Freitag, 5. September 2025

Vom Gebraucht-Sein zum Du-selbst-Sein

 


 

Dreiviertel deiner Lebenszeit warst du für andere da.

Die Kinder sind aus dem Haus, die Beziehung ist zu Ende, du bist vielleicht im Ruhestand. Und plötzlich sitzt du jeden Morgen mit deiner Tasse Kaffee allein in der Küche und fragst dich: Was soll ich jetzt tun?

Die Wohnung ist leer.

Du hast kein Ziel.

Du, die alle immer bemuttert hat, fühlst dich mutterseelenallein, verloren und die Einsamkeit kriecht die Wände hoch.

Die Stille im Raum ist bedrohlich.

Jahrelang drehte sich dein Leben darum, gebraucht zu werden. Gebraucht werden war deine Identität. Du hast keine Ahnung, was du mit deiner Zeit und mit dir selbst anfangen sollst. Diese neue Version von dir selbst ist dir völlig fremd.

Wer bin ich jetzt noch?

Wer bin ich überhaupt?, fragst du dich.

 

Die Stille macht dir Angst.

Du trinkst deinen Kaffee und beginnst im Netz herumzuscrollen um die Leere zu füllen.

Du räumst auf, du putzt die Wohnung, machst Besorgungen, streifst durch die Stadt und kaufst sinnlose, unnötige Dinge, nur um irgendwie beschäftigt zu sein, nur um nicht alleine mit deiner Angst dazusitzen. Du lenkst dich ab, um vor deinen Gedanken und deinen Gefühlen davonzulaufen. Du denkst immerzu beschäftigt zu sein, ist die Lösung. Du kennst das ja nicht, du warst noch nie allein. Immer wurdest du gebraucht, immer hast du für die anderen mitgedacht, dich um die anderen gekümmert. Du hattest eine Aufgabe und einen Sinn. Dein Wohlbefinden hing von den anderen ab.

 

Die Einsamkeit fühlt sich erdrückend an. Die Einsamkeit der Abwesenheit deiner alten Identität. Die Einsamkeit liegt nicht daran, dass du alleine bist. Sie liegt daran, dass du nicht weißt, wer du bist, wenn dich keiner braucht. Sie liegt daran, dass du gelernt hast: du bist nur wertvoll, wenn man dich braucht. Ohne gebraucht zu werden bist du nichts. Du weißt nicht mal wer oder was du bist.

Die Einsamkeit liegt daran, dass du dich mit dir selbst nicht wohl fühlst.  

Sie liegt daran, dass du vergessen hast, dass du dein eigener Mensch bist, auch ohne gebraucht zu werden.

Diese einsamen Morgen beginnen nach und nach deinen ganzen Tag zu beeinflussen.

Du fühlst dich gelähmt. Du musst dich aufraffen um dich zu irgendetwas zu motivieren.

Du fühlst dich verloren, orientierungslos, ratlos und du hast Angst nie herauszufinden, was du jetzt tun sollst. Du denkst, das war es jetzt und – es kann doch nicht sein, dass es das jetzt war.

Du fühlst dich unsichtbar, egal ob du drinnen oder draußen bist. Du glaubst, du bist für niemanden mehr wichtig, schon gar nicht liebenswert. Du suchst verzweifelt nach einer Lösung und findest sie nicht und das macht dir noch mehr Angst. Du siehst der Zeit bei Vergehen zu und schämst dich, weil du den letzten Rest Zeit, der dir noch bleibt, sinnlos verschwendest. Du hast Schuldgefühle, weil du diesen Zustand nicht ändern kannst und es geht dir noch mieser.

 

Und was, wenn deine verzweifelte Suche der Beginn deiner Neugier wäre?

Wenn die Stille nicht Leere ist und Leere nichts, was du krampfhaft füllen musst?

Wenn dieser leere Raum, der Raum ist in dem du dich neu erfinden kannst?

Was, wenn die Einsamkeit Freiheit wäre?

Was, wenn du aufhörst dich zu fragen: „Was ist los mit mir?“, sondern dir klar wird, dass dich all die Zeit niemand gefragt hat, was du willst und was du brauchst.

Was, wenn du all das nur verlernt hast oder nie gelernt hast?

 

Du hast so lange dafür gelebt was alle anderen brauchen, dass du vergessen hast was du brauchst. 

Was das Beste ist, was du für dich selbst tun kannst. Was du überhaupt tun willst.

Alles wurde von der Frage: Was ist das Beste für die anderen beherrscht.

Und jetzt wo sie fort sind, hast du nicht nur deinen Sinn, sondern die Struktur deines Alltags verloren. Du erkennst: Du hast viel mehr verloren – du hast dich selbst verloren.

Aber dieser Verlust muss nicht von Dauer sein.  

Du befindest dich nur im Niemandsland zwischen der, die du warst und der, die du wirst.

 

Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten: Du kannst in Selbstmitleid und Depressionen versinken oder du kannst dich zusammenreißen und herausfinden, wer du bist und wer du sein willst.

Anstatt vor der Stille davonzulaufen, kannst du versuchen sie zu akzeptieren.

Du kannst deine Angst in Neugier verwandeln.

 

Fang klein an.

Frag nicht jeden Morgen: Was jetzt und was mache ich heute?, sondern werde neugierig auf kleine Dinge.

Frag dich, was mag ich eigentlich gern?

Was mache ich gern?

Was tut mir gut?

Was ist jetzt das Beste, was ich heute für mich tun kann?

Was macht mir wirklich Freude?

Was gibt mir das Gefühl lebendig zu sein?

Und die tiefere Frage: Wer bin ich, wenn ich nicht für andere da bin?

Was macht mich aus?

Was kann ich gut?

Was will ich jetzt lernen?

 

Entdecke deine Neugier, deinen Mut und steh für dich selbst auf. Jeden Morgen.

Steh für deine Entscheidungen, deine Wünsche, deine Bedürfnisse, deine Potenziale, deine Fähigkeiten, deine Freude und deine Sehnsucht auf.

 

Die Leere gehört dir. Du allein kannst sie füllen.

Die Stille ist nicht einsam, sie ist friedlich, wenn du friedlich in dir bist.

 

Und langsam, ganz langsam, wird sich etwas ändern.

Du kommst vom Dich-selbst-Vermeiden zum Dich-selbst-Annehmen.

Du kommst vom Gebraucht-Sein zum Du-selbst-Sein.

Jetzt bist endlich du an der Reihe zu wachsen.

Was du für das Ende hälst, kann dein Anfang sein.

 

Bei diesem Anfang begleite ich Dich gern. 

 

"It is a hard thing to leave any deeply routined life, even if you hate it."

John Steinbeck  

 

Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

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