Samstag, 9. August 2025

Der menschliche Makel

 

                                                             Malerei: A.Wende


 
Der „Makel“ stehe für das „Unreine, Verfehlte des Menschen. Nie kann er im Reinen mit sich selbst sein. Es bleibt immer ein untilgbarer Fleck.“
Der Satz ist ein Zitat des Journalisten Ulrich Greiner aus seiner Rezension über das Buch „Der menschliche Makel" des amerikanischen Schriftstellers Philip Roth in der ZEIT.
Der Satz hat es in sich. Er fasst mich an.
Der Makel begegnet mir täglich in meinen Sitzungen. Er ist mir in meinem eigenen Leben begegnet, er gehört zu mir und meiner Biografie. Das Unreine, das Verfehlte gehört zu jedem Leben. Leben ist auch das. Wer lange genug lebt und sich Gedanken über das Wesen des Menschen macht, weiß das.
Er schreckt davor nicht mehr zurück.
Er sieht diesen unreinen Fleck und akzeptiert, dass es ihn gibt. Er muss ihn nicht auslöschen, verdrängen, wegmachen, bekämpfen. Der Makel ist was er ist – Teil der conditio humana.
Jeder Widerstand dagegen ist ein sinnloses Ankämpfen, ein infantiles nicht haben wollen, es anders haben wollen.
 
"Ich will glücklich sein. Ich will, dass das Leben gut zu mir ist. Ich will, dass meine Träume sich erfüllen, ich will geliebt sein, anerkannt sein, gesehen werden. Ich will keine Probleme haben, kein Leid, keinen Schmerz fühlen. Ich will diese Vergangenheit nicht, ich will diese Gegenwart nicht, ich will diese Identität nicht. Ich will, ich will! Ich will nicht!"
All dieses Wollen, das an der Härte der Realität abprallt, all dieses Nichtwollen, von dem, was auch ist, schafft all diese unglücklichen, unzufriedenen, klagenden Menschen.
Manchmal ist es kaum auszuhalten all das Unreine, Verfehlte im Menschen und der hartnäckige Widerstand dagegen. Dann nehme ich es mit in die Nacht und es verfolgt mich in meinen Träumen. Manchmal gelingt mir die Abgrenzung nicht, obwohl ich sie immer wieder übe. Es gibt Dinge gibt, die sich so tief eingraben, dass sie jede rational gesetzte Grenze durchfließen wie flüssige Lava, die sich in die Erde ergießt und dann erstarrt.
 
Der Makel ist dem Menschen so immanent wie sein Licht.
Der Makel begegnet uns in Gewalt, in Verbrechen und Kriegen, im Missbrauch, im Verrat, im Betrug, in der Lüge, im Scheitern, in der Gier, im Neid, in der Sucht, in der Völlerei, im Hochmut, in der Trägheit, in der Obsession, in der Verblendung, im Hass, in der Rache, im Siechtum, im Verfall, im Tod.
Der Makel trägt das Zerstörerische in sich.
Der Makel trägt das Selbstzerstörerische in sich.
Der Makel haftet uns allen an, in irgendeiner Weise.
Alle Geistesgifte sind Ausdruck des menschlichen Makels. 
 
Der Makel, das ist das moralische Dilemmata, das sind die schmerzhaften Wahrheiten, Fehler und Verfehlungen, all das Dunkle der menschlichen Natur, der Ausdruck für die komplexen und widersprüchlichen Aspekte der menschlichen Existenz, Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit und der ethischen Fragwürdigkeit. Der Makel stellt die Frage nach dem Wesen des Guten und Schlechten im Menschen.
„Er bleibt immer ein untilgbarer Fleck“ – solange es uns Menschen gibt. Dieser Fleck ist Sinnbild dafür, dass Perfektion unerreichbar ist und dass die eigene Unvollkommenheit Teil des menschlichen Lebens ist. Das anzuerkennen ist Weisheit. 
 
"I think the devil does not exist but man has created him. He has created him in his own image and likeness."
~ The Brothers Karamazov, Fjodor Dostojewski

 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

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