Ständig hören oder lesen wir vom Loslassen.
“Lass deine Vergangenheit los.”
“Lass deine Angst, deine Wut , deine Trauer, deinen Schmerz los.
"Lass deine destruktiven Gedanken los."
"Lass diesen Menschen los."
Das ist das Schwerste, einen Menschen loszulassen, den wir lieben.
Allein das Wort „Loslassen“ löst in den meisten von uns einen inneren Widerstand aus.
Loslassen assoziieren wir mit Verlust.
Beim Gedanken an das Loslassen tut es schon weh.
Das ist absolut normal.
Was immer wir auch loslassen wollen, es fällt schwer. Wir möchten es festhalten, weil es ist ein Teil von uns geworden ist. Und wer hat nicht Angst davor einen Teil von sich selbst zu verlieren? Auch das ist vollkommen normal und zutiefst menschlich.
Wenn wir nicht loslassen können, haben wir einen Grund, warum wir es nicht können. Und diesen Grund dürfen wir wertschätzen, anstatt uns für unser Nicht-Loslassen-Können zu verurteilen.
Es geht darum zu verstehen, was der Grund ist, warum wir festhalten. Welches Bedürfnis steht dahinter?
Im Kern haben alle Bedürfnisse, die uns am Loslassen hindern einen Grund: Wir brauchen etwas, was wir uns selbst nicht geben können. Und auch das ist normal, denn Niemand kann sich selbst alles geben. Auch wenn man uns das immer wieder erzählen will. Dann fallen Worte wie Selbstfreundschaft, Selbstfürsorge, Selbstliebe oder gar Erleuchtung.
Große Worte, wichtige Worte. Ja.
Aber auch Selbstliebe heißt nicht, wir haben keine Bedürfnisse. Sogar der Erleuchtete hat Bedürfnisse, nämlich sein Wissen weiterzugeben, wie es Buddha und all die anderen Weisen getan haben. Sie hatten das Bedürfnis nach Resonanz, sonst könnten sie alleine in ihrer Erleuchtung die ewige Glückseligkeit huldigen und schweigen.
Niemand ist eine Insel.
Alain de Botton formuliert es so: „Vielleicht ist es wahr, dass wir nicht wirklich existieren, bis es jemanden gibt, der uns existieren sieht. Wir können nicht wirklich sprechen, bis es jemanden gibt, der versteht, was wir sagen. Im Grunde sind wir nicht ganz lebendig, bis wir geliebt werden.“
Wir alle wollen geliebt werden auch wenn wir Selbstliebe empfinden. Selbstliebe heißt nicht, ich sehne mich nicht danach geliebt zu sein, gesehen zu sein, gehört zu sein. Ganz und gar nicht, das zu glauben würde bedeuten an der Wirklichkeit der menschlichen Existenz vorbeizudenken, besser: sie zu überfühlen, sie abspalten um sie abzuwehren.
Ein Kind wird in Liebe geboren und es braucht liebevolle Resonanz um sich selbst überhaupt wahrzunehmen und zu fühlen. Liebe sucht Resonanz, sie sucht nach Verbindung und Verbundenheit um sich zu entfalten. Sicher wir können uns später selbst lieben, wir können lieben was wir tun, wie können die Schönheiten der Welt lieben, aber das ist nicht dasselbe wie Liebe zu empfangen von einem menschlichen Gegenüber.
Liebe und Verbundenheit haben eine essenzielle Bedeutung für unser Überleben. Ohne Liebe gehen wir emotional zugrunde. Ohne Liebe würde ein Kind sterben.
Das Ich braucht das Du, wusste schon Martin Buber. Und das bedeutet, dass unser "Ich", unsere Selbstwerdung, erst in Resonanz mit dem "Du", dem Anderen, entsteht.
"Das Ich wird am Du zum Ich“.
Und das hat nichts mit Abhängigkeit zu tun und nicht mit mangelnder Selbstliebe.
Loslassen, was wir lieben ist also ganz und gar nicht einfach.
Uns lösen von diesem geliebten Menschen, von dieser gemeinsamen Zeit und all den Erinnerungen an diese eine Liebe, ist ein mitunter langer, schmerzhafter Prozess.
Loslassen bedeutet nicht, dass wir Schmerz und Trauer einfach akzeptieren. Es bedeutet genau das Gegenteil: unsere Gefühle zuzulassen, ihre berechtigte Existenz und ihren Grund anzuerkennen und zu achten und alle Gefühle, die mit dem Loslassen einher gehen, willkommen zu heißen und sie sein zu lassen.
Es geht beim Loslassen nicht um Kapitulation, es geht darum, das Festhalten nach und nach sanft zu lösen, und nicht darum das Loslassen aktiv mit aller Macht herbeizuführen.
Es geht darum auch das Gefühl von Hilflosigkeit empfinden zu dürfen. Und es geht darum es anzunehmen, solange es dauert und zu erkennen, dass es manchmal der einzige ehrliche Weg nach vorne ist, traurig zu sein. Im Verlauf dieses Ablösungsprozesses lernen und erfahren wir unser Leben nicht mehr von unserem Verlust abhängig zu machen und uns dem hinzugeben, was ist, wie es nun mal ist. Es bedeutet, dass wir aufhören, Halt zu suchen in einer verlorenen Liebe, den sie uns nicht mehr geben kann, und ihn da zu finden, wo er wirklich existiert: Im Vertrauen in den Wandel des Lebens.
Loslassen lernen heißt für mich: Vertrauen lernen und wenn die Zeit reif ist, wieder Frieden finden, trotz unserem Verlust. Es bedeutet, dem Leben selbst zu vertrauen, sich dem Wandel hinzugeben, auch wenn es weh tut. Echter Frieden entsteht nicht durch die Vermeidung von Leid, sondern durch dessen Verständnis und Akzeptanz. Und ja, das kann dauern.
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de
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