„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten“, ist ein Satz des Psychoanalytikers C.G.Jung. Was er damit meint ist, dass viele Menschen oft zu schnellen Automatismen und Urteilen neigen, weil komplexes Denken nun mal anstrengend ist, Zeit und Energie kostet. Hingegen denken viele Menschen anstatt selbständig zu denken, darüber nach, was andere über sie denken. Bis zu einem gewissen Grad liegt das in unserer Natur, denn wir wollen wertgeschätzt, gesehen, anerkannt, gemocht und geliebt werden. Wir sind soziale Wesen und wollen dazu gehören. Kritisch wird es dann, wenn wir uns, um anderen zu gefallen oder dazugehören wollen, ständig und übermäßig nach anderen richten und unsere eigene Meinung, unsere Gedanken und unsere Handlungen abhängig davon machen, was andere über uns denken könnten.
Das ist nicht nur anstrengend, das erzeugt emotionalen Stress und am Ende wissen wir nicht mehr, was wir selbst wollen oder wer wir eigentlich sind. Wir identifizieren uns mit dem was alle machen und wie man es zu machen hat. Unser eigenes Wesen bleibt uns fremd. Das führt zu Konformismus und Überanpassung an gesellschaftliche Normen und macht es schwer selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Stattdessen wird das Leben danach ausgerichtet, was andere für richtig und angemessen halten, aus Angst vor einer möglichen negativen Bewertung.
Diese Angst ist größer als man meinen könnte. Diese tiefsitzende Angst führt u.a. dazu, dass Massenbewegungen und Massenmanipulation überhaupt stattfinden können.
Am Boden dieser Angst liegt die Angst vor Ausgrenzung, am Boden dieser Angst wiederum liegt die Angst allein und verlassen zu sein. Anstatt zu sagen was sie denken und zu handeln wie sie es für sinnvoll und richtig halten, passen sich viele also an und damit verpassen sie sich selbst.
Sie richten Ihr Verhalten und ihr Leben danach aus, was gesellschaftlich konform und angepasst ist, bis sie nicht mehr wissen, was sie selbst denken und wollen. Die Angst vor möglichen Meinungen und Urteilen erschwert eigene Entscheidungen, vernebelt die persönliche Sicht auf die Dinge, unterdrückt eigene Bedürfnisse und verschluckt eigene Ziele und Wünsche. Anstatt zu sich selbst zu stehen und für das, wofür man steht, einzustehen und im Zweifel aufzustehen, wird die eigene Wahrheit verleugnet, bzw. erst gar nicht gesucht.
Aus einem selbstbestimmten Ich wird ein „man“ - man macht das so.
So kommt es zu dem, was Adorno mit den Worten beschreibt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Zu einem „richtigen Leben“ gehört für mich auch die Freiheit des eigenen Denkens, unabhängig davon, ob es anderen gefällt oder nicht, dazu gehört mein eigenes Leben zu leben und zu gestalten, unabhängig davon, ob es anderen gefällt oder nicht. Zugegeben das kann ziemlich einsam machen, aber der Preis der Anpassung an fremdes Denken oder Verhalten, das nicht meinem Inneren entspricht, ist höher. Für mich zumindest ist das so.
Den meisten von uns wurden schon als Kind beigebracht, wie wir zu sein haben, wie wir uns zu verhalten haben, was wir zu sagen und zu tun haben, damit Mama und Papa uns lieb haben und stolz auf uns sein können. Uns wurde gesagt: Du musst dies, du musst das, du darfst dies nicht und das nicht, und meist auch noch ohne eine Begründung. Waren wir nicht folgsam gab es Sanktionen und Bestrafungen, Zimmerarrest, Prügel und andere zweifelhafte Erziehungsmethoden um uns gefügig zu machen – sprich anzupassen, an das, was andere wollen und erwarten. Im Kindergarten und in der Schule ging es genauso weiter. Bloß nicht auffallen, bloß nicht anders sein, bloß nicht selber denken, was denken dann die anderen?
Wir sind darauf konditioniert uns so zu verhalten wie es sich „gehört“. Wir haben verinnerlicht: Wenn du dich anders verhältst als alle anderen, wirst du Probleme bekommen. Also ist es besser sich zu fügen und sich anzupassen, sonst bist du raus und gehörst nicht dazu. Rebellische Kinder hatten und haben es besonders schwer. Ihr Wille muss gebrochen werden, damit sie funktionieren – im Sinne des Systems. Wir bekommen diesen Druck also schon früh zu spüren und beugen uns. Jedenfalls die meisten von uns. Was will ein Kind auch tun?
Dieser Druck zieht sich dann, schaffen wir es nicht Widerstand zu leisten, durch das ganze Leben.
Aber es ist nie zu spät zum selber denken.
Es ist nie zu spät uns frei zu machen von dem Gedanken, was andere denken könnten. Meist denken sie auch gar nicht, was wir denken, was sie denken könnten. Die meisten sind mit sich selbst beschäftigt und leben in ihrer eigenen Blase.
Wenn wir uns unabhängig von den Meinungen und Bewertungen andere machen wollen, ist es entscheidend aufzuhören zu denken, was andere über uns denken könnten. Wir sind nämlich jetzt erwachsen. Wir sind frei zu denken und zu handeln wie wir es für richtig halten und wie es uns entspricht, solange wir anderen nicht schaden. Selbstbestimmung nennt man das – und dazu gehört auch aufzuhören sich Gedanken über die Meinung anderer zu machen. Dazu gehört unsere Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, unsere Wahrheit und unsere Werte zu leben und nein zu sagen, wenn wir nein meinen.
Dazu gehört unseren eigenen Verstand als maßgebliche Instanz für die Wahrheit zu nutzen und uns von äußeren Einflüssen und Meinungen unabhängig zu machen
Dazu gehört Grenzen zu setzen, für uns einzustehen und die Konsequenzen zu tragen.
Und genau da wird es dann wieder schwierig, denn wir wollen doch dazugehören. Es erfordert Mut, Selbstbewusstsein und Selbstfreundschaft den Weg aus einem falschen Leben ins richtige Leben zu wagen – und was ein richtiges Leben für uns ist, das entscheiden wir selbst und nicht andere.
„Die Maxime jederzeit selbst zu denken ist die Aufklärung.“
Immanuel Kant
Sapere aude! (Wage es, weise zu sein!)

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen