Mittwoch, 13. August 2025

Victim Blaming

 

                                                           Malerei: A. Wende



Als Reaktion auf meinen gestrigen Text haben mich auch einige Kommentare und auch Nachrichten via Mail erreicht, die mich nachdenklich machen.
Einige Menschen meinten mir erklären zu müssen, warum mir das passiert ist und was mein Anteil daran sei. Interessant, wir sind also beim Victim Blaming angelangt, was mir aus meiner Arbeit mit Opfern von Gewalt immer wieder auch begegnet. Nun darf ich es am eigenen Leibe erfahren.

Was ist Victim Blaming?
Victim Blaming bedeutet, dass die Verantwortung oder Schuld für eine schädliche Tat oder ein Unglück fälschlicherweise der verletzten Person zugeschrieben wird. Statt die Schuld beim Täter zu verorten, kommen Fragen nach Details über das Opfer.
Was hat es getan?
Was hat es falsch gemacht?
Hat es durch sein Verhalten die Tat provoziert?
Hat es sich nicht deutlich abgegrenzt?
Hierbei wird implizit suggeriert, dass das Opfer durch sein Verhalten oder seine Entscheidungen Mitverantwortung hat.
Die tatsächliche Schuld liegt jedoch beim Täter.
Denn nichts, aber auch nichts, rechtfertigt Gewalt.

Noch krasser wird es wenn aus der esoterischen Ecke das Gesetz des Spiegels herangezogen wird. Im Sinne von: Das Opfer hat das angezogen! Im Klartext: Es ist selbst schuld.
What the fuck! Geht’s noch?

Wenn wir vom „Gesetz des Spiegels“ sprechen, steht die Behauptung im Raum, dass sich unser Denken und Fühlen im außen uns gegenüber widerspiegelt und es uns demzufolge im Außen begegnet und materialisiert.
Nur so einfach ist es nicht.
Grundsätzlich beruhen die Spiegelgesetze zum Teil auf den Schattenprinzipien von C.G. Jung, der formulierte, dass Menschen einen Schatten haben, also bestimmte Anteile in sich selbst, die sie nicht mögen oder nicht ausleben. Wenn uns etwas in einem anderen stört, ist das oftmals ein Zeichen, dass man einen unerlösten Schatten hat. Nichts weiter.

Das esoterische Spiegelgesetz auf Opfer von Gewalt zu übertragen bedeutet: Die Gewalterfahrung ist ein Spiegel, der zeigt, dass es seine eigene Aggression als Schatten verdrängt und nicht auslebt und wach gerüttelt wird, indem man ihm den Schatten, im wahrsten Sinne des Wortes, in die Fresse haut. Oder: das Opfer hat selbst großes Gewaltpotenzial, das es nicht auslebt und es dann im Außen erlebt. Bei Letzterem wird dann noch das Gesetz der Resonanz hinzugezogen, das besagt, dass Gleiches immer Gleiches anzieht. Jetzt wird es ganz krude.
Bei beidem geht es um eine metaphorische oder eine esoterische Idee und um kein wissenschaftlich anerkanntes Gesetz.
In Verbindung mit Victim Blaming kann diese Idee so verstanden werden: Dem Opfer wird die Schuld zugeschreiben.
Es hat es ja angezogen.

Wozu führt das?
Das führt dazu, dass Opfer entwertet werden, sich schämen oder schuldig fühlen, obwohl der Täter oder die Umstände der Auslöser sind. Statt bei den Fakten zu bleiben und die Verantwortung beim Täter zu suchen, werden beim Victim Blaming schuldzuweisende Narrative verwendet.
Das Gefährliche daran ist, dass dies Opfern zusätzlichen Schaden zufügt: Es entwertet ihr Leid, verschafft dem Täter oder den Strukturen eine Tür zur Schuldzuweisung und erschwert Hilfe, Meldung und Prävention.

Opfer werden stigmatisiert statt geschützt, was wiederum neue Muster von Gewalt normalisiert.

Victim Blaming lässt sich auch aus einer reflexiven Perspektive erklären: Hinter Victim Blaming verstecken sich persönliche Ängste oder Hilflosigkeit derer, die es betreiben. Aus Angst heraus machen Menschen Victim Blaming oft unbewusst, weil sie Schutz vor Unsicherheit suchen. Die Schuld beim Opfer zu finden wirkt kontrollierbar und reduziert gefühlt das eigene Risiko Opfer zu werden. Schuldzuweisungen beruhigen das Selbstbild, indem man glaubt, man könnte, wenn man sich nur richtig verhält oder wenn man nur gute Gedanken hat, Gefahr früh erkennen oder vermeiden.
Victim Blaming ist ein Macht- und Kontrollphantom, welches dazu dient das Opfer zu entwerten, statt den Täter oder das System zu hinterfragen. Opfer werden so stigmatisiert statt geschützt, was wiederum neue Muster von Gewalt normalisiert.
Nicht hilfreich!

 Was hilft? Täter und Strukturen in den Fokus rücken, Opfer unterstützen und Gewaltprävention fördern.

Angelika Wende

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen