Unser Verstand arbeitet auf Hochtouren, weil das Fühlen zu schmerzhaft ist. Wir versuchen die Gefühle zu kontrollieren.

Grübeln ist ein Schutzmechanismus, ähnlich dem Rationalisieren.

Hilfreich um das Grüben zu stoppen ist die Frage:

Welche Gefühle versuche ich, mittels Grübeln, zu kontrollieren?

 

 

Samstag, 18. Oktober 2025

"Das Selbst ist das größte Rätsel“

 



 

"Das Selbst ist das größte Rätsel“, schrieb einst der Maler Max Beckmann.

Beckmann war zeitlebens auf der Suche nach dem „Selbst“. Seine über 200 Selbstbildnisse sind malerische Dokumente der Auseinandersetzung mit seiner inneren Verfassung, seiner menschlichen und künstlerischen Identität. Immer wieder stellt er sich in verschiedenen Rollen dar um die Komplexität seines Inneren zu erfassen und um sie auszudrücken. Ein Suchender, der mit einer unglaublichen Intensität sein eigenes Ich erforschte um sein wahres Selbst zu erfassen, und der erkennen musste, dass dieses Geheimnis in seiner Tiefe nicht zu ergründen ist.

 

Viele Menschen sind auf der Suche nach sich selbst wie Max Beckmann, ohne zu wissen, was dieses Selbst eigentlich ist. "Ich will ich selbst sein", wie oft ich das höre, als sei dann alles schöner, besser, heiler, gut. Ob es dann so wäre? Wer weiß das schon.

Manche glauben, wenn sie erst sie selbst sind, wären sie ein ganzer Mensch oder erwacht oder erleuchtet und sie machen viele Anstrengungen um den ersehnten Zustand zu erreichen. Aber was, wenn es gar nichts zu erreichen gibt. Was, wenn das Selbst nur ein Konzept ist, wie so vieles im Leben? 

 

Die Frage, ob es ein „Selbst“ gibt, ist eine der grundlegendsten und komplexesten in der Kunst, in der Philosophie, der Psychologie und Neurowissenschaft.  

Sie berührt zentrale Konzepte wie Identität, Bewusstsein und die menschliche Existenz. Während einige Denker, insbesondere im Rahmen des Dualismus, die Auffassung vertreten, dass das Selbst als immaterielle Substanz existiert, die vom Körper getrennt ist, argumentieren andere, dass das Selbst eine Illusion oder ein Konstrukt ist, das aus der Interaktion biologischer und sozialer Prozesse entsteht.

 

Der Dualismus, wie ihn der Philosoph René Descartes formulierte, sieht das Selbst als unsterblich und unabhängig vom physischen Körper. Im Gegensatz dazu vertreten materialistische Ansätze die Ansicht, dass das Selbst aus physischen Prozessen im Gehirn hervorgeht. Hierbei wird das Selbst als eine Ansammlung von Erfahrungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen betrachtet, die sich ständig verändern. Was bedeutet, dass das Selbst existiert nicht unabhängig von den biologischen und psychologischen Prozessen des Körpers.

 

Die buddhistische Philosophie beschreibt das Konzept des Selbst als Anatta oder Nicht-Selbst. Die Lehre besagt, dass das Gefühl eines stabilen, dauerhaften Selbst eine Illusion ist. Stattdessen wird der Mensch als ein kontinuierlicher Fluss von Erfahrungen und Wechselwirkungen mit der Umwelt betrachtet, ohne eine feste Essenz. Auch neurowissenschaftliche Forschungen zeigen, dass das Selbst dynamisch und veränderlich ist, was die Vorstellung eines stabilen, unveränderlichen Selbst infrage stellt.

 

In der Psychologie wird das Selbst ebenfalls unterschiedlich interpretiert. Einige Theorien, wie die der sozialen Identität, betonen, dass das Selbst stark von unseren sozialen Interaktionen und kulturellen Kontexten geprägt ist. In diesem Sinne ist das Selbst auch hier dynamisch und veränderlich, abhängig von den sozialen Rollen und Beziehungen. 

Für den C.G. Jung ist das
Selbst die höchste Instanz der Persönlichkeit und das Ziel der Individuation, des lebenslangen Prozesses, zu unserer Ganzheit zu gelangen. Was bedeutet,  der Mensch begreift seine ganze Persönlichkeit, sowohl das Bewusste als auch das Unbewusste, mitsamt seiner hellen und dunklen Seiten, den Schatten. Der Prozess der Individuation bedeutet für ihn, sich diesen Gegensätzen zu stellen, sie zu integrieren und so zu dem zu werden, der man ist.

Neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass viele Aspekte des Selbst, darunter das Gefühl von Identität und Kontinuität, auf spezifische Hirnregionen zurückzuführen sind. Diese Erkenntnisse unterstützen die materialistische Sichtweise, dass das Selbst das Produkt neuronaler Prozesse ist. Dennoch bleiben viele Fragen offen, insbesondere darüber, wie genau das Gehirn ein kohärentes Selbst erzeugt und welche Rolle subjektive Erfahrungen dabei spielen. 

 

Die Frage, was das Selbst ist, ist komplex und facettenreich und hat bisher keine eindeutige Antwort gefunden. ist. Letztlich bleibt das Selbst, wie der Tod, ein Geheimnis unserer Existenz.

Was Max Beckmann angeht, auch wenn er sein wahres Selbst nicht gefunden hat, seine Werke sind beindruckend bis heute und sie geben Menschen etwas, bis heute. Er hat etwas über sich selbst hinaus erschaffen. Und vielleicht geht es genau darum – um die Suche selbst und was sie aus uns selbst heraus hervorbringt.

 

Angelika Wende 

www.wende-praxis.de

 

 

 

 

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Donnerstag, 16. Oktober 2025

Es sind immer die Falschen

 



Meine Klientin sitzt vor mir, mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Es ist schon wieder passiert. Ich falle immer wieder auf den gleichen Typ Mann herein.
Ich bitte sie mir diesen Typus zu beschreiben und was diese Männer gemeinsam haben.
Sie überlegt eine Weile. Sie sind alle jungenhaft, unreif, verantwortungslos, sich selbst und anderen gegenüber, instabil, inkonsistent, unverbindlich, emotional instabil, emotional nicht erreichbar, selbstbezogen, innerlich zerrissen, haben keinen Job, sind faul, lassen sich durchfüttern oder sie sind verkappte Künstler und kriegen ihr Leben nicht auf die Reihe. Aber sie sind intensiv und charismatisch. Irgendwie haben die so einen James Dean Flair. Das zieht mich magisch an. Und am Ende bin ich es dann, die ausgenutzt und verletzt wird. Wie kann das sein? Wer will so einen Mann an seiner Seite? Ich jedenfalls will so einen nicht, das ist nicht das, was ich mir eigentlich wünsche, aber etwas in mir zieht es immer dort hin. Manchmal denke ich sogar, lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.
Was ist das nur?, fragt sie mich. 
Nun, sage ich, Sie erkennen es sehr genau, ihr Verstand erkennt klar, mit wem sie es zu tun haben.
Ja, aber trotzdem lasse ich mich dann auf so jemanden ein. Ich sehe die Red Flags, aber es hilft mir nichts. Ich rede ihn mir dann irgendwie schön, obwohl ich genau weiß, ich mache mir etwas vor. Mit mir stimmt doch etwas nicht!
Kann es sein, frage ich sie, dass sie diese Männer verändern und aufpäppeln wollen und dass Sie glauben, sie auf den richtigen Weg bringen zu können?
Sie schweigt eine Weile. Ja, irgendwie schon.
Okay, und wenn sie das schaffen, was wäre dann?
Sie schweigt eine Weile. Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, dann könnte ich sagen, dass ich es geschafft habe: "ICH habe ihn besser gemacht. Er war ein Looser, aber durch mich ist er ein guter Kerl geworden.
Aber warum will ich das überhaupt? Ich bin doch nicht Mutter Theresa. Und ich will auch nicht deren Mutter sein, aber letztlich benehme ich mich genauso. Ich will nicht die sein, die andere hält, ich will selbst gehalten werden und handle genau entgegengesetzt.
Sie wollen die „gute Mutter“ für diese Männer sein, die Beschützerin, die Retterin, die Heilerin, könnte man das so sagen?
Ja, irgendwie schon. Was in mir ist das?
Okay. Sie wissen, dass das nicht funktioniert. Sie haben es einige Male versucht, antworte ich. Sie arbeiten sich an diesen Männern ab und am Ende haben Sie, außer, dass Sie enttäuscht und verletzt zurückbleiben, nichts erreicht. Was glauben Sie, warum können sie ihre untauglichen Versuche nicht sein lassen?
Ich weiß es nicht, darum bin ich ja hier.
Es sind immer die Falschen, sagen sie.
Und das wissen sie schon am Anfang.
Ja, ich spüre das sofort, sagt sie.
Und sie ignorieren ihr Gefühl.
Stimmt.
Sie sind also nicht ehrlich zu sich selbst?
Sie wissen, was Sie wollen und was sie nicht wollen, aber sie sind nicht fähig zu sich selbst zu stehen?
Puh, das ist wahr.
Und kann es sein, dass, wenn man nicht ehrlich zu sich selbst ist und nicht zu sich selbst und seinen Bedürfnissen steht, man nicht bekommt, was man sich eigentlich wünscht?
Ja, das ist wohl so.
Das bedeutet dann was?, frage ich sie.
Man macht sich etwas vor.
Ja, und warum macht man sich etwas vor?
Weil man glaubt, dass man nichts Besseres kriegen kann?
Ja, das ist möglich.
Glauben Sie das?
Na ja, ich denke immer ich bin nicht wertvoll genug. Ich ticke ja auch nicht ganz richtig. Irgendwie bin ich ja auch kaputt.
Und wenn Sie das von sich glauben, wie handeln sie dann?
Dann muss ich etwas dafür tun, um besser zu sein, um mich besser zu fühlen.
Und dann wollen Sie sich das selbst beweisen, indem Sie „besser“ sind als diese Männer, indem Sie sie bessern? Haben sie dann das Gefühl, sich aufzuwerten?
Irgendwie schon, wenn ich ehrlich bin.
Und was wäre der richtige Weg? Ich muss mich selbst aufwerten?
Nun, Sie könnten zunächst damit aufhören sich immer wieder abzuwerten.
Und wie mache ich das?
Indem sie ehrlich zu sich selbst sind und ihre wahren Gefühle und ihre wahren Bedürfnisse ernst nehmen.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Freitag, 10. Oktober 2025

Traurigkeit



 

Traurig zu sein ist ein Teil von uns wie Freude, Glück und all die anderen schönen Emotionen, die wir so sehr lieben. Und dennoch, Traurigkeit ist ein ungeliebtes Gefühl. Auch wenn sie eine natürliche Grundstimmung des Menschen ist, wir empfinden sie nicht so, auch wenn wir das wissen. Bereits Babys und kleine Kinder haben ihre melancholischen Momente und sogar der Hund, der lange Zeit mein Begleiter war, hatte seine traurigen Phasen, wo ihn nicht einmal der Ball, dem er so gern hinterher rannte aus seiner Melancholie reißen konnte. Er lag da und ab und zu schnaufte er so tief und herzerweichend, als sei sein Leben ein armseliges Hundeleben. Ich erinnere mich an meine Melancholie aus Kindertagen als ich plötzlich erkannte, dass es das Sterben gibt und wie unsagbar traurig mich der Gedanke machte, dass ich einmal nicht mehr sein könnte. Ich erinnere mich an den Tag an dem meine Großmutter starb, bei der ich aufgewachsen bin bis ich Fünf war, und wie starr und fassungslos es mich machte, als man sie auf einer Bahre aus der Wohnung trug und Großvater stumm und keine Hilfe in meiner Angst. Ich erinnere mich an diesen unendlichen Schmerz über das verzweifelte Erkennen, dass Oma nie mehr wiederkommen würde um mich in ihre warmen Arme zu schließen und ich nicht mehr den Geruch ihrer frisch gestärkten Schürze einatmen würde, der mir das Gefühl von Zuhause und Geliebtsein gab. Es war verloren mit ihrem Verlust und die Trauer darüber begleitet mich noch heute.

Traurigkeit zeigt uns, was wirklich wichtig für uns ist. Sie macht uns bewusst, wonach wir uns sehnen und was uns schmerzhaft fehlt. Vor allem aber - die Traurigkeit bringt uns dahin, uns mit der Vergänglichkeit der Dinge und unseres Lebens zu beschäftigen.Wir spüren wie zerbrechlich wir sind, wie zerbrechlich dieses Leben ist. Und wenn wir ganz nah bei uns sind, bei unserer Zerbrechlichkeit, begegnen wir uns selbst in unserer ganzen Tiefe. Wir schauen in unser Gesicht ohne die Maske, die wir tragen um uns zu schützen vor dem, was wir nicht fühlen oder zeigen wollen. Unsere Haut ist hauchdünn wenn wir traurig sind, unsere Nerven hoch empfindsam für das, was uns in unserem Innersten wirklich ausmacht und für das, was uns fehlt um uns ganz zu machen.

 In der Trauer begegnen wir unserer eigenen Wahrheit. Sie zeigt uns unsere Grenzen, sie macht uns bewusst, dass wir nicht alles haben können, nicht alles erreichen können, nicht alles verändern und nicht alles kontrollieren können, schon gar nicht andere Menschen oder das Schicksal. In der Trauer bricht manches alte Leid wieder auf, sie zeigt uns die Wunden, die nicht verheilt sind und wir erkennen, was noch zu heilen ist, was noch unerledigt ist und was uns wirklich berührt. Wenn wir die Trauer zulassen und all ihre Tränen weinen, kommt etwas in den Fluss - das Schmerzhafte fließt aus uns heraus und liegt vor uns damit wir es sehen. Nur was wir sehen kann geheilt werden. Nur wenn wir sie spüren und anerkennen können unsere Wunden zu heilen beginnen, wenn wir die Schleusen öffnen um all die Knoten der Verdrängung zu lösen, die sich in uns festgesetzt haben. Doch viele Menschen wollen gar nicht, dass sie sich lösen, sie wollen wie meine Klientin, dass das schnell weggeht. Sie suchen den Ausweg, anstatt den Weg nach Innen zu gehen. Sie begreifen nicht, dass sie, wenn sie bereit sind ihre Traurigkeit anzunehmen und sie aushalten lernen, sich selbst annehmen. Wenn unsere Traurigkeit sein darf und wir Ja zu ihr sagen, spüren wir: genau in diesem Ja steckt die Kraft die Traurigkeit auszuhalten und eine große Wahrheit über uns selbst. 

 

"Deine Traurigkeit ist der dunkle Samt, auf dem die Juwelen deines Lebens leuchtend funkeln. So wird dir sichtbar, über welch reiche Schätze du verfügst.“ 

 Helen Ambach

Donnerstag, 9. Oktober 2025

Kontrolle

 

 
 
 
Julian Rotter führte 1966 erstmals den Kontrollbegriff in die Psychologie ein. Dabei ging es ihm darum, eine Skala einzuführen, an deren positivem Pol sich die Leistungsmotivation und an deren negativem Pol sich die soziale Fremdgesteuertheit befand. Kontrolle in manchen Bereichen ist also zunächst einmal nichts Ungutes, sie ist ein menschliches Bedürfnis, denn wie sonst sollten wir bei allem Geworfensein in die Welt nicht in Ohnmacht versinken, hätten wir nicht das Gefühl selbstbestimmt zu leben und unser Leben gestalten zu können.
Wir haben Kontrolle und wir haben sie nicht. Wir mögen es die Dinge unter Kontrolle haben. Das Leben unter der eigenen Kontrolle stehend zu erleben gibt uns das sichere Gefühl von Eigenmacht und Selbstwirksamkeit. Jedoch, wir müssen alle irgendwann schmerzhaft erkennen, dass wir im Grunde nichts unter Kontrolle haben, schon gar nicht das Schicksal und schon gar nicht andere Menschen. 
 
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", lautet ein Spruch.
Kontrolle ist möglich, wo es um meine eigenen Entscheidungen, mein Handeln und meine Lebensplanung geht und auch das nur bedingt, denn niemand ist eine Insel und wir alle leben in einem Kontext, den wir uns von Geburt an nicht aussuchen können und auch im Laufe des Lebens erfahren wir immer wieder wie wenig wir doch kontrollieren können. Diese Einsicht ist nicht leicht anzuerkennen, denn sie zeigt deutlich wie fragil das Konzept von Kontrolle ist, so fragil wie der Mensch selbst.
Es gibt Menschen, die müssen mehr als andere das Gefühl haben Kontrolle über die Dinge und über ihre Mitmenschen zu haben. Sie sind ständig auf der Hut. Zum einen, weil sie andere beobachten müssen, um deren Verhalten berechnen zu können, zum anderen weil sie das beobachtete Verhalten interpretieren, beeinflussen, manipulieren und im Zweifel korrigieren müssen um sich sicher zu fühlen. Menschen die den Drang haben andere zu kontrollieren haben wenig Vertrauen, nicht andere und nicht in sich selbst. Sie können die Dinge nicht sein lassen und sie können die Menschen in ihrem Umfeld, besonders jene, mit denen sie eine emotionale Bindung haben, nicht sein lassen. Sie haben Angst, meist ist es Verlustangst und die Angst vor dem Verlassensein.
 
Verlustangst hat ihre Ursache in der Kindheit.
Besonders Menschen, die als Kind unberechenbare, in ihren Worten, Handlungen und Verhalten nicht klar fassbare und verlässliche, sicherheitsgebende Eltern erlebt haben, neigen als Erwachsene zur übermäßigen Kontrolle. Das Thema, das sie ein Leben lang begleitet ist: Sein von Schein, also Klarheit von Unklarheit und Wahrheit von Unwahrhaftigkeit, unterscheiden zu müssen. Ein schweres Unterfangen, denn wer im Elternhaus keine emotionale Verlässlichkeit erfahren hat, weiß nicht, was echt und was unecht ist. Ein Kind mir dieser Erfahrung ist unsicher im Umgang mit Menschen und im Umgang mit sich selbst. Die frühe Erfahrung von Unsicherheit und Unberechenbarkeit führt dazu, dass es sich in seinem eigenen Sein und in der Welt vom Grundgefühl her verlassen fühlt.
 
Ein Kind, das mit Bezugspersonen aufwächst, deren Maske das wahre Gesicht verbirgt weiß nicht woran es ist. Wer nicht weiß, woran er ist, kann sich an nichts halten.
Durch die Janusköpfigkeit der Personen auf die es angewiesen ist, lebt das Kind inmitten der Unberechenbarkeit und Unwahrhaftigkeit des oder der Menschen, die es liebt, auf einer einsamen Insel. Es lebt in einem Klima von ständig wankendem Boden. Was immer es im Verhalten des janusköpfigen Elternteils erlebt, ist diffus. Alles Diffuse macht Kindern Angst. Diese Angst führt dazu Klarheit, Berechenbarkeit und Kontrolle zu suchen. Ein untauglicher Versuch. Auch das spüren Kinder instinktiv. Die wiederholten untauglichen Versuche zu verstehen und einzuordnen was wahr und was unwahr ist, was echt und was unecht ist, führen zum Erleben tiefer Ohnmacht. Aber auch diese Ohnmacht kann das Kind weder benennen noch rational begreifen. Es fühlt sie. Und was wir fühlen, gräbt sich am Tiefsten in unser Gedächtnis ein. Um das Gefühl von Ohnmacht zu kompensieren lernt das Kind zu beobachten - die Mutter oder den Vater. Getrieben von der Sehnsucht das Echte zu erkennen, ist es ständig im Außen orientiert. Daher gelingt es ihm nicht, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Was dazu führt, dass es neben der Unfähigkeit zu vertrauen, zu einer nur bruchstückhaften Herausbildung eines eigenen Selbst kommt. Mit anderen Worten, ein gesundes Selbst-Bewusstsein bekommt, noch bevor es sich überhaupt entwickeln kann, Schlagseite.
 
Wer als Kind ständig im Teich eines nebulösen Elternbildes schwimmt, fischt im Trüben.
Das will es als erwachsener Mensch verhindern. Es entwickelt sich zum Kontrolleur anderer. Es muss endlich, die Sicherheit, die Verlässlcihkeit und den Halt spüren, den es als Kind schmerzhaft vermisst hat. Es muss aus der Position der Ohnmacht in die Position der Macht gelangen. Übermäßige Kontrolle hat immer mit Macht zu tun. Sie ist der Gegenpol zur Ohnmacht. Wer Ohnmacht erlebt hat, hat sich selbst als Opfer erlebt und die anderen als Täter. Das Motiv der Kontrolle ist das (Wieder) Erlangen der als Kind verlorenen Macht über das eigene Sein. Durch das Mittel der Kontrolle gelingt dieses Machtgefühl in der eigenen Wahrnehmung. In Wahrheit ist diese Macht aber wieder nur scheinbar. Der Kontrolleur ist in seinem alten Muster gefangen, er ist erneut Opfer, das Opfer seiner eigenen Kontrollsucht, jedoch ohne sich dessen bewusst zu sein. Er ist wieder Beobachter und wie als Kind abhängig vom Handeln und Verhalten anderer. Er ist wieder im Außen und nicht bei sich selbst. Er verliert sich im Außen, in der Anstrengung alles unter Kontrolle zu behalten. Dass man Nichts und Niemanden kontrollieren kann ist ihm möglicherweise auf der kognitiven Ebene sogar bewusst, das Innere Kind aber suggeriert ihm etwas anderes. So sind Kontrolleure, solange sie sich das Unbewusste nicht bewusst machen, Gefangene ihrer Suche nach Berechenbarkeit. Um Macht zu erlangen werden sie in ihren Beziehungen oft sogar zu Manipulatoren. Die Mittel der Macht sind vielfältig, aber der Zweck ist immer Macht zu spüren um Ohnmachtsgefühle nie (mehr) ertragen zu müssen.
Das Tragische ist: Menschen, die andere ständig kontrollieren müssen, verlieren dabei die Kontrolle über sich selbst und sie finden keinen inneren Frieden.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

 

Dienstag, 7. Oktober 2025

Scham

 

                                                               Malerei: A.Wende

 

Scham sagt: Zeig dich nicht. 

Versteck dich.

Es ist gefährlich. 

Man wird dich zurückweisen, ablehnen, nicht mehr mögen, verachten, nicht mehr lieben.

Scham ist eine Überlebensstrategie, die wir als Kind gelernt haben um Gefahr zu verringern und uns vor dem Verlassenwerden zu schützen. 

Scham gehört nicht zu uns.

Scham gehört zu denen, die uns beschämt haben.