Mittwoch, 27. August 2025

Schönreden

 



Unser Gehirn verfügt über einen interessanten Mechanismus, den es einsetzt, wenn es mit etwas konfrontiert wird, das im Widerspruch zu unseren Überzeugungen und Bedürfnissen steht – es blendet aus oder redet es sich schön. Schön reden: günstig darstellen, beschönigen, herunterspielen, maskieren, positiv darstellen · romantisieren, schönen, schönfärben - all das kommt, wenn man das Wort googelt.
Schönreden ist die ideale Strategie, um weder an der Situation, noch an unserer Einstellung, noch oder an unserem Verhalten, etwas ändern zu müssen.
Viele Menschen neigen dazu, sich Dinge schönzureden, obgleich sie es nicht sind. Instagram und Co sind voll von Schönrednern, die ihr Leben als eine sprudelnde Dauerquelle des Glücks inszenieren, es romantisieren oder idealisieren. Toxic positivity ist Zeitgeist, basierend auf der unrealistischen Annahme, dass man immer und unter allen Umständen eine positive Einstellung haben soll, selbst im größten Elend.
Und wie´s da drinnen aussieht geht niemand was an. 
 
Einer der Gründe für dieses Verhalten ist die sogenannte kognitive Dissonanz, was bedeutet: Wir verspüren einen negativen Gefühlszustand, wenn wir unvereinbare Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten haben.  
Dieser innere Konflikt entsteht immer dann, wenn wir widersprüchliche Gedanken, Überzeugungen oder Gefühle haben. Um diesen unangenehmen Zustand zu vermeiden, minimieren viele Menschen die negativen Aspekte ihrer Realität, ignorieren sie ganz oder sie reden sich das Unschöne schön. Das geht so lange gut bis sich das Problem nicht mehr schönreden lässt, weil uns die Realität iregndwann knallhart erwischt.
 
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Schönredens ist der Schutz des Selbstwertgefühls. 
Fast alle Menschen wollen ein positives Bild von sich selbst und ihrer Situation abgeben und aufrechterhalten, und das Schönreden von negativen Situationen oder Entscheidungen hilft dabei. Jemand, der beispielsweise in einer unheilsamen Beziehung bleibt, redet sich ein, dass die Beziehung „schon okay ist“ oder dass „irgendwann alles besser wird“. Schönreden dient hier dazu, den Konflikt zu vermeiden, die emotional belastende Situationen zu entschärfen und keine Entscheidung treffen zu müssen, indem negative Aspekte heruntergespielt oder umgangen werden. Oder jemand trinkt regelmäßig zu viel Alkohol und behauptet er hätte es im Griff, wobei er in Wahrheit längst die Kontrolle über sein Trinkverhalten verloren hat.
 
Auch soziale Faktoren spielen beim Schönreden eine Rolle.
In Gruppen sind Menschen häufig dem Druck ausgesetzt, positiv zu erscheinen oder sich positiv über bestimmte Themen zu äußern, auch wenn ihre Lebensumstände und Lebensgefühl alles andere als positiv sind. Zum einen um den sozialen Erwartungen gerecht zu werden oder aus Angst als jemand wahrgenommen zu werden, der sich selbst und sein Leben nicht im Griff hat. Schönreden dient immer dazu unangenehme Situationen zu entschärfen, indem die Dinge klein geredet oder heruntergespielt werden. Manche Schönredner versuchen sogar die Wahrnehmung anderer zu beeinflussen, indem sie ihre Situation besser darstellen, als sie tatsächlich ist, um Zustimmung oder Bewunderung zu gewinnen.
Bei einem Jobverlust behauptet jemand beispielsweise, das sei eine „ super Gelegenheit für einen Neuanfang“, obwohl er innerlich besorgt ist und Angst vor der ungewissen Zukunft hat. Oder jemand ist verlassen worden und behauptet, er müsse diese Erfahrung machen um zu lernen sich selbst zu lieben und nicht mehr bedürftig zu sein, obwohl er unter der Trauer und der Einsamkeit nach der Trennung leidet wie ein Hund. Ein anderer leider unter dem Älterwerden und vertönt voller Inbrunst: Alter ist nur eine Zahl,! um sich mit dem eigenen Verfall und seiner Vergänglichkeit nicht auseinandersetzen zu müssen. 
 
Das sind nur einige Beispiele für kognitive Dissonanz, die dazu dient uns von der Wahrheit abzulenken und uns besser zu fühlen. Normalerweise ertragen wir kognitive Dissonanz nicht lange. Wir fühlen da stimmt etwas nicht, wir fühlen uns unwohl und suchen nach Möglichkeiten, diesen inneren Widerspruch aufzulösen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir offen und ehrlich zu uns selbst sind und aufhören die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, auch wenn sie uns nicht in den Kram passt.
Schönreden macht es nicht schöner als es ist, es verleugnet die Wahrheit, verschleiert das klare Denken und verzerrt die Realität. Um es mit den Worten von Philip K. Dick zu sagen: "Die Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben."
 
Viele Menschen haben Angst vor der eigenen Wahrheit.
Denn, würden sie sich ihr stellen, müssten sie sich nicht nur schmerzhaften Gefühlen stellen, sondern etwas verändern. Veränderung ist immer mit Unsicherheit und Angst vor dem Unbekannten verbunden und das wollen wir vermeiden. Das Schönreden hingegen ist ein Weg der Selbstverleugnung, um sich emotional in einem unangenehmen Zustand einzurichten, nach dem Motto: Besser das bekannt, vertraute Elend als das den Weg ins Unbekannte riskieren. 
 
Es sich schönreden heißt: Man verdrängt was ist.
Die Verdrängung ist ein weiterer Mechanismus, bei dem unangenehme Gefühle, Gedanken oder Situationen nicht bewusst wahrgenommen und ignoriert werden. Das führt am Ende dazu, dass unangenehme Emotionen abgewehrt, verleugnet, unterdrückt und nicht zugelassen werden. Statt Gefühle anzuerkennen und sie zu verarbeiten, werden sie weggewischt und eben schöngeredet, was langfristig unheilsame Folgen haben kann, weil uns alles Verdrängte irgendwann einholt. Uns die Dinge schön zu reden ist menschlich und es bringt kurzfristig Erleichterung, es kann jedoch langfristig zu massiven Problemen führen, wenn die Realität nicht konfrontiert wird. 
 
„Wir können eine Sache nicht verändern, wenn wir sie nicht akzeptieren“.
C.G. Jung
 
Angelika Wende

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