Sonntag, 7. September 2025

Alte Frauen




„Alte Frauen“, heißt das kürzlich erschienene Buch von Verena Lueken. Ich gehe in die Buchhandlung und frage danach. Eine alte Frau will ein Buch über alte Frauen kaufen. Passt, denke ich. Als mir der junge Verkäufer das Buch aus dem Regal holt, spüre ich so ein klitzekleines Fünckchen Schamgefühl aufblitzen. Interessant, denke ich, warum, was geht da in mir vor?
Ist es, weil ich mich oute, als eine von Ihnen, weil ich alt bin, weil Frauen, je älter sie werden, in dieser Gesellschaft keinen gutes Standing haben, weil sie unsichtbar werden, weil alte Frauen niemand interessieren, weil alte Frauen, wie ein befreundeter Fotograf einmal zu mir sagte, nicht nur die Attraktivität sondern die Fuckability verlieren und für die Natur unbrauchbar geworden sind, weil alte Frauen nichts zu sagen haben, weil sie nur noch als Pflegerin des alten Gatten oder als Oma ein Lebensrecht haben, weil alte Frauen niemand gerne anschauen will?
Oder wie Verena Leuken schreibt: „Bei Männern nivelliert die Veränderung der äußeren Erscheinung über die Zeit der öffentlichen Wahrnehmung nicht die Persönlichkeit, den Intellekt, die ihnen entgegengebrachten Gefühle oder ein Begehren. Ihre Meinung ist nicht weniger gefragt, wenn die Haare ausgehen und der Bauch schwillt, im Gegenteil. Bei Frauen wohl. Als verlören sie mit ihrer glatten Haut alles, was sie sind, und dabei bleibt es, auch wenn sie es korrigieren lassen. Sie können auf diesem Feld bisher nur verlieren.
… Rette sich, wer kann."

Wie die Rettung aussehen kann lese ich in Luekens Buch.
Die Autorin hat, wie der Titel vermuten lässt, kein Buch über das weibliche Altern geschrieben, sie hat ein Buch über Frauen geschrieben, die alt sind aber „vor allem etwas anderes“. Die Frauen über die sie schreibt sind Schriftstellerin, Malerin, Filmemacherin, Textilkünstlerin, Tänzerin und Choreografin. Mit diesen Frauen hat sie gesprochen, nicht über das Alter, sondern über das, was sie mit Leidenschaft tun. Zitat: „Der Bezugspunkt ihres Lebens und ihres Denkens ist nicht das Alter“.
Dies ist also kein Buch übers Altern. Oder über „das Alter“. Es ist eine Sammlung von Erzählungen und Berichten aus einer besonderen Perspektive auf das Leben zu einer bestimmten Zeit.“

„Alte Frauen“ ist ein wichtiges Buch, das sich zu lesen lohnt, auch wenn der Titel meiner Meinung nach irreführend ist, es ist ein Buch, das gesellschaftliche Klischees hinterfragt, es ist ein Buch über das vitale Leben und die Kraft der Kreativität, über Möglichkeiten, Sinngestaltung und beindruckende Lebensentwürfe, fernab des Alters und trotz des Alters. Ein wirklich gelungenes, inspirierendes Buch über die Freiheit im Alter und den Mut sie sich zu nehmen und sie zu leben. Viva la Vida!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen