Dienstag, 12. August 2025

Wenn etwas „Gewalt“ ist, dann ist es schlecht, mehr noch, es ist verwerflich

 



Buddha zufolge hat man bereits versagt, wenn man auf Gewalt zurückgreifen muss. Wenn etwas „Gewalt“ ist, dann ist es schlecht, mehr noch, es ist verwerflich.
Ich kenne Gewalt, ich habe sie als Kind schon erlebt. Ich habe emotionale und körperliche Gewalt erlebt. Ich habe ein Trauma davongetragen. Ich habe das Trauma integriert.
Gestern wurde ich tätlich angegriffen von einer fremden Frau im Bus. Ich habe körperliche Gewalt erlebt. Ich habe es dem Busfahrer gesagt, er meinte, das sei nicht sein Problem. Auch die anderen Fahrgäste meinten, es sei nicht ihr Problem. In diesem Moment fühlte ich mich isoliert in einer Blase voller Lärm, in der niemand wirklich sehen wollte, was geschieht. Ich weiß nicht, was mich fassungsloser macht, der tätliche Angriff oder die Ignoranz und die Gleichgültigkeit meiner Mitmenschen.
Nicht mein Problem! Das ist die Einstellung der Masse. Empathie? Irgendwie ausgestorben. Auch so manche Kommentare meiner Mitmenschen, als ich davon erzähle, haben mich fassungslos gemacht.
Mir sind menschliche Abgründe vertraut. In meiner Arbeit mit Menschen haben sich schon unzählige vor mir aufgetan.
 
Ich weiß um die Selbstsucht, den Narzissmus, die Gleichgültigkeit und das Fortschreiten dieser immer narzisstisch werdenden Gesellschaft. Ich schreibe in meinem Blog und in meinen Bühern dagegen an. Ich weiß, dass es nichts ändert. Ich tue es dennoch, weil ich nicht anders kann, weil ich nicht stumm und wortlos zusehen kann wie die Dinge sind und sich entwickeln – zum Unguten und zum immer Schlechteren. Ich schreibe um etwas im Bewusstein der Menschen anzustoßen. Ich weiß, dass es nichts hilft. Ich schreibe trotzdem, weil ich nicht anders kann.
Ich bin ein friedlicher, ruhiger Mensch, ich lebe zurückgezogen. Und mische mich selten unter die Menge. Ich bin Pazifistin und ich bin gegen jede Form von Gewalt. Ich sehe in der Praxis immer wieder Menschen, denen Gewalt angetan wurde und tue mein Bestes um ihnen zu helfen diese traumatische Erfahrung zu verarbeiten. Ich weiß wie schwer das ist. Jetzt stehe ich vor der Herausforderung mir selbst zu helfen.
 
Der Schock des Angriffs, bei dem niemand im Bus zu intervenieren wagte, verwandelt sich heute Morgen in eine Mischung aus Trauer und Sorge. Sorge, weil ich nicht weiß, was das mit mir machen wird. Trauer weil ich verletzt wurde. Nicht nur körperlich, auch seelisch. Diese Fremde hat ihre Aggressionen, ihre Wut und ihren Hass auf mich gerichtet. Sie hat meine Körperliche Unversehrtheit verletzt. Sie hat eine Grenze überschritten. Ich hatte keine Chance.
Ich wollte nur aus einem übervollen Bus austeigen und bat sie mich bitte rauszulassen. Sie tat als hörte sie es nicht. Ich bat sie noch einmal. Sie schrie mich an, beleidigte mich mit den übelsten Worten und als ich sie fragte: Wo ist Ihr Problem, schrie sie: „Du bist mein Problem“, und dann tat es plötzlich weh. Der Schmerz war ein Schock.
 
Dieses Bild aus dem Bus ist noch heute morgen klar und deutlich in meinem Kopf. Das vom Hass verzerrte, kalte Gesicht dieser Frau sehe ich so klar vor mir, dass ich es malen könnte. Dieser Augenblich völliger Überraschung sitzt mir in den Gliedern. Ich konnte nichts tun, es geschah einfach. Ich hatte keine Kontrolle über die Situation. Ich fühlte mich ohnmächtig und hilflos. Kontrollverlust und Ohnmacht sind Aspekte eines traumatischen Erlebnisses. Ein Trauma ist eine psychische Ausnahmesituation, die durch ein überwältigendes Ereignis ausgelöst wird, das eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit darstellt. Ich weiß das.
Ich will das nicht zulassen. Ich will kein Opfer sein, dachte ich gestern Abend und heute Morgen denke ich, ob du willst oder nicht – du bist ein Opfer. Sei ehrlich zu dir, mach dir nichts vor. Opfer sinnloser, erbärmlicher Gewalt einer erbärmlichen Seele, die ihre Wut und ihren Hass ausagiert hat. Der Ekel erfasst mich. Den Ekel habe ich gestern bevor ich zu Bett ging versucht abzuduschen. Er ist noch immer da. Die Opferrolle werde ich jedoch nicht spielen. 
 
Ich könnte diesen Menschen anzeigen. Ich werde es nicht tun. Ich weiß, dass man die Frau nicht finden wird, ja sich nicht mal die Mühe machen wird sie zu suchen. Wie auch? Eine Anzeige gegen Unbekannt. Es gibt Schlimmeres als das, womit sich die Polizei beschäftigen muss. Diese Welt ist voller Gewalt und mir war klar, dass selbst im Alltag unerwartete Gefahren lauern können. Es kann jeden treffen. Es hat mich getroffen.
Ich frage mich nicht, warum ich? Warum nicht ich? Weil ich friedliebend bin? 
 
"Zu erwarten, dass einen die Welt gerecht behandelt, weil man ein guter Mensch ist, kommt dem gleich, zu erwarten, dass ein Stier einen nicht angreift, weil man Vegetarier ist“, ist ein bekanntes Zitat von Fritz Perls, dem Begründer der Gestalttherapie.
Warum ich? Die Frage stellt sich mir nicht.
Was fange ich damit an? Was kann ich daraus lernen. Was ist die Lektion?
Das frage ich mich.
 
Ich habe bereits etwas gelernt. Zum Beispiel, dass Menschen, von denen ich glaubte, sie wären mir von Herzen verbunden, es nicht sind, dass gerade jene, von denen ich es gedacht habe, mich nicht gefragt haben, ob ich okay bin, sondern nur wissen wollten, was genau passiert ist oder sich über den Aggressor Gedanken machten. Ich habe gelernt, dass ich noch besser auf mich aufpassen muss. Ich habe wieder begriffen, dass ich nur mir selbst vertrauen kann und dass es meiner Verantwortung liegt, wie ich mit dem was ist, umgehen will. Ich habe wieder einmal begriffen wie fragil wir Menschen sind und dass von einem Moment auf den anderen alles anders sein kann. Nichts ist sicher, aber das wusste ich schon vorher. Was ich nicht wusste, ist was es mit einem Menschen macht, wenn er mitten in einer Menschenmenge tätlich angegriffen wird und niemand ihm hilft. Das weiß ich jetzt. Na dann, auch das meinte das Leben mir zeigen zu müssen.
 
Wozu ist das gut?
Ich fühle jetzt meine KlientInnen noch besser, die ähnliches erleben mussten.
Wozu es noch gut ist, werde ich noch herausfinden. Auch was ich über mich selbst noch zu lernen habe. Was es weiter mit mir macht, werde ich beobachten und mir Hilfe holen, wenn ich nicht klar komme. Und was den Aggressor angeht: Mieses Karma. 
 

1 Kommentar:

  1. Oh nein, das tut mir sehr leid für Sie. Hoffentlich ist die Seele in der Lage, das Erlebnis gut und zeitnah zu verarbeiten.
    Ich sende Ihnen mitfühlende Heilungsgrüße
    L

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