Donnerstag, 18. September 2025

Aneinandervorbeisein

 


Eine unserer großen Sehnsüchte ist es verstanden zu werden. Wir möchten gesehen, gehört, verstanden und wertgeschätzt werden. Darum erzählen wir anderen von uns. Wenn wir genau darüber nachdenken werden viele von uns feststellen müssen, dass die Kommunikation mit anderen uns dieses Gefühl nur selten gibt. Ich kenne einen Mann, der sehr unter dem Gefühl leidet, dass man ihn nicht versteht. Seine unerfüllte Sehnsucht verstanden zu werden ist so groß, dass er deswegen immer wieder in depressive Episoden fällt.
Es gibt viele Menschen, denen es so geht, die so fühlen und auch ich fühle so. Ich habe das Gefühl, es werden immer mehr.
"Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte. Aber es war noch mehr da, das so groß wurde, dass es alles überwuchs, und das sich nicht wegschieben lassen wollte. Das war, dass er nachts weinen konnte, ohne dass die, die er liebte, ihn hörten. Das war, dass er sah, dass seine Mutter, die er liebte, älter wurde und dass er das sah. Das war, dass er mit den anderen im Zimmer sitzen konnte, mit ihnen lachen konnte und dabei einsamer war als je. Das war, dass die anderen es nicht schießen hörten, wenn er es hörte. Dass sie das nie hören wollten. Das war dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte, was er nicht aushielt", schreibt Wolfgang Borchert in der Kurzgeschichte "Das Holz für Morgen".
„Aneinandervorbeisein“ - ein trauriges Wort. Ein trauriges Gefühl.
 
Das Verstehen ist keine Einbahnstraße. 
Es ist nicht damit getan, dass wir dem Anderen unsere Sicht der Dinge oder unseren Standpunkt vermitteln. Wenn wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind und genau darüber nachdenken, werden viele vermutlich erkennen, dass sie selbst anderen gar nicht zuhören, um sie zu verstehen, sondern schon während das Gegenüber redet, damit beschäftigt sind, was sie sagen wollen. 
 
Die meisten Menschen können nicht zuhören, nicht auf eine achtsame Weise. Auch der Mann, die ich kenne, redet viel von sich, wenn ich ihn treffe, aber zuhören kann er nicht. Die meisten Menschen sind nicht fähig wirklich zuzuhören, noch weniger, sich in die innere Welt des anderen überhaupt hineinzuversetzen und oft sind es genau die, die sich so sehnlich wünschen gehört zu werden.
Seltsam oder?
 
Nein, nicht seltsam. Unsere Kultur, unsere Erziehung lehrt uns, dass wir, wenn wir im Leben etwas erreichen wollen, die Nummer Eins sein müssen, sie lehrt uns, dass wir an unserem Glück und unserem Erfolg schmieden müssen, sie lehrt uns gnadenlose Egoisten zu werden. Denn, wer nicht erfolgreich ist, der ist arm dran und gesellschaftlich nichts wert. Wie wollen wir uns anderen also zuwenden, wenn das, was wir gelernt und verinnerlicht haben, uns dazu gebracht hat immer den Focus auf unser eigenes kleines Ich zu lenken, das AllerIchste als Maß der Dinge.
Wer sich nur auf sich selbst fokussiert nimmt gar nicht wahr, was von anderen auf ihn zukommt, was ihm von anderen gegeben wird. Er fragt sich nicht, mit welcher Haltung kann ich den anderen überhaupt wahrnehmen? Und weil er nicht wahrnimmt kann er nicht empfangen. Und weil er nicht empfangen kann, kann er den anderen nicht wertschätzen und wo Wertschätzung fehlt ist das Leben arm an Werten – Innen wie außen. Es geht um das Gewahrsein einer zuhörenden Haltung, die wertschätzend und einladend ist.
 
Wenn ich verstanden werden will, wenn ich mich nach Wertschätzung sehne, dann muss ich das auch geben können. So einfach ist das und doch für viele so schwer. 
Wie kann ich etwas empfangen wollen, was ich selbst nicht geben kann?
Das funktioniert nicht.
 
Wer sich nur um sich selbst dreht ist im Tiefsten allein. 
Das Geschenk des Verstandenwerdens kommt zu denen, die die Kunst des Du und des Wir beherrschen, zu denen, die über das Eigene hinaus zum anderen hin, hören und fühlen können. Die Sehnsucht nach "verstanden werden" wird von einem gegenseitigen Verstehen gestillt und das setzt voraus, dass wir gewillt sind uns einander wirklich zuzuwenden. Dann blühen wir auf, dann machen wir die erhellende Erfahrung, dass zum Empfangen das Geben gehört. Wenn wir begreifen wie wichtig die Qualität dessen ist, wie wir Menschen einander zuhören, wird die kollektive Vereinzelung aufgebrochen. 
 
Ich weiß, wishfull Thinking.
 
Angelika Wende

1 Kommentar:

  1. Das Verstehen ist keine Einbahnstraße.
    Es ist nicht damit getan, dass wir dem Anderen unsere Sicht der Dinge oder unseren Standpunkt vermitteln. Wenn wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind und genau darüber nachdenken, werden viele vermutlich erkennen, dass sie selbst anderen gar nicht zuhören, um sie zu verstehen, sondern schon während das Gegenüber redet, damit beschäftigt sind, was sie sagen wollen.

    Είναι ακριβώς έτσι. Έχετε την απεριόριστη δυνατότητα της έγκυρης σκέψης.

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