Samstag, 28. Juni 2025

Die eigene Grenze

 



Vielen von uns fällt es schwer, sich abzugrenzen. Dabei ist es für unsere psychische Gesundheit essenziell, durch das Setzen klarer Grenzen für unsere Werte und für unsere Bedürfnisse einzustehen.
Aber wie es ist mit den eigenen Grenzen? Wo komme ich selbst an eine Grenze, habe ich mich gefragt? Und ist es sinnvoll sie zu akzeptieren, die Erkenntnis – das kann ich nicht, das geht über das Erträgliche und Machbare hinaus.
Es ist sinnvoll und es ist sogar heilsam.
 
Für mich ist die Akzeptanz meiner eigenen Grenzen ein wesentlicher Bestandteil eines gesunden Lebens. In einer Welt, die von Leistungsdruck und hohen Erwartungen geprägt ist, habe ich gelernt, dass das Erkennen und Akzeptieren meiner persönlichen Grenzen eine befreiende und stärkende Erfahrung ist. Ich muss niemanden etwas beweisen, auch mir selbst nicht. Ich darf innerlich Stopp sagen, wenn ich spüre, hier ist meine Grenze. Ich muss nicht müssen, weil ich mir sage – du musst, auch dann nicht, wenn ich es vielleicht noch könnte.
Wenn ich meine Fähigkeiten und Grenzen realistisch einschätze, nehme ich wahr was geht und was nicht geht, was für mich möglich ist und was nicht. Diese Klarheit ermöglicht es mir, mich auf jene Aspekte meines Lebens zu konzentrieren, die mir wirklich wichtig sind. Sie hilft mir mich von überflüssigem Druck und äußeren Erwartungen zu befreien, besonders aber von den Erwartungen, die ich an mich selbst stelle. Die Akzeptanz meiner Grenzen schützt mich vor mentalem, emotionalem und physischem Stress. Wenn ich ständig versuche, mehr zu leisten, als ich tatsächlich kann, bin ich irgendwann ausgelaugt und am Ende ausgebrannt. Nichts geht mehr.
Indem ich aber meine Grenzen anerkenne, nehme ich mich selbst wahr. Ich schaffe ich Raum für Selbstfürsorge, Raum für das, was mir gut tut. Ich praktiziere Selbstmitgefühl. 
 
Die Akzeptanz unserer eigenen Grenzen ist für mich ein Zeichen von Reife und emotionaler Intelligenz. Unsere eigene Grenze zu achten ist ein Zeichen dafür, dass wir uns selbst und unsere Bedürfnisse ernst nehmen. Wir sorgen gut für uns selbst. 
 
Nur wenn wir fähig sind unsere eigenen Grenzen zu respektieren, können wir auch die Grenzen anderer respektieren. Wenn wir unsere eigenen Grenzen kennen und anerkennen, sind wir in der Lage, klar zu kommunizieren, was wir können, was wir brauchen, was wir nicht können und was wir nicht brauchen oder was uns nicht gut tut und was wir nicht länger mitzumachen bereit sind. Wir stehen für bestimmte Dinge nicht mehr zur Verfügung. Wir überfordern uns nicht mehr. Die Akzeptanz unserer Grenzen hilft uns ein authentisches Leben zu führen. Wie werden milder und sanfter im Umgang mit uns selbst.
Früher war ich eine sogenannte Leistungstochter. Heute muss mich nicht mehr mit anderen vergleichen oder versuchen, deren Erwartungen zu erfüllen. Ich muss mich auch nicht mehr mit der Frau vergleichen, die ich einst war als ich das Überschreiten meiner eigenen Grenzen noch als heldenhafte Herausforderung empfand. Stattdessen gehe ich meinen eigenen Weg und wenn eine Grenze auftaucht, kämpfe ich nicht mehr mit Macht dagegen an – ich achte sie und nehme an, was ist. Ich muss auch nicht mehr alles lösen. Ich weiß, dass ich das nicht kann. Für mich ist die Akzeptanz meiner eigenen Grenzen ein Akt des Selbstrespekts und der Selbstliebe. Indem ich meine Grenzen anerkenne, erkenne ich mich selbst (an). 
 
Angelika Wende

Donnerstag, 26. Juni 2025

Fight for that little Person in You

 


 
Jeden Tag in der Praxis begegnet es mir: Das Innere Kind.
Es begegnet mir in den Erwachsenen, die ich begleiten darf.
Es begegnet mir hinter den Worten und Gesten dieser Menschen. Ich fühle seine Trauer und seinen Schmerz, seine Angst und seine Wut, seine Ohnmacht und seine Verzweiflung, seine Unschuld und seine Träume. 
 
Viele Menschen spüren die leise Stimme ihres Inneren Kindes, die in den stillen Momenten nach Fürsorge ruft. Sie spüren sie und überhören sie. Sie blenden sie aus und machen weiter in ihrem Erwachsenleben, als gäbe es diese kleine Person in ihrem Inneren nicht.
Traumatische Erfahrungen, der innere Kritiker, Introjekte wie die Inneren Eltern, die Herausforderungen des Lebens, Glaubenssätze, die Erwartungen anderer und die Erwartungen, die wir an uns selbst stellen, die Angst vor Verletzlichkeit und der Druck, sich den Normen der Gesellschaft anzupassen, führen dazu, dass die Mehrzahl der Menschen ihr Inneres Kind überhören, übersehen, vernachlässigen, schlecht behandeln oder sogar ablehnen.
Es wird zum Schweigen gebracht. Und da sitzt es, in der Tiefe der Seele – einsam und verlassen.
Diesem Kind fehlt viel, ihm fehlt die nötige emotionale Unterstützung, die es braucht, um sich sicher und geliebt zu fühlen. Ihm fehlen Fürsorge, Geborgenheit, Halt und Liebe, die es nicht bekommen hat und die es bis heute nicht bekommt. Und dann wundern wir Erwachsene uns, dass wir kein tieferes Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche haben, dass wir uns allein, einsam und hoffnungslos ungeliebt fühlen. Kein Wunder, denn viele von uns sind nicht einmal fähig sich selbst Liebe zu geben. Diesem verletzten Teil in sich Gehör, Zuwendung und Liebe zu geben scheint unmöglich. Manche Menschen sind nicht einmal in der Lage sich das kleine schutzlose Wesen, das sie einmal waren, vorzustellen, geschweige denn, sich in es hineinzuversetzen. Sie haben es abgespalten, weil sein Kindsein unerträglich war. 
 
Wir traurig muss dieses Kind sein.
Wie verzweifelt und ohne Hoffnung, es könnte jemals anders für es werden. Es sitzt da, endlose Jahre, in den Trümmern seiner vergifteten Kindheit und niemand, der ihm hilft zu genesen.
Ja, es ist nicht leicht Zugang zu diesem verletzten Wesen zu finden. Es wirklich zu fühlen, dass diese Kind da ist, in uns selbst. Es macht ja auch so viel Ärger und Probleme. Wer will so was schon? Klar macht es das, weil es verzweifelt nach Aufmerksamkeit schreit. Egal welche Form von Aufmerksamkeit. Was soll es denn machen um endlich gesehen und gehört werden?
Es will endlich fühlen, dass es gut genug ist, wertvoll ist, liebenswert, schön und wunderbar. Es will endlich die Freiheit finden, zu lachen, zu weinen und zu fühlen, ohne Angst vor Ablehnung oder Verlust.
 
Ja, es braucht Mut, sich mit diesem Teil von uns selbst auseinanderzusetzen. Das Innere Kind braucht unser Mitgefühl und unsere Anerkennung. Unsere!, nicht die von irgendjemanden, weil wir es nicht schaffen ihm all das zu geben.
Ja, es ist ein langer Prozess, ihm die Aufmerksamkeit, das Verstehen und die Liebe zu schenken, die es braucht um seine Wunden zu verbinden, es zu trösten, es zu verstehen und es anzunehmen - bedingungslos und mit Respekt für die Kraft und Stärke, die es besitzt, denn es hat überlebt bis heute - trotzdem.
Es ist Weisheit ihm all das zu geben.
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Dienstag, 24. Juni 2025

Denkfaulheit

 

                                                                    Art: A.Wende


 

 „Der Unterschied zwischen einem klugen und einem dummen Menschen ist, dass der kluge Mensch Fragen stellt und der dumme Mensch antwortet“, schrieb einst Albert Einstein.

 

Um Fragen zu stellen muss man allerdings nachdenken und das ist nicht jedermanns Sache. Die Masse ist denkfaul und konsumiert, ohne zu reflektieren was sie da alles konsumiert, ohne nachzudenken, geschweige denn nachzufragen, ob das alles so stimmt, was man ihr Tag für Tag an Informationen serviert. 

 

Denkfaulheit ist ein Phänomen, das in unserer schnelllebigen und stark mediatisierten Welt immer häufiger zu beobachten ist. Wer zu faul zum Denken ist hat die Tendenz, sich mit Gedanken und Problemlösungen nicht eingehend auseinanderzusetzen. Stattdessen neigt er  dazu, vorgefertigte Meinungen und Informationen einfach zu übernehmen, ohne sie kritisch zu hinterfragen, ohne Quellen sorgfältig zu prüfen, ohne verschiedene Perspektiven in Betracht zu ziehen und ohne sich Zeit für Reflexion zu nehmen.  

 

Diese Form des Denkens kann in vielen Bereichen unseres Lebens beobachtet werden – sei es bei politischen Diskussionen, beim Konsum von Nachrichten und in den sozialen Medien, wo Emotionen oft über rationalen Argumenten stehen. Es wird drauf los getextet, ohne den Denkapparat einzuschalten. Es wird nicht reflektiert, es wird reagiert, meist emotional aus dem Bauch heraus. Hauptsache man hat seinen Senf dazu gegeben, ob der Sinn macht oder nicht. Denken macht halt Mühe und kann anstrengend sein.

 

Gründe für die Denkfaulheit sind u.a. der immense Zeitdruck, die Reizüberflutung, der emotionale Stress unter dem viele Menschen stehen und eine schleichende affektive Abstumpfung aufgrund der Überforderung.

Ständig sind wir einem Überfluss an Informationen ausgesetzt, was dazu führt, dass Viele es bereits als anstrengend empfinden, sich mit komplexen Themen intensiv zu beschäftigen. Hinzu kommt, dass viele Inhalte in sozialen Medien so aufbereitet sind, dass sie sofortige Zustimmung oder Ablehnung hervorrufen. So bleibt kaum Raum für tiefere Überlegungen.

 

Denkfaulheit hat Folgen. 

 

Sie fördert nicht nur oberflächliches Wissen und allgemeine Verblödung, sondern führt auch zu einer Polarisierung in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen bewegen sich in Echokammern, in denen Meinungen nicht hinterfragt, sondern immer wieder gegenseitig bestätigt werden. In einem solchen Umfeld wird der Diskurs immer schwieriger, das Verständnis für einander und der gegenseitige Respekt leiden erheblich.

 

Kritisches Denken und die Fähigkeit, Informationen zu analysieren und zu bewerten, sind selten, dafür gibt es jede Menge an Halbwissen. Halbwissen heißt, dass man grundlegende Informationen oder Konzepte kennt, jedoch nicht über das nötige tiefere Verständnis und schon gar nicht über eine Expertise verfügt. Ebenso wie die Dankfaulheit ist auch dieses Phänomen in unserer schnelllebigen Informationsgesellschaft weit verbreitet.  Kritiklos werden flüchtige Informationen aus den Medien ohne eingehende Auseinandersetzung übernommen. Die Folge: Oberflächliches Verständnis, kein Bewusstsein über die Komplexität der Dinge, jede Menge Menschen mit Halbwissen, die sich für Experten halten und ihre Meinungen mit großer Überzeugung äußern, obwohl sie möglicherweise falsche oder vereinfachte Informationen verkünden. Informationen werden nicht analysiert, nicht hinterfragt, verschiedene Perspektiven werden nicht berücksichtigt, es wird polarisiert.

Halbwissen zeichnet sich wie die Denkfaulheit durch fehlende Tiefe aus. 

Es mangelt an den notwendigen Zusammenhängen und dem Detailwissen, um fundierte Urteile treffen zu können. Problematisch, insbesondere in politischen, wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Diskussionen, wo präzise Informationen und gut begründete Argumente eigentlich normal sein sollten. Ebenso wie es normal sein sollte, die Dinge skeptisch zu hinterfragen und bereit zu sein, das eigene Wissen kontinuierlich zu erweitern um das eigene kritische Denken zu schärfen und so die Gemeinschaft zu stärken. Das wäre doch eine Chance zur persönlichen und kollektiven Weiterentwicklung. Dazu müsste die Denkfaulheit allerdings überwunden werden.

Doubtful but not hopeless.

 

 

Montag, 23. Juni 2025

Vom Umgang mit der Ohnmacht

                                                                Foto: pixybay


Wie lange ist ein Leben im Katastrophenzustand aushaltbar, ohne an die Substanz zu gehen? Diese Frage stellen sich viele Menschen. Viele von uns sind müde. Müde von den täglichen Katastrophennachrichten, müde von den Kriegen, die mehr und mehr eskalieren und den Weltfrieden bedrohen. Müde vom Hoffen, müde vom Durchhalten, müde von der Sehnsucht nach Besserung der Lage, müde von der Angst und müde von der Ungewissheit. Wir fühlen uns ausgeliefert und schwach, als Spielball der Ereignisse. Wir trauern um den Verlust unserer alten Welt und fürchten uns vor dem, was noch kommt. Mit Recht, es sind gefährliche Zeiten. Mit all diesen Gefühlen verwoben ist bei den einen dumpfe Gleichgültigkeit, bei anderen Wut, die am liebsten herausschreien würde: Es reicht jetzt!
Wenn sich Erschöpfung, Empörung, Trauer, Angst, Frust und Wut mischen, entsteht ein ungesunde Melange in der Psyche, die auf Dauer zermürbt. Es kommt zu einem tiefen Gefühl von Ohnmacht. In der Ohnmacht fühlen wir uns ausgeliefert, macht- und hilflos. Ohnmacht ist das Gefühl das eigene Leben nicht mehr beeinflussen zu können. Dem Erleben von Selbstbestimmung und Ich-Orientierung steht auf der unbewussten Seite das verdrängte Erleben von Hilflosigkeit gegenüber. Ohnmacht bedeutet: Kontrollverlust. 
 
Wie fühlt sich diese psychologische Ohnmacht an?
Die Unfähigkeit, aus einer Situation zu entkommen, erzeugt ein Gefühl der Bedrohung. Dazu kommt die Ausweglosigkeit, das nicht wissen wie ändern, was dem Geschehen seine unheilvolle Dimension verleiht - das ist Ohnmacht. Ohnmacht und Machtlosigkeit kann bei jedem, je nach psychischer Struktur und Charakter, andere Gefühle auslösen. Beim einen sind es Trauer, Teilnahmslosigkeit, Verzweiflung, Resignation und Depressivität, beim anderen sind es Angst, Aggression und Wut.
Ohnmacht ist das am meisten abgewehrte und verdrängte Gefühl. Es ist so unangenehm und fühlt sich so existentiell bedrohlich an, dass Menschen alles Mögliche zu glauben und zu tun bereit sind, um das Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen, mittels der unterschiedlichsten Bewältigungsmechanismen.
Für manche erhöht sich das Gefühl von Kontrolle bzw. der eigenen Wirksamkeit, indem sie ihre wütende Ohnmacht in Macht umwandeln. Das kann soweit gehen, die Macht über andere erlangen zu wollen, was sich bis zur Gewaltausübung steigern kann. Ohnmächtige Wut hat ihr Ziel nicht in der zielgerichteten Vernichtung eines konkreten Feindes, sie ist viel vager, aber auch viel destruktiver gegen die Außenwelt gerichtet. Sie entlädt sich unkontrolliert an den verschiedensten Stellen, was man am steigenden Aggressionspotenzial im Netz und angesichts des immer respektloseren und feindlicheren Miteinanders der Menschen beobachten kann.
Andere wiederum fallen in depressive Passivität.
Sie versinken sie in eine träge Lähmung und verlieren jegliche Motivation und Antrieb. Wiederum andere verfallen in erhöhte Geschäftigkeit. Hier wird das Gefühl der Ohnmacht abgewehrt und unterdrückt, indem man besonders aktiv ist, um vor sich selbst und anderen als das Gegenteil eines ohnmächtigen Menschen zu erscheinen. Auch der Glaube an den Faktor Zeit ist eine Form der tröstenden Rationalisierung angesichts der Erfahrung von Ohnmacht. Beim Glauben an die Zeit besteht die Erwartung, dass sich mit der Zeit schon alles regeln wird, dass Dinge, zu deren Lösung man selbst nicht fähig ist, vom Vergehen der Zeit gelöst werden. Weitere tröstende Rationalisierungen sind der Glaube an eine Obrigkeit, die die Dinge schon regeln wird oder der religiös spirituelle Glaube an ein Wunder, das die Erlösung bringt. 
 
Die Ursache all dieser Bewältigungsmechanismen ist jedoch die gleiche: Kontrollverlust.
Halten Ohnmachtsgefühle zu lange an kommt es zum Phänomen der erlernten Hilflosigkeit. Der Mensch zweifelt an der Wirksamkeit seiner Handlungen und stellt das Handeln ein. Erlernte Hilflosigkeit führt dann dazu, dass Menschen passiv bleiben, auch wenn sie wieder handeln könnten. Das Resultat ist ein Selbstgefühl absoluter Wertlosigkeit, begleitet von tiefer Angst, Leere und Sinnlosigkeit. Erlernte Hilflosigkeit ist ein Teufelskreis, an dessen Ende das Gefühl steht, sich durch eigenes Handeln nicht aus einer Situation befreien zu können. Der Glaube Herausforderungen aus eigener Kraft meistern zu können ist verloren. Das anhaltende Gefühl von Ohnmacht ist der Anfang einer destruktiven Abwärtsspirale – sei es die der Gewalt, der Angst, des Ausbrennens oder der Depression. 
 
Wie gelingt ein produktiver Umgang mit der Ohnmacht?
Sie gelingt dann, wenn eine radikale Anerkennung der Wirklichkeit stattfindet. Die äußere Wirklichkeit muss anerkannt und akzeptiert werden, ebenso wie die Grenzen des menschlich beeinfluss- und machbaren. Die Ambivalenzen, die Unwägbarkeiten und die Polaritäten des Lebens müssen akzeptiert werden. Eigene Kompensationsmechanismen und Bewältigungsstrategien dürfen hinterfragt werden. Erst wenn diese als das, was sie sind – nämlich untaugliche Versuche um die Kontrolle über das Unkontrollierbare wiederzuerlangen – bewusst geworden sind, kommt es zur inneren Bereitschaft die eigene Ohnmacht anzuerkennen und sie zu akzeptieren. Dies führt dazu, dass die Erschöpfung, die sich im Widerstand gegen das, was ist, verstärkt, auflösen darf. Erst wenn wir etwas akzeptieren können wir überhaupt nach Lösungen suchen – für uns selbst, für unseren Umgang mit der Ohnmacht. Der beste Weg um mit der Ohnmacht umzugehen, ist - uns auf das zu konzentrieren, was wir kontrollieren können und worauf wir Einfluss haben. 
 
Ja, wir sind erschöpft, ja wir sind ohnmächtig gegenüber dem Wahnsinn der Welt und den Wahnsinnigen, die ihn weiter vorantreiben. Und ja, es ist ok, denn das, was wir gerade erleben, ist ein kollektiv bedrohliches Szenario, auf das wir keinen Einfluss haben. Worauf wir Einfluss haben, ist unsere Haltung zu dem, was ist.
Und - wir dürfen uns erlauben, was wir fühlen, zu fühlen und uns mitzuteilen – einander, einer dem anderen. Teilen wir uns wahrhaftig mit, sind wir nicht nur authentisch und menschlich, wir schaffen Verbundenheit. Und das ist das, was wir jetzt dringend brauchen. 
 
"Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther gesagt haben. 
 
Möge der Frieden siegen.

Sonntag, 22. Juni 2025

Das Ende des Friedens

 

                                                                          Banksy


Lange schon erleben wir eine schleichende Veränderung in der Welt, ein schmelzendes Fundament, auf dem der Frieden verloren ging. Er begann leise zu bröckeln, unbemerkt von den meisten, die Warnzeichen übersehen, überhört, ignoriert. Nun ist es unübersehbar – das Ende des Friedens.
Die Konflikte, einst weit entfernt, rücken immer näher.
Wo früher Diplomatie und Dialog die Hauptakteure waren, regieren jetzt Misstrauen und Kriegslust. Worte, die einst Brücken bauten, mutieren zu Waffen, die Gräben vertiefen sich. Es eskaliert überall in der Welt.
 
Verlust von Grundrechten und ein Aufstieg von Extremismen.
Angst und Unsicherheit. Menschen ziehen sich ins Eigene zurück, wenden den Blick auf den Nächsten ab. Die Gesellschaften fragmentieren, Verständnis und Mitgefühl zerbröselt, die Polarisation ist Zeitgeist.
Wo der Frieden endet, bleiben nur Trümmer, Tote, Verletzte und Traumatisierte zurück. Es sind die Schwächsten, die leiden, während die Mächtigen in ihren sicheren Räumen sitzen.
 
Die Welt steht an einem Scheideweg.
Das Ende des Friedens ist eingeläutet.
Jetzt geht es nicht mehr darum den Weg des Friedens zu wählen oder ihn weiterhin zu ignorieren – jetzt geht es darum ihn wieder herzustellen.
Doubtful but not hopeless. 
 „Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“
Wie Recht er hatte, Mahatma Gandhi.
 
 
Wo bist du hingeflohn, geliebter Friede?
Gen Himmel, in dein mütterliches Land?
Hast du dich, ihrer Ungerechtigkeiten müde,
Ganz von der Erde weggewandt?
 
Karl Wilhelm Ramler
 

Samstag, 21. Juni 2025

Narzisstische Krise


                                                                               Malerei: A.Wende

 

Aus dem Lebemann ist ein lebender Toter geworden.
Aus dem Verführer ein Verderbter.
Aus dem Zerbrecher ein Zerbrochener.
Aus dem Müßiggänger ein verzweifelter Mensch.

Freitag, 20. Juni 2025

Es muss nicht permanent alles in Ordnung sein

 



Es gibt keine Sicherheit, es gibt keine Kontrollierbarkeit, keine dauerhafte Stabiltität, keine festgefügte Identität. Es gibt das Dasein, das alles umfasst, vor allem den Wandel und die Vergänglichkeit. Alles ändert sich, alles geht vorüber, alles vergeht, am Ende auch wir selbst.
Besser wir akzeptieren das.
Tun wir es nicht, werden wir dauerhaft leiden. 
 
Wir werden weiter der Illusion hinterherlaufen, alles muss doch irgendwann gut sein und unser Leben glücklich. Wir werden weiter auf einen Retter hoffen, der uns die Hand reicht, wenn wir am Abgrund stehen. Wir werden weiter der Illusion der bedingungslosen Liebe hinterherrennen, die es schon in der Kindheit nicht für uns gab, weiter hoffen, dass ein anderer uns von unserer Angst, unserer inneren Leere und unserer Einsamkeit befreit, weiter der Illusion nachhängen, dass es, wenn wir nur gut sind, auch gut für uns wird, weiter glauben, dass, wenn wir alles perfekt machen, alles perfekt wird. Wir werden weiter mit dem Schicksal hadern und es für unser Leid verantwortlich machen, wir werden weiter andere für unser Unbehagen verantwortlich machen. Wir werden weiter vor uns selbst und unseren Schatten weglaufen.
 
Wir werden mit all dem weiter auf dem Holzweg sein.
Und was ist die Lösung?
Ich könnte es nicht besser formulieren als die buddhistische Nonne Pema Chödrön in ihrem Buch „Die drei Versprechen“: „Vielleicht ist es unser Widerstand gegen die grundlegende Unsicherheit unserer Situation. Das Unbehagen resultiert aus all unseren Bemühungen, Boden unter die Füße zu kriegen und unseren Traum zu verwirklichen, dass permament alles in Ordnung sein müsste.“

Mittwoch, 18. Juni 2025

Der Mensch leidet an sich selbst, weil er mit sich selbst am Schlechtesten umgeht.

 



 
Ich habe mich oft geirrt und oft die gleichen Fehler gemacht. Ich habe sie gemacht, weil ich es nicht besser wusste und nicht besser konnte. Den größten Fehler, den ich gemacht habe, habe ich immer weiter gemacht, ich habe mich selbst nicht gut behandelt. Heute weiß ich, dieser Fehler zieht viele andere nach sich. Ich weiß aber, indem man sich den wesentlichen Fehler anschaut, das, was man wieder immer tut und was einem nicht gut tut, begreift man mit der Zeit, dass alle Wiederholungen von Erfahrungen die uns in immer neuer Gestalt begegnen, Zeichen sind, die uns auf den wesentlichen Fehler aufmerksam machen wollen. Es ist ein langer Prozess, bis man wird sich bewusst wird, wo der Urgrund der Dinge liegt, der wie eine Quelle all das sprudeln lässt, was zu dem, was wir erfahren haben geführt hat und immer wieder hin führt zu dem, was wir erfahren.
Die Quelle unseres größten Fehlers ist, dass wir Menschen uns selbst nicht genug zu lieben, nicht genug wertschätzen. Weil uns das nicht gelingt, behandeln wir uns nicht gut. Ich kenne Menschen, die sogar in Momenten des größten Glücks und der intensivsten Freude diesen destruktiven Teil in sich hören, der ihnen zuflüstert: „Das hast du nicht verdient!“
Das Glück und die Freude verwandelten sich so in Angst das Schöne und Gute wieder zu verlieren. Ich habe mit dieser Überzeugung über mich selbst im Leben viel verloren. Es wurde mir nicht genommen, ich habe es mir selbst genommen. Ich habe Dinge und Umstände gestaltet, ich habe mir Ziele gesetzt und sie sogar verfolgt, und als ich sie vor Augen hatte, sie ganz nah an der Erfüllung waren, habe ich sie nicht wahrgenommen, unbewusst aus der Überzeugung heraus: „Das hast du nicht verdient!“ Er hat gesiegt, der Teil in mir, der es mir nicht erlaubt hat, der mich den Fehler machen ließ das Gute nicht anzunehmen, weil ich es ja nicht verdient habe. 
Der Mensch leidet an sich selbst, weil er mit sich selbst am Schlechtesten umgeht. 
 
Menschen bauen auf und zerstören. Es ist ein Trieb, so sind wir angelegt. Aber manchmal zerstören wir aufgrund unbewusster Überzeugungen das Gute. Aber wir sind auch so angelegt, dass wir uns das Unbewusste bis zu einem gewissen Grad bewusst machen können. Wir haben einen Verstand und wir besitzen die Fähigkeit zu entscheiden. Das bedeutet wir haben die Wahl. Unabhängig vom großen Plan, haben wir die Möglichkeit zu wählen, auch wenn sich am Plan vielleicht dadurch nichts ändert. Das Entscheidende ist die Bereitschaft sich nicht wehrlos einem Schicksal unterzuordnen, von dem wir glauben, so ist es für uns bestimmt, weil wir es nicht besser verdient haben.
Vielleicht ist es ja gerade der Plan, dass wir lernen aus all den vermeintlichen schicksalhaften Geschehnissen, dass wir gerade durch sie aufgefordert sind unser Schicksal zu wandeln. Ein Mensch bei dem alles glatt läuft, dessen Leben kaum Höhen und Tiefen hat, wird sein Schicksal nicht wandeln wollen. Er lebt, wahrscheinlich ohne viel darüber nachzudenken, im Einverständnis mit dem Plan. Jeder aber, dem das Leben Schweres auferlegt, hat vielleicht genau die Bestimmung das Schwere zu wandeln. Wenn er es nicht tut, verliert die Weltenseele möglicherweise das Interesse.

Montag, 16. Juni 2025

Die Lösung ist Selbsterforschung

 


Wenn wir an unseren Gedanken festkleben sind wir gefangen. Sie beherrschen uns und unsere Gefühle und wir fühlen uns machtlos.
Sie werden zu Gewohnheiten und wir stecken ewig fest.
Jede Gewohnheit wird zur Gewohnheit durch Wiederholung.
Was ist die Lösung?
Die Lösung ist: Selbsterforschung.
Und wenn wir uns selbsterforscht haben wenden wir Mittel an um unsere Gewohnheiten zu ändern.
Wir verpflichten uns, uns selbst gegenüber, unseren Geist von all dem Müll zu reinigen, der uns nur geschadet hat.
Wir unterlassen, was uns schadet.
Klingt einfach.
Ist es nicht.
 
Alles was uns schadet, tun wir, weil wir damit etwas für uns erreichen wollen.
Wir wollen uns entlasten, wir wollen uns betäuben, wir wollen uns besser fühlen, wir wollen fliehen, uns verstecken, nicht fühlen, was wir fühlen könnten, wenn wir all das weglassen, was uns daran hindert zu fühlen, was wirklich ist.
Wir wollen zum Beispiel die Wut nicht fühlen, die seit ewigen Zeiten in uns brodelt und kippen sie anderen über, wir wollen andere wütend machen, um mit unserer Wut nicht allein zu sein, anstatt die Wut in uns selbst zu fühlen und zu entdecken, dass Schmerz dahinter liegt und Ohnmacht und Trauer.
Wie schwach würden wir uns fühlen ohne den Schutzpanzer der Wut. Wie klein und ohnmächtig kämen wir uns vor, ohne die Wuternergie, die sich aufbläst im Inneren um den Kern der Wut zu ersticken. Wie viel Schmerz und Trauer wären da plötzlich.
Und wie damit umgehen?
 
Und so machen wir weiter, gefangenen im Käfig eines unklaren Geistes, der zu einem unklaren Dasein führt, einem Dasein ohne Mitgefühl für uns selbst und ohne Mitgefühl für andere, verbarrikadiert hinter dem Bollwerk all der Gefühle, die nicht fließen dürfen.
Wenn wir uns selbst erforschen und uns unserer Gefühle bewusst werden, wenn wir sie mit Neugier und Mitgefühl betrachten, erkennen wir, mit welchen unheilsamen Gewohnheiten wir uns gegen das wappnen, was wir nicht fühlen wollen, und wir erkennen, wie sehr sie uns das von uns selbst und unseren Nächsten entfernt. Und dann wenden wir Mittel an um das zu ändern. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Sonntag, 15. Juni 2025

Zu einem emotionalen Ausbeuter gehört ein emotional Ausbeutbarer

 


 

Emotionale Ausbeuter, kurz beschrieben, sind Menschen, die versuchen mit manipulativen Taktiken die Emotionen anderer zu nutzen, um sie zu ihren eigenen Zwecken zu benutzen.
Das funktioniert aber nicht mit jedem von uns.
Es funktioniert bei denen von uns, die emotional ausbeutbar sind. Kurz beschrieben sind dies Menschen, die ein geringes Gefühl für ihren eigenen Wert haben und ihre eigenen Bedürfnisse übergehen um geliebt und gebraucht zu werden, wobei sie gebraucht werden oft als Ersatz für Liebe nehmen.
 
Von der unbewussten Angst vor Zurückweisung, Ablehnung und einem starken Bedürfnis nach Harmonie angetrieben, tun sie alles um anderen zu gefallen, um anderen zu helfen, um die Bedürfnisse und Erwartungen anderer zu erfüllen. Gelingt ihnen das, gibt ihnen das ein Gefühl von wertvoll und liebeswert zu sein, was sie in sich selbst nicht spüren können. Die Bestätigung von Außen fungiert wie eine Belohnung und das führt dazu, dass sie immer wieder wiederholt wird und andere Möglichkeiten nicht mehr gesehen werden.
Viele dieser emotional Ausbeutbaren sind empathisch, sie haben Mitgefühl, sie geben und helfen gerne, wenn sie sehen, das andere Unterstützung brauchen oder leiden.
Sie geben anderen, was sie selbst so nötig brauchen.
Die Falle ist: Sie sind gefällig, um zu gefallen.
Wenn diese Menschen dann Hilfe brauchen, sind sie oft allein.
Und dann fragen sie sich: Wie kann das sein, ich bin doch immer für andere da?
Was ist mit Karma?
Tja, Karma ist so eine Sache.
Fritz Pearls hat dazu eine Meinung: „Zu erwarten, dass einen die Welt gerecht behandelt, weil man ein guter Mensch ist, kommt dem gleich, zu erwarten, dass ein Stier einen nicht angreift, weil man Vegetarier ist.” Das ist die brutale Wirklichkeit.
Also wie kann es sein, dass Karma uns nicht für unsere Bereitschaft zu geben, im Ausgleich belohnt wenn wir auch eine „milde“ Gabe benötigen? Wie kann es sein, dass es oft genau diese Menschen sind, die emotional leer ausgehen?
 
The more you give, the more they take.
 
Das ist das mit dem kleinen Finger und der ganzen Hand.
Menschen sind so gestrickt, dass sie nehmen, was sie kriegen können. Besonders dann, wenn sie nichts dafür tun müssen.
Sie haben einen Instinkt dafür, wo sie die ganze Hand greifen können, nachdem ihnen der kleine Finger gereicht wurde. Und sie schämen sich auch nicht dafür. Wieso auch?, die Hand wird ihnen ja hingestreckt.
Wer ständig die Hände öffnet und ständig gibt, setzt das Signal: Nimm nur, bediene dich, ich verschenke was du brauchst - for free.
„For free“ kann zur einer Falle der emotionalen Selbstausbeutung werden, denn Menschen gewöhnen sich daran viel zu bekommen ohne etwas zurückzugeben oder auch nur danke zu sagen.
Zudem setzt dieses bedingungslose Geben das Signal: Ich bin (mir) nicht wichtig. Ich bin nicht von Bedeutung.
Wer nicht wichtig ist, ist uninteressant für andere. Um es hart auszudrücken: Er ist gänzlich unattraktiv. Worum sich der Mensch nicht bemühen muss, wonach er nicht „jagen“ muss, ist für ihn wertlos.
Wer das Signal setzt, nicht wichtig zu sein, den achtet man nicht, den benutzt man, den nutzt man aus für die eigenen Bedürfnisse. Geht doch! Der braucht ja nichts für sich selbst.
Auch ein Signal, das wir setzen, wenn wir anderen grenzenlos gefällig sind, wenn wir grenzenlos geben und keine Grenzen setzen.
 
Wer keine Grenzen setzt ist grenzenlos.
Für alle Überschreitungen offen.
 
Emotional Ausbeutbare leben in diesem Anpassungsverhalten und je länger es aufrecht erhalten wird, desto mehr verfestigt es sich in den neuronalen Bahnen des Gehirns und wird dann automatisch abgerufen. Zugleich lernt das Gehirn, dass eigene Bedürfnisse nicht wichtig sind und sendet dazu keine Signale mehr. Daher kommt auch der Satz: "Ich spüre mich nicht mehr," den ich in Sitzungen mit emotional ausbeutbaren Menschen oft höre. Sie nehmen sich selbst nicht wahr. Kein Wunder, wenn sie ständig gegen sich selbst und ihre Bedürfnisse handeln. Manche bis zur totalen Erschöpfung.
Diese Menschen dürfen sich bewusst machen, wie wichtig es ist, sich selbst wieder oder endlich wichtig zu nehmen um nicht in Co-Abhängigkeit, Selbstaufgabe und Selbstverlust zu enden. Sie dürfen lernen - sie erreichen mit ihrem bedingungslosen Geben nicht das, was sie sich ersehen, nämlich Wertschätzung, Anerkennung und Liebe. Sie erreichen oft genau das Gegenteil: Man melkt sie wie eine Kuh und wenn die Kuh keine Milch mehr gibt, oder die Milch anderswo besser schmeckt, tauscht man sie aus und lässt sie alleine im Stall stehen. 
 
„Nach Lieben ist Helfen das schönste Zeitwort der Welt“, schrieb einst die Aktivistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner.
Aus vollen Herzen mein Ja, ... aber!
Liebe ist wunderbar, Helfen ist wunderbar, aber nicht aus Motiven heraus, die (unbewusst) dazu dienen die Liebe, die wir in uns selbst und für uns selbst nicht empfinden im Außen zu finden. Helfen ist wunderbar, wenn es nicht der untaugliche Versuch ist durch Helfen, gesehen, gewertschätzt und geliebt zu werden. 
 
Emotionale Ausbeutbarkeit ist die Folge eines erlernten Verhaltensmusters aus der Kindheit, wo es immer darum ging, dass die anderen zuerst kommen, die anderen wichtiger sind, die anderen mehr Rechte haben und man den anderen zu Gefallen sein muss. Daraus wird: Die anderen kommen zuerst, ich komme zuletzt. Viele emotional Ausbeutbare erlebten zudem eine Kindheit, in der es keine bedingungslose Liebe gab, sondern immer ein Sein, Tun und Handeln „UM“ - um gesehen und um geliebt zu werden. Gelungen ist es schon damals nicht.
 
Ich war eine emotional Ausbeutbare. Meine Geschichte habe ich aufgeschrieben für alle, die es auch sind und es nicht mehr sein wollen. Hier ist der Link zum Buch: https://buchshop.bod.de/weil-ich-endlich-geliebt-sein...
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Samstag, 14. Juni 2025

Verzweiflung ist der schlimmste Affekt

 


Verzweilfung ist der schlimmste Affekt.Verzweiflung ist ein komplexes emotionales und psychologisches Phänomen, das häufig in Situationen intensiver Belastung, nach einem schweren Verlust oder angesichts auswegloser Umstände auftritt. Psychologisch betrachtet ist Verzweiflung eine Reaktion auf eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den eigenen Erwartungen, Bedürfnissen oder Zielen und der aktuellen Realität, die als unerträglich oder unüberwindbar erlebt wird. Aus neurobiologischer Sicht sind bei der Verzweiflung sogar Veränderungen in den Hirnregionen beteilig. Diese Veränderungen können dazu führen, dass die Person sich hilflos, ausgeliefert und ohne Kontrolle fühlt, was die emotionale Belastung verstärkt. Psychologisch spielt die Verzweiflung eine zentrale Rolle in verschiedenen Theorien der Bewältigung und Resilienz. Sie kann als eine Krise der Sinnfindung betrachtet werden, bei der der Mensch den Glauben an eine positive Zukunft verliert. In solchen Momenten kann die Wahrnehmung der eigenen Hilflosigkeit dominieren, was die Motivation zur Problemlösung erheblich beeinträchtigt.
 
Oft sind Menschen in ihrer Verzweiflung emotional nicht mehr erreichbar. Der Verzweifelte befindet sich in einem tiefen emotionalen Ausnahmezustand. Er zieht sich zurück um mit den intensiven Gefühlen irgendwie umzugehen. Verzweiflung ist eng mit depressiven Zuständen verbunden, da sie oft von Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit und innerer Leere begleitet wird. Diese Gefühle können in einem Teufelskreis enden in dem negative Gedankenmuster die emotionale Lage weiter verschlechtern. Wenn ein Mensch vollkommen vereinsamt ist und niemanden hat, kann das die Verzweiflung noch verstärken. 
 
Da ist Angst, da ist Ohnmacht, da ist Hoffnungslosigkeit.
Niemand, der sich seinem Leid zuwendet.
Der Verzweifelte bleibt allein zurück, allein in seinem Schmerz und untröstlich.
Leere.
Der Fall in ein tiefes Loch.
Verzweiflung macht sich breit und breiter. Sie überschattet das Leben.
Nichts macht mehr Freude, nichts hat mehr Bedeutung.
Nur noch Einsamkeit innen.
Eine existenzielle Einsamkeit, die sich eingräbt und bleibt.
Der Verlust von Sinn.
 
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard wagte um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Behauptung, kein Mensch lebe oder habe gelebt, ohne dass er verzweifelt gewesen sei. Daher sei es keine Seltenheit, dass jemand verzweifelt, sondern - im Gegenteil - das Seltene, ja sogar das sehr Seltene sei, dass jemand nicht verzweifelt ist. Und er behauptete weiter: „Sich nicht bewusst zu sein, dass man verzweifelt ist, heißt noch lange nicht, nicht verzweifelt zu sein.“
In der Sinnkrise wird die Verzweiflung ins Unbewusste verlagert. Die Leere, die gefühlt wird, ist nichts anderes als schiere Verzweiflung am Verlust des Lebenssinns, die Verzweiflung am eigenen Sein, das wirkungslos geworden erstarrt und als nutzlos empfunden wird.
„Zweifeln“ heißt zweifachen Sinnes sein, sich in der Schwebe zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten halten. So mündet zweifelndes Denken im besten Falle aus dem wogenden Meer der Möglichkeiten in den sicheren Hafen. Das Ziel des Denkens geht vom Ungewissen über das Mögliche zum Ziel hin. Wer aber am Leben verzweifelt erlebt den Verlust aller Möglichkeiten und damit den Lebenssinn.
 
Wir alle können den Sinn verlieren, auch ich kenne das. Immer wieder gab und gibt es Momente in meinem Leben in dem die Verzweiflung wie eine riesige Welle über mir zusammenbricht. Momente, in denen sie mich wie ein schwarzer Schatten überfällt. Dann schwimme ich um aus der Tiefe der Welle wieder nach Oben zu kommen. Das erfordert Kraft und führt auch immer zu Kraftlosigkeit, aber es bedeutet: Überleben, trotz und mit der Schwäche, die immer noch ausreicht um einen Sinn zu finden, auch da wo der alte verloren ist.
Sinn suchen und uns Sinn geben, das können nur wir selbst.
Wir finden ihn nicht indem wir Vorgedachtes und Vorgelebtes übernehmen. Den Sinn des Lebens darf jeder selbst für sich suchen und finden, und im Zweifel auch wieder verlieren und wieder neu finden. Der Mensch ist Schöpfer, der sich zu jedem Zeitpunkt seiner Biografie selbst aus der Taufe hebt, wenn er sich dessen bewusst ist. Es ist an uns selbst den Sinn in das eigene Leben hineinzulegen, um ihn dann herauslesen zu können. Das ist Sinngebung und dieser folgt Sinnempfinden. Den Sinn des eigenen Lebens finden, heißt: sich in Zusammenhänge hinein zu denken. Dem eigenen Leben Sinn zu geben heißt: die Zusammenhänge in unserer Biografie erkennen, den roten Faden erforschen, ihn weiter zu spinnen und zwar an unserem eigenen Spinnrad und nicht die Fäden den Händen anderer zu überlassen.
Kierkegaard behauptet nicht, dass der Zweifel notwendigerweise zur Verzweiflung führt. Er behauptet aber, dass der Zweifel sich dann in Verzweiflung ergibt, wenn er an einen Punkt gelangt, an dem er nicht mehr weiter weiß. Solange wir noch zweifeln, verzweifeln wir nicht, dann gibt es noch Alternativen und Möglichkeiten. Erst wenn diese restlos ausgeschöpft sind, macht sich die Verzweiflung breit, dann ist der Mensch erschöpft – es kommt zum Bruch zwischen Ich und Welt.
 
„Ich gehe davon aus, dass es sich bei der Verzweiflung um eine bestimmte phänomenale Ausdrucks-und Erlebnisqualität einer psychischen Befindlichkeit handelt, die den ganzen Menschen in leiblichen, emotionalen, motivationalen und kognitiven Hinsichten erfasst, und die sich von der phänomenalen Qualität anderer Befindlichkeiten unterscheiden lässt. Um auf diese Art und Weise zu erkennen, ob man selbst oder jemand Anderes verzweifelt ist, muss man dann zwar bestimmte phänomenale Qualitäten introspektiv oder am Verhalten des Anderen wahrnehmen, aber man muss nicht wissen, was sich kausal oder funktional, hormonell oder neuronal in Gehirn und Nervensystem dieses Menschen abspielt.“ Schreibt Friedhelm Decher in seiner Monographie "Verzweiflung. Anatomie eines Affektes."
Der Affekt der Verzweiflung stellt sich Decher zufolge dann ein, wenn sich ein Mensch in einer absolut hoffnungs-und ausweglosen Lage befindet, die sich dadurch kennzeichnet, dass er keine Wahl mehr hat, dass ihm jegliche Freiheit der Entscheidung genommen ist. Verzweiflung wäre demzufolge der Verlust von Wahl-und Entscheidungsfreiheit.
Für mich ist Verzweiflung auch der Moment, wo wir das Gefühl haben nicht mehr weiter zu wollen, obwohl es Möglichkeiten gäbe. In der Verzweiflung können wir sie zwar durchaus noch sehen, aber sie nicht mehr ergreifen. Wir sind emotional dazu nicht mehr fähig, warum auch immer. Das ist der Moment in dem wir Hilfe brauchen um mit dieser Hilfe nach Etwas zu suchen, was uns aus dem tiefen Meer der Verzweiflung herauszieht. 
 
"Wessen wir am meisten im Leben bedürfen ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind", schreibt Ralph Waldo Emerson.
Ein verzweifelter Mensch braucht ein Gegenüber, das ihn versteht, seine Verzweiflung annehmen kann und nicht vor ihr zurückschreckt aus dem Gefühl eigener Hilflosigkeit heraus. Jemand, der vor der Wucht der Verzweiflung des anderen nicht flieht. Wir brauchen jemanden, der uns aktiv hilft, indem er uns Denk- und Handlungsalternativen anbietet, die uns zu einer neuen existentiellen Einstellung verhelfen. Wir brauchen eine neue Sinngebung. Diese beginnt mit der Bereitschaft unsere Gewordenheit, mit allem, was uns ausmacht, anzuerkennen, mit dem was, war Frieden zu machen, Verantwortung für unseren bisherigen Lebensweg zu übernehmen und daraus die Konsequenzen für unseren weiteren Lebensweg zu ziehen. 
 
Wenn es uns gelingt die Vergangenheit anzuerkennen und, ganz gleich wie sie war, produktiv auf unsere Gegenwart zu beziehen, können wir lernen, angemessen mit der Gegenwart umzugehen und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Dann sehen wir wieder Möglichkeiten, die uns aus der Verzweiflung auferstehen lassen wie Phönix aus der Asche. 
 
Trotz ihrer überwältigenden Natur ist Verzweiflung in den meisten Fällen kein dauerhaftes Gefühl. Alle Wege um sie zu überwinden zielen darauf ab, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern, um wieder Hoffnung und Handlungsfähigkeit zu entwickeln, auch wenn es schwer ist.
Hoffnung bedeutet hier: Die Möglichkeit zu akzeptieren, dass sich die Situation verändern kann.
Verzweiflung ist eine menschliche Erfahrung, die tief in unserer psychischen Struktur verwurzelt ist. Sie ist immer ein Signal, dass eine Veränderung dringend notwendig ist. Sie bietet die Chance, durch professionelle Unterstützung und ehrliche Selbstreflexion neue Wege zu finden, um mit diesem bedrohlichen Affekt umzugehen.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Donnerstag, 12. Juni 2025

Aus der Praxis: Scham

 



Starke Scham ist ein Dämon, dessen Existenz wir gerne verleugnen. Scham hat eine zerstörerische Macht. Scham kann uns wie eine Sucht beherrschen. Wer sich schämt, tut alles um dieses zerstörerische Gefühl zu unterdrücken, doch solange es unterdrückt wird, ist da Leugnen und Abwehr. Scham ist eine der zerstörerischen Kräfte in unserem Leben. Erst wenn wir die Scham benennen können, ohne sie zu verurteilen, verliert sie ihre Macht über uns.
Gesunde Scham ist kein schlechtes Gefühl, sie macht uns menschlich, sie zeigt uns unsere Grenzen, sie sagt uns, wo wir Acht geben müssen, um nicht über das Ziel hinauszuschießen. Sie bewahrt uns davor zu verletzen und zu zerstören. 
 
Starke Scham aber ist zerstörerisch. Sie zerstört unser Selbstbild und zeigt sich in Süchten, Pathologien, Zwängen, Angststörungen, Phobien und Neurosen. Sie kann zur Hoffnungslosigkeit führen und schwächt unsere Lebenskraft.
Scham erzeugt nicht nur das Gefühl in den Erdboden versinken zu wollen – Scham erzeugt auch Wut. Über das zu sprechen wofür man sich schämt, macht wütend, gerade weil man sich schämt. Das Gefühl der Scham, wird es nicht aufgelöst, führt zu einer chronischen Beschämung, und kann zu einer Art "Scham-Wut" führen. Diese Wut ist oft eine Abwehrreaktion auf das Gefühl der Ohnmacht und der Unzulänglichkeit, das mit der Scham verbunden ist. Scham kann auch zu chronischem innerem Stress und Kampf- oder Flucht-Reaktionen führen.
 
In der Scham verleugnen wir uns selbst, wir fühlen uns, als hätten wir unser Gesicht verloren. 
In der Scham fragmentiert sich unser Innerstes. Wir sind bedrückt von der Angst man könne uns entdecken und bloßstellen. Wir verstecken uns vor uns selbst und vor der Entdeckung anderer. Wer sich schämt führt oft ein Leben in seelischer Isolation.
Scham macht scheu - wir scheuen das Licht.
Wir möchten am liebsten in den Boden versinken, wir muten uns keinem zu, wir fürchten Nähe, weil wir fürchten entlarvt zu werden.
Wer unter starken Schamgefühlen leidet steht mit sich selbst im Konflikt und dadurch steht er mit der Welt in Konflikt. Scham ist wie ein eiserner Vorhang, der vom Leben trennt. Scham konfrontiert uns mit unseren vermeintlichen Mängeln, mit Gefühlen von Schuld, Schlechtsein, Fehlerhaftigkeit, Schmutzigsein und Wertlosigkeit. Scham suggeriert: „Du bist nicht liebenswert. Du bist schlecht und somit bist du auch schlecht für andere.“
Scham ist Gegenstand der Selbstverachtung.
Sie ist eine Qual, ein Leiden der Seele.
Scham führt zum Schämen aufgrund der Scham.
Scham führt dazu uns selbst nicht zu achten und zu vertrauen. 
 
Das Gefühl der Scham hat seine Ursachen oft in der Kindheit.
Scham wird internalisiert, wenn sich Bindungspersonen schamlos verhalten, auf welche Weise auch immer, und Kinder zu Zeugen dieses schamlosen Verhaltens werden. Sie übernehmen die Scham stellvertretend für die, die sie nicht empfinden. Scham wird internalisiert, wenn ein Kind gedemütigt, missbraucht, in seinem So-sein nicht geliebt und angenommen wird. Scham wird internalisiert, wenn einem Kind die Existenzberechtigung abgesprochen wird. Man raubt ihm die Menschenwürde.
Ein Kind, das gedemütigt oder missbraucht wird, verliert sein wahres Selbst. Es spaltet es ab. Damit hört es auf seelisch zu existieren. Es verliert seine vitale Lebensenergie, es entfremdet sich von sich selbst. Sich von sich selbst entfremden bedeutet, dass wir Teile unseres Selbst als fremd und nicht zu uns gehörig empfinden. Ein Teil in uns selbst wird zum Objekt der (Selbst)Verachtung. Wer sich selbst verachtet ist sich selbst nicht gut.
 
Starke Scham kann zu innerer Lähmung, zu innerem Rückzug und affektiver Passivität führen. Ein Leben, das von Scham beherrscht wird, gibt sich nicht die Erlaubnis frei zu sein, frei zu leben. Immer ist da das Gefühl nicht dazuzugehören. Immer ist man auf der Hut. Immer meint man, man ist den anderen lästig oder zu viel.
Der Psychoanalytiker Léon Wurmser schrieb einmal sinngemäß: Menschen sehen ihre Scham gleichsam „im Blick der tausend Augen“ der anderen. Der Blick der „tausend Augen“ ist für Menschen, die unter starker Scham leiden, bedeutsam. Sie leben ständig in der Angst herabgesetzt, herabgewürdigt, ausgegrenzt, gedemütigt und neu beschämt zu werden. Dies führt dazu, dass sie sich immer weiter in sich selbst zurückziehen. Sie bauen Mauern um sich, mauern sich ein in einer Welt, die ihnen Schutz verspricht. Doch dieser Schutz hat den Preis der emotionalen Isolation. Nicht selten führt unbewältigte Scham zur Sucht. Sucht hat immer auch mit einem gespaltenen Selbst zu tun und der Überzeugung ein Mensch zu sein, der mit Makeln behaftet ist und dem Gefühl dem Leben nicht gewachsen zu sein. In der Sucht liegt der Versuch das Gefühl des Schmerzes zu betäuben. Die Sucht und ihre Folgen führen wiederum zu neuer Scham. So erzeugt Scham immer wieder Scham.
Ein Teufelskreis.
 
Um krankhafte Scham zu überwinden bedarf es immer einer Veränderung des Selbstbildes.
Dazu gehört zunächst die Akzeptanz des Schamgefühls, auch wenn es weh tut.
Dazu gehört: Selbstmitgefühl entwickeln.
Dann heißt es, das Gefühl der Scham zu erforschen, es zu identifizieren und zu hinterfragen um sich von dem Gefühl zu disidentifizieren.
Was war der Auslöser?
Was oder wer hat mich derart beschämt?
Weiter geht es darum Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Im Tiefsten geht es darum die eigene Würde wieder zu erlangen.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de